Читать книгу 14 Falken - Kathrin Schobel - Страница 12
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ОглавлениеEs herrscht normaler Betrieb kurz vor Schluss. Gwen fragt sich, ab wann es für Polizeibeamte vertretbar ist, seine ständigen Besuche in immer der gleichen Bar mit spektakulären Geschichten von streng geheimen Undercover-Einsätzen zu rechtfertigen. Wann und ob es überhaupt jemals vertretbar ist hätte sie sich eigentlich überlegen sollen, bevor sie ihren Kollegen damit abgespeist hat, der sie vom Fitnessstudio bis zur Spiel-bar mitnahm. Morgen würden alle im Präsidium zu wissen glauben, dass sie als Taxifahrerin Simone Hobel einem Mann auf den Zahn gefühlt hat, der einen ganz besonderen Wellness-Club betreibt, in dem jede Dame angeblich freiwillig arbeitet, zufällig aber nie eine anzutreffen ist, die Deutsch spricht oder sich ausweisen kann. Mitwissendes Augenzwinkern und das wie zufällig wirkende Streifen von Ellbogen würde sie durch den Tag begleiten. Je mehr Gwen darüber nachdenkt, desto mehr wird ihr klar, dass sie das mit den theatralischen Lügereien lieber denen überlassen sollte, die es besser können.
Die Knöchel ihrer rechten Hand sind seit dem Gassendrama leicht angeschwollen, sie ist unruhig und knobelt schon den ganzen Tag wieder an den Kordeln ihrer Jacke. Eigentlich nur an der rechten, die am Ende schon ausgefranst ist. Gwen hat sich am Vorabend die Erleichterung eingestehen müssen, dass der Falke nicht auf die Idee gekommen ist, sie in der Gasse anzumachen, bevor ihr erster Reflex gewesen war, ihr dafür die Nase zu brechen. Das hätte schlecht ausgehen können, für ihren Ruf und ihr Selbstwertgefühl jedenfalls. Gwen denkt an den Whiskey und drückt immer wieder die Zunge gegen den Gaumen. Er ist samtig und schmeckt nach Erde und Kräutern und Blut und irgendwie glaubt Gwen, dass es so schmecken würde, wenn man eine homöopathische Zahnbehandlung hat. Im Dunkeln von Gwens Wohnung hat der Falke seine Augen nicht gebraucht, aber hätte er welche an der Zungenspitze, würde sie jetzt jede einzelne Unebenheit von Gwens Zähnen rechts und links und vor der Zunge kennen. Unsichtbare Fingernägel kribbeln über ihren Rücken wie Spinnen, und auf ihrer Unterlippe pocht der Phantomschmerz einer Bisswunde, die nicht mehr da ist. Die Schabe hat es drauf, so mit Gwens Schmerzempfinden zu spielen, dass die es vermutlich sogar genießen würde, wenn sie ihr mit der Zungenspitze jede Zahnwurzel einzeln rauszieht, um sie mit ihrem Geschmack zu ersetzen. Gott schuf den Menschen aus Lehm, also kann er dem Menschen auch mit Lehm einen Wurzelkanal stopfen.
Gwen macht nicht den Fehler, ihre Jacke an die Garderobe zu hängen. Sollte das Miststück wirklich wieder hier auftauchen, wäre sie schneller verschwunden, als Gwen gucken kann. Stattdessen zieht sie sie aus und klemmt sie sich unter den Arm. Sie kann den Fasern ihres Pullovers dabei zuhören, wie sie sich elektrostatisch aufladen, wie sie die rauchige Luft aufsaugen, konservieren und den Pulli zweiter Hand unverkäuflich machen.
»Was kann ich dir bringen?«, fragt die Barkeeperin.
