Читать книгу Happy day - Katie Volckx - Страница 8
08 Uhr 18
ОглавлениеMit quietschenden Reifen fuhr Joana in ihrer kleinen grünen Blechbüchse vor ihrer Arbeitsstätte vor. Sie hatte sich um achtzehn Minuten verspätet.
Atemlos stürzte Joana auf die sich schließenden Aufzugtüren zu und rief laut: »Haaalt!« Seitwärts, mit eingezogenem Bauch und erhobenen Händen, konnte sie sich gerade noch durch den schmalen Spalt knautschen, jedoch hatten ihre Brüste, die größenmäßig für gewöhnlich nicht besonders in Erscheinung traten, eine der Türen gestreift und dafür gesorgt, dass diese sich automatisch wieder öffneten. Sie packte der Schreck, was zur Folge hatte, dass sie mit einem ihrer tiefschwarzen schlichten Pumps verkehrt auftrat, mit dem hohen Absatz in der Türschwelle hängen blieb und mit dem Rücken voran in die Kabine stolperte.
Sie musste wirklich einen unvergesslich ulkigen Anblick geboten haben. Glücklicherweise gab es nicht viele Zuschauer, denen sie hätte Vergnügen bereiten können. Um genau zu sein, war außer ihr nur ein einziger Fahrgast anwesend, der ihrer Aufmerksamkeit vorläufig entging.
Langsam schlossen sich die Türen wieder, dieses Mal ohne erwähnenswerte Zwischenfälle, während sie ihre weiße Bluse und den schwarzen Rock glattstrich und den Kragen ihres Blazers wieder zurecht zog. Dabei betrachtete sie sich im matten Stahl einer Tür, die ihre Gestalt immerhin in groben Zügen widerspiegelte. Besser als nichts, dachte sie.
Erst hierbei wurde ihr wieder schlagartig bewusst, dass sie nicht allein war. Die Silhouette des zweiten Fahrgastes zeichnete sich ebenfalls undeutlich ab. Über ihre rechte Schulter warf sie einen Blick hinter sich auf die Person. Doch als sie erkannte, mit wem sie in den achten Stock unterwegs war, wandte sie den Blick rasch wieder nach vorn. Mit großen Kuhaugen starrte sie ihr verwaschenes Spiegelbild an, während ihr das Herz vor Aufregung bis zum Hals schlug. Andererseits warf es nicht gerade das beste Licht auf sie, wenn sie nun keinen Piep von sich gäbe. Ein anständiger Gruß müsste schon drin sein.
»Guten Morgen, Milan.« Sie presste die Worte unter Anspannung heraus.
»Morgen«, brummelte er hervor und machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Gott sei Dank hatte Joana am Hinterkopf keine Augen, sie hätte es sich gewiss zu Herzen genommen.
Er schwieg, sie schwieg. Alles war wie immer.
Um ihre unbequeme Lage zu überspielen, fixierte sie die rote Etagenzahl, die gerade auf drei sprang, und pfiff leise vor sich hin.
Das Verhältnis zwischen Joana und Milan war eines der besonderen Art. Sie begegneten sich mit Vorsicht. Sobald sie sich in einem Raum aufhielten, herrschte eine frostige Atmosphäre. Jedoch ging es nicht von Joana aus. Sie war sich im Klaren darüber, dass Milan die Fäden ihrer Beziehung in der Hand hielt. Solange ordnete sie sich ihm unter und himmelte ihn aus der Entfernung an.
Ob er von ihrer heimlichen Zuneigung zu ihm Kenntnis hatte, wusste sie nicht. Die Möglichkeit bestand sehr wohl, wenn sie die Tatsache berücksichtigte, dass sie sich in seiner Gegenwart regelmäßig wie ein Trampel aufführte. Allein seine Anwesenheit machte sie dumm wie Bohnenstroh und trieb ihr die Schamesröte ins Gesicht.
Normalerweise war Joana überall gern gesehen und Männerherzen flogen ihr nur so zu. Sie war umgänglich, verträglich, schlichtweg eine Seele von Mensch. Was ihm an ihr nicht behagte, konnte sie nicht annähernd ausmachen. In seiner Gegenwart löste sich ihr Selbstwertgefühl in Wohlgefallen auf. Nichts von dem, was sie war, blieb übrig. Alles, was sie bei ihm war, war ein kleines Häufchen Elend.
