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Kapitel Eins

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Louisa

Es ist dunkel. Durch die geschlossenen Vorhänge dringt kaum Tageslicht. Die Umgebung passt sich meinem Inneren an. Durch die Dunkelheit und meine Unfähigkeit, mich zu bewegen, gehen meine Zimmerpflanzen nach und nach ein. Alles ist kalt und leblos.

Eine Jahreszeit später.

Der Frühling liegt in der Luft. Ich spaziere durch den Ohlsdorfer Parkfriedhof und atme die würzig-blumige Brise ein.

Die Sonne wärmt mein blasses Gesicht. Die Natur zu sehen, wie sie wieder zum Leben erwacht, wirkt beruhigend auf mich. Das schenkt mir Hoffnung. Wenn sie es schafft, schaffe ich es vielleicht auch, irgendwann wieder zu erblühen.

Im Moment fühle ich mich wie ein abgestorbener Ast oder wie die Toten, die hier tief unter der Erde liegen.

Es ist ein Wunder, dass ich es überhaupt vor die Tür geschafft habe. Aber es ist ein kleiner Fortschritt, auf den ich stolz sein kann.

Vor vier Monaten bin ich völlig in mir zusammengefallen. Das Einzige, was von mir übrig geblieben ist, ist meine Hülle. Wie bei einem toten Ast oder einer Leiche eben. Innen lebt nichts mehr, keine Lebensenergie fließt hindurch und das Äußere verkümmert nach und nach immer mehr.

Ich war vorher schon ein heller Hauttyp, aber wenn man vier Monate lang das Haus nicht verlässt, sieht man das selbst Menschen mit meiner Haut an.

Es ist mitten in der Woche, somit sind kaum andere Besucher anwesend. Ich fühle mich mit den Toten hier auch viel wohler als unter den Lebenden.

Dennoch weiß ich, dass wenn ich irgendwann wieder erblühen möchte, kein Weg an den lebendigen Menschen vorbeiführt. Ich muss mir Unterstützung suchen. Alleine schaffe ich es nicht.

Nicht mal das Fertigstellen meines Buches »Das frivole Tagebuch eines Freudenmädchens« hat mir dabei geholfen, den Schmerz zu verarbeiten und loszuwerden.

Ich habe es binnen einer Woche zu Ende geschrieben und veröffentlicht. Nach der Resonanz habe ich nicht geschaut; ich vermeide das Internet so gut es geht.

Einmal die Woche schreibe ich meiner Mom eine Mail. Meine Eltern wissen mittlerweile, dass Robin-Finn der Vergangenheit angehört und ich wieder alleine bin.

Der Gedanke an meine Einsamkeit löst eine unangenehme Enge in mir aus. Atme, Lou! Atme das Leben ein! Ich nehme einen tiefen Atemzug. Meine Brust weitet sich und kämpft gegen das Engegefühl an.

Ganz verschwinden tut es nicht, aber es nimmt mich immerhin nicht so ein, wie es noch vor ein paar Wochen der Fall war. Teilweise dachte ich, ich würde ersticken.

Dieser Spaziergang ist mir nur möglich, weil ich alles verdränge. Es ist für mich der einzige Weg, am Leben zu bleiben und wieder daran teilzunehmen. Ich finde keine andere Lösung.

Wenn selbst das Schreiben mir nicht helfen konnte … So wirklich daran glauben, dass mir überhaupt jemand helfen kann, tue ich nicht. Die Vorstellung fühlt sich surreal an. Der Schmerz sitzt zu tief. Er hat mich eingenommen, ich bin der Schmerz. Und ich bin die Einsamkeit.

Vier Monate später.

Vor ungefähr zwei Monaten bekam ich eine Mail von einem Verlag, der zufällig über meine Geschichte gestolpert ist. Sie waren so begeistert, dass sie mir das Angebot machten, »Das frivole Tagebuch eines Freudenmädchens« als richtiges Buch zu veröffentlichen. Für einen Moment war ich sprachlos und konnte nicht realisieren, was ich da las. Ich sagte zu. Unter der Bedingung, anonym zu bleiben und alles Weitere per Mail und Postweg zu regeln. Sie akzeptierten.

»Das frivole Tagebuch eines Freudenmädchens« wurde unter dem Pseudonym »Lady Red« publiziert und kurze Zeit darauf stand es auf der Bestsellerliste. Bis heute weiß niemand, dass der Inhalt des Buches auf einer wahren Begebenheit basiert.

Mein Verlag schickte mir ein großes Paket mit Leserbriefen zu. Dieses Paket steht nach wie vor unberührt in meinem Flur. Mir fehlt die emotionale Kraft, es zu öffnen und die Worte fremder Menschen zu lesen, die nicht wissen, dass es sich bei meinem Werk nicht um Fiktion handelt, sondern um die Wahrheit.

Es wird mir nicht guttun, zu lesen, was ich für einen kranken Scheiß verfasst habe …

Ja, ich gehe vom Negativen aus. Denn Menschen sind nicht nett. Und nur, weil sich mein Buch gut verkauft, heißt das nicht, dass es jedem gefällt. Ich erinnere mich an die Rezensionen zu dem Buch Feuchtgebiete

Der Karton bleibt zu. Ihn wegzuwerfen, bringt mein Ego jedoch auch nicht zustande.

Es gibt nur einen Menschen – ausgenommen meiner Eltern natürlich –, der nett zu mir ist und der sich bemüht, mich wieder zusammenzuflicken.

Als ich die Nachricht bekam, dass mein Buch den ersten Platz auf der Bestsellerliste erreicht hat, habe ich beschlossen, dieses Ereignis mit einem Besuch in dem Spa, in dem ich letztes Jahr war, zu zelebrieren.

Und da ich nicht an Zufälle glaube, gab ich ihm trotz meiner Ängste und Zweifel meine Nummer.

Dieses Mal bestand er darauf; diese zweite Chance wollte er sich nicht entgehen lassen.

Es muss Schicksal sein, dass wir ein Jahr später wieder am selben Ort aufeinandertreffen.

Schon damals hatte Max eine Anziehung auf mich ausgeübt. Nur nahm mich Robin dermaßen ein, dass ich keinen einzigen Gedanken mehr an ihn verlor.

Es ist ein Wunder, dass ein attraktiver, zuvorkommender junger Mann wie Max über ein ganzes Jahr Single geblieben ist. Ich hatte ihm gesagt, dass ich froh und dankbar bin, dass er sich nicht in festen Händen befindet und das Leben es offensichtlich endlich gut mit mir meint. Er erwiderte daraufhin, dass er jede Frau für mich verlassen hätte. Er hat oft an mich gedacht und hoffte über Monate, ich würde mich bei ihm melden …

Die Vorstellung, dass er immer wieder an mich gedacht hat, während ich ein emotionales Auf und Ab durchlitt, berührt mich; auf irgendeine Weise wirkt es besänftigend.

Ich ging die ganze Zeit davon aus, auf mich alleine gestellt zu sein, war es aber in Wahrheit gar nicht.

In Max’ Realität spielte ich eine Rolle. Da ich seine Nummer nicht gelöscht hatte, hätte ich mich jederzeit an ihn wenden können. Aber es bringt nichts, darüber nachzudenken, was gewesen wäre wenn … Fakt ist, ich habe mich für Robin und gegen Max entschieden.

Im Leben trifft man manchmal die falschen Entscheidungen. Ich musste einen schmerzhaften Umweg gehen, um schlussendlich Max an meiner Seite zu haben. Der Mann, der wirklich zu mir gehört und der für mich von Anfang an bestimmt war.

Das Leben hat ihn mir vor dem Treffen mit Robin geschickt, um mich vor einem Fehler zu bewahren, aber ich habe dieses Zeichen einfach ignoriert.

Umso dankbarer bin ich, eine zweite Chance bekommen zu haben. Von nun an kann ich alles richtig machen.

Es tut weh, dass Max unter meiner Fehlentscheidung leiden muss. Hätten wir uns damals gedatet, wäre alles vollkommen normal verlaufen.

Jetzt hat er eine Freundin, die einen Knacks weg hat und an manchen Tagen das Bett nicht verlassen möchte.

Max schlug mir mehrmals vor, zu ihm zu ziehen und diese giftige Wohnung zu verlassen. Dass das eine gute Idee ist, weiß ich, aber ich bin noch nicht so weit.

Trotz der schlimmen Erinnerungen, die in dieser Wohnung – vor allem in meinem Schlafzimmer – gespeichert sind, kann ich ihr nicht den Rücken kehren; irgendetwas hält mich noch hier.

Vielleicht habe ich auch bloß Angst davor, mit Max zusammenzuleben. Wir müssten im selben Bett schlafen … das wird nicht funktionieren. Ich würde ihn ständig mit meinen Albträumen wecken, was mir unangenehm wäre.

Außerdem ist es einfacher für ihn, wenn wir körperlich einen gewissen Abstand bewahren. Max ist ein junger, gesunder Mann und ich bin nach wie vor nicht dazu bereit, Sex zu haben … Ein weiterer Kontrapunkt ist, dass wir erst seit fünf Wochen ein Paar sind und es einfach zu früh ist, um zusammenzuziehen. Aber um ihm zu beweisen, dass mir etwas an einer gemeinsamen Zukunft mit ihm liegt, habe ich seinen drängenden Vorschlag angenommen: Ich werde heute zu einem Redekreis für Frauen gehen, die sexuelle Gewalt erlebt haben.

