Читать книгу Der Schneckenreiter - Katharina Fiona Bode - Страница 8

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Die letzten Sonnenstrahlen lagen längst in tiefem Schlummer, als es dem Schneckenreiter endlich gelang den letzten überdrehten, verängstigten und hibbeligen Uhrling ins Bett zu bugsieren.

„Wir wissen doch gar nicht, ob es jetzt Zeit dafür ist“, hatten sie bis zuletzt gejammert. Es hatte ihm sämtliche Tricks und Kniffe seiner über die Jahre perfektionierten Überredungskunst abverlangt. Wenigstens die Kuhrlinge waren nach der Erzählung abgelenkt und ruhig gewesen und sogar freiwillig in ihre Betten geschlüpft.

Als der Morgentau begann sich über die Uhrenzeiger der Stadt zu legen, hatte sich schließlich auch der Schneckenreiter selbst zurückziehen können. Er war durch den von einer schaukelnden Laterne in warmes Licht getunkten Seiteneingang in Globolis Gehäuse geschlüpft. Ging manches Wesen nie ohne Hut aus dem Haus, nahm die Schnecke ihres lieber gleich ganz überall hin mit. Stilvoll und geräumig hielt sie auf ihren Reisen stets ein Gästezimmerchen bereit.

So ein Schneckenhaus war von innen schließlich weitaus geräumiger als sich von außen erahnen ließ. Geparkt hatten sie, wenn man so wollte, ein Stück den Hang hinab, den sie gekommen waren. Was sich als weise herausstellen sollte, liebte man es nicht von einem Haufen zeitloser Uhrlinge aus viel zu kurzen Träumen gerissen zu werden.

Als der Schneckenreiter nach nächtlichem Nickerchen nun die Augen aufschlug und zum Fenster hinaussah, hatte er einen großen Tonkrug Tee vor der Nase, dessen Risse entweder davon kündeten, dass er aus verschiedenen, alten Krügen zusammengepuzzelt oder aber gesprungen und wieder geleimt worden war. So oder so, er stand auf dem Fenstersims des Schneckenhauses und lockte den Reiter mit einer einladend winkenden Dampffahne, die sich still daraus empor kräuselte.

Außerhalb des Schneckenhauses angelangt, den Krug gut verwahrt in einer Hand, stellte der Schneckenreiter sogleich fest, dass es nicht das kuriose Aussehen jenes Gefäßes war, das ihn an diesem Morgen störte, sondern ein Geruch, der seine Nasenlöcher reizte und ihm über die Haut kribbelte wie tausend kleine Käferbeinchen.

Ein Hauch von Vanille lag in der Luft, eine Note modriges Laub und zwei Prisen feuchten Rindenmulchs. Das war der Tee, eindeutig, aber immer noch nicht das, was ihn in Aufregung versetzte. In seinem Alter machte die Anspannung sich als Steißziepen bemerkbar, weshalb er sie nicht einfach auf sich sitzen lassen konnte. Er musste wissen, was es damit auf sich hatte.

Hinter ihm wälzte sich nun auch Globoli aus seinem Haus und bewies sogleich den richtigen Riecher. Schmatzend verkündete er dem Schneckenreiter, was dem die ganze Zeit auf der Zunge oder mehr noch in der Nase gelegen hatte.

„Es riecht nach Meuterei, für wahr! Globoli, du Blitz unter den Schnecken“, lobte der Reiter und leckte sich über die Lippen. Eindeutig, jetzt, da er es wusste, gab es keinen Zweifel mehr, der sauer-salzige Geschmack kündete von einem wortreichen Tag, der ihnen bevor stand. Also stärkte er zunächst seine Stimme an dem dampfenden Kräutertee.

„Uhum.“ Ein Huster bahnte sich seinen Weg in die Freiheit, als ihm der letzte Schluck quer den Hals runterflutschte. Hatte es bislang nur meuterisch gerochen, klang es nun zusätzlich danach. Klingeln und Dongen, Scheppern und grelle Stimmen brandeten wie eine Flutwelle Kopfschmerzen über ihn hinweg. Fast mutete es wie ein Deja-Vous an, doch er wusste es besser.

Schnurstracks sattelte er Globoli, und sie ritten die letzten Meter den Hang hinauf.

Auf dem Uhrplatz bot sich ihnen das vertraute und doch veränderte Bild.

„Schreibende Feder von Tintopolis, was ist denn in die gefahren?“, stieß der Schneckenreiter aus und zügelte Globoli.

Uhrlinge wuselten wild durcheinander, wobei sie offenbar von Raffnuss, Rufus und Rohfuß angetrieben wurden. Die drei erteilten Befehle, kommandierten die Uhrlinge herum. Die Einwände Willy Bolds ignorierten sie geflissentlich.

„Hey, geht das auch schneller?“, schrie Rohfuß soeben einen Uhralten mit gebeugtem Rücken an. Die altersfleckigen Arme des Greises zitterten bereits unter der schweren Last einer gewaltigen Spiralfeder, die er heranschleppen sollte. Als er sich nun bemühte dem neuerlichen Befehl nachzukommen, stolperte er über den herausragenden Kopfstein, mit dem Globoli am Vortag bereits Bekanntschaft geschlossen hatte, und ließ die Spule beinahe fallen.

Sofort war Raffnuss zur Stelle. „Kannst du nicht besser aufpassen?“, rief er. Eine helfende Hand reichte er dem Muhrling jedoch nicht.

