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Als die Kamera endlich in ihrer Tasche verstaut war, lotste mich Bürgermeister Berger mit sich in das Rathaus, das sich schräg hinter der Bühne befand. Ich folgte ihm, obwohl mir unbehaglich zumute war. Was würde nun passieren?

»Also, die Aufnahmen werden zum königlichen Sender gebracht. Wahrscheinlich werden sie übermorgen ausgestrahlt. Am gleichen Tag wird dich eine E-Bahn der Königsfamilie abholen und zum Palast der Einheit bringen. Bis dahin solltest du also gepackt haben«, redete der Mann drauf los. Er öffnete mir eine Tür im Erdgeschoss und winkte mich in den Raum dahinter.

Ich trat über die Schwelle und schaute mich um. Es war ein Büro, überall lagen Aktenordner herum. Vor mir befand sich ein Schreibtisch, dahinter ein Stuhl, auf den sich der Bürgermeister setzte. Ich ließ mich zögernd auf dem Sessel gegenüber nieder.

»Deine Eltern wissen Bescheid, ja? Haben sie die Übertragung gesehen?«, fragte mich der Mann, während er in einer Schublade kramte.

»Ja, von zu Hause aus.«

Oh Mann, daran hatte ich noch überhaupt nicht gedacht. Wie hatte mein Vater darauf reagiert, dass ich gezogen worden war? Wahrscheinlich war er in einen Schockzustand gefallen und anschließend durchgedreht. Ich hoffte sehr, dass meine Mutter ihn beruhigen konnte.

Falls sie das überhaupt wollte. Sie hatte meine Träume zwar akzeptiert und meinen Vater sogar überzeugt, mich zur Bewerbung gehen zu lassen. Aber sie hatte bestimmt nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen könnte, dass mein Name ertönte.

»Ich werde jemanden schicken, der sie herbringt. Es gibt da noch ein paar Formalitäten zu regeln.« Bürgermeister Berger zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich damit die feuchte Stirn ab. »Deine Adresse?«

Ich nannte sie ihm und er verschwand aus dem Büro. Um mich von meiner Nervosität abzulenken, begutachtete ich die zweckmäßige Einrichtung, bis er zurückkehrte. Danach saßen wir weitgehend schweigend herum, bis endlich die Tür aufging und meine Eltern hereinrauschten. Vor allem meinem Vater war der Unmut anzusehen.

»Du sagtest, du würdest nie und nimmer gezogen werden!«, schrie er mich an.

Ich zog die Schultern bis zum Kinn. »Das habe ich mir nicht ausgesucht.«

»Aber du wolltest, dass genau das passiert!« Mein Vater wirkte fuchsteufelswild. »Keinesfalls hätte ich dir das erlauben sollen!«

»Bruno.« Meine Mutter legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter, doch er schüttelte sie ab wie eine lästige Fliege. »Jillian kann nichts für das Los.«

»Sie kann etwas für die Bewerbung, Karen!« Er wandte sich wieder an mich. »Wie kannst du nur glauben, es durchzustehen, mit vierundzwanzig Mädchen um fünf Jungs zu konkurrieren? Du weißt doch, wie das das letzte Mal ausgegangen ist!«

Mir stieg das Blut in die Wangen, als er auf die Situation in meiner Vergangenheit anspielte, an die ich mich selbst vorhin erinnert hatte. Die ich eigentlich längst abgehakt hatte. Allerdings hatte sie mich vermutlich zu der gemacht, die ich heute war: einer unsicheren Einzelgängerin.

Insofern waren die Befürchtungen meines Vaters womöglich sogar berechtigt.

»Das war doch kein Konkurrieren, Bruno«, schaltete sich meine Mutter erneut ein. »Das kann man nicht miteinander vergleichen.«

»Ach ja? Ein paar Jungs und zu viele Mädchen – wo ist da der Unterschied?«, entgegnete er. »Und du siehst doch, was das mit ihr gemacht hat.«

Ich hatte das Gefühl, in mir zusammenzuschrumpfen. Ich hatte immer gedacht, mein Vater wäre stolz auf den Ehrgeiz, den ich entwickelt hatte. Stattdessen schien ihm mein mangelndes Sozialleben zu missfallen. Jedenfalls hatte ich ihn noch nie so wütend erlebt. Und auch meine Mutter schien nicht mehr zu wissen, was sie dagegen tun sollte. Sie zuckte nur die Schultern und mied seinen Blick.