Die Runde wird von einer Therapeutin geleitet, die sich auf das Thema spezialisiert hat.

Manchmal bereue ich es, Max die Wahrheit erzählt zu haben. Jedoch hatte ich keine Wahl. Als er mich auf das »R« auf meinem Oberarm ansprach, fiel mir so schnell keine Lüge ein.

Jetzt kommt er ständig mit irgendwelchen Programmen und Kuren an, die ich machen soll und die mir ganz bestimmt helfen werden, mit meiner Vergangenheit zurechtzukommen.

Bisher hatte ich alles abgelehnt, aber heute morgen wollte ich unsere Harmonie nicht gefährden. Ich spüre, wie seine Geduld langsam an seine Grenzen stößt.

Ich darf sie nicht überstrapazieren. Auf gar keinen Fall! Wenn Max mich verlässt, bricht alles in sich zusammen. Ein für alle Mal.

Er ist anders als Finn. Er ist für mich da, aber er fordert mich auch. Finn hingegen hätte mich dabei unterstützt, alles zu vergessen und zu verdrängen. Ihm wäre es lieb gewesen, wenn es nur noch ihn und mich gegeben hätte und sonst niemanden. Keine Familie, keine Freunde, abgeschottet von der Außenwelt.

Abgesehen davon, dass er mit Robin unter einer Decke gesteckt hat und alles Teil eines kranken Spiels war … Finn durfte sein eigenes Psycho-Spiel mit mir spielen, bis es Früchte trug, um mich komplett zu zerreißen.

Übelkeit steigt in mir auf. Ich drücke die Erinnerungen hinunter in mein Unterbewusstsein und schließe sie darin ein.

Ich bin dankbar, dass ich ein halbes Jahr später überhaupt in der Lage bin, das Bett zu verlassen und wieder etwas zu unternehmen. Das habe ich meinem Buch zu verdanken.

Hätte ich es nicht geschrieben und veröffentlicht, wäre kein Verlag auf mich aufmerksam geworden. Der Erfolg hat mir ein kleines Hochgefühl verpasst, sodass ich die Kraft hatte, das Spa zu besuchen. Max’ Arbeitsplatz. Und seitdem geht es bergauf mit mir. Seltsam, wie sich alles fügt.

»Soll ich dich wirklich nicht hinbringen?«, fragt Max, während er auf meinem Sofa sitzt und Fußball schaut.

»Nein, ich schaffe das schon. Oder hast du Angst, dass ich einen Rückzieher mache und nicht hingehe?«

»Nein. Und selbst wenn, ist das deine Entscheidung. Du weißt, dass ich dich zu nichts drängen möchte. Aber …«

»Aber du bist davon überzeugt, dass es mir guttun wird. Ich weiß.«

»Du hast selbst gesagt, dass du es alleine nicht schaffen wirst.«

»Ja, aber ich bin doch nicht alleine. Ich habe dich.« Die Rechtfertigung wird er nicht gelten lassen …

»Ich bin kein Fachmann. Ich kenn mich mit Psychokram nicht aus. Würdest du eine von deinen Panikattacken bekommen, von denen du mir erzählt hast, würde ich vermutlich ebenfalls eine bekommen. Ich bin keine gute Hilfe.«

»Vielleicht solltest du einen Kurs für Angehörigen-Erste-Hilfe besuchen … Wie gehe ich mit einem Opfer physischer und psychischer Gewalt um?«, schlage ich scherzhaft vor.

»Das ist nicht witzig, Lou.«

»Tschuldigung.«

»Du solltest dich auf den Weg machen, wenn du pünktlich kommen willst. Wenn du zurück bist, wartet das Abendessen auf dich und dann kannst du mir erzählen, wie es war. Wie klingt das?«

»Klingt gut«, sage ich und drücke ihm zum Abschied einen Kuss auf die Wange.

Es ist ein wenig ironisch, dass heute Samstag ist …

Ich stehe vor der großen Tür eines Altbaus und überlege, ob ich nicht doch wieder nach Hause fahren sollte.

»Hey! Willst du auch zu dieser Frauengruppe?« Eine große, schlanke braunhaarige Frau steht hinter mir und lächelt mich an. Sie scheint ein paar Jahre älter zu sein als ich und sieht nicht aus wie ein Opfer einer Gewalttat. Sie wirkt äußerst selbstsicher. Und glücklich. Vielleicht ist sie die Therapeutin … Aber dafür ist sie wiederum zu jung.

»Ähm, ja … Ich denke schon.«

»Sehr überzeugt klingst du nicht. Ich bin Franziska.« Sie hält mir ihre Hand hin, die ich aus Höflichkeit ergreife und kurz schüttle.

»Louisa. Und ja, ich zögere, wie du mitbekommen hast.«

»Wir könnten auch von hier verschwinden und irgendwo etwas trinken gehen«, schlägt sie aus dem Nichts vor.

Mit einer Fremden etwas trinken gehen, die vielleicht irre ist? Schlechte Idee. Zumal ich mit Frauen noch nie gut umgehen konnte.

»Vielleicht ein andermal. Ich sollte hingehen. Mein Freund wäre sonst enttäuscht.« Sie lacht lauthals.

»Du bist mir auf Anhieb sympathisch! Du bist also auch hier, weil dein Freund dich mehr oder weniger dazu genötigt hat?«

»Ja, kann man so sagen …«

»Okay, du hast mich überzeugt. Wir beiden Leidensgenossinnen packen das schon.« Sie drängt sich neben mich und drückt die Klingel. Ich schaue sie perplex an. Ihr Freund hat ihr ebenfalls vorgeschlagen, diese Gruppe zu besuchen? Merkwürdiger Zufall. Ich glaube nicht an Zufälle …

Die Tür geht auf und ich folge Franziska in den dritten Stock. Diese verdammten alten Gebäude sollten dringend mit einem Fahrtstuhl ausgestattet werden!

»Wie alt bist du bitte schön, dass du so aus der Puste bist?«

»Ich bin 24 und hab schon länger keinen Sport mehr gemacht …«, sage ich und zucke mit den Achseln.

»Süß. Ich werde dieses Jahr dreißig.« Dabei zieht sie eine Grimasse, die deutlich zeigt, dass sich ihre Freude, das nächste Jahrzehnt zu erreichen, in Grenzen hält.

»Hallo, ihr beiden! Schön, euch willkommen heißen zu dürfen! Kommt rein. Eure Jacken und Taschen könnt ihr an der Garderobe lassen.«

Eine Frau mit blonden kurzen Haaren, mittleren Alters nimmt uns herzlich in Empfang. Sie muss die Therapeutin sein.

»Es ist immer schön, neue Gesichter zu sehen. Wir fangen gleich an. Folgt mir.«

Es wäre schön, keine neuen Gesichter sehen zu müssen … Aber dann wäre sie arbeitslos. Dementsprechend kann ich ihre Freude nachvollziehen.

Sie führt uns in einen hellen, äußerst geräumigen Raum mit hoher Decke. Viel Luft zum Atmen, das sagt mir zu.

Der cremefarbene Teppichboden sorgt für etwas Wärme, ebenso wie ein paar hochgewachsene grüne Zimmerpflanzen.

In der Mitte des Raumes sitzen acht Frauen auf Holzstühlen in einem perfekt geformten Kreis.

»Nehmt euch einen Stuhl und gesellt euch zu uns.«

Die Therapeutin zeigt auf die Wand am Ende des Raumes. Eine Menge ordentlich gestapelter Stühle stehen dort, die niemals alle in einen Kreis passen würden. Vielleicht hält sie nicht nur kleine Gesprächsrunden, sondern veranstaltet auch größere Seminare. Ich hätte mich vorher besser über diese Praxis informieren sollen. Ich weiß überhaupt nicht, wie genau das hier abläuft. Wesentlich unangenehmer ist mir, dass ich nicht mal den Namen der Therapeutin kenne.

In mir kommt das Gefühl auf, fehl am Platz zu sein. Am liebsten würde ich gehen. Franziska bewahrt augenscheinlich die Fassung. Schade, dass ich ihre Gedanken nicht lesen kann.

Wir setzen uns nebeneinander in den Kreis völlig fremder Frauen.

»Ich bin Sabine«, stellt sich die Therapeutin vor.

Ich sage nichts, nicke ihr bloß zu. Franziska ergreift das Wort.

»Dann stelle ich mich auch mal kurz vor. Ich heiße Franziska, bin noch 29 Jahre jung und lebe seit über einem Jahr in der schönen Stadt Hamburg. Gebürtig komme ich aus Berlin. Und ja, man hört es mir nicht an, weil ich den Berliner Dialekt schon immer gehasst habe.« Die anderen Frauen lachen. Ich wäre auch gerne so cool und gelassen wie sie.

»Ich arbeite in einer Werbeagentur als Webdesignerin und bin in einer glücklichen Beziehung … die anfänglich jedoch so ihre Schwierigkeiten hatte … und auch ab und zu immer mal wieder hat.« Jetzt ist sie doch ins Straucheln gekommen.