Und doch hatte Amors Pfeil sie mitten ins Herz getroffen. Da war zum einen seine atemberaubende äußere Erscheinung, ein Bild von einem Mann: ein Meter neunzig groß, durchtrainiert bis in den kleinen Zeh und strotzte vor Gesundheit. Obwohl sie gertenschlank war und es für sie auch sonst keinen großen Anlass zur Beschwerde gab, fühlte sie sich neben ihm hässlich wie die Nacht. Außerdem trug er Glatze – offensichtlich aus modischen Gründen, denn diese war mit Stoppeln gesprenkelt, dicht und schwarz, und er hatte einen sehr eigentümlichen, hypnotischen Duft an sich, dezent, unaufdringlich, wie frisch aus dem Meer.
Zum anderen konnte er auch mit inneren Werten aufwarten: Intelligenz, Disziplin, Ehrgeiz und Etikette. Darüber hinaus besaß er hochinteressante Hobbys wie surfen, kochen und Klavierspielen. Einzig seine Vorbehalte gegen sie waren ein Defizit, doch noch lange kein Grund für sie, feindselige Gefühle gegen ihn zu hegen. Es machte ihn nur umso geheimnisvoller für sie.
Für Joana gab es zwei Arten von Schweigen: das wohltuende, sich blind verstehende Schweigen und das unbequeme, feindselige Schweigen. Es war Zweites, das sie im Augenblick mürbemachte. Um diesen Missstand abzustellen, musste sie sich etwas einfallen lassen.
Doch ehe es dazu kommen konnte, blieb der Aufzug plötzlich und mit einem großen Ruck zwischen dem sechsten und siebenten Stock stecken.
Automatisch krallte Joana sich am Handlauf fest, erinnerte sich erst jetzt wieder daran, dass der Aufzug laut Edwards Aussage noch vor einer Dreiviertelstunde defekt gewesen war. Der Gedanke daran, dass sie also gerade in einem defekten Aufzug stand, schüttelte sie von Kopf bis Fuß durch.
Was, wenn es das jetzt gewesen war? Was, wenn sie hier und heute sterben müsste? Hätte Edward sie gewissermaßen auf dem Gewissen? Immerhin wollte sie heute gar nicht hier sein! Ihr Leben spielte sich vor ihren Augen ab, während Milan die Ruhe weg hatte.
Nur eine Hand hatte er an den Handlauf der gegenüberliegenden Kabinenwand gelegt, die andere hielt noch immer die lederne Aktentasche.
Mit einem Mal sackte der Aufzug ein Stück ab.
Joana schrie aus Leibeskräften. Noch nie hatte sie so laut geschrien. Sie hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass ihre sonst so samtweiche, warme Stimme dazu imstande war. Allerdings hatte sie bisher auch noch nie um ihr Leben bangen müssen.
Milan hielt sich die Ohren zu. In der kleinen Kabine drohte ihm sonst das Trommelfell zu platzen. »Der Aufzug kann nicht abstürzen«, rief er.
»Und woher willst du das so genau wissen, du Experte?«
Immerhin hatte sie das Schreien eingestellt. Vielmehr war sie nun eingehend damit beschäftigt, zu hyperventilieren. Sie presste den Rücken und ihre Hände gegen die Stahlwand, suchte x-beinig gegen ihre schlotternden Knie anzukommen und hechelte wie eine in den Wehen liegende Frau gegen ihre Panik.
»Weil der Aufzug nicht nur an einem Seil, sondern an mehreren hängt und jedes einzelne der Seile nach europäischen Aufzugsrichtlinien das Zwölffache des erlaubten Gewichts des Aufzuges halten können muss. Und im äußerst unwahrscheinlichen Fall der Fälle gibt es eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme: den Geschwindigkeitsbegrenzer, der automatisch eine Fangvorrichtung auslöst, sobald die erlaubte Höchstgeschwindigkeit überschritten wird. Dann wird der Aufzug via Bremsbacken an den Führungsschienen verkeilt und es kommt zum Stillstand.«
Sie konnte sich noch darüber wundern, woher er dieses Wissen schöpfte, als sie bewusstlos zusammensank.
Er stöhnte: »Auch das noch!« Seelenruhig trat er an sie heran, nahm sie von oben herab in Augenschein und schüttelte entgeistert den Kopf. »Weiber!« Erst dann ging er in die Knie, brachte Joana in die stabile Seitenlage und tätschelte kräftig ihre Wange. »Komm schon, du Kuh.«
Langsam kam sie wieder zu sich. Die Kuh hatte sie vernehmen können, ließ sich jedoch nichts anmerken. Dennoch war sie zutiefst verletzt und wünschte nun, es wäre nicht er, mit dem sie im Aufzug festsaß.
