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Kapitel 2

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Kapitel 2

Er knöpfte sein graues Hemd auf, angelte aus dem Spind ein weißes T-Shirt, den Kittel und die Hose heraus und streifte sie über, zuletzt heftete er noch das Namensschild an.:

„Dr. Aidan McKee“. Es war ein langer Weg gewesen, um Arzt zu werden. Viele Jahre war er auf der Suche nach seiner Berufung gewesen. Vieles hatte er ausprobiert und nach kurzer Zeit wieder aufgegeben, bis ihn eine schicksalhafte Begegnung die Augen öffnen ließ.

Das war nun schon viele Jahre her und er liebte seinen Beruf immer noch. Warum er ausgerechnet Kardiologe geworden war? Eine Laune des Schicksals, er selbst liebte und hasste sein Herz gleichermaßen.

Aidan war alleine in dem Umkleideraum und machte sich zur Frühschicht bereit. Seine Mitbewohner hatten im Penthouse noch geschlafen, als er es verließ. Der Pfleger wünschte, er hätte eine erholsame Nacht gehabt. Die Schicht endete gegen Mittag nach der Übergabe und er sehnte sich jetzt schon nach dem Feierabend.

„Guten Morgen Aidan“, begrüßte ihn die Nachtschwester auf der Kardiologiestation.

„Wie siehst du denn aus? Ganz blass und übermüdet. Kommst du gerade von einer Party?“

Der Arzt zuckte mit den Achseln: „Guten Morgen. Ist heute Nacht etwas besonderes vorgefallen, das ich wissen muss? Ansonsten beginne ich mit dem Kontrollgang.“

Die Station war zu dieser Morgenzeit noch still und friedlich, aber in den nächsten Stunden änderte sich dies, Frühstück wurde ausgeteilt, die ersten Untersuchungen fanden statt, Besucher kamen und gingen, die Visite wanderte von Zimmer zu Zimmer.

Aidans Zustand verschlechterte sich im Laufe des Vormittags. Er hatte Schwierigkeiten sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Es war nicht der Schlafmangel, sondern ein anderes Bedürfnis, das an ihm nagte.

„Guten Morgen Mrs. Taylor. Ich bin Dr. McKee und ich werde sie nun zum Behandlungszimmer begleiten. Heute bekommen sie ja ein Langzeit-EKG angelegt“, erklärte der Kardiologe. Vor ihm in dem Bett lag jedoch ein übergewichtiger Mann mit Schnauzbart und nicht Mrs. Taylor.

Der Mann schaute ihn erstaunt an, machte eine dumme Bemerkung, worauf der er eine Entschuldigung murmelte und den Raum verließ.

Reiß´ dich zusammen, befahl sich Aidan stumm. Aber in seinem Kopf gab es nur einen einzigen Gedanken und dieser überlagerte alles.

Er schaute auf das Klemmbrett mit den Notizen. Falsches Patientenzimmer erwischt. Zwei Türen weiter fand Aidan Mrs. Taylor in einem rosa Nachthemd im Bett sitzend. Die junge Frau war gestern mit akuter Atemnot eingeliefert worden und hatte nicht ganz so blasse und bläuliche Haut wie er.

Der Vormittag zog sich: Endlich kam sein Kollege von der Tagesschicht, dem er die Patientenakten übergeben konnte. Er wollte schon aus dem Schwesternzimmer hinaus gehen, als ihm eine neue Krankenschwester entgegen kam. Den Namen kannte er nicht, weil im St. Andrews Krankenhaus ständig das Personal wechselte.

„Bleiben Sie nicht? Ich habe Blaubeermuffins zum Einstand gebacken“, bat die neue Krankenschwester mit einem Augenaufschlag, der bei manch einem anderen seine Wirkung nicht verfehlt hätte.

„Nein, tut mir leid“, ein ungeduldiger Blick auf die Armbanduhr. „Ich habe einen dringenden Termin.“

Fast täglich gab es Kuchen oder Bagels von Ärzten, Pflegern oder Schwestern zum Einstand oder Ausstand oder jemand hatte Geburtstag. Er hasste diese Zusammenkünfte, denn er musste sich ständig um Ausreden bemühen.

Einmal hatte sich eine Kollegin an ihn gewandt und ihn auf seine wohl auffallende Essensverweigerung angesprochen. „Aidan, wenn du ein Problem hast, egal welches, hier ist meine Privatnummer. Du kannst mit mir reden.“

Er hatte den kleinen Zettel mit der Telefonnummer entgegen genommen und ihn im nächsten Papierkorb entsorgt.

Der Kardiologe war nicht magersüchtig, wie die Ärztin wahrscheinlich vermutete. Seine Sucht hatte nichts mit dem Nahrungsverzicht zu tun.

Die neue Schwester machte ein enttäuschtes Gesicht: „Schade. Ich kann Sie ja morgen bei Starbucks auf einen Kaffee einladen.“

„Ja, mal sehen. Ich muss jetzt los. Bye.“

Der Kardiologe kannte den Gesichtsausdruck der Ärztinnen und Schwestern, die ihn auf einen Kaffee einladen wollten und somit seine Nähe suchten.

Er war Single und war attraktiv, jung und das machte ihn zu einem begehrten Kandidaten, zumal er auch fachlich kompetent und bei den Patienten beliebt war.

Der junge Arzt hatte die Einladungen immer höflich abgelehnt, bis auf ein einziges Mal und dies hatte er bitter bereut.

Der Fahrstuhl ließ auf sich warten. Ungeduldig riss er die Tür zum Treppenhaus auf, rannte die sieben Stockwerke hinunter, durch einen Nebenausgang auf den Hof. Hastig lief er zu einem Flachdachgebäude hinüber.

