Читать книгу Träume nicht dein Leben - Kate Lillian - Страница 8

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Die inspirierenden Worte meiner Mutter hallten auch in den nächsten Tagen in meinen Gedanken nach. Denn sie hatte absolut recht. Dieses einzigartige Event diente nicht nur dazu, die Menschen zu unterhalten. Auch nicht dazu, die Thronfolger auf Brautschau zu schicken. Wir sollten uns alle besser kennenlernen.

Unsere Kulturen klafften zwar nicht mehr so weit auseinander wie in der alten Welt, aber ich musste zugeben, dass ich mit den anderen Königreichen wenig anfangen konnte. Zwar lebten wir nicht weit entfernt von der Grenze zum Ostreich, aber ich hatte sie noch nie gesehen. Es war für uns alle ungewöhnlich, sie zu passieren.

Kurz nach dem Großen Krieg musste das noch anders gewesen sein. Immerhin war meine Großmutter mütterlicherseits den ganzen Weg aus dem Nordreich hierher gekommen. Sie war quasi unserer heutigen Königin gefolgt, ohne diese überhaupt zu kennen. Vermutlich hatte ich die Begeisterung für das royale Leben von ihr geerbt. Zu schade, dass sie kurz nach meiner Geburt gestorben war. Sie wäre bestimmt auf meiner Seite gewesen, hätte mich sogar ermutigt, mich für das Connecting zu bewerben. Nun stand ich mit meiner Entscheidung ziemlich allein da.

Als der Tag der Ziehung von Bezirk C endlich gekommen war, war ich so nervös, dass ich beim Frühstück kaum etwas hinunter bekam. Gestern war ein Zettel in den Briefkasten geflattert, auf dem alle Details zum heutigen Tag zusammengefasst waren. Die Ziehung sollte nachmittags um zwei Uhr stattfinden. Auf den Marktplatz unserer Stadt durften nur die Mädchen, die sich beworben hatten, damit es nicht zu voll wurde. Alle anderen, die die Übertragung verfolgen wollten, mussten sie sich entweder zu Hause angucken oder aus der Entfernung beobachten.

Ich sah meinem Vater an, dass es ihm überhaupt nicht gefiel, mich nicht begleiten – und gleichzeitig wohl auch nicht beschützen – zu können. Meine Mutter beruhigte ihn damit, dass ich ja bald wiederkommen würde. Ob sie damit meinte, dass ich sowieso nicht gezogen werden würde, konnte ich aus ihrem Gesicht nicht herauslesen.

Ich verabschiedete mich bereits um die Mittagszeit von den beiden, um keinen allzu schlechten Platz zu bekommen. Ich ließ meinen Namen auf der Liste eines Helfers abhaken, erst danach durfte ich den abgesperrten Versammlungsort betreten.

Obwohl ich viel zu früh dran war, hatten sich schon mehrere Reihen von schwatzenden Mädchen vor der Bühne platziert. Die Banner standen noch immer dort, die Leinwand hing ebenfalls bereits da. Dieses Mal fiel mir auch sofort der Projektor auf, der die Bilder live aus unserer Hauptstadt übertragen würde. Hoffentlich klappte das mit der Technik, es gab häufiger Störungen des Netzwerkes, weshalb wir recht selten Live-Sendungen aus den anderen Königreichen empfingen.

Ich hätte mir auch zu gerne die weiteren Verkündungen angeschaut, aber die waren bloß innerhalb der jeweiligen Grenzen ausgestrahlt worden. Die restlichen Thronfolger sowie die gezogenen Kandidatinnen sollten wohl eine Überraschung für die anderen Reiche werden. Der erste Schritt, um Spannung aufzubauen.

Diese hatte sich wegen der Ziehung auch in mir breitgemacht, schlug jedoch mit jeder Minute mehr in Nervosität um. Die Wartezeit überbrückte ich dieses Mal nicht damit, den Gesprächen anderer zu lauschen. Stattdessen ließ ich den Blick über die Kleidung der Bewerberinnen schweifen. Viele hatten Kleider angezogen, manchmal sah ich auch den ein oder anderen viel zu kurzen Rock. Überall glitzerten Pailletten, Stoff fiel wasserfallartig oder rüschte sich. Außerdem waren viele Ausschnitte zu tief und mit glänzenden Ketten behängt.