Sie wand sich, versuchte, sich aufzurichten, kam jedoch nur in die Sitzposition. »Lass gut sein«, schlug sie seine Hilfe, die er ihr unter Einsatz seiner darreichenden Hände entgegenbringen wollte, trotzig aus und lehnte sich an die Wand, um sich zu stützen.
»Sei nicht so undankbar.« Mit verschränkten Armen nahm er wieder den Platz in der Ecke ein, in die er sich schon zuvor mit dem Rücken gedrückt hatte, als ob sie die Pest am Leib hätte.
»Nicht dass du meinst, ich würde wegen jeder Kleinigkeit in Ohnmacht fallen«, rechtfertigte sie sich, »ich stehe lediglich vor meinen Tagen.«
Aus dem Augenwinkel warf er ihr einen höhnischen Blick zu und zog eine Augenbraue hoch. »Aha!«, zeigte er sich desinteressiert.
»Ich wollte heute gar nicht auf der Arbeit erscheinen, aber Edward hat mir die Pistole auf die Brust gesetzt. Nicht zu fassen, was?«
Milan verlagerte sein Gewicht von einem Bein auf das andere. »Eine Zumutung!«, zog er sie ins Lächerliche.
Doch sie ließ sich nicht beirren. »Jetzt sieht er, was er davon hat: ich bleibe in einem Aufzug stecken und erleide noch dazu einen Schwächeanfall. Na besten Dank auch!«
»Quasi doppelt außer Gefecht gesetzt.« Er lachte diabolisch, beinahe wie ein echter Schurke.
»Das wird er mir büßen, der fette Kackstiefel.«
Ein wenig überrascht über ihre Ausdrucksweise richtete Milan seinen Blick nun ganz auf sie. »Das sind ja ganz neue Töne!«
Sie schaute zu ihm auf und zog die Stirn kraus. »Was ich denke und was über meine Lippen kommt sind zwei Paar Schuhe. Oder willst du mir allen Ernstes weismachen, dass du unseren Chef gut ausstehen kannst?«
Er schwieg still. Fürchtete er sich vor einem Lauschangriff?
Auch Joana war wie wachgerüttelt. Auf einmal hatten die beiden mehr Worte aneinander vergeudet als die ganzen letzten zwei Jahre, in denen sie sich kannten. Was ein Vorfall wie dieser doch bewirken konnte.
Zwar waren sie gezwungen, miteinander zurechtzukommen, da sie Seite an Seite für Edward arbeiteten, dennoch gab sich vor allem Joana in seiner Gegenwart einsilbig und selbstunsicher.
Milan war Architekt und hauptsächlich als Sachverständiger für Schäden an Gebäuden und für Wärme- und Schallschutz unterwegs. Joana war Bauzeichnerin, die maßstabgerechte Bau-, Schal- und Bewehrungspläne nach den Vorgaben der Architekten des Büros erstellte.
»Gib es schon zu, du bist ihm nicht so sehr gewogen wie du ihm vorgaukelst.«
»Ich manipuliere ihn allerdings nicht so wie ...«
»So wie? Ich?«
Er hielt an sich, senkte den Blick kurz auf den Boden vor ihren Pumps, dann blickte er ihr wieder in die Augen. »Was ist das zwischen dir und dem Zupke?«, fragte er dann in gedämpftem Ton genauer nach.
Zunächst einmal ermahnte sie ihn, von der gewagten Annahme abzulassen, dass denn überhaupt etwas zwischen ihr und dem Chef wäre. Allein schon dass Milan das für möglich hielt, ließ sie erschaudern. Es war ja nicht nur sein unansehnliches Erscheinungsbild und sein ausschweifender Lebensstil, noch dazu hatte er dreiundzwanzig Jahre mehr auf dem Buckel als sie.
Ihre Ansprüche an die Männer hatte sie längst heruntergeschraubt, waren inzwischen nicht mehr die größten. Sie machte sich eben ungern etwas vor und erwartete nicht das Unmögliche, doch ein wenig mehr Sinn für Stil hätte Milan ihr wohl zutrauen können.
Dann zeichnete sich etwas Unglaubliches ab: Milan ließ sich auf Joana ein, ließ sich ebenfalls auf dem Boden nieder und hörte ihr aufmerksam zu.
