Читать книгу Männermanieren - Karolina Leppert - Страница 6
Es gibt auch Gentlemen
Оглавление… von dem ich nicht das Beste erwarte. Der Stimme nach ist er jung, ich soll aber zu ihm nach Hietzing kommen, in diesen Wiener Stadtteil mit den hübschen Häusern mit viel Grün drum herum. Ein Schnösel, denke ich. Geld oder Absteige oder beides von den Eltern, sonst wohnt einer in seinem Alter nicht hier, und Schnösel bleiben oft ihr Leben lang auf dem Niveau postpubertär und Taschengeld von irgendwem.
Der Kunde will Jeans-sitting. Ich habe kein Problem mit Fetischen, ich kenne sie längst alle. Es gibt Männer, die gerne zusehen, wie ich Plastikbälle aus meinem Arschloch ploppen lasse, andere stehen auf Petplay und ich führe sie an der Leine im Beserlpark Gassi. Wieder andere stehen auf Windeln. Entweder sie tragen eine und ich wickle sie, oder umgekehrt. Ich sehe sexy aus in Pampers. Die für die großen Babys passen mir gerade noch am letzten Zacken des blauen Klebebandes. Und dann gibt es eben auch Jeans-sitting.
Ich finde es heuchlerisch, sich über Fetische lustig zu machen. Als Spezialistin weiß ich, wie viel Prozent der Männer einen haben. Es sind hundert. Hundert Prozent der Männer haben einen Fetisch. Nur wenigen gelingt es, ihn in ihrer Beziehung auszuleben, einige gehen zu Prostituierten und die meisten verdrängen ihn einfach.
Wenn ich mit einem Mann über Fetische spreche, nickt er entweder mit dem Blick nach innen oder er sagt: »Hundert Prozent? Kann schon sein, dann bin ich eben die Ausnahme.« So einen frage ich dann, auf welchen Typ Frau er steht und auf welche Damenunterwäsche. Jedem fällt dazu etwas ein und da fängt es an. Da fängt die Welt der Fetische an, die so abenteuerlich und schräg ist, wie sie sich nicht einmal die Erfinder von »Star Wars«, »Herr der Ringe« oder »Harry Potter« ausdenken könnten. 99 Prozent der Dinge, die ich schon gemacht habe, wären mir nicht im Traum eingefallen und ich ziehe die Grenzen nur dort, wo Kunden etwas amputiert oder zugenäht haben wollen. Ich tue nichts, das bleibende Schäden hinterlässt, selbst wenn der Typ mir seine Füße zeigt, auf denen insgesamt nur noch fünf Zehen sind, oder die Narben ums Arschloch, weil er es sich schon dutzende Male zunähen hat lassen.
Jeans-sitting ist ein einfacher Job. Ich komme in Jeans, nehme das Geld, er legt sich rücklings aufs Bett oder auf den Boden. Ich setze mich, so wie ich bin, auf sein Gesicht, plane meine Steuererklärung, mein Wochenende oder wann ich wieder einmal meine Eltern besuchen könnte und nach einer Weile gehe ich wieder.
Der Kunde in Hietzing will noch ein bisschen Drumherum. Ein Rollenspiel. Er will, dass es eine Art Überfall ist. Ich soll mit einer Zweiten kommen und wir sollen ihn zur Rede stellen. Wir sollen so tun, als hätte er uns Geld gestohlen.
Ich habe auch nichts gegen Rollenspiele und ich finde keines peinlich. Nicht einmal das, bei dem ein Mann für seinen kleinen Schwanz verspottet werden will. Ich war gerade bei so einem. Wir mussten gleich zu zweit kommen und ihn verspotten. »Kleines Zumpfi, kleines Zumpfi«, riefen wir, während der onanierte, dabei war sein Schwanz gar nicht so klein.
Ich finde nicht einmal das Rollenspiel von dem siebzigjährigen Kunden peinlich, der regelmäßig fünf von uns zu seinen Partys einlädt. Sie müssen einfach nur herumstehen und auch hinterher hat er mit keiner von ihnen Sex. Wenn die Gäste gegangen sind, müssen sie für ihn durch den Raum laufen oder kriechen. Immer die, auf die er mit seinem Finger zeigt, muss genau in dem Moment, in dem er »Peng« sagt, umfallen, als wäre sie tot. Warum nicht, wenn ihm das gefällt? Naja, dir muss ich ja nichts erzählen.
Ich entscheide mich bei der Zweiten, die ich zu dem Jeans-sitting-Termin mitnehme, in einer schwachen Minute für eine Nachwuchskraft, die nicht so richtig ins Geschäft kommt. Jenny. Ich will ihr eine Chance geben, dabei hat es einen Grund, warum sie nicht ins Geschäft kommt. Sie ist etwas dumm. Zum Beispiel nannte sie sich wegen eines Songs von Falco »Jenny«. Als ihr jemand sagte, dass Falco nicht von einer Jenny, sondern von einer Jeanny singt und dass der Song kein Liebeslied ist, sondern ein Mädchenmörder Jeanny erwischt, war sie ganz deprimiert.
