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IIICASTING IDEALER HEXEN

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»Ich komm nicht weiter«, sagte die Tiwald und klopfte an ihr Sodaglas. Es war inzwischen Ende Juni, die Sonne heizte ihr Schweiß auf die freigelegten Schultern. »Ich bin ja nicht so die Schreiberin von großen Dramen.«

»Aha«, sagte Mike und runzelte zart die Stirn. Man hätte es bemerken können.

»Mich«, fuhr die Tiwald ungerührt fort, »interessieren eher die Tableaus. So, wie wenn man von Szene zu Szene eine Kamera umstellt und dann draufhält. Tragödien brauchen aber einen dramaturgischen Bogen. Ich will ja nicht sagen, dass ich unerfahren bin, immerhin wär das jetzt mein neuntes Stück. Trotzdem. Drei davon sind Monologe, zwei sind sehr experimentell. Eines heißt ›found footage opera‹ im Untertitel, da geht’s um, hm, sagen wir, um die Qualität von Sprache.«

»Du willst mit der Qualität von Sprache in Zeiten wie diesen Leute ins Theater bringen?«, fragte Mike etwas gequält.

Die Tiwald richtete sich auf, der Lucky Luke auf ihrem Muscleshirt spannte sich über ihren oberen Oberkörper, und sie sagte, dass sie nicht auf die Erforschung der Lautlichkeit pfeifen werde, auch wenn man heutzutage darauf achten müsse, dass nicht die Hälfte des Landes hasserfülltes Geifern als normale Redeform zu erachten begänne, »aber die lautliche Ebene«, sagte sie, vorgelehnt, als wolle sie Mike eine Liebeserklärung machen, »wenn ich auf die lautliche Ebene nicht aufpass’, dann sind die anderen Ebenen auch wurscht. Inhalt und so. Ohne Laut kein Inhalt.« Sprach’s und nippte an ihrem Soda.

»Ja, und was machen wir, wenn du nicht weiterkommst?«, fragte Mike. »Wir haben eigentlich im Frühjahr Premierentermin. Wenn ich inszenieren soll, dann brauche ich bald einen Text.«

»Ich hab mir gedacht«, sagte die Tiwald und nippte, »ich überschreibe Macbeth.«

»Ach? Überschreiben?«

»Ja. Also ich verschneide die Geschichte von Melania Trump mit Macbeth.«

»Hm.«

»Das ist mittlerweile, wie du weißt, fast ein eigenes Genre im Theater. ›Faust‹ in die Gegenwart übersetzt. Oder ›Die Räuber‹, fällt mir gerade so spontan ein, verschnitten mit der Story von der Lehman-Brothers-Pleite.«

»Ist am Schluss der ›Räuber‹ nicht der eigentliche Räuber so eine Art Robin Hood? Gerechte Revolte? Wie geht denn das mit Lehman zusammen?«

»Na, die Proteste, die 99 Prozent. Die Anti-Wallstreet-Bewegung, die damals im Central Park campiert hat.«

»Hört man noch was von denen?«

»Man hört noch was von Hipstern.«

»Aha.«

»Gut, das müsste ich noch einmal überdenken. Im Fall, dass. Also die Räuber. Man kann natürlich radikal. Überschreiben, mein ich. Aber ich hab eh zu viel zu tun. Also Macbeth.«

»Aber passt diese Lady Macbeth überhaupt auf Melania?«

»Auf jeden Fall sind beide tragische Figuren.«

»Hast du Macbeth gelesen?«

»Bin grad dabei.« Die Tiwald, das hatte Mike schon beobachtet, hatte ihre Hinternhälften immer auf verschiedenen Hochzeiten im Einsatz und war immer an irgendwas dabei. »Am Puls der Zeit«, hatte die Bezirksvorsteherin das genannt.