Gwen überlegt, ob sie direkt fragen soll. Die Angestellte sieht jung aus, natürlich gebräunt und hübsch, und hat sich sichtlich Gedanken darüber gemacht, was sie zur Arbeit tragen kann, damit es eine gute Mischung aus sexy und einschüchternd ergibt, um Kunden anzulocken und gleichzeitig von sich fern zu halten. Vermutlich Studentin. Und im Gegensatz zu den ausgebrannten Montags- bis- Mittwochern ist sie aufmerksam. Entweder sie ist neu, oder arbeitet nie an den Tagen, an denen Gwen hier ist.
Gwen beobachtet sie, wie sie beobachtet, und sagt dann: »Einen Vodka. Pur.«
Bestellt man einen Vodka pur, gibt es drei klassische Reaktionen der Thresenkraft. Entweder, sie sieht dich abschätzig an und wird dich und deinen Alkoholkonsum für den Rest des Abends im Auge behalten, oder sie verurteilt dich hinter steinerner Maske und überlässt dich deinen Problemen. Oder sie füllt dir den Vodka ab, stellt ihn vor dich und macht das Gesicht eines Menschen, der sich gerade ein Youtube-Video über ausgesetzte Welpen angesehen hat. Und wenn man richtig Pech hat, fragt sie einen spätestens beim dritten Drink, ob alles in Ordnung ist.
Die Barkeeperin entscheidet sich für den abschätzigen Blick. Das »Brauchst du sonst noch was?« folgt erst, als sie schon dazu übergegangen ist, ein Bierglas zu polieren. So schnell, dass Gwen es beinahe schon anstößig findet, wie offen sie sie dabei ansieht.
»Ich suche jemanden«, sagt sie.
»Ah.« Die junge Angestellte verdreht die Augen und hört nicht auf, zu rubbeln. »Das hör ich hier öfter.«
»Es geht um eine junge Frau, die Freitagabend hier war.«
»Ich war Freitagabend nicht hier«, antwortet die Barkeeperin knapp und verliert das Interesse am Gespräch.
»Vielleicht ist sie öfter da. Sie saß hier an der Bar, ziemlich weit weg vom Fenster. Hat über ihren Exfreund gejammert und ist – nicht allein gegangen.«
Für einen Moment zucken die Augen der Barkeeperin zu ihr herüber, und das reicht Gwen, um ihrer gelangweilten Körperhaltung keine Sekunde länger zu glauben. Auch nicht, als sie mit den Schultern zuckt und »Keine Ahnung« murmelt. Gwen schmälert die Augen.
»Verarschen Sie-«
»Hören Sie mal«, unterbricht die Angestellte Gwen, stellt das saubere Glas auf die dreckige Theke und stützt sich auf ihre Handflächen ab. »Ich arbeite hier drei Tage die Woche für mehrere Stunden und bediene jeden Abend mehr betrunkene, jammernde Waschlappen, als es meine Ohren ertragen können. Ich habe keine Ahnung, wen Sie meinen. Wenn Sie jetzt bitte gehen würde, ich hab‘ gleich Schichtwechsel. Das macht dann zwei fünfzig.«
Sie dreht sich wortlos von Gwen weg.
Gwen erinnert die Art, wie sie spricht, an das Ungeziefer, das sie sucht. Dieses stechend Direkte mit einem Eisbergboden Subtext hinter der Fassade. Jetzt muss Gwen doch die verdammte Bullenkarte spielen denkt sie sich genervt, und als die Barkeeperin sich wieder zu ihr dreht und das Geld von der Theke pflücken will, findet sie dort stattdessen einen Dienstausweis. Es ist fast befriedigend, wie sie an ihrem zuckersüßen »Danke« erstickt und sich nervös eine lose Haarsträhne entwirren will, die sich in ihren Steckern verfangen hat.
