Читать книгу Was Sara verbirgt - Kathrine Nedrejord - Страница 8

2

Оглавление

Es ist Montag, und ich warte auf Sara.

Wir treffen uns immer vor der Schule, bevor es zur ersten Stunde klingelt.

Als sie gestern aus dem Fenster gesprungen ist, hat sie noch gerufen: »Bis morgen!«

Ich warte also immer noch. Unser Norwegischlehrer hat sicher schon mit seinem altnordischen Zeugs angefangen. Sara kommt nie zu spät. Sara beantwortet immer ihre SMSe. Sara schwänzt nicht. Bereits vor dem Sommer hat sie mir die Anwesenheitsregeln in der weiterführenden Schule erklärt, und wie wichtig es sei, diese zu befolgen, um nicht in irgendeinem Fach durchzufallen. Sie tat das eigentlich mehr meinetwegen als um ihrer selbst willen. Sie hat immer etwas weniger gefehlt als ich und hat bessere Noten als ich. Und wenn ich etwas sage, dann meine ich wahnsinnig viel. Schließlich will Sara hoch hinaus. Sara will Ärztin werden.

Ich schicke die vierte SMS:

»Wo bist du? Bist du krank?«

Eigentlich müsste ich reingehen. Ich müsste atemlos eine Entschuldigung vorbringen, um meine Note nicht aufs Spiel zu setzen. Außerdem ist es ziemlich kühl. Ich habe die Jeansjacke angezogen, obwohl Mama protestiert hat und mich dazu überreden wollte, die Winterjacke anzuziehen. Es ärgert mich, wenn Mama recht hat. Es ärgert mich, dass Sara nicht antwortet. Aber es sind verschiedene Arten von Ärger. In meinen Ärger über Sara mischt sich das Gefühl, etwas falsch gemacht zu haben. Ich hätte sie in der Nacht zum Sonntag nicht nach Hause lassen dürfen, ohne eine einzige Antwort erhalten zu haben. Ich rufe sie an.

Es klingelt und klingelt, fordernd.

Dann endlich höre ich Saras Stimme, obwohl ich mir erst gar nicht so sicher bin, dass es ihre Stimme ist. Sie klingt ganz schwach:

»Ja? Ich bin’s.«

»Wo steckst du?«, frage ich.

Eine lange, fast unendliche Pause. Ich will schon fragen, ob sie noch da ist, als sie endlich antwortet:

»Zu Hause.«

»Kommst du heute nicht in die Schule?«, will ich wissen.

Wieder eine kleine Pause.

»Nein, ich glaube nicht.«

Es ist ihre Stimme, und auch wieder nicht. Sie klingt fern, als befände sie sich in den USA und als müssten ihre Worte einen meilenweiten Weg durch Kabel und Netzwerke zurücklegen, um mich zu erreichen. Aber sie ist, soweit ich weiß, weniger als einen Kilometer entfernt.

»Ist es wegen dieser Sache am Wochenende?«, frage ich.

»Hör doch auf damit!«

Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

»Oh.«

»Lass es einfach, okay?«

Ich flüstere ein Ja.

Es wird wieder still. Lange. Ich muss etwas sagen.

»Kommst du morgen?«

»Natürlich«, antwortet Sara.

Dann beeilt sie sich, das Gespräch zu beenden, ehe ich weitere Fragen stellen kann. Ich schaue auf das Display, als wäre das Handy an der seltsamen Unterhaltung schuld. Ich habe einen Fehler gemacht, denke ich. Ich hätte sie ausfragen müssen, als sie bei mir zu Hause war. Aber sie hat sich geweigert. Jedes Mal, wenn ich mich dem Thema näherte, hat sie von etwas anderem geredet oder sich unter der Decke verkrochen und so getan, als würde sie mich nicht hören. Lass mich in Ruhe, schien sie zu sagen. – Und zwar so nachdrücklich und deutlich, dass ich einfach nur gehorchen konnte.