»Vor etlichen Jahren hab ich eine stark gekürzte Version im Schauspielhaus gesehen. Und jetzt wälz’ ich The Complete Works of William Shakespeare. Wenn ich mich am Nachmittag wieder erholt habe. Und ich zähle überhaupt auf den Juli«, (die Tiwald unterrichtete in Sachen Brotberuf nämlich Teenager am Stadtrand von Wien, in der Schulform für die, die es nicht aufs Gymnasium geschafft hatten, und behauptete, es mache ihr Freude, aber keineswegs in voller Lehrverpflichtung) – »diese Complete Works hat mir mein Vater … also die Sache war die: Ich war Anfang zwanzig, frisch zurück aus einem Jahr an der Uni in Glasgow, und ich war vor lauter Regen und Liebeskummer dort ziemlich depressiv, et cetera, aber ich hab gelernt, wirklich in Shakespeare einzutauchen. Hab eine schöne Gesamtausgabe gesehen und meiner Mutter davon erzählt, die Englischlehrerin ist. Und mein Vater kommt nach Wien und geht mit mir in die Buchhandlung am Campus, weil er mir sagt, er will diesen Shakespeare für meine Mutter kaufen. Zu Weihnachten. Und dann ist Weihnachten, ich fahr zu meinen Eltern – und was krieg ich geschenkt? Den Shakespeare. Meine Mutter war ziemlich angefressen, wie ich erzählt hab, dass mein Papa und ich das gemeinsam kaufen waren, weil quasi die Überraschung verdorben war.«

Die Tiwald grinste, nippte und fuhr fort: »Find ich gar nicht. Ich hab ja in meiner naiven Unschuld wirklich geglaubt, dass meine Mama den Shakespeare kriegt. Irgendwie hab ich meinen Papa extralieb dafür, dass er mich da mitgenommen hat. Werd ich nie vergessen. Auch wenn’s vielleicht Faulheit war. Oder er hat nicht mit der Buchhändlerin reden wollen, was weiß ich. Oder er hat sich Sorgen gemacht, dass er das falsche Buch kauft. Mein Vater ist nicht der rasende Redner. Vielleicht schreib ich deswegen Bücher. Das ist die Story von meinem Shakespeare. Meine Mutter hat für mich auf das Geschenkpapier Blankverse geschrieben, bitte sehr.«

»Ein privilegierter Haushalt.«

»Ja, schon. Ich fühl mich mit zunehmendem Alter«, sagte die Tiwald, »auch dankbar dafür, wie ich hab aufwachsen dürfen. Mir wird immer klarer, wie unselbstverständlich das ist.«

»Das Fahrrad, die Bücher, die Urlaube, die Verwandten, die allesamt Akademiker sind.«

»Nein, alle nicht. Meine Oma ist in einer Mühle aufgewachsen, als Müllerstochter, und hat ihr Leben lang in der Eisenhandlung gehackelt, die ihrem Mann gehört hat. Die hat nicht mehr als ihre acht Jahre Volksschule, und Teile davon im Krieg.«

»Ah ja, die Eisenwarenhandlung. Genau, haste ja erzählt. Muss ich dich noch ausfragen zu.«

»Und mein Opa war Lehrer, aber nicht von der Uni kommend. Kein Magister oder so. Einfach Volksschullehrer, das wurde man damals mit fünf Jahren Oberstufe, nach der Matura hat man gleich weitergemacht und selbst unterrichtet. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind in der Schule von Miedlingsdorf einen Film gesehen hab, ›Die Stadtmaus und die Feldmaus‹, in Schwarzweiß, auf riesigen Filmrollen. Und noch viel wichtiger: Mein Opa ist extra aus dem Burgenland mit mir nach Wien gefahren, damit ich den ›Barometermacher auf der Zauberinsel‹ hab sehen können. Da war ich in der Volksschule. Raimund. Mein Opa ist mehrere Male zu Martini mit mir nach Wien ins Theater gefahren.«

»Raimund?«

»Ferdinand Raimund. Mitte des 19. Jahrhunderts. Hat sich erschossen, weil er geglaubt hat, der Hund, der ihn gebissen hat, hat die Tollwut.«

»Österreicher?«

»Na sicher.«

»Ach, ihr suizidales Volk, ihr. Und was ist jetzt mit Macbeth? Erzähl mal.«

»Es gibt auf jeden Fall die drei Hexen.«

»Ja, das weiß ich auch, dass es die drei Hexen gibt. Und die verführerische Verheißung kommenden Ruhms als König. Ist das jetzt Trump, oder wie?«

