Читать книгу 14 Falken - Kathrin Schobel - Страница 8
II
ОглавлениеDie Morgen am nördlichen Stadtende beginnen noch vor Sieben.
Am Wochenende ist es bis tief in die Nacht laut. Gwen hat eine Wohnung an direkt der Hausecke, beeindruckender Ausblick auf einen winzigen Vorplatz, aber immer noch besser als eine Häuserwand so nah, dass man quasi nur die Fenster zu öffnen braucht, um sich mit den Anwohnenden eine Tasse Kaffee zu teilen. Von drei bis sechs ist es still. Dann, mit den ersten Sonnenstrahlen, melden sich verwirrte Singvögel und verirrte Betrunkene. Erstaunlich, dass es die hier überhaupt gibt. Vögel, meine ich. Wenn sie sich mit dem traurigen bisschen Grün in den vermüllten Straßen zufriedengeben, ist es schwer sich auszumalen, wie es wohl weiter Richtung Autobahn aussehen muss.
Der Sex war gut.
Nicht bahnbrechend, nicht Nachbarn-belästigend-laut, aber gut. Das Beste daran ist immer der Anfang, wenn die Ästhetik der Stadtnacht einen vorher in Benzin getaucht hat und man sich wie Streichholz an Streichholz aneinander reibt, bis man brennt, Stichflamme. Wenn man die Hitze nicht nutzt, lodert man danach alleine weiter und wenn man zu lange braucht, brennt man irgendwann aus, bevor man fertig ist. Wir haben keine Zeit mit geordnetem Ausziehen verschwendet, sondern unsere Klamotten willkürlich über Einrichtungsgegenstände verteilt, als ob die nicht hinsehen dürfen. Für so manche Einsiedelnde sollen Möbel ja wie Kinder sein. Gwens liebloser Ikea-Krempel ist dann eben wie die Zweckgeburt fürs Kindergeld.
Sie spricht im Schlaf, ich nicht. Ich war wach zwischendurch und habe mich dicht über sie gelehnt, aber ich habe nichts verstanden außer “Ist das Ihr Hund?” und “Hol die Kartoffeln aus dem Ofen”.
Ich glaube, sie wird wach, also stelle ich mich schlafend. Ich liege auf dem Bauch und bin bis zur nackten Hüfte bedeckt, wie in einem Hollywood Blockbuster. Sie schiebt die raschelnden Laken von sich und hievt sich aus dem Bett. Als sie ihre Klamotten zusammensucht, gibt sie sich nicht mal Mühe, leise zu sein, um mich nicht zu wecken. Jetzt pausiert sie. Ich blinzle und sehe nur, dass sie meine Hose in der Hand hat, bevor ich die Augen wieder schließen muss, weil mir eine Haarsträhne reinfällt. Creep. Sie geht geradewegs ins Bad. Kein Kuscheln, kein Kuss, kein Hauch von Morgenmundgeruch. Reimt sich fast. Sie schließt hinter sich ab. Bisher passiert nichts, mit dem ich nicht gerechnet habe. Aber wenn Gwen das schaffen würde, wäre das auch ein Kunststück.
Sobald ich höre, dass sie die Dusche anschmeißt, schmeiße ich mich auch an. Ich schüttele mir faul die Decke vom Unterleib, setze mich auf und strecke mich. Weil Madame es gestern Abend nicht für nötig gehalten hat, das Licht anzuschalten, als wir uns in ihre Wohnung geküsst haben, habe ich keine Ahnung, wie es hier aussieht. Irgendwie habe ich leere Bierflaschen erwartet und einen Aschenbecher pro Kindergeld-Möbel. Aber je genauer ich mich umsehe, umso mehr Liebe fürs Detail erkenne ich in ihrer minimalistischen Dekoration. Kein Staub auf dem Fernseher, nichtssagende, aber farblich abgestimmte Bilder an der Wand und einer der Schränke fällt total aus dem Rahmen. Sieht aus wie eine Vintage-Kommode mit diesem ausgeblichenen Vibe von Möbel-Burn Out. Ich hätte diese stilistische Beweisführung nicht gebraucht, um zu wissen, dass Gwen hinter ihrer Fassade aus Gips und Raufasertapete einen Sinn für Stil züchtet. Immerhin hat sie mich mit nach Hause genommen. Und nicht mal nach meinem Namen gefragt.
Ich setze mir meine Brille auf und fahre mir mit der Hand durch die Haare. Ich liebe meine Haare, da könnten sich noch mindestens fünf Hände mehr drin vergraben, wenn es nach mir geht. Macht dann insgesamt Sieben. Und das ist genau so viel wie die Minutenzahl, die ich schätze zu haben, bevor Gwen wieder reinkommt. Also mache ich Türenraten beim Aufstehen. Die Eingangstür kenne ich von gestern, das Bad ist die, hinter der es rauscht, ansonsten gibt es nur noch eine und die ist angelehnt. Meine Brille hat einen Fleck unten am rechten Glas, der mich stört. Schnell hüpfe ich mir meine Hose über die Hüften und schiele vor und nach dem Shirt über meinem Kopf in den Raum nebenan. Wohnzimmer mit Fernseher und Couch, offene Küche, nichts zu holen. Kurz bin ich versucht, uns Frühstück zu machen, aber das geht immer schief.
Ich konzentriere mich lieber auf das Schlafzimmer. Meine Jacke liegt zusammengeknautscht neben einem Stuhl, auf dem sich so viel Dreckwäsche stapelt, dass ich auf den ersten Blick nicht sagen kann, ob Gwen irgendwas davon gestern noch getragen hat. In seiner Nähe riecht es nach ausgetragenem Zigarettenrauch und eingetrocknetem Regen. Draußen röhrt die Müllabfuhr oder irgendwas anderes, was sich langsam bewegt und piept. Ich suche nach ihrer Hose.
Nichts.
Dann sehe ich ihre Jacke, schwarzes Leder und so abgeranzt, dass ich gestern Abend fast schon ein bisschen beleidigt war, nicht fordernd daran ziehen zu dürfen. Vielleicht war die Jacke das Wunschkind. Schmunzelnd pflücke ich sie von der offenen Schranktür. Ich werde darin untergehen, denke ich, und werfe sie über.
Verdammt warm. Riecht nach Leder und Wetter und Lungenkrebs, quasi wie Gwen Minus den Duft von „Ich bin leicht zu haben“ von gestern Abend. Sie ist mir zu groß und passt mir sogar über meine eigene Jacke, stelle ich fest. Hat was Heimisches, wie ein Kokon aus totem Tier. Ich erinnere mich an einen Film über einen Jungen, der nach einem Unfall die Kälte überlebt hat, weil er in den zerfleischten toten Körper seiner Mutter gekrochen ist. War eine Komödie, glaube ich. Ich taste die Taschen ab. Jackpot. Es ist immer entweder die rechte hintere Hosentasche oder die Jackeninnentasche, wenn sie eine hat.
Ihr Portemonnaie sieht aus wie die Jacke. Schwarz, ledrig, eingerissen. Aber Kunstleder, und viel zu klein für das ganze Papier. Gwen ist ein Kassenbon-Messi, denke ich und gehe die Karten durch. Ausweis (ich checke lächelnd unser Geburtsdatum), Führerschein, EC-Karte, versichert bei der DAK, Subway-Kundenkarte... ich halte inne. Blassgrünes Papier mit Eselsohren. Ich ziehe es heraus und sehe zum ersten Mal in diesem jungen Leben einen Dienstausweis.
»Oh Scheiße«, murmele ich.
Im Badezimmer wird es still.