Ich schaue auf die Uhr über dem Eingang. Die Stunde ist noch nicht vorbei. Wenn der Norwegischlehrer gute Laune hat, ignoriert er meine Verspätung vielleicht. Aber andererseits –

Das ist nicht in Ordnung. Es ist falsch, dass Sara zu Hause ist und dass mir mein unentschuldigtes Fehlen mehr Sorgen bereitet als ihre Probleme, oder?

Genau, so ist es.

Ich kann sie jetzt nicht im Stich lassen, denke ich. Aber was kann man tun? Wenn sich die beste Freundin seltsam benimmt und nicht reden will? Ich bin irgendwie in meinem Unwissen gefangen. Eigentlich müsste sich etwas herausfinden lassen.

Aber wie?

Statt in den Unterricht zu gehen, nehme ich Kurs auf den Supermarkt. Klemet. Was soll ich ihm sagen? Ich muss ihn ausfragen. Ich habe keine Angst. Nicht vor Klemet. Er war zwar nie besonders nett zu mir, aber zu den superbeliebten Leuten gehört er auch nicht. Und mir ist es schließlich gelungen, die rabiate Anne-Biret samt Schere in der Hand in die Knie zu zwingen.

Und was Klemet getan hat, denke ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher sein kann, ist nicht gut. Das ist einfach nicht normal, denke ich. Sonst wäre Sara heute in der Schule und würde neben mir in der Klasse sitzen und mich anstupsen, sobald ich ins Träumen gerate, damit ich auch ja die wichtigsten Dinge für die nächste Klassenarbeit mitbekomme. Sara hält mich bei der Stange. So ist es einfach. So soll es sein. Verdammter, beschissener Klemet. Nur er kann sie bedroht haben.

Sie hat es nur einmal gesagt, sehr leise zwar, aber deutlich genug. Sie hat keinen Namen genannt, aber wer hätte es sonst sein sollen? Klemet bringt sie um, wenn sie was sagt. Verfluchter, tragischer, pathetischer, verdammter Klemet, denke ich. So ein Idiot.

Ich schlendere in den Rema 1000, der zu dieser Tageszeit fast leer ist. Eine ältere Frau in geblümter Wolljacke mit dazu passender roter Kopfbedeckung türmt Hühnerfilet-Pakete, die im Sonderangebot sind, in ihren Korb. Das Personal steht bei den Milchprodukten. Ich gehe dorthin. Die meisten kenne ich vom Sehen. So groß ist Karasjok nicht, dass man den Überblick verlieren könnte.

»Ist Klemet da?«, frage ich.

Sie schauen mich kritisch an.

»Bist du nicht die große Schwester von Máhtte?«, fragt eine. Alle kennen Máhtte. Alle wissen, dass er einer der besten Spieler der Fußballmannschaft ist und vielleicht sogar einmal mit einem Spielervertrag von hier wegkommt. Aber Máhtte ist mir egal. Ganz gleichgültig, wie viele Tore er schießt, zu Hause ist er eine Nervensäge und ärgert mich.

»Klemet?«, sage ich noch einmal.

Eine zuckt mit den Achseln.

Wenn sie nicht sofort antworten, schüttle ich gleich jemanden, denke ich. Keiner sieht besonders stark aus, sie wirken blass, dünn und uninteressiert. Sie sehen aus, als hätte die dunkle Jahreszeit bei ihnen schon begonnen und sie befänden sich bereits im Winterschlaf.

»Vermutlich ist er zu Hause«, sagt eine von ihnen. »Er hat heute keine Schicht.«

Er wohnt auf der anderen Seite des Flusses.

Wenn ich mich beeile, komme ich noch rechtzeitig zur zweiten Stunde. Mathe. Es ist aber keine Katastrophe, wenn ich sie verpasse. In der dritten Stunde ist Sport – das einzige Fach, in dem ich besser bin als Sara. Da kann ich locker hingehen, aber vorher will ich noch mit Klemet sprechen. Ich gehe also wieder und überhöre den Ruf einer der Bleichen, Lethargischen, dass ich mich ruhig für die Hilfe bedanken könnte.

Ich beeile mich. Jetzt werde ich Klemet aufspüren.

Was Sara verbirgt

Подняться наверх