Ich weiß, es gehört sich nicht, aber ich bin neugierig, was ihr widerfahren ist. Ich kann mir echt nicht vorstellen, dass jemand wie Franziska einem Mann zum Opfer gefallen ist.

»Danke, Franziska. Und, magst du uns etwas über dich erzählen?« Sabine schaut mich erwartungsvoll an.

»Ja, hallo zusammen. Ich bin Louisa und 24 Jahre alt. Ich bin gelernte Fitnesskauffrau, aber arbeite aktuell nicht mehr in dem Beruf. Meine Eltern sind nach Amerika ausgewandert, als ich 19 war. Über den Teil, der danach kam, möchte ich noch nicht sprechen. Vor einem Monat habe ich einen Jungen kennengelernt. Dieses Treffen war seine Idee, darum bin ich hier. Ich will, dass wir eine Zukunft haben.«

Das war nicht einfach, kurz und bündig etwas Persönliches zu erzählen, ohne zu viel preiszugeben. Meine Wangen glühen. Vermutlich bin ich total rot angelaufen. Super peinlich!

Franziska tätschelt mir die Hand, um mir positiv zuzusprechen. Eine liebe Geste von ihr, die ich zu schätzen weiß.

»Ich spüre viel Verletztheit. Danke dir, Louisa.« Mein Blick sucht den von Franziska. Sie schaut mich skeptisch an.

Wir scheinen dasselbe zu denken: Hoffentlich ist das hier kein esoterischer Feministentreff!

Als die Frauen nacheinander von ihrer letzten Woche erzählen und dabei immer wieder in die Vergangenheit abschweifen, wächst in mir der Fluchtinstinkt.

Ich gehöre hier nicht her. Ich möchte mich nicht in die Reihe der Opfer einreihen, ich will keine von ihnen sein.

Und ich bin auch keine von ihnen. Keine Frage: Was den Frauen widerfahren ist, wünsche ich niemandem!

Aber es kommt nicht mal annähernd an meinen Albtraum heran. Ich nehme mir vor, heute nichts über mich zu erzählen und nächste Woche nicht wieder herzukommen.

Franziska ist an der Reihe. Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie keine Lust hat, dieser Runde etwas beizutragen.

Doch sie ergreift das Wort und ich schenke ihr meine volle Aufmerksamkeit.

»Bei mir war das alles etwas anders. Es war kein einmaliger Vorfall und auch keine reine Vergewaltigung. Ich wurde erpresst und psychisch abhängig gemacht. Ich verlor meinen eigenen Willen.« Mir bleibt die Luft weg.

Ist das ein neues krankes Spiel von Robin? Hat er herausgefunden, dass ich heute hier auftauchen werde und Franziska auf mich angesetzt?!

Wie soll er das herausgefunden haben? Das ist nicht möglich. Es sei denn, Max gehört ebenfalls seinem Freundeskreis an …

Aber Robin wusste damals nicht, dass ich das Spa besuchen werde. Nein, das ist äußerst unrealistisch.

Es ist bestimmt nur ein unheimlicher Zufall, dass ihre Geschichte meiner sehr ähnelt. Oberflächlich zumindest, ich kenne die Details nicht. Und werde sie heute auch nicht erfahren, denn Franziska redet nicht weiter.

»Danke, Franziska.« Sabine schaut sie mitfühlend an und wendet ihre Aufmerksamkeit dann mir zu.

»Ich möchte nichts sagen«, reagiere ich auf ihren Blick.

»Das ist vollkommen in Ordnung. Niemand muss hier etwas sagen. Rede, wenn du dich bereit dazu fühlst. Alles, was hier erzählt wird, verlässt diesen Raum nicht.« Die Frauen nicken zustimmend. Ich ringe mir ein Lächeln ab.

Die Therapeutin spricht noch eine halbe Stunde über Selbstliebe und das Selbstwertgefühl, bis die Runde aufgelöst wird.

Sabine legt Franziska und mir nahe, dass sie sich sehr darüber freuen würde, uns nächste Woche wieder dabeizuhaben.

Wir bedanken uns höflich und verlassen als Letzte die Praxis.

»Und? Wie hat es dir gefallen?«, fragt mich Franziska, als wir draußen vor der Tür stehen.

»Ich werde nicht wiederkommen. Und du?«

»Dito. Hast du Lust, nächste Woche mein Alibi zu sein? Ich lade dich auf ein, zwei Drinks ein.«

»Willst du deinem Freund nicht die Wahrheit sagen?«

»Nein, ich will wenigstens den Eindruck machen, dass ich es versuche … Wie siehts mit dir aus?«

»Ich möchte nicht mehr lügen, aber ich bin gerne dein Alibi.«

»Okay, das verstehe ich. Gibst du mir deine Handynummer, damit ich dir die Adresse schicken kann?«

Wir tauschen unsere Nummern aus und verabschieden uns mit einer Umarmung. Der Grund, weshalb ich sie wiedersehen will, ist meiner Neugierde zu verdanken. Ich muss wissen, was sie erlebt hat.

Max sitzt immer noch vor dem Fernseher, als ich zurück bin.

»Na, bin wieder da.«

»Schön! Komm her und erzähl wie’s war.« Er klopft auf die freie Sitzfläche. Als ich mich zu ihm geselle, drückt er mir einen Kuss auf den Mund und schaut mich dann erwartungsvoll an.

»Ja …«, beginne ich. Die Pause verrät, dass es nicht so verlaufen ist, wie Max es sich erhofft hat.

Ich sehe ihm an, wie er versucht, seine Enttäuschung zu verbergen und die Hoffnung auf eine positive Wendung am Leben zu halten. Um ihm Trost zu spenden, ergreife ich seine Hand. Was total bescheuert ist, weil ich diejenige sein sollte, der man Trost spendet …

»Das ist nichts für mich. Ich habe mich unwohl gefühlt. Die Frauen sind alle nett, aber …«

»Aber du hast keine Lust«, beendet Max den Satz.

»Nein, das verstehst du falsch.«

»Dann erkläre es mir.« Er entzieht sich meiner Hand und verschränkt die Arme vor seiner breiten Brust.

»Warum bist du denn jetzt so zickig?«

»Das fragst du noch?!« Seine Reaktion überrascht mich. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle. Ich will nicht mit ihm streiten.

»Muss ich jetzt Angst davor haben, dir die Wahrheit zu sagen?! Vielleicht hätte ich es wie Franziska machen sollen …«

»Wer ist Franziska? Was meinst du damit?«

»Antworte auf meine Frage!« Mir fällt es schwer, ruhig zu bleiben. Ich fühle mich verletzt, weil er mich nicht versteht und es nicht anerkennt, dass ich ehrlich zu ihm bin.

»Nein, natürlich nicht. Es tut mir leid. Ich habe es nicht so gemeint. Ich will nur, dass es dir gut geht und ich wünsche mir so sehr eine gemeinsame Zukunft mit dir. Ich habe einfach Angst, dass zwischen uns immer eine Mauer bestehen bleibt, wenn du deine Vergangenheit nicht aufarbeitest …« Er löst seine verschränkten Arme und senkt den Kopf.

»Max, wir wollen dasselbe. Das ist das Einzige, was zählt. Unsere Vorstellung über den Weg dorthin unterscheidet sich bloß. Aber das sollte kein Hindernis sein.

Wir finden eine Lösung, mit der wir beide klarkommen. Fakt ist: Ich kann nicht zu diesem Treffen gehen. Es schadet mir mehr, als dass es mir hilft.« Natürlich hat Max recht mit dem, was er sagt.

Ich muss irgendetwas tun, um den Geschehnissen die Macht über meine Zukunft zu entziehen. Tue ich nichts, wabern sie in meinem Unterbewusstsein und beeinflussen meine Gegenwart und dementsprechend auch meine Zukunft, ohne dass es mir auffällt.

Das Unterbewusstsein ist wie die Kanalisation.

Menschen spazieren auf den Straßen, während unter ihren Füßen die Scheiße entlangschwimmt. Aber sie verschwenden keinen einzigen Gedanken daran, sie haben es vergessen, blenden es aus. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie über einen Gullydeckel latschen.

Je nachdem, wie bewusst sie ihre Umgebung wahrnehmen, fällt ihnen der runde Deckel auf und erinnert sie an die Scheiße, die unaufhörlich unter der Straße fließt.

Aber auch, wenn sie sich nicht daran erinnern und blind über den Deckel spazieren: Die Scheiße schwimmt dennoch unter ihren Füßen.

Wenn ich nicht darauf hoffen will, mal über einen Gullydeckel zu stolpern, damit mir etwas bewusst wird, was mich negativ in meinem Denken und Handeln beeinflusst, muss ich jetzt aktiv werden. Nur weiß ich noch nicht wie.

»Okay, meine Erwartung war zu hoch. Ich hatte gehofft, dass der erste Versuch gleich ein Treffer sein würde. Das ist meiner Ungeduld zuzuschreiben. Es tut mir leid.«

»Du musst dich nicht entschuldigen. Hätte ja auch sein können, dass es das Richtige für mich ist. Ich werde mich weiter um eine Lösung bemühen.«

Ich nehme ihn in den Arm und vergrabe meine Finger in seinem dunkelblonden Haar. Er duftet gut, was mich beruhigt und mir ein Gefühl von Geborgenheit schenkt.