Mit Jenny gehe ich also zu dem Kunden in Hietzing, auf dem Weg erkläre ich ihr, wie es ablaufen soll. Dort angekommen hämmere ich also gegen die Tür, dränge ihn hinein, verlange unser Geld zurück, werfe ihn rücklings aufs Bett und setze mich auf sein Gesicht. Dann winke ich Jenny, der ich alles vorher erklärt habe, die aber trotzdem ihr Leben nicht mehr versteht. Zum Glück setzt sie sich schließlich doch in Bewegung und ich bedeute ihr, sich wie ausgemacht auf seine Beine zu setzen und seine Taschen nach dem Geld zu durchsuchen, das er uns angeblich gestohlen hat. Das tut sie auch und als sie damit fertig ist, sitzen wir so da. Ich angle mir die Fernbedienung für den Fernseher und habe Glück: »Die Simpsons« laufen.
Doch statt eine halbe Stunde in aller Ruhe »Simpsons« zu schauen, kriegt Jenny sich nicht ein. Sie macht mir Zeichen und verzieht das Gesicht. Ich denke, die prustet gleich los. Ich schalte den Fernseher wieder ab, aber es ist schon zu spät. Jenny kichert wie ein aufgedrehter Teenager.
Ich lege einen Finger auf die Lippen und will ihr in die Augen sehen, finde aber ihren Blick nicht, weil sie ganz irre ist. Wenn ich jemandem in einer Sache helfe, in der er überfordert ist, gebe ich ihm keine Chance, sondern ich schade ihm eher, denke ich, und der Sache sowieso. Aber der Kunde, auf dessen Gesicht ich sitze, rührt sich nicht.
Als eine halbe Stunde um ist, steht er auf. Seinen Blick finde ich schon, er ist ernst und vornehm. Ich biete ihm an, einen Teil der Summe zurückzuzahlen, aber er runzelt nur die Stirn, als wüsste er nicht, wovon ich spreche.
Er ist kein Schnösel. Er ist ein Mann mit einem Fetisch, von dem er weiß, dass ihn viele lächerlich finden. Er weiß auch, dass wir beide nicht zu diesen vielen gehören dürften, aber Vorwürfe scheinen keine Kategorie für ihn zu sein. »Danke«, sagt er, »darf ich euch ein Taxi rufen?«
Er sagt es auf so eine Art, dass ich mich wegen Jennys Fehler nicht einmal schlecht fühlen kann und so etwas muss einer erst hinkriegen. Das hat Klasse. Dieser Mann hat wirklich Manieren.
Aber diese Sache ist schon lange her. Damals hat Falco fast noch gelebt. Sie ist mir bloß in Erinnerung geblieben, weil sie so eine Ausnahme ist. Ich mag auch die anderen Kunden, aber bei den meisten denke ich lieber nicht so genau über ihre Manieren nach.
Der Kunde damals zum Beispiel, den wir wegen seines Schwanzes auslachen mussten, roch wie ein Würstelstandverkäufer nach einer Zwölf-Stunden-Schicht. Ich kann damit leben, aber ich selbst dusche gründlich, wenn ich nur zu einer Massage oder zum Arzt gehe. Ich dusche, verwende eine Lotion und sorge dafür, dass ich gut rieche. Und die gehen zu einer Prostituierten und tun – nichts? Weißt du, was ich meine?
Dann das mit den Fetischen. Solange einer dafür bezahlt, ist es mir egal, wenn er gerne zusieht, wie ich Plastikbälle aus meinem Arschloch ploppen lasse. Ich freue mich, wenn es ihm gefällt. Es ist nur immer die Frage, wie einer seine Wünsche äußert. Die tun jetzt alle so, als wäre alles ganz normal. Wenn du sagst »das mach ich nicht«, fangen sie zu diskutieren an. Wenn du sagst, dass diese Diskussion schon viele geführt haben und dass sie für alle fruchtlos war, versuchen sie es erst recht.
Oder der Kunde mit der Fingerpistole, dessen Fetisch ja irgendwie süß ist. Der bucht dich und schickt dich hinterher wieder weg, als wärst du ein Plastikding von Rent a Toy.
Kunden, die denken, sie könnten sich bei uns alles erlauben, gab es schon immer und wird es immer geben. Bloß waren sie früher Ausnahmen und sie hatten einen Namen: Wir nannten sie Arschlöcher.
Ich bin nicht der Typ, der so leicht unter irgendetwas leidet, aber es stimmt. Die Manieren der Männer sind schlechter geworden. Es wäre höchste Zeit, dass ihnen einmal jemand eine Standpauke hält.
Das wäre doch etwas. Wir stellen uns hier in Wien in die Kärntner Straße oder bei euch in Berlin auf den Kurfürstendamm, mit so einem kleinen zusammenklappbaren Podest, und dann legen wir los.
So auf die Art:
Jungs, wir mögen euch ja, aber wir würden euch noch etwas mehr mögen, wenn ihr euch besser benehmen würdet. Ihr seid unhöflich und grob, ihr akzeptiert keine Grenzen und manchmal stinkt ihr.
Alle diese Sachen.
Das wäre doch fällig, findest du nicht?