Über dem Eingang hing ein Banner „Wie oft tust du es?“.Darunter „Blut rettet Leben“.

Wie wahr, dachte Aidan und betrat die Blutbank des St. Andrews Krankenhauses.

„Hi Aidan. Was kann ich für dich tun? Ist es mal wieder so weit?“

Rebecca grinste frech. Die Frau hatte wie immer knallroten Lippenstift aufgelegt und mit ihren langen schwarzen Haaren sah sie wie Schneewittchen aus. Den passenden Zwerg hatte sie bereits geheiratet.

Der Kardiologe hatte keine Lust auf Spielchen und funkelte die Krankenhausangestellte wütend an. „Du weißt ganz genau weshalb ich hier bin“.

„Mmhhh. Ich glaube, wir haben kein AB mehr“, säuselte sie.

Seine Geduld war am Ende, er packte Rebecca hart am Handgelenk und zischte: „Laß ´den Unsinn.“

Ihr höhnisches Grinsen verschwand augenblicklich aus ihrem Gesicht. Als Aidan sie wieder los ließ, rieb sie sich das schmerzende Handgelenk und holte die gewünschten Blutkonserven.

„Hier“. Rebecca überreichte ihm mehrere Plastikbeutel.

„Denk´ an unsere Abmachung“, drohte er „Du willst doch sicher nicht, dass dein Mann von der Nummer mit Dr. Briggs erfährt, nicht wahr?“

Schlagartig erstarrte Rebecca und ihr Kopf deutete ein Nicken an.

Damals hatte Aidan Blutkonserven aus einem der OP-Säle gestohlen und war auf der Suche nach einem ruhigen Raum. Auf einer benachbarten Station war er hinter einem Getränkeautomaten auf eine schmale Tür ohne Beschriftung gestoßen. Diese hatte er geöffnet und zwei Personen, die sich gerade ihrer Wollust hingaben, überrascht. Obgleich er die Tür sofort wieder schlossen, hatte er Dr. Briggs von Station 3.07 und die schwarzhaarige Angestellte von der Blutbank erkannt.

Nachdem er in einer Putzkammer sein Bedürfnis gestillt hatte, kam ihm eine Idee.

Arbeitete nicht auch der Ehemann der Krankenhausangestellten in der Blutbank?

„Rebecca Darling, ist das Fax...“, rief eine Männerstimme aus dem Nebenraum und im nächsten Augenblick erschien ein kleinwüchsiger Mann mit deutlich hervorstehendem Bauch und Glatze. Er brach mitten im Satz ab, erkannte den Kardiologen und brummte: „Ach, sie schon wieder. Wie viel Blutkonserven braucht die Kardiologie denn? Wenn die täglichen Konserven nicht reichen, müssen sie das schriftlich mitteilen. Wir müssen uns hier an die Vorschriften halten. Ansonsten kann ja jeder herkommen und sich Konserven abholen wie es ihm beliebt.“

An Rebecca gewandt: „Darling, hast du das Fax an MediCare schon raus geschickt?“

Der Mann ignorierte den Arzt. Aidan hatte das was er wollte und verließ die Blutbank.

Es war nicht weiter auffällig, dass ein Arzt mit einigen Plastikbeuteln Blut über das Klinikgelände ging. Aidan kehrte jedoch nicht auf seine Station zurück, sondern eilte die kleine eiserne Treppe an der Westseite des Klinikgebäude hinunter. Die Kellertür war nie verschlossen. Er befand sich in einem Raum, in dem nur wenig Licht durch die schmalen Kellerfenster eindrang. Ein guter Ort, um ungestört zu sein. Bis jetzt war ihm hier unten auch noch nie jemand begegnet.

Der Arzt setzte sich auf den kalten Steinboden und riss mit zitternden Händen die erste Blutkonserve auf. Gierig saugte er daran und merkte wie die Flüssigkeit seine Kehle hinunter lief. Nach dem dritten Beutel hörte das Zittern endlich auf. Nichtsdestotrotz öffnete er einen Beutel nach dem anderen. Das Verlangen nach dem Inhalt war zu stark, um es in koordinierten Bewegungen zu kontrollieren. Zeit und Raum existierten nicht mehr. Die leer gesaugten Behälter warf er einfach neben sich, griff zum nächsten, um ihn noch schneller als den vorherigen zu leeren. Das Blut wärmte seinen Körper und je mehr Blut er schluckte, um so mehr Befriedigung verspürte er.

Als er alle Blutkonserven ausgetrunken hatte, lehnte er sich erschöpft an die Wand und genoss gleichzeitig das wohlige Gefühl, das sich nun wieder in seinem Körper ausgebreitet hatte.

Später, im Personalbereich, duschte er. Als er sich vor den Spiegel stellte, war dieser vom heißen Wasser ganz beschlagen. Mit der Hand wischte er ihn frei. Ein Mann Anfang 30, mit dunklem Haar und dunklen Augen lächelte ihn zufrieden an. Seine Haut hatte wieder eine rosige Farbe angenommen und die innerliche Unruhe war zu einer unendlichen Gelassenheit geworden. Auf dem Nachhauseweg fragte er sich allerdings, wie lange die Dosis dieses Mal halten würde. Die Blutbank war eine Alternative. Doch Rebecca zierte sich in letzter Zeit und er musste sich bald mehr um die andere Quelle kümmern oder bei ihr andere Seiten aufziehen.

Er verscheuchte die grüblerischen Gedanken. Ihm würde schon noch was einfallen. Heute jedoch wollte er den Tag genießen. Ob seine Mitbewohnerin wohl zuhause war?

Die Wohngemeinschaft

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