„Ich weiß ja, dass Veränderung seine Zeit braucht, aber haben sie denn überhaupt nichts gelernt?“, murmelte der Schneckenreiter in seinen Bart. Globoli schluckte.

„Doch schon“, antwortete die Stimme Guinees. Das Mädchen hatte sich unbemerkt an seine Seite gestohlen. „Die drei streiten kaum noch untereinander“, gab sie Auskunft und strich sich die Zöpfe zurück. „Dafür behandeln sie die anderen wie Sklaven. Sie scheuchen sie schon seit dem Aufstehen herum, um Ersatzteile herbeizuschaffen. Immerhin sind sie sich darin einig.“

„Geht denn wenigstens die Reparatur voran?“, erkundigte sich der Schneckenreiter und beobachtete das Treiben.

„Nein. Die Sorge wächst …“

Guinee wurde unterbrochen, als eine neue Akteurin die Bildfläche betrat. Mit zorngeröteten Wangen marschierte eine Fruhrling auf das Befehlstrio zu. Ihr hinterher eilten weitere Fruhrlinge, von der jede mit Pfannenwender oder Kelle bewaffnet war.

„Oh je, meine Mama“, sagte Guinee leise und flitzte hinterher.

Der Schneckenreiter legte sich die Hand über die Augen.

Globoli blubberte verwundert. Erst das Mädchen und jetzt war auch noch mir nichts dir nichts der alte Laberkopf verschwunden. Er reckte seine Augtentakel, blickte hinter sich und um sich herum, verdrehte sie zu einem Knoten. Nein, er sah nur schwebende Hände. Die musste er von nahem betrachten. Fliegende Hände, cool!

Als der Schneckenreiter seine Finger einen Spalt breit öffnete, um hindurchzublinzeln, glotzte ihn Globoli aus unmittelbarer Nähe an. Froh, ihren Reiter wiedergefunden zu haben, leckte die Schnecke ihm über die Nase, lächelte verschämt und zog die Tentakel ein paar Zentimeter zurück.

„Hast du nach mir gesucht?“, fragte der Schneckenpostillion. Er hatte völlig vergessen, dass Globoli immer wieder auf diesen Kindertrick hereinfiel, senkte die Hand und tätschelte damit seinem Begleiter den leicht schleimigen Kopf. Den Schneckenschlabber streifte er am kratzigen Wollrock ab und spazierte an seinem Stock mitten in das Geschehen hinein, um der Fruhrling besser lauschen zu können.

„Hört auf euch wie Schafsköpfe zu benehmen und versucht es mal mit einer unserer Ideen! Eure Reparaturmaßnahmen haben nichts gebracht und wir dulden diese sture, herablassende Rumkommandiererei keine Sekunde länger.“

„Als wüsstest du jetzt noch wie lang eine Sekunde ist, Theorosa“, gab Rufus kleinlaut zurück.

„Oh, mein Lieber, das brauche ich gar nicht, ich habe noch die Rechnung in Kuchen gelernt!“

Bei Erwähnung des K-Wortes zuckten sämtliche Uhrlinge zusammen und eine der Uhralten trat vor, um eines ihrer mystischen Mantras abzuspulen.

„Wenn keine Wahl bleibt, Ofen an,

so er denn noch feuern kann.

Der Teig gequillt, der Teig geschlagen,

wie zuletzt in alten Tagen.“

Die Falten der Uhralten runzelten sich, während sie ihre grimmigen Gesichter neigten.

„Ach, Papperlapapp! Das ist ja Meuterei!“

„Na und ob“, stimmte Guinees Mutter zu. „Die ist längst überfällig.“

Doch Rufus widersprach. „Keiner von euch ist geschult genug für höhere denn unsere Dienerdienste. Wie sollte es besser gehen als unter unserem Drill?“

„Hmmhrrmm.“ Wie am Tag zuvor erklang ein Räuspern und dieses Mal erbrachte es sofort die gewünschte Wirkung. „Nun, vielleicht gäbe es da ja eine andere Möglichkeit“, äußerte der Schneckenreiter.

Er nahm auf der zum Stuhl umfunktionierten Werkzeugkiste vom Vortag Platz.

Guinee begriff sofort, pfiff auf ihren Fingern und folgte ihm, die vollständige Schar Kuhrlinge im Schlepptau. Die kleinsten aller Uhrlinge hatten vorgesorgt und breiteten nun eine fröhliche Ansammlung kleiner und großer, runder und eckiger, grauer und bunter Kissen im Halbkreis zu seinen Füßen aus. Sie riefen ihre Mütter herbei, bevor sie sich auf die Polster plumpsen ließen. Die nahmen ihre Küchenutensilien, trieben damit die Muhrlinge vor sich her und waren gewillt den weisen Worten des Besuchers erneut Gehör zu schenken. Auch Willy Bold gesellte sich hinzu und lehnte sich etwas abseits gegen eine, wie sollte es in Clockville auch anders sein, Uhr. Der sonnenerwärmte Uhrenkasten schmiegte sich perfekt an seine Rückenlinie. Nur das massierende Ticken blieb leider weiterhin aus. Er seufzte und spitzte die Ohren, in der Hoffnung, zwischen den Worten des Reiters eine Lösung für seine Stadt zu entdecken.

Der Schneckenreiter

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