»Erzähl mir, wer diese Franziska ist«, sagt er und deutet dabei an, mich mit ihm gemeinsam hinzulegen.

Als er seinen Arm um mich schlingt, beginne ich, ihm von der Begegnung zu berichten.

»Es war wirklich ein Schockmoment, als sie ihre Geschichte angeschnitten hat. Für einen Augenblick dachte ich, dass Robin seine Finger im Spiel hat …«

»Das würde aber bedeuten, dass er hier eingebrochen ist und irgendwo ein Mikro angebracht haben muss. Das ist die einzige Möglichkeit, die es gibt. Ansonsten hätte er nicht wissen können, dass du zu diesem Treffen gehst. Und so schnell jemanden zu organisieren, der dich dort trifft … Das kann alles nicht sein.«

»Nein, das ist komplett unrealistisch. Selbst wenn er noch einen Schlüssel von mir hat … das Vorhängeschloss müsste zerstört werden, um hier reinzukommen.«

Ich verschweige Max meinen Gedanken, er könnte mit Robin unter einer Decke stecken, denn das halte ich für noch unwahrscheinlicher als einen Einbruch.

»Irgendwie unheimlich. Und wie geht es weiter?«

»Nach dem Treffen hat sie mich gefragt, ob wir nächste Woche etwas trinken gehen wollen. Sie braucht ein Alibi, weil sie ihrem Freund nicht sagen will, dass die Rederunde keine Option für sie ist.«

»Lou, danke, dass du ehrlich zu mir bist.« Max presst mir einen Kuss auf meinen Hinterkopf und drückt mich einmal fest.

»Du weißt, wieso ich nicht mehr lügen möchte.«

»Ja«, sagt er leise.

»Jedenfalls habe ich ihr zugesagt. Ich möchte mehr über sie erfahren.«

»Das finde ich gut. Dann hat das Treffen doch etwas Gutes gebracht.«

»Findest du?«

»Sicher! Du hast die Möglichkeit, mit einer Therapeutin zu sprechen oder dich jemandem anzuvertrauen, der dich viel besser verstehen wird, als eine Therapeutin es je tun wird … Was klingt für dich hilfreicher?«

»Du hast mal wieder recht, aber ich suche in Franziska keine Freundin.«

»Nein, du suchst Antworten … Trotzdem weißt du nicht, was aus eurem Kontakt entstehen kann.«

»Du und deine Hoffnung«, sage ich lachend.

»Ja, ich fände es schön, wenn ich nicht dein einziger sozialer Kontakt bleibe.«

»Du willst mich also teilen?«, frage ich ironisch empört.

»Mit anderen Frauen gerne«, haucht er mir ins Ohr und löst damit einen prickelnden Schauer in mir aus, der einmal durch meinen ganzen Körper läuft.

Wäre der Vorfall mit Nina nicht gewesen, wäre ich bestimmt lesbisch geworden. Obwohl … nie wieder einen Schwanz zu spüren? Kann ich mir das wirklich vorstellen?

Nie wieder ist eine lange Zeit. Für den Übergang wäre es eine Lösung gewesen, um mich von meiner Erfahrung zu erholen.

Aber für immer gewiss nicht. Irgendwann werden Max und ich unser erstes Mal miteinander haben. Obwohl ich keine Jungfrau mehr bin, wird es sich wie ein erstes Mal anfühlen …

Aus der Situation auf dem Sofa hätte ein Techtelmechtel entstehen können. Max hat es ebenfalls gespürt.

Zunehmend entwickeln sich solche Momente zwischen uns und jedes Mal ersticke ich die aufflammende Lust im Keim.

Die ersten zwei Wochen war seinerseits keine Enttäuschung zu bemerken. Jetzt ist es anders.

Ich nehme seinen inneren Kampf wahr. Es fällt ihm schwer, ihn vor mir zu verbergen. Dabei kennen wir uns erst seit fünf Wochen … Wo soll das hinführen, wenn die Abstinenz ihn jetzt bereits quält?

Klar, wenn man frisch verliebt ist, begehrt man sich hormonell bedingt mehr und desto schwieriger ist es, die Kontrolle nicht zu verlieren und wie ein ungehaltenes Tier über sein Objekt der Begierde herzufallen.

Aber meistern wir diese Hürde gemeinsam, wird das unsere Beziehung ungemein stärken. Davon bin ich überzeugt.

Trotzdem fühle ich mich schlecht, weil ich nicht will, dass Max sich meinetwegen quält.

Es ist bewundernswert, was für eine Selbstbeherrschung er mit seinen jungen Jahren besitzt.

Dennoch ist er ein Mann mit einem Trieb. Ohne diesen Trieb wären wir nicht in Kontakt miteinander gekommen. Auch wenn er es abstreiten würde … Bei unserer ersten Begegnung sprach er mich nur an, weil ihm die Frau mit den üppigen Brüsten den Verstand geraubt hatte.

Ewig kann ich ihn nicht hinhalten. Ich gehe zwar nicht davon aus, dass er mich verlassen würde, aber früher oder später würde er mich betrügen.

Und so weit darf ich es nicht kommen lassen! Es ist wirklich wichtig, dass ich meinen Scheiß auf die Reihe bekomme, damit ich mir mit dieser Beziehung nicht mein nächstes Grab schaufle, aus dem ich mit Sicherheit nicht wieder herausklettern würde …

»Ich geh dann mal.« Max versucht diese vier Worte geläufig klingen zu lassen, jedoch schwingt Frustration in ihnen mit.

Soll ich ihn gehen lassen? Ich will nichts überstürzen und muss in erster Linie an meine seelische Verfassung denken. Eine Panikattacke würde mich zurückwerfen und Max sagte selbst, dass er nicht weiß, ob er mir eine Hilfe sein würde.

»Ist gut. Sehen wir uns morgen?« Statt wie üblich mit »natürlich« zu antworten, überlegt er kurz.

»Ja, bestimmt. Ich schreibe dir nach der Arbeit …«

»Okay.« Er drückt mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund und schließt dann die Haustür hinter sich. Sofort hänge ich die Kette ins Schloß.

Seine ungewohnte Laune beschert mir Unsicherheit. Er will mir keinen Druck machen und ihm stehen Emotionen genauso zu wie mir, aber seine Enttäuschung löst erheblichen Druck in mir aus …

Sollte er dieses Verhalten häufiger an den Tag legen, muss ich überlegen, wie es mit uns weitergeht.

Meine Vernunft würde mir dazu raten, mich von ihm zu trennen, aber meine Angst vor dem Alleinsein hat da ein Wörtchen mitzureden. Und Angst ist die stärke Emotion. Sie siegt so gut wie immer. Das bedeutet, dass ich mich dazu hinleiten würde, mit Max zu schlafen, um ihn nicht zu verlieren, obwohl ich mich noch nicht bereit fühle.

In mir kommt der Zweifel auf, ob es das Richtige war, nach so kurzer Zeit eine Beziehung einzugehen … Irgendwie fühlt sich gerade alles kompliziert an. Meine Mutter würde mir jetzt sagen, dass ich es kompliziert mache.

Ich sollte ins Bett gehen, bevor meine Gedanken ein perfektes Chaos kreieren.

Max kommt nicht. Er ist zu müde. Ich würde mich selbst anlügen, wenn ich sage, dass es mich nicht verletzt.

Ich bin ein Gewohnheitsmensch. Ich gewöhne mich sehr schnell an Wiederholungen und brauche diese dann in meinem Alltag. Jetzt unterbricht er diese Wiederholung und ich kann es ihm nicht verübeln. Ich hätte auch keine Lust, jeden Tag nach der Arbeit zu meiner Freundin zu fahren, ihr Essen zu kochen, vielleicht mal ins Kino zu gehen und sonst gemeinsam auf der Couch zu gammeln, ohne dass es zu Sex kommt.

Und am Abend wird man wie ein Straßenköter auf die Straße gesetzt …

Nein, es wundert mich nicht, dass er Zeit für sich braucht. Vermutlich fragt er sich gerade, während er zu Hause auf seinem eigenen Sofa liegt, warum er sich auf eine so verkorkste Person wie mich eingelassen hat …

Eigentlich ebbt die Verliebtheitsphase nach drei Monaten ab. Aufgrund des fehlenden Geschlechtsverkehrs tritt sie vielleicht früher als normal ein. Also ist unsere Zeit bereits gezählt, obwohl wir gestern ein gutes Gespräch geführt haben, was Hoffnung auf eine gemeinsame, erfolgreiche Zukunft gemacht hat. Ich bin verwirrt. Irritiert.

Ich könnte Max schreiben und fragen, ob wir morgen etwas unternehmen wollen. Montag ist meist sein freier Tag, wenn er sonntags arbeiten muss. Aber diese Idee fühlt sich nicht gut an.

Meine Mutter um Rat zu fragen, steht für mich nicht mehr zur Option.

Möglicherweise hat Franziska spontan Zeit. Eine andere Person fällt mir nicht ein …

Hey Franziska,

ich weiß, das ist jetzt ein wirklich spontaner Vorschlag … Hast du zufällig heute Nachmittag Zeit für mich? Max, mein Freund, benimmt sich plötzlich komisch …

Nach dreißig Minuten piept mein Handy.

Hi Louisa!

Sicher! In einer Stunde im Sands am Dammtor?