»Is this a dagger«, sagte die Tiwald gewichtig und hob den rechten Arm mit dem Eislöffel, »which I see before me

»Ist dies ein Dolch, was ich vor mir erblicke? Oder eine verzweifelte Theaterautorin?«

Die Tiwald senkte den Eislöffel wieder, blätterte in ihrem Heft und trug vor: »Macbeth is a play about the eclipse of civility and manhood, the temporary triumph of evil

»Aha. Ja. Der vorübergehende Triumph des Bösen. Ich hoffe übrigens, es hört gerade niemand auf zu lesen.«

Die Tiwald wachelte energisch mit einer Hand und redete weiter: »Vorübergehen und verschwinden. Zu Allerheiligen, fällt mir da ein, gehen in den burgenlandkroatischen Dörfern ein paar Burschen von Haus zu Haus, klopfen an die Fenster und rufen: ›Pikabu!‹ Erschrecken die Leute. Und ziehen weiter. Die Frage ist halt, ob das hier weiterzieht. Ob wir sozusagen in einem Foto unserer Zustände leben, oder ob der Spuk beim nächsten Mal vorbei ist.«

»Der Spuk. Die Hexen.«

»Es gibt ein paar Damen, die ideale Hexen darstellen würden. Zum Beispiel diese Tante, die von alternative facts gesprochen hat. Als es darum ging, wie viele Leute jetzt wirklich bei der Angelobung waren. Kellyanne.«

»Die Trump die Zukunft voraussagt: Was seh ich im Kessel? Alternative facts.«

»Die Tochter, Ivanka, seh ich da eventuell auch am Kessel stehen und rühren. Sweet and blonde

»Wobei wir natürlich nur in Andeutungen inszenieren können.«

»Natürlich. Obwohl: Die New York Times wird wohl kaum über unsere Premiere im Universum berichten.«

»Und die dritte Hexe? Hillary? Im weißen Anzug? What goes up must come down. Sie könnte schön was im Schilde führen.«

»Nein. Hope Hicks.«

»Hope Hicks? Echt? Die heißt so?«

Die Tiwald grinste, nickte: »Schön, gell?«, und konsultierte ihr zerfleddertes Schreibheft: »Das englische Wikipedia sagt, sie war ein ›teenage model‹, hatte dann einen Job in der Trump Organization – die Trump Organization, lass dir das mal auf der Zunge zergehen, und zwar hat sie mit Ivanka an deren Fashion-Linie gearbeitet –, und dann war sie ›press secretary and early communications director for Trump’s 2016 presidential campaign‹. Geboren 1988, fast zehn Jahre jünger als ich.«

»Model?«

»Für ein paar Magazine und für ein paar Buchcover.«

»Eine Intellektuelle!«

»Ein Abschluss in Englisch. Vielleicht hat sie Macbeth sogar gelesen.«

Mike grunzte.

»Sie hat entschieden, welcher Reporter einen Termin bekommt, und, was mir besonders gefällt, Trump hat ihr seine Tweets diktiert. Der tippt das nicht einmal selbst. Also kein Schriftakt! Alles nur mündlich. Alles nur Bild. Sie hat also die Tweets schön aufgeschrieben, vielleicht mit einem kleinen Tablet auf dem Schoß, hat sie dann weitergeleitet und jemand Dritter hat sie ins Netz gejagt.«

Mike notierte: Tweets!!, und die Tiwald sagte: »Es sind Verkettungen von Mitteilungen. Alles ist abgeschirmt. Er redet nur. Er schreibt nichts.«

»Also Hope Hicks. Aber pass auf beim Schreiben, man muss irgendwie spüren, wer das ist. Welche Rolle die spielt. Man kennt ja den Namen nicht …«

»Wir brauchen sowieso ein ordentliches Programmheft.«

»Heft, nicht Buch.«

»Spielverderber.«

»Ok. Jedenfalls, die drei Hexen. Finde ich interessant, deine Ideen.« Mike schlug das Reclam-Heftchen auf und trug vor: »When shall we three meet again