»So«, beginnt Gwen. » Jetzt reden wir Klartext. Es geht um einen Diebstahl an meiner Person und ich verpflichte Sie hiermit zur Mithilfe.« Sie pausiert theatralisch. »Ich suche eine Frau in blauer Jeans und beigem Shirt, V-Ausschnitt, schlank, in etwa Ihr Hautton, Brille, dunkles Haar.«
Die Miene der Barkeeperin verändert sich um den Mund herum. »ein Gesicht wie Peter Pan«, fügt Gwen noch hinzu, weil ihr »Kobold« nicht sofort einfällt. Entweder wird die Barkeeperin die Frage wenig elegant an ihren Kollegen weitergeben, der begonnen hat, die Theke zu wischen, oder sie würde besser eine verdammt gute Antwort parat haben.
»Kann mich nicht erinnern, tut mir leid«, murmelt sie schulterzuckend und rubbelt nervös das Glas, das schon längst trocken ist.
Das ist keine Option, beschließt Gwen. Aber bevor sie vom harten Cop auf den noch härteren Cop umschwingen kann, entfährt dem Kollegen ein Geräusch der naiven Erkenntnis.
»Ach, Sie meinen Taylor!« Er grinst entschuldigend. »Sorry, ich hab‘ nur kurz reingehört. Taylor war am Freitag hier, saß genau da, wo Sie jetzt sitzen.«
»Taylor«, wiederholt Gwen und hebt die Augenbrauen. »Was können Sie mir über Taylor sagen?«
»Da fragen Sie besser Verena«, antwortet der Kollege und denkt schon im nächsten Moment darüber nach, ob das ein Fehler gewesen ist.
Nicht nur, weil Gwen offensichtlich schon mit Verena gesprochen hat, sondern auch, weil die ihm einen giftigen Blick schenkt, als sie denkt, dass Gwen nicht hinsieht. Die weibliche Silhouette in ihrem Augenwinkel versucht, sich unauffällig ins Hinterzimmer zu verziehen.
»Sie gehen nicht weg, bis ich weiß, wofür ich hergekommen bin«, mahnt Gwen sie. »Sollte ich rausfinden, dass Sie mir Informationen vorenthalten haben, bekommen Sie eine schriftliche Einladung auf‘s-«
»Okay. Ist gut. Bitte keine Anzeige.« Sie unterbricht Gwen schon wieder.
Die schmälert die Augen, als sie beobachtet, wie sie wehleidig zu ihrem Kollegen sieht. Doch der ist auf einmal zu beschäftigt damit, sich hartnäckige Flecken auf das dunkle Holz zu denken.
»Ihr Name ist Taylor Meibach.« Sie kaut kurz auf ihrer Lippe. »Sie ist meine Schwester.«
Gwen setzt ihr grimmiges Lächeln auf und vergleicht sie im Kopf mit der Frau, die sie im Bett hatte. Verena hat das gleiche dunkle Haar, aber ein helleres Lächeln. Die gleichen unruhigen Hände, aber einen stetigeren Blick. Die gleichen feinen Züge im Gesicht, aber dafür gröbere Züge im Spiel.
Taylor. Gwen hasst den Namen. Nicht, weil sie ihn nicht mag, sondern weil es ein Name ist. Eine Identität. Etwas, das die zahllosen Möglichkeiten einschränkt, den Falken zu rufen und zu benennen, wer sie ist, wie sie ist, was sie ist, wie in diesem Zitat von Oscar Wilde, das ihr nicht einfällt. Gwen fühlt sich, als habe ihr eine Zauberin ihren Trick verraten.