Perfekt! Danke! Bis gleich!

In einer Stunde? Sie ist wirklich sehr spontan. Vielleicht liegt es daran, dass sie ursprünglich aus Berlin kommt … Zumindest scheint Franziska unkompliziert zu sein.

Ich mache mich zügig zurecht und rufe ein Taxi, um pünktlich zu sein. Okay, hauptsächlich aus paranoiden Gründen. Immerhin weiß ich nicht, wo Robin sich aufhält.

Die Wahrscheinlichkeit, ihm über den Weg zu laufen, ist höher, wenn ich mit Bus und Bahn unterwegs bin …

Obwohl mein Bauchgefühl mir sagt, dass er untergetaucht ist und keine Gefahr besteht. Möglicherweise hält er sich gar nicht mehr in Hamburg auf.

Ich habe etliche Tage damit verbracht, die letzte Begegnung zu verstehen. Bis ich zu dem Entschluss gekommen bin, dass mein Verstand diese Grenze nicht überschreiten kann.

Ich bin keine Profilerin, die sich in Psychopathen hineinversetzen kann und ebenso wenig bin ich eine Hellsichtige.

Darum habe ich aufgehört, verstehen zu wollen, warum Finn und Robin mir das angetan haben und wieso sie nach der letzten Quälerei einfach wort- und spurlos verschwunden sind.

Den ersten Samstag war ich kurz davor, zu Robins Wohnung zu fahren, doch ich entschied mich, mich in meinem Zuhause zu verbarrikadieren.

Ich wartete den ganzen Tag darauf, dass jemand klingelt und wütend gegen die Tür hämmert, weil ich nicht öffne. Aber nichts davon geschah. Auch die nächsten Samstage nicht.

Somit wusste ich, dass ich frei bin. Einfach so.

Robin veröffentlichte nicht mal die intimen Aufnahmen von mir. Mit klopfendem Herzen und Schweißperlen auf der Stirn durchforschte ich sämtliche Pornoplattformen. Ohne Erfolg.

Natürlich war ich erleichtert, trotzdem hätte mir ein anderes Ergebnis einen Anhaltspunkt geliefert, nachvollziehen zu können, was in Robins Kopf vor sich geht.

So schwamm ich weiterhin im dunklen Meer umher. Bevor ich drohte unterzugehen, begann ich mit der Verdrängungsarbeit.

Mir schlägt die Hitze entgegen, als ich aus dem klimatisierten Taxi aussteige. Im Gegensatz zu gestern ist es heute unangenehm warm. Die schwüle, drückende Luft lässt mich das kühle Taxi sofort vermissen.

Franziska ist noch nicht da. Ich warte vor dem sehr gut besuchten Sands. Drinnen bekommen wir bestimmt einen Platz, denn die Hamburger wollen bei so einem Wetter alle draußen sitzen …

»Wie zur Hölle hältst du es in einer Jeanshose und einem Langarmshirt aus?!«, werde ich von Franziska begrüßt, die ein luftiges weibliches Sommerkleid trägt.

»Ähm, das geht schon«, sage ich bloß. Sie umarmt mich und entschuldigt sich nicht für ihre Verspätung.

»Wir sollten drinnen nach einem Platz schauen. Draußen wird’s wohl nichts.« Ich deute auf die vielen Menschen, die an ihren bunten Cocktails schlürfen.

»Das war zu erwarten. Mein Freund und ich kommen gerne nach Feierabend hierher. Da ist es bei Traumwetter auch schon schwierig, draußen eine Sitzmöglichkeit zu ergattern. Heute ist Sonntag … Daran hatte ich nicht gedacht.«

»Ich würde mich sowieso wohler fühlen, wenn wir drin sitzen.«

»Ja, stimmt. Tut mir leid. Natürlich. Wir sind nicht zum Vergnügen hier. Nach dir.«

»So dramatisch ist es nicht«, versuche ich, die Situation zu entschärfen.

»Ich mache mir gleich selbst ein Bild, nachdem du mir dein Problem geschildert hast.« Ihr Lächeln ist charmant, aber auch ein bisschen einschüchternd.

In dem kleinen Lokal ist tatsächlich kaum etwas los, sodass wir einen schönen Platz am Fenster bekommen. Uns werden sofort die Cocktailkarten und ein Glas mit Erdnüssen gebracht.

»Brauchst du erst einen Schluck Alkohol oder möchtest du mir jetzt davon erzählen, wo der Schuh drückt?«, fragt Franziska mit einem neugierigen Blick, den sie mir über die Cocktailkarte hinweg zuwirft.

Da ich im Small Talk sowieso nicht gut bin, kommt es mir entgegen, dass sie die Unterhaltung direkt auf den Grund lenkt, warum wir hier sind.

»Ich weiß nicht so genau, wie ich anfangen soll …«

»Fang einfach an. Wenn ich etwas nicht nachvollziehen kann, hake ich nach.«

»Okay … Also mein Freund Max kommt normalerweise jeden Tag nach seiner Arbeit zu mir. Wir sind von unserem ersten Date an ein Paar und sehen uns täglich. Gestern hatten wir ein wirklich gutes Gespräch, dann kam von ihm plötzlich eine leicht verruchte Anspielung. Die mich auch ein wenig angemacht hat, wenn ich ehrlich bin. Trotzdem bin ich dem Gefühl nicht weiter nachgegangen und habe so getan, als wenn er das nicht gesagt hat.«

»Warte! Ihr hattet noch keinen Sex?!« Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es sie überrascht.

»Nein, ich kann nicht …«

»Ach, sorry! Ich habe gerade nicht daran gedacht … Na, du weißt schon.«

»Kein Thema.« Ich ringe mir ein Lächeln ab.

»Und weiter?«

»Er war danach komisch. Normalerweise ist er nicht enttäuscht, wenn mal eine zweideutige Bemerkung fällt oder ein Kuss etwas intensiver wird und dennoch nichts weiter passiert. Er ist nach Hause gefahren und hat ein schlechtes Gewissen in mir zurückgelassen. Tja und heute schreibt er mir dann, dass er zu müde ist und nicht zu mir kommt.«

»Vermutlich hat er die ganze Nacht masturbiert«, antwortet Franziska todernst. Woraufhin ich einen Lachflash bekomme.

Eine Bedienung, die unsere Bestellung aufnehmen will, unterbricht ihn zum Glück. Ansonsten hätte ich noch länger gebraucht, um mich wieder einzukriegen.

Franziska bestellt sich einen Mojito und ich einen klassischen Sex on the Beach.

»Was ist so lustig an meiner Vermutung? Ich finde sie ziemlich plausibel.«

»Das wäre durchaus eine gute Erklärung für eine klischeehafte Situation. Die Frau macht sich unnötig Gedanken und geht vom Schlimmsten aus, während der Mann sich bloß einen von der Palme wedeln musste.«

»Ja, aber meistens ist es doch genau so.«

»Also du meinst, ich mache mir unnötig Gedanken?«

»Ich kenn ihn nicht und dich noch viel zu wenig, um das wirklich bewerten zu können. Es ist wie gesagt nur eine Vermutung. Wenn ihr bisher keinen Sex hattet … Vielleicht hat seine eigene anrüchige Anmerkung ein heißes Kopfkino ausgelöst. Letztlich ist dein Freund ein Mann.«

»Hm … Ja, irgendwie klingt das wirklich logisch.«

»Aber dein Bauchgefühl ist mit der Erklärung nicht im Einklang?«, hakt Franziska nach. Ich nicke.

»Es ist etwas Unterschwelliges, was ich spüre. Eine Art negative Energie … Lässt sich schwer beschreiben.«

»Ich versteh schon. Trotzdem kann es auch sein, dass er einfach mal einen Tag für sich braucht, wenn ihr sonst jeden Tag aufeinander hockt. Und gerade, wenn seine Hormone verrückt spielen, hält er bestimmt lieber Abstand, um nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren und dein Vertrauen ihm gegenüber zu gefährden.«

Es ist merkwürdig, aber ich spüre eine Verbindung zu Franziska. Obwohl wir komplett unterschiedliche Typen sind, ist da etwas, was uns verbindet. Außerdem hat sie es geschafft, mich zu beruhigen. Das ungute Gefühl mit Max ist zwar nicht gänzlich fort, aber es ist nicht mehr so präsent.

»Ja, damit liegst du vermutlich richtig. Nur finde ich es schade, dass er schreibt, dass er müde ist, statt ehrlich zu sein.«

»Aber damit ist er doch nicht unehrlich. Sich im Detail erklären und rechtfertigen zu müssen, ist keine Männersache. Die Erwartung dürfen wir nicht an sie stellen. Egal, welche Erfahrungen wir in der Vergangenheit gemacht haben … Egal, ob es uns helfen würde … Irgendwo müssen wir lernen, uns selbst zu regulieren. Wir können das nicht auf unsere Männer schieben, das ist unsere Verantwortung.«

»Du hast jetzt schon einen besseren Job gemacht als die gute Sabine gestern.« Wir lächeln uns an und dieses erste fremde Gefühl der Unbekanntheit schwindet dahin und wird durch ein warmes, vertrautes ersetzt.