Ich fühlte mich wieder einmal wie eine Außenseiterin mit meinem langen weißen Rock und dem in unterschiedlichen Blauschattierungen leuchtenden, eher züchtigen Top. Das einzige Schmuckstück, das ich trug, war eine dünne Silberkette mit einem Diamantanhänger, die ich von meiner Großmutter geerbt hatte.

Manche der Mädchen sahen mich gerade wegen meiner unspektakulären Erscheinung an. Da ich wie immer aus der Reihe fiel, waren ihre Blicke abschätzig, bevor sie dazu übergingen, mich zu ignorieren.

Als der Bürgermeister endlich das Podium betrat, verspürte ich nicht nur Erleichterung. Mir war auch ein wenig übel. Ich versuchte, mich auf die Worte des Mannes zu konzentrieren, um das unangenehme Gefühl auszublenden.

»Meine sehr geehrten jungen Damen, ich begrüße Sie recht herzlich an diesem schönen Tag«, fing er an, wobei seine Stimme ein wenig zitterte. »Die Übertragung wird gleich beginnen. Viel Glück Ihnen allen.«

Wir klatschten, während er sich an den Rand der Bühne zurückzog, um nicht im Bild zu stehen. Es dauerte keine Minute, bis dieses auf der Leinwand erschien. Ich erkannte den Marktplatz unserer Hauptstadt Thuringia – benannt nach dem alten Bundesland Thüringen – und sah auch die riesige Menge vor der Bühne. Dort standen bestimmt fünfmal so viele Mädchen wie bei uns. Wahrscheinlich würde es also wieder auf eine Hauptstadt-Kandidatin hinauslaufen ...

Als Prinz Stephan mit dem Mikrofon auf das Podium trat, musste ich trocken schlucken. Er sah so perfekt aus wie bei jedem seiner bisherigen Auftritte. Die grauen Wolken, die über Thuringia hingen, konnten seinem Strahlen nichts anhaben. Wie sehr wünschte ich mir, ich könnte auch so positiv sein wie er!

»Liebe Bürger, liebe Mädchen des Bezirks C«, begann er und ließ seinen Blick über die Menge vor ihm schweifen, bevor er in die Kamera sah. »Dies ist der Tag, auf den viele von euch lange gewartet haben. Das Leben einer von euch wird sich heute verändern. Und ich bin sehr froh, dass ich derjenige sein darf, der diese frohe Nachricht verkündet.«

Sowohl aus den Lautsprechern als auch um mich herum brandete Jubel auf. Ich klatschte ebenfalls, jedoch verhalten, weil mich die Nervosität zu lähmen drohte.

»Wir wollen nun keine Zeit mehr verlieren«, fuhr der Thronfolger fort. »Ich kann es ja nicht riskieren, dass eine von euch wegen der Spannung umkippt.«

Sein Zwinkern, auch wenn es nicht in das Aufnahmegerät gerichtet war, ließ mein Herz höherschlagen. Sollte ich nicht gezogen werden, würde ich dieses nie in Realität zu Gesicht bekommen. Stattdessen müsste ich im Fernsehen dabei zuschauen, wie er es einer anderen schenkte ...

Prinz Stephan trat an die Kristallschale, in der bestimmt tausend winzig zusammengefaltete Zettel mit den Namen der Bewerberinnen ruhten. Er tauchte seine freie Hand tief hinein, wühlte ein wenig darin herum, hielt einen Moment inne und holte schließlich einen an die Oberfläche. Dieses Stück Papier entschied über mein Schicksal.

»Ich halte nun den Namen derjenigen in der Hand, die in wenigen Tagen zur Reise in den Palast der Einheit aufbrechen wird.« Prinz Stephan hob den Zettel hoch. »Sie wird nicht nur mich, sondern vier weitere Prinzen kennenlernen und so die Möglichkeit erhalten, die wahre Liebe zu finden. Genauso wird sie ihrem Volk dabei helfen, die Beziehungen zwischen den Reichen zu vertiefen.«

Er nahm das Stück Papier in die gleiche Hand wie das Mikrofon und faltete es mit der anderen auf. Die Sekunden zogen sich hin, sein Mund öffnete sich, um den Namen der Glücklichen zu verkünden. Ich konnte nicht atmen, hatte das Gefühl, gleich zusammenzubrechen. Und wieso lief auf einmal alles in Zeitlupe ab?