»Ähm, offenbar gibt es hier ein paar Unstimmigkeiten«, mischte sich Bürgermeister Berger ein, der aussah, als wäre er gerade lieber irgendwo anders.

»Allerdings!« Mein Vater verschränkte die Arme vor der Brust. »Nie und nimmer macht meine Tochter bei dieser Farce mit!«

»Darüber können Sie nicht mehr entscheiden.« Hektisch tupfte der Bürgermeister seine Halbglatze ab. »Wie ich aus Ihren Worten heraushöre, haben Sie ihr die Erlaubnis zur Bewerbung erteilt, oder nicht?«

»Ja, aber nicht für dieses TV-Event!«, entgegnete mein Vater wütend.

»Die Erlaubnis für das eine ist identisch mit der Erlaubnis für das andere. Einmal erteilt, kann man sie nicht mehr zurücknehmen. Jillian hat das mit ihrer Unterschrift auf den Bedingungen bestätigt.«

»Bedingungen?« Mein Vater sah mich vorwurfsvoll an. »Wovon spricht er, Jillian?«

»Unter anderem davon, dass ich nicht mehr zurückziehen könnte, selbst wenn ich es wollte«, sagte ich leise, konnte ihm dabei nicht in die Augen sehen. Meiner Mutter allerdings schon, die schockiert wirkte. Was jedoch weniger an meiner Aussage lag, als daran, dass ich ihnen nichts davon erzählt hatte. Nur wollte ich vermeiden, dass sie während der Bewerbungsphase doch noch ein Veto einlegten. Keine Ahnung, ob das funktioniert hätte, aber ich hatte es nicht austesten wollen.

Bürgermeister Berger durchbrach die drückende Stille. »Prinz Stephan hat sie höchstpersönlich gezogen. Das heißt, sie wird zum Palast der Einheit reisen und das Connecting mitmachen. Sie können daran nichts mehr ändern.«

Als ich meinen Vater aus dem Augenwinkel den Kopf schütteln sah, wandte ich mich ihm wieder zu. Seine Wut war abgeflaut, stattdessen waren seine Gesichtszüge vor Enttäuschung verzogen.

»Ich kann nicht fassen, dass du das getan hast, Jill.«

Alles in mir spannte sich an. Indem ich meine Träume verfolgt hatte, hatte ich ihn vor den Kopf gestoßen. »Es tut mir leid, Papa«, murmelte ich, während mir Tränen in die Augen stiegen.

»Das will ich hoffen.«

»Kannst du mir verzeihen?«

»Nein. Denn ich habe hautnah miterlebt, was die ganze Ablehnung dir angetan hat. Ich kann nicht fassen, dass du das alles wiederholen willst. Vor Millionen von Menschen.« Er drehte sich zur Tür. »Viel Erfolg dabei, dir dein Leben zu ruinieren.«

Er marschierte hinaus, ohne mich noch mal anzusehen. Zum zweiten Mal heute war ich erstarrt. Sogar die Tränen wollten nicht meine Wangen hinunterlaufen. Noch nie hatte ich gleichzeitig einen so großartigen und einen so miesen Tag gehabt.

»Ähm, dürfte ich dann eventuell mit Ihnen die Formalitäten besprechen, Mrs. Haas?«, mischte sich die Stimme des Bürgermeisters in meine Schuldgefühle.

Ich sah zu meiner Mutter, die noch immer etwas verstört herumstand. Ihr Blick wanderte von dem korpulenteren Herren zu mir. Ich schluckte, unsicher, ob sie ebenfalls nicht hinter mir stehen würde. Bevor ich ihren Gesichtsausdruck deuten konnte, verschleierten die Tränen mir mein Sichtfeld und ich musste heftig blinzeln.

»Dann setzen wir uns mal lieber«, hörte ich meine Mutter sagen. Ich spürte ihre Hand auf meiner Schulter. Und als ich endlich wieder etwas erkennen konnte, war es ein Lächeln, das auf ihren Lippen lag.

Träume nicht dein Leben

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