»Das freut mich! Dabei bin ich bloß Grafikerin …«

»Ich denke, die eigene Lebenserfahrung ist oft der beste Berater. Wenn ein studierter Psychotherapeut sein gesamtes Wissen aus Büchern hat und über ein sehr kleines Spektrum an Emotionen und Erfahrungen verfügt, wird er kaum in der Lage sein, Empathie aufzubringen und verschiedene Perspektiven einzunehmen. Eine rein objektiv, kühl betrachtete Perspektive mag in gewissen Momenten hilfreich sein, aber ich glaube, für die Heilung eines Menschen ist es notwendig, dass er sich verstanden fühlt und nicht als ein Objekt mit einem Problem angesehen wird.«

»Louisa, ich mag dich. Du wirst mir von Minute zu Minute sympathischer.«

»Nenn mich gerne Lou.«

»Dann nenn du mich Franzi.« Unsere Cocktails werden gebracht. Wir stoßen auf uns an und auf eine hoffentlich schöne, problemfreie Zukunft mit unseren Männern.

Da Franzi noch mit ihrem Freund verabredet ist, bleibt nur Zeit für einen Cocktail. Wir unterhalten uns über die gestrige Frauenrunde und vereinbaren einen Termin für nächsten Samstag, wenn ich an der Reihe bin, ihr als Alibi zu dienen.

Als ich im Taxi sitze, überkommt mich ein überschwängliches Gefühl der Freude. Mein Leben zeigt mir plötzlich positive Perspektiven auf. Franziska könnte wirklich zu einer Freundin werden. Alles könnte normal sein. Ich könnte weiterhin Bücher schreiben. Franzi, ihr Freund, Max und ich könnten gemeinsam verreisen und ganz gewöhnliche Dinge unternehmen, die normale Menschen halt so mit ihren Freunden machen.

Diese Vorstellung fühlt sich unbeschreiblich gut an. Aber im nächsten Augenblick überkommt mich eine Traurigkeit, weil Max gerade nicht daran teilhaben kann. Zu gerne würde ich meine Euphorie mit ihm teilen.

Die Enttäuschung, als ich zu Hause bin, auf mein Handy schaue und sehe, dass in der Zwischenzeit keine Nachricht von meinem Freund eingegangen ist, dämpft mein Hochgefühl zunehmend, sodass es kurz davor ist, sich in ein Tief zu verwandeln.

Ich fülle mir ein Glas Wein ein, setze mich aufs Sofa und schalte den Fernseher ein. Alle fünf Minuten werfe ich einen Blick auf mein Smartphone. Kurz hüpft mein Herz, als mein Handy blinkt und anzeigt, dass eine neue Nachricht eingegangen ist. Aber sie ist von Franzi, die mir schreibt, dass sie unser Gespräch wirklich genossen hat und sich schon auf Samstag freut.

Ich antworte ihr, dass es mir genauso geht und bedanke mich noch mal, dass sie sich Zeit für mich genommen hat.

Das Glas Wein ersetzt leider keine Franzi und auch keinen Max, aber es lindert dennoch den Schmerz der Einsamkeit.

Den restlichen Abend verbringe ich auf der Toilette.

Anscheinend habe ich die Erdnüsse, die es vorhin gratis in der Bar gab, nicht vertragen …

Ich muss bei dem Gedanken lachen, dass mein Abend zum Programm geworden ist. Ein Scheißabend im wahrsten Sinne des Wortes.

Ich erinnere mich an Franziskas Worte über Selbstregulierung. Davon bin ich weit entfernt. Ich brauche gerade nichts dringender als jemanden, der mich bemitleidet und in den Arm nimmt. Jemanden wie Max. Ich vermisse seine Trost spendende Körperwärme …

Mit Anusschmerzen, die mich leider triggern, liege ich wach in meinem Bett. Ich fürchte mich davor, einzuschlafen, weil diese unangenehme körperliche Erinnerung gewiss einen Albtraum auslösen wird. Lieber hänge ich müde in der Realität fest als schlafend in einer real anfühlenden Illusion, in der ich wünschte, endlich zu sterben, um nicht noch einmal die schrecklichen Dinge durchleben zu müssen.

Übermüdet komme ich auf die dumme Idee, die Kiste mit den Leserbriefen zu öffnen. Meine Hoffnung ist, dass mich der Inhalt der Briefe so sehr ärgert, dass Adrenalin durch meine Adern schießt, das mich wachhält.

Die ersten zehn Briefe fordern eine Fortsetzung; die Hälfte mit Happy End und die andere wünscht sich ein realistisches Ende. Mit realistisch ist hier aber eindeutig ein negatives Ende gemeint. Geschrieben von Pessimisten, die sich aber nicht eingestehen wollen, dass sie in negativen Ereignissen aufblühen. Für sie ist das Leben negativ und demnach kann ein realistisches Ende nicht gut ausgehen.

Ich suche weiter nach den Briefen, die sich über meinen Schreibstil auslassen und den Inhalt meines Buches kritisieren. Ohne Erfolg. Das Gegenteil ist der Fall.

Viele meiner Leser haben sich geöffnet und mir sehr ausführlich ihre furchtbaren Erfahrungen geschildert.

Es ist mir offensichtlich nicht gelungen, meine Geschichte fiktiv wirken zu lassen. Obwohl es keinen Hinweis darauf gibt, dass an meinem Buch irgendetwas wahr sein könnte, geht der Großteil davon aus, dass es so passiert sein muss.

Zwar bekundet mir niemand sein Mitgefühl, aber aufgrund der Tatsache, dass mir wirklich Intimes anvertraut wird, müssen meine Worte das Gefühl hinterlassen haben, dass Lady Reds Geschichte wahr ist.

Ich werde teilweise um Hilfe und Rat gebeten und einige wünschen sich einen zweiten Band, der erzählt, wie die junge Frau mit all diesen Erlebnissen umgeht, wie sie ihr Leben weiterlebt.

Wie soll ich diesen fremden Menschen helfen, wenn ich mir selbst nicht zu helfen weiß? Ich bin kein gutes Vorbild.

Für einen zweiten Teil fehlt mir die Erfahrung.

Zum aktuellen Zeitpunkt wäre das Buch nur ein paar Seiten lang. Allerdings könnte ich damit anfangen, eine Art Tagebuch zu führen … Die Idee einer Fortsetzung gefällt mir immer besser. Es wäre ein neues, spannendes Projekt, dessen Ende noch offen steht und ich wäre beschäftigt, was bedeutet, dass ich weniger Zeit habe, mir über gewisse Dinge den Kopf zu zerbrechen …

Ich schreibe meinem Verlag eine Mail mit der Frage, ob sie Interesse hätten, ein Nachfolgebuch zu veröffentlichen.

Dass sie mitten in der Nacht Mails ihrer Autoren erhalten, wird sie bestimmt nicht wundern.

Die besten Ideen kommen nachts, während der absoluten Stille. Der Großteil der Menschen schlummert, somit herrscht ein ruhigeres Frequenzfeld.

Am Tag, wenn wir alle unsere etlichen hektischen Gedanken denken, sind unsere Hirnwellen aktiver und dementsprechend »lauter«.

Finn brachte mich bei einer Unterhaltung auf das Thema Quantenphysik. Seit meiner zweiten Begegnung mit Max glaube ich umso mehr an Anziehungskraft.

Nur, weil man etwas nicht hören oder sehen kann, heißt es nicht, dass es nicht existiert …

Bekomme ich eine Zusage, werde ich mich diesem Projekt widmen. Mit der Zuversicht auf ein positives Ende und einer Entwicklung, die anderen Menschen bei der Verarbeitung ihrer Erlebnisse hilft.

Am nächsten Morgen durchfährt mich ein Zug der Enttäuschung, als ich auf mein Handy schaue und noch immer kein Lebenszeichen von Max empfangen habe.

Mich macht es wütend, dass er sich mir nicht mitteilt. Ich kann verstehen, wenn er Zeit für sich braucht. Aber warum zur Hölle teilt er es mir nicht mit?!

Stattdessen warte ich in Unwissenheit und habe mit meinem Kopfkino zu kämpfen. Das ist so eine Energieraubung!

Ich bin kurz davor ihm zu schreiben und zu fragen, was bei ihm los ist. Doch möchte ich nicht die bedürftige und kontrollsüchtige Freundin sein, die ihre Emotionen nicht selbst bewältigt bekommt. Obwohl er wissen sollte, dass es mir in meiner Position schwerfällt, das alleine hinzubekommen.

Aber ich kann nicht von ihm erwarten, in jeder Minute rücksichtsvoll und emphatisch zu agieren. Er ist auch nur ein Mensch, der einen Anspruch auf seinen Freiraum hat.

Ich bin stolz auf mich, es geschafft zu haben, Max keine emotional getriebene Nachricht zu schicken.

Gegen Abend schreibt er mir, dass es ihm leid tut, sich nicht gemeldet zu haben und er morgen nach der Arbeit zu mir kommt, um mit mir zu reden.

Über was, behält er natürlich für sich … Sodass ich die halbe Nacht mit Krämpfen, ausgelöst durch Verlustangst, wachliege.

Ein wenig enttäuscht mich sein Mangel an Empathie leider doch. Er scheint keine Vorstellung davon zu haben, was sein Verhalten mit mir macht.

Erfolglos versuche ich mir einzureden, dass es nichts mit uns zutun hat, über das er reden möchte.