»Immer wieder schön, zu sehen, wie schnell ein Dienstausweis das Gedächtnis wiederherstellen kann.«
»Sie will keinen Stress, okay?«, verteidigt sie ihre Schwester sofort und korrigiert sich dann: »Wir wollen keinen Stress.«
»Ich denke, Sie wollen keinen Stress«, vollendet Gwen die verbale Bearbeitung und spuckt ihr dann sarkastisch auf die Theke: »Ich kenne den Gnom inzwischen leider besser.«
»Ich weiß, sie liebt Drama. Und sie ist ein ziemlicher Dummkopf, die meiste Zeit.« Sie seufzt dieses Geschwister-Seufzen, das Gwen noch von ihrem Bruder kennt. »Aber sie ist nicht so übel. Was auch immer sie hat mitgehen lassen, sie hat es sicher noch. Glauben Sie mir, wenn sie wüsste, dass das eine Anzeige gibt, würde sie Ihnen entschuldigend die Füße küssen.«
»Kam mir nicht so vor«, antwortet Gwen unbeeindruckt.
Verena sieht so zerknirscht aus, als sei sie selbst die Täterin und Gwen mag nicht, dass eine wie Taylor auch nur fünf Minuten existiert hat, während ihre Familie sie zu Unrecht in Schutz nimmt. Wieder kaut Verena auf ihrer Lippe und schielt zu ihrem Kollegen. Gegen das Licht sieht Gwen, dass er in großen Kreisen wischt und viel übersieht und wenn sie daran denkt, wie sie hin und wieder an genau dieser Theke sitzt, hofft sie für ihn, dass er das nur tut, um sich schnellstmöglich aus der Affäre ziehen zu können.
»Ich werde ihre Personalien in Erfahrung bringen und-«
»Nein!«, hält sie Verena auf und stößt dabei fast das Bierglas von der Theke.
Sie nimmt es in die Hand, prüft es im Licht ohne richtig hinzusehen und stellt es dann zu den anderen in den Schrank. »Für Taylor ist alles reine Unterhaltung. Aber wenn man ihr ihr Spielzeug wegnimmt und schimpft, wird sie zahm. Sie ist noch ein kleines Mädchen.« Ihr fällt etwas ein. »Also, im Geiste. Sie ist schon über 18.« Die aufgelöste Angestellte scheint sich auffallend sicher mit der Beobachtung, dass Gwen was mit der Ratte hatte. Gwen will denken, dass sie ihr einfach nur ansieht, dass sie Taylors Typ ist, aber sie tut sich schwer damit, Verenas Tonfall zu umgehen, in dem keine Ahnung liegt, sondern Wissen, Wachsamkeit und Wiederholung. Gwen sucht erfolglos nach dem feinen Unterschied zwischen Familienliebe und Komplizentum.
Verena bemerkt ihren Fehler nicht, oder überspielt es gut. Sie verschränkt die Arme.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich schreibe Ihnen unsere Adresse auf. Sie kommen vorbei und holen sich zurück, was Ihnen gehört. Treten Sie ihr ruhig ordentlich in den Hintern, sie hat‘s verdient.«
Gwen schweigt und misstraut. Aber sie hält Verena für klug genug, zu wissen, dass eine Polizistin die Adresse überprüfen lassen könnte, und auch für scharfsinnig genug, wenigstens zu ahnen, dass Gwen notfalls auch mit einem Streifenwagen wiederkommen würde.
»Ich habe allen Grund, sie direkt mitzunehmen«, sagt Gwen und denkt an die Drogen.
Verena reibt sich über das Gesicht und sieht Gwen mit großen Wir-sind-doch-alle-Opfer-der-Umstände Augen an.
»Und ich habe allen Grund, Ihnen alles Menschenmögliche anzubieten, um das zu verhindern. Sie ist meine Schwester. Es geht ihr gerade erst besser. Sie hat Familie. Bitte.«
Offensichtlich baut sie darauf, dass Gwen sie danach fragt, warum es ihr besser geht, was Gwen nur nicht tut, weil man von ihr will, dass sie es tut. Verena versucht es mit einem Lächeln, das aussieht wie eine unsichere Version von Taylors Gossengrinsen.
»Der Vodka geht auch aufs Haus.«
Als Gwen ihr nach einer weiteren quälend langen Minute endlich grummelnd einen Zettel hinschiebt, atmet die junge Frau erleichtert auf.