»Stimmt, ich erleichtere mir die Arbeit und ja, dafür setze ich auch schon mal meinen weiblichen Charme ein, aber ich bin noch lange kein Flittchen.«
»Wieso tut ihr Frauen das immer? Ihr denkt, ihr klimpert einfach ein bisschen mit den Wimpern und dann liegt euch jeder Mann zu Füßen.«
»Weißt du, das Problem ist doch, dass Frauen es nicht immer leicht im Beruf haben. Vielleicht wissen wir uns nicht anders durchzusetzen?«
»Nicht alle Männer spricht so ein Verhalten an.«
»Zum Beispiel dich nicht, richtig?«
»Richtig.«
Daraufhin kehrte wieder Stille ein. Offensichtlich war Milan nicht zum Sprechen aufgelegt. So begann die lange Zeit des Wartens. Dabei gehörte Geduld nicht gerade zu Joanas Stärken. In Milans Gegenwart könnte das allerdings anders sein.
Bemerkung am Rande
Sie erinnerte sich an das Vorstellungsgespräch bei Edward. Schon beim Eintreten in sein Büro war ihre Freude gedämpft worden. Sein gieriger und schmieriger Blick war über ihren Körper gewandert, hatte sie praktisch ausgezogen, so, als wäre sie eine Liebesdienerin, die rein zu seinem Vergnügen zu ihm gekommen war. Dabei war kein einziges Kleidungsstück darauf aus gewesen, ihre weiblichen Reize zur Geltung bringen zu wollen. Schließlich hatte sie sich als Bauzeichnerin in einem renommierten Architektenbüro beworben, nicht als Pole-Tänzerin in einem Nachtclub. Wie hatte sie sich auch nur einbilden können, dass Seriosität und fachliches Know-how in diesem Unternehmen höchste Priorität hatten?
»Nettes Outfit«, hatte er zu verstehen gegeben, dass es ihn an den Schulmädchen-Look erinnerte. Statt einen kurzen Rock hatte sie jedoch eine lange Hose getragen.
Äußerlich hatte sie gefasst reagiert, hatte nicht erkennen lassen, wie abscheulich sie sein Benehmen fand. Liebend gern hätte sie seine Hand mit dicken Wurstfingern, die er ihr zum Gruß entgegengestreckt hatte, weggeschlagen, als die ihre dort hineinzustecken.
Bei der Erinnerung schauderte sie.
Doch das Vorstellungsgespräch hatte sie schadlos überstanden. Es hatte sie nicht gewundert, dass sie auf Anhieb eine Zusage bekommen hatte. Sie hatte sich nicht einmal anständig darüber freuen können – das hatte dann eben Greta, die sie dorthin begleitet und im Auto auf dem Beifahrersitz auf sie gewartet hatte, in Form von Freudenschreien für sie übernommen.
Joana war sich nach wie vor im Klaren darüber, dass sie keine Wahl gehabt hatte und dass sie auf diesen Job angewiesen war. Angebote lagen ihr nicht gerade zu Füßen. Trotzdem hatte sie mit sich gehadert. Sie hatte so hart für das, was sie bis hierher erreicht hatte, gearbeitet und es waren reichlich Blut, Schweiß und Tränen geflossen, weshalb sie in dem naiven Glauben war, sie hätte etwas Achtung und Respekt verdient.
»Wenn ich bei Edward Zupke anfange, ist es dann nicht quasi eine Art Verrat an mich selbst?«, hatte sie ihre Zweifel gegenüber Greta unverhohlen geäußert, sobald sie im Auto gesessen hatte.
Doch die hatte das nicht bejahen können, hatte ihr mehr noch nahegelegt, das Gute aus Edwards Schwäche für sich zu ziehen, statt sich von ihm in die Enge treiben zu lassen. »Seh es als Spiel. Männer mögen so etwas.«
Aus unerfindlichen Gründen hatten diese stupiden Worte Anklang bei ihr gefunden, woraufhin sie sich über Nacht für die Stelle entschieden hatte.
Außerdem war sie beim Verlassen von Edwards Büro einem jungen Mann förmlich in die Arme gefallen, der ihr auf den ersten Blick sympathisch gewesen war und sich später als Milan herausgestellt hatte. Joana hatte sich gerade frisch von Adrian getrennt gehabt und war sehr empfänglich für gutaussehende, stattliche Männer, die ihre Wunden heilen würden.
In der Zwischenzeit hatte sie sich mit Edwards anmaßendes Verhalten angefreundet. Vielleicht deshalb, weil sie dafür belohnt wurde oder er gar nicht so grässlich war, wie sie es sich zuvor ausgemalt hatte, vielleicht aber auch deshalb, weil alles im Leben an einem gewissen Punkt in Gewohnheit überging.