Er wird mich nicht verlassen. Es ist alles gut. Immer wieder spiele ich diese Gedanken in meinem Kopf ab, aber das erleichternde Gefühl bleibt fern.

Die Angst beherrscht meine Gliedmaßen und meine Organe. Angestrengt bemühe ich mich, ruhig und gleichmäßig zu atmen, um mich zu entspannen. Atmung ist alles, habe ich mal in einem schlauen Ratgeber gelesen. Doch mein Herz pumpt immer noch viel zu schnell …

Irgendwann halte ich es in meinem Bett nicht mehr aus und wandere wie ein zitternder Zombie durch die Wohnung.

Mein Blick fällt wieder und wieder auf den Schrank unterhalb des Kühlschranks. Mein Weinlager.

Gegen 4 Uhr morgens reicht es mir. Ich hole ein Rotweinglas hervor und gieße mir einen großzügigen Schluck Merlot ein.

Und noch einen. Und noch einen. Dann spüre ich seine entspannende Wirkung und lege mich zurück ins Bett. Betrunken schlafe ich ein.

Den halben Tag bringe ich nichts zustande. Ich esse wenig, halte meinen Kreislauf mit Wassertrinken stabil. Ständig schaue ich auf die Uhr und warte auf das Klingeln an der Tür.

Ich habe es nicht mal geschafft, meine Mails zu checken.

Heute lässt er sich scheinbar besonders viel Zeit, denn normalerweise hätte er vor zehn Minuten hier sein müssen.

Nervlich bin ich am Ende. Wie soll ich gleich ein vernünftiges Gespräch mit ihm führen?

Wenn er mit mir Schluss macht, werde ich bestimmt ohnmächtig. Ich bin nicht stark genug, um eine Hiobsbotschaft zu verkraften. Ich zittere unaufhörlich, mir ist übel und ich schwitze. Als es endlich an der Tür klingelt, schlägt mir das Herz bis zum Hals.

»Hey! Du siehst erschöpft aus«, begrüßt er mich und gibt mir anstatt eines Kusses auf den Mund bloß links und rechts ein Küsschen auf die Wange.

»Ja, ich habe nicht gut geschlafen …«, sage ich kurz angebunden und mache ihm Platz. Er zieht sich die Schuhe aus, während ich mich aufs Sofa setze. Meine Beine sind so wacklig, dass es nur vernünftig ist, sich zu setzen. Als er sich zu mir gesellt, bewahrt Max Abstand.

Wir schweigen. Ich ergreife nicht die Initiative, denn immerhin will er mit mir reden. Obwohl es mir in den Fingern juckt, ihn anzumaulen und zu fragen, was dieser Scheiß soll und ob er sich dessen bewusst ist, was diese Ungewissheit und emotionale Angespanntheit mit mir macht.

Wahrscheinlich wird er mir gleich beichten, dass er sich zu viel zugetraut hat, als er sich auf mich eingelassen hat und jetzt bedauerlicherweise feststellen muss, dass er das mit uns nicht kann, ihm alles zu viel ist. Dass ich ihm zu viel bin … Und ich könnte ihm das nicht mal verübeln.

So sind Männer. Erst versprechen sie dir das Blaue vom Himmel, umhüllen dich mit Worten, die dich in Sicherheit wiegen und die Illusion erschaffen, dass alles super ist. Und von heute auf morgen ist alles anders und du kannst nicht nachvollziehen, warum. Sie reißen dir dein Sicherheitsnetz weg und im freien Fall fliegst du auf die Schnauze.

Entweder du bleibst liegen oder der nächste augenscheinliche Prinz reicht dir seine Hand, um dich hochzuziehen, aufzupäppeln und dich dann wieder von der Wolke 7 zu schubsen. Ein ewiger Kreislauf. Noch einen Verlust ertrage ich nicht. Ich werde liegen bleiben …

Verlegen schaue ich auf meine Oberschenkel; langsam wird die Stille unangenehm. Vielleicht sollte ich ihn hinausbegleiten, wenn er nichts zu sagen hat … Doch dann ergreift er endlich das Wort.

»Du willst vermutlich wissen, warum ich mit dir reden will …« Eine rhetorische Frage, auf die ich keine Lust habe, zu antworten. Daher nicke ich nur.

»Mir geht es nicht sonderlich gut. Mich überfordert das alles gerade ziemlich.« Ich presse meine Lippen aufeinander und balle meine Hände zu Fäusten. Meine Nägel bohren sich in meine Handflächen. Der körperliche Schmerz hilft mir, mich vom emotionalen Druck abzulenken. Gleich wird er die Worte sagen, vor denen ich mich so sehr fürchte … Aber er schweigt; wartet vermutlich eine Reaktion von mir ab.

»Was meinst du mit »das alles«?«, ringe ich mir ab.

»Die ganze Situation.«

»Das ist nicht konkret genug.« Noch immer schaue ich ihn nicht an und halte meinen Blick auf meine geballten Fäuste gerichtet. Das Brennen in den Handflächen wird stärker.

»Hey, sieh mich bitte an.« Er legt seine kalte Hand auf meine Faust. Langsam wende ich mich seinem Gesicht zu. Seine Stirn liegt in Falten. Seine Augenbrauen sind hochgezogen und gleichzeitig zusammengekniffen. Sein Mund verrät ebenfalls wie traurig und besorgt er sich gerade fühlt.

Hofft er, dass ich es ihm einfach mache? Klar, könnte ich das. Indem ich ihm Absolution erteile; ihm sage, dass ich ihn verstehe und er von heute an ein freier Mann ist. Wir umarmen uns, ich wünsche ihm ein schönes Leben und wir sehen uns nie wieder. Aber das Leben ist kein Ponyhof. Auch Max muss lernen, dass die eigenen Handlungen Konsequenzen nach sich ziehen.

Ich werde auf jeden Fall nicht versuchen, meine Emotionen zu verstecken, damit er weniger darunter leidet.

»Und jetzt?«, frage ich den Tränen nahe.

»Ich weiß es nicht …«

»Max, rede Klartext! Du weißt ganz genau, was dich belastet! Und wenn du es nicht aussprechen willst, geh bitte! Ich ertrage das hier nicht länger! Es zerreißt mich innerlich!«

Er nimmt mich in den Arm und mir laufen Tränen voller Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit die Wangen hinunter.

Doch seine Umarmung spendet mir keinen Trost. Ich muss wissen, woran ich bin. Alles andere zögert den Schmerz nur hinaus. Daher löse ich mich von ihm. Ich wische mir die Tränen aus dem Gesicht und atme einmal tief durch.

»Du wolltest mit mir reden. Also musst du mit diesem Gespräch ein Ziel verfolgen. Du gibst mir das Gefühl, mich mit einem Kleinkind zu unterhalten. Du wusstest von Anfang an, dass das mit mir nicht einfach sein wird …«

»Es tut mir so leid, Lou! Glaub mir bitte!«

»Davon habe ich nichts … Das macht die Situation nicht besser.«

»Ich weiß … Ich will trotzdem, dass du das weißt.«

»Schön«, sage ich trocken. Er spannt meine Geduld wirklich auf die Folter. Wieder schweigt er.

»Hast du jetzt noch etwas zu sagen?«, frage ich genervt. Er schaut Richtung Fenster. Vermutlich bereut er, hierher gekommen zu sein; sich überhaupt auf mich eingelassen zu haben …

»Ja, es ist mir einfach unangenehm, es laut auszusprechen. Weil ich weiß, dass mein Problem im Gegensatz zu deinem lächerlich ist. Und weil ich dich nicht unter Druck setzen will. Ich will es nicht und dennoch belastet mich diese Sache.«

Warum er immer noch in Rätseln spricht, erschließt sich mir nicht, weil es offensichtlich ist, worauf er hinauswill. Aber ich glaube, er hält mich absichtlich für dumm. Er will, dass ich diejenige bin, die es laut ausspricht. Um das Gespräch nicht unnötig in die Länge zu ziehen, tue ich ihm den Gefallen.

»Es geht um Sex.«

»Ja …«, gibt er kleinlaut zu. Eben forderte er noch, dass ich ihn ansehe und nun ist er derjenige, der den Blick gesenkt hält.

»Wünschst du dir einen Freipass von mir?«

»Ich habe keine Ahnung, ob das die Lösung ist. Aber ja, ich habe natürlich darüber nachgedacht …«

Ich habe auch darüber nachgedacht, aber es stellt für mich keine Option dar. Wenn ich damals bei Robin und Nina schon so gelitten habe, wie soll das dann erst bei Max sein …

»Das ist keine Lösung. Emotional ist das für mich nicht möglich. Ich würde das Gefühl bekommen, nicht gut genug zu sein und dir nicht das geben zu können, was du brauchst. Obwohl ich mich bereits so fühle … Aber es würde die Lage nicht besser machen.«

»Was schlägst du vor?«

»Wir haben nur die Möglichkeit, die Beziehung zu beenden oder einen Kompromiss zu finden, mit dem wir beide leben können.«

»Ersteres kommt für mich nicht in Frage.«

Ich bin erleichtert, das zu hören und entspanne mich sichtlich. Hoffnung flammt in mir auf, dass wir diese Hürde schaffen werden. Da fällt mir plötzlich ein möglicher Kompromiss ein.