»Wann sollen wir das nächste Meeting ansetzen?«, funkelte die Tiwald, »In thunder, lightning, or rain?«, sagte Mike, und die Tiwald fuhr drein: »Ivanka, die Toughe, sagt:

›Egal, ob während Sandy oder Katrina,

ob auf Ground Zero oder Fukushima‹,

und Kellyanne sagt …«

»When the battle’s lost and won

»Wenn die Schlacht verloren und gewonnen ist, wenn das Glas halb voll oder, alternativ, halb leer ist.«

»Ah, alternative facts, genau.«

»Oder noch besser: Wir treffen uns beim Bowling-Green-Massaker! Und dann kreischen sie und zischen ab, und auf der Leinwand siehst du dicke, dunkle Limousinen davonbrausen.«

Mike wischte sich den Sommerschweiß von der Stirn, puffte Luft aus seinen Lungen und sagte: »Ja, und wie weiter? Das Personal muss natürlich gecuttet werden.«

»Schön, wie du das sagst.«

»Es gibt den König von Schottland, der beseitigt werden muss. Und Söhne. Und Freunde und Getreue.«

»Klar. Der König von Schottland, der beseitigt werden muss.« Die Tiwald kaute an ihrer Unterlippe und machte die Augen hinter ihrer dicken Brille (sie war zu faul für Kontaktlinsen) noch schmaler. Sie sah aus wie ein Reptil mit Haaren. »Wie wär’s mit einer Allegorie? Der gute Geschmack, der im Schottenkaro auftritt? So wie Fortuna bei Nestroy. Nur wird halt der gute Geschmack gemeuchelt.«

»Die Wööht«, sagte Mike in unglaubwürdigem Wienerisch, »stäht auf kahnan Foll mehr lang.«

»Hast gut aufgepasst in der Parteizentrale, gell? Aber das mit dem Akzent, das müssma noch üben.«

»Na gut. Du, ich würd sagen, du machst mal. Ich will mich gar nicht dreinmischen.«

»Echt jetzt, du MBA?«

»Au.«

»Entschuldige« – sie sah wirklich ein bisschen peinlich berührt aus, und Mike mochte sie gerade sehr.

»Ist ja schon gut. Ich hätte ja gleich bei der Theaterwissenschaft bleiben können. Und mein karges Brot mit einer Form von …« – er hätte sagen wollen: mit einer Form von ehrlicher Sinnlosigkeit –, »also mein karges Brot mit einer Form von Herzblut verdienen können.«

Sie lächelten einander zu und tranken ihre Sodas, und dann sahen sie sich noch ein Youtube-Video an, in dem der Inhalt von Macbeth in zehn Minuten vermittels eines Haufens bunter Playmobil-Männchen nachgestellt wurde. »Er so«, »sie so«, sagte die Stimme, die Macbeth für Jugendliche erklären wollte, und die Tiwald stöhnte und rieb sich die Stirn. Sie hörte auch mit der einen Hälfte des Headsets mit den kleinen, baumelnden Ohrsteckern gut genug.

»Pass mir nur auf Melania auf«, empfahl Mike, als er sich verabschiedete. »In dem Fall, denke ich, ist sie das Werkzeug des Meuchelmords. Vielleicht Komplizin. Aber nicht die treibende Kraft. Die ist schon er selbst, das Billion Dollar Baby

Als er schon mehr als ein paar Meter gegangen war, hörte er das Aufklatschen von rennenden Füßen und Schlapfen, ein kleines Keuchen, und spürte die Hand der Tiwald auf seiner Schulter, die Luft holte und sagte: »Mike, die Hexen, die die Zukunft vorhersagen, das ist eigentlich das Wahlvolk.«

»Das Wahlvolk?«

»Ein Chor. Ich lass mir was einfallen.«

Gab ihm ein Küsschen auf beide Wangen, hinterließ ihren Schweiß in Mikes Stoppelbart und zischte ab.

Macbeth Melania

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