»Die Kandidatin des Bezirks C des Zentralreiches heißt«, er guckte in die Kamera, »Jillian Haas.«

Mir schien der Boden unter den Füßen wegzubrechen. Wie erstarrt guckte ich auf die Leinwand, wo Prinz Stephan zu sehen war, wie er sich fragend umschaute. Als nach mehreren Sekunden immer noch Stille herrschte, wanderte sein Blick zurück zur Kamera.

»Jillian, wo auch immer du dich gerade aufhältst, ich freue mich schon sehr darauf, dich kennenzulernen«, sagte er. »Herzlichen Glückwunsch!«

Ich war noch immer zur Salzsäule erstarrt, bemerkte jedoch, wie die Mädchen vor mir zurückzuweichen begannen. Einige schienen zu wissen, wer ich war. Dass es mein Name war, den der Thronfolger gerade genannt hatte. Irgendwann lag auch der Blick des Bürgermeisters, der plötzlich wieder in der Bühnenmitte stand, auf mir.

»Offenbar haben wir hier die glückliche Gewinnerin«, stellte er fest und wischte sich über die Stirn. »Komm doch zu uns nach oben.«

Aber ich konnte nicht. Ich spürte die Feindseligkeit um mich herum, sie schien mich zurückzuhalten. Wenn ich jetzt dort hochging, würde man mich so verächtlich ansehen wie nie zuvor.

»Du bist doch Jillian Haas, oder nicht?«, erkundigte sich Bürgermeister Berger, der eigentlich genau wissen müsste, wer ich war. Ich war mit seiner Tochter Becky in derselben Klasse gewesen, wir hatten erst kürzlich zusammen unseren Abschluss gemacht.

Je länger ich nicht reagierte, desto unangenehmer schien ihm die Situation zu werden. Er wischte sich erneut über die glänzende Stirn.

Sollte er erst einmal in meiner Haut stecken.

Schließlich schaffte ich es, zu nicken, woraufhin er mir einen hektischen Wink gab. »Dann komm doch bitte zu mir auf die Bühne. Wir wollen dein Gesicht für die Prinzen ganz genau einfangen.«

Als er die Thronfolger erwähnte, stieg auf einmal Entschlossenheit in mir auf. Ich war gezogen worden. Prinz Stephan hatte meinen Namen unter vielen Hunderten aus dieser Kristallschale gefischt. Ausgerechnet meinen! Das musste einfach Schicksal sein. Und niemand würde mich davon abhalten können, diese Chance zu nutzen.

Ich straffte meine Schultern und machte den ersten Schritt vorwärts. Die Mädchen wichen vor mir zurück, ihre Blicke spürte ich mit jeder Faser meines Körpers. Als ich die Stufen zum Podium erreichte, richtete ein Mann eine Kamera auf mich. Ich hatte keine Ahnung, wo die auf einmal hergekommen war. Doch ich versuchte sie auszublenden, und konzentrierte mich darauf, mit meinen Keilabsätzen nicht umzuknicken. Sie waren zwar keine drei Zentimeter hoch, auf ihnen zu laufen, erschien mir jedoch auf einmal wie eine gigantische Herausforderung.

Als ich schließlich neben dem Bürgermeister stand, wandte ich mich für einen Moment all den Mädchen zu, die nicht mein Glück hatten. Ihre Missbilligung war ihnen anzusehen, es ertönte kein Jubel, niemand klatschte. Entweder kannte man mich nicht oder man hielt nichts von mir. Ich musste infolgedessen dankbar dafür sein, dass ich nicht gar ausgebuht wurde. Einigen Mädchen, mit denen ich vor ein paar Jahren Probleme gehabt hatte, hätte ich das durchaus zugetraut.

Um mich von den wenig erfreulichen Erinnerungen abzulenken, schaute ich in die Zukunft – und damit direkt in die Kamera. Das ganze Königreich würde in Kürze diese Bilder sehen. Prinz Stephan würde sie sehen. Sehr wahrscheinlich auch die anderen vier Thronfolger. Darum riss ich mich zusammen, guckte genau in die Linse und lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln trotz der Feindseligkeit vor mir. Endlich war ich mal diejenige, die etwas hatte, was alle wollten. Ich war in einer besseren Position als sie. Und diesmal würde ich es mir nicht nehmen lassen. Denn ich konnte eine Prinzessin werden, eine Königin.

Ich konnte meine Träume leben.

Träume nicht dein Leben

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