»Wir haben keinen Sex miteinander, weil es dabei um meinen Körper geht. Ich habe Angst davor, was geschieht, wenn du mich berührst oder in mich eindringst. Das bedeutet aber nicht, dass ich dich nicht anfassen kann …«

»Worauf willst du hinaus?«

»Ich gebe, du empfängst …«

»Lou … Ich bin mir unsicher, ob ich das kann.«

»Ob du kannst oder ob es dir reicht? Bekommt da jemand den Mund nicht voll genug?« Ich lege meine Hand auf sein Knie und fahre mit ihr langsam seinen Oberschenkel hinauf. Max spannt sich schlagartig an.

Für mich ist es die perfekte Lösung. Außerdem habe ich seinen Schwanz noch nicht gesehen … Es ist nicht so, dass ich nie Anflüge der Lust verspüre. Meine Sexualität lebt, sie wird nur von den üblen Erfahrungen überschattet.

Die Vorstellung, seinen Schwanz gleich zu Gesicht zu bekommen und ihm einen zu blasen, erregt mich.

Als ich seinen Hosenknopf öffnen will, packt Max mein Handgelenk und hält mich davon ab.

»Ich will nicht, dass du dich dazu genötigt fühlst und ich will auch nicht, dass du von mir denkst, dass ich ein notgeiler Bock bin. Und ich weiß tatsächlich nicht, ob mir das reicht. Denn eigentlich möchte ich richtigen Sex mit dir. Ich will dich spüren, dir nah sein …«

»Jetzt bist du gerade derjenige, der dabei ist, die Stimmung zu zerstören.« Ich wende mich von seinem Schritt ab und lehne mich mit einem tiefen Seufzer gegen die Rücklehne des Sofas.

»Es ist ein Kompromiss, Max. Nicht die ideale Lösung.«

»Stimmt … ich erwarte zu viel. Darf ich dich denn gar nicht anfassen?«

»Du darfst mich jetzt küssen, während ich mit meiner Hand deinen Schwanz erkunde.«

Das muss ich ihm nicht zweimal sagen. Er greift mein Gesicht und drückt seine weichen, vollen Lippen auf meine. Ich klettere auf seinen Schoß, fummle seinen Hosenknopf auf und ziehe den Reißverschluss hinunter, während unsere Zungen innig miteinander rangeln. Max hilft mir dabei, sein bestes Stück zugänglich zu machen.

»Ich will dich ansehen.« Ich unterbreche unseren Kuss und werfe einen Blick auf seinen Schritt. Er steht bereits kerzengerade und nickt mir freundlich zu …

Mir läuft der Speichel im Mund zusammen; seine pralle Eichel sieht unfassbar lecker aus.

Behutsam schließe ich seinen heiß pochenden Stab in meiner Hand ein und gleite mit ihr langsam hoch und runter.

Ich ersticke Max’ Stöhnen mit einem weiteren leidenschaftlichen Zungenkuss.

Er zuckt in meiner Hand und unter meinen Bewegungen. Ich bin neugierig, wie er sich in mir anfühlen würde.

Doch bei dem Gedanken tauchen die Bilder, wie Robin mich das letzte Mal nahm, vor meinem inneren Auge auf. Ich lag da wie eine gefesselte Gummipuppe … allem ausgeliefert; und das die ganze Nacht. Finn und er wechselten sich ab. Einer fickte mich, während ich den anderen hart blasen musste.

Die Belohnung – so nannten sie es – für meine Dienste war eine Doppelpenetration. Danach haben sie mich wie eine abgenutzte, unbrauchbare Taschenmuschi liegen lassen und sind gegangen. Und das für immer.

Ich schüttle die Erinnerung ab und konzentriere mich auf Max’ Lust.

»Zieh bitte dein Shirt aus.«

»Für dich würde ich gerade alles tun! Wenn sich deine Hand schon so gut anfühlt …«

»Dann warte mal ab, wie sich meine Lippen um deinen Schwanz anfühlen werden«, sage ich und schaue ihm dabei tief in die Augen; sie werden glasig und sein Penis in meiner Hand noch härter.

Als Max sein Shirt auf den Boden wirft, wird mir schlagartig so heiß, dass ich mein Oberteil ebenfalls ausziehe.

»Mund zu, sonst läuft dir noch der Sabber aus dem Mund.«

»Du weißt, dass ich genau von diesem Anblick über ein Jahr lang geträumt habe …«, sagt er heiser.

»Möchtest du den geheimnisvollen Anblick noch eine Weile genießen oder soll ich meinen BH öffnen?«

Max’ trainierter Körper ist perfekt! Er sieht wie der jüngere Bruder von Channing Tatum aus. Ich habe ein wenig Sorge, dass ihm meine nackte Erscheinung nicht so sehr gefallen wird, wie er mir gefällt. Im BH sehen meine großen Brüste straffer aus als ohne Stütze …

»Behalte ihn an. Ich will deine Brüste erst sehen, wenn du bereit dafür bist, dass ich sie berühre.«

»Ich denke, es wird nicht mehr lange dauern. Denn ich will dich auch berühren … Aber erst, wenn du es auch darfst.«

Begierig starre ich auf seinen Oberkörper.

»In Ordnung. Gefällt dir denn, was du siehst?«

»Ja und wie!«, endet mein Ausruf beinahe in einem Stöhnen.

»Das freut mich.«

»Komm schon, du weißt, dass du verdammt gut aussiehst. Und dann hast du nicht mal einen unterdurchschnittlich kleinen Schwanz … Gott hat es gut mit dir gemeint.«

»Ja, vor allem, als er mir eine Göttin ins Spa geschickt hat und das zweimal!«

»Deine Fähigkeit, einer Frau Komplimente zu machen, hast du in dem Jahr auf jeden Fall nicht ausgebaut«, lache ich und fühle mich trotz des übertriebenen Vergleichs geschmeichelt. Eine Göttin bin ich gewiss nicht.

»Pah! Ich sage nur, wie es ist. Für mich bist du eine Göttin. Punkt. Da lasse ich nicht mit mir diskutieren.«

Er ist wirklich süß. So süß, dass ich jetzt unbedingt wissen muss, ob er auch genauso schmeckt. Ich rutsche vom Sofa und knie mich zwischen seine Beine.

»Was hast du vor? Meintest du das eben wirklich ernst?«, fragt er überrascht.

»Ja … ich werde dir jetzt deine Lust aus dem Schwanz saugen.«

Er leistet keinen Widerstand, gibt sich meinen Lippen vollkommen hin.

Als meine Zungenspitze seine glatte Eichel zum ersten Mal berührt, wirft er den Kopf in den Nacken.

Meine dicken Lippen umschließen seine Härte, entlocken Max ein lautes, kehliges Stöhnen.

»Oh, Gott, Lou, ich … ich glaube, es wird nicht lange dauern, bis …« Bis ich dir deinen Verstand ausgesaugt habe, beende ich gedanklich den Satz.

Es dauert tatsächlich nicht lange. Ich nehme ihn tiefer in mir auf, sauge und umfahre seinen Schaft mit meiner Zunge, da spüre ich, wie er pumpt und pumpt und eine große Ladung Sperma in meinem Hals landet.

»Shit! Das war heftig!« Ich lecke mir über die Lippen und grinse ihn zufrieden an. Den ersten Schritt habe ich gemeistert.

»Komm her zu mir. Ich will dich in den Arm nehmen und als Ausgleich darfst du meine Brust schon jetzt mit deinen kleinen Händen erkunden.« Er breitet seine großen Arme aus, in die ich mich wie ein Kaninchen hineinlege. Seine Brust ist so kräftig. Immer wieder fahre ich mit meinen Fingern über sie und fühle mich dabei sicher und geborgen. Seine Haut ist spiegelglatt. Aber es kümmert mich nicht. Brustbehaarung passt nicht zu ihm. Max ist perfekt so, wie er ist.

Wir liegen noch eine Weile auf dem Sofa und genießen die gegenseitige Körperwärme, bis Max hungrig wird und uns eine leckere Gemüsesuppe kocht.

Beim Essen erzähle ich ihm von meinem Plan, ein zweites Buch zu schreiben. Lasse aber das Detail weg, dass es sich dabei um einen autobiografischen Folgeroman handeln soll …

Er freut sich, dass ich wieder schreiben möchte und drückt mir die Daumen, dass der Verlag der Idee zustimmt.

Ich bin dankbar für die entspannte Atmosphäre, die zwischen uns herrscht und erleichtert, dass wir eine Übergangslösung gefunden haben. Auf Dauer wird es definitiv nicht funktionieren.

Ich habe meine Pussy deutlich gespürt. Sie will mehr. Und wenn sie mehr will, bekommt sie das in der Regel auch.

Ich werde die Kontrolle verlieren, wenn ich Max von nun an regelmäßig den Schwanz lutsche. Das steht außer Frage.

Und was dann passiert … Ich habe keine Ahnung. Vielleicht sollte ich einfach ins kalte Wasser springen, mein Bauchgefühl rät mir jedoch davon ab.

Vielleicht hat Franzi einen Rat. Ich werde sie am Samstag fragen. Immerhin scheint sie problemlos Sex mit ihrem Freund zu haben. Möglicherweise macht mir ihre Erfahrung Mut.

BAD PLEASURE

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