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Annabelle
ОглавлениеEndlich Freitagnacht! Ich hatte das Gefühl, ewig darauf warten zu müssen nach dieser endlos harten Woche. Nicht nur dass im Labor nichts, aber auch wirklich gar nichts so klappen wollte wie es sollte, auch die Abgabe der beiden Hausarbeiten für Biomedizin und Biochemie zerrte unglaublich an meinen Nerven in den letzten Tagen. Ich dachte schon, ich würde es niemals schaffen sie fertigzustellen. Zumindest nicht so, dass ich zufrieden damit war.
Jetzt aber schien bis Montag erst einmal alles vorbei und vergessen. Keine Hausarbeiten, kein Labor, keine Seminare und damit auch endlich keine schlaflosen Nächte mehr. Heute Abend wollte ich einfach nur Spaß haben, feiern und am nächsten Morgen ausschlafen. Genau das, was auch meine Mitbewohnerin Hayden, die mit mir zusammen molekulare Biomedizin studierte, für heute Nacht geplant hatte.
Zusammen mit zwei weiteren Freundinnen gingen wir in einen neuen, angesagten Club in der Nähe des Campus. Kein Wunder also, dass es hier nur so von Studenten wimmelte, als wir endlich am Türsteher vorbei ins Innere huschten, aus dem es bereits ohrenbetäubend laut nach elektrischen Klängen hallte. Eigentlich nicht unbedingt meine Musik, doch zum Spaß haben und einen Abend lang loslassen reichte es vermutlich.
»Gefällt mir hier«, schrie Vicky über die Housemusik hinweg zu Hayden und mir hinüber, nachdem sie einige nicht ganz unansehnliche Kerle an der Bar entdeckte. Mir war das egal. Männer waren nicht gerade das, was ich zurzeit gebrauchen konnte. Ich war weder auf der Suche nach ihnen, noch hatte ich nach Jonah tatsächlich einen anderen gehabt. Wozu auch? Ich hatte alles, was ich wollte. Ich studierte in Harvard und tat genau das, was ich liebte. Auch wenn es manchmal echt hart und anstrengend war, ich würde es dennoch gegen nichts auf der Welt eintauschen wollen. Nichts außer meinen Bruder…
Ben fehlte mir nach wie vor. Jeden verdammten Tag! Und ich wünschte mir, er würde all das mit mir gemeinsam erleben können. Ich wünschte, er könnte sehen, was aus mir geworden ist und dass ich es schaffte meinen Traum zu leben. Es würde ihn glücklich machen, dessen war ich mir sicher. Doch vielleicht schaute er mir tatsächlich aus den Sternen zu, so wie Jonah immer sagte? Zumindest tröstete mich dieser Gedanke ein wenig.
»Hör auf so ein Gesicht zu machen, Parker! Wir sind hier, um Spaß zu haben und zu trinken, also runter mit dem Zeug. Du hängst schon zwei Drinks hinterher.« Grinsend drückte Hayden mir einen hochprozentigen Shot in die Hand und wartete darauf, dass ich ihn in einem Zug herunterstürzte. Ich tat es ohne Widerspruch. Denn sie hatte absolut Recht, wir waren hier, um den Alltag hinter uns zu lassen und Spaß zu haben. Erinnerungen an Ben oder jemand anderen waren also absolut fehl am Platz und mussten auf der Stelle aufhören.
Mit noch leicht verzogenem Gesicht vom letzten Shot griff ich entschlossen zum nächsten, der, wie noch vier weitere, auf einem großen Tablett an unserem Stehtisch stand. Tief holte ich Luft und kippte auch ihn weg als wäre es nur Wasser.
Dieses Ritual wiederholten die Mädels und ich… weiß Gott wie oft. Denn nach nicht einmal zwei Stunden wusste ich schon gar nicht mehr, wie die Drinks überhaupt immer wieder an unseren Tisch kamen, geschweige denn, wer sie bezahlte. Dennoch war ich nicht betrunken – noch nicht zumindest. Jedoch bereits auf einem gewissen Level, bei dem ich mich nicht mehr mit diesen dämlichen, hohen Schuhen auf die Tanzfläche traute.
Ich wusste wie viel ich vertrug und deswegen stieg ich bereits bei der letzten Runde lieber brav auf Wasser um, bevor mich noch eine meiner Freundinnen an irgendeinen dubiosen Typen von der Bar verkauften.
»Heilige Scheiße, Mädels, seht euch mal den an!«, stieß Hayden plötzlich leicht lallend aus, als ich gerade zum gefühlt hundertsten Mal auf mein Handy starrte und Jonahs eingehenden Nachrichten ungelesen löschte. Ich wollte nicht an ihn denken. Und erst recht wollte ich nicht wissen, warum er mich seit Stunden wie ein Irrer volltextete.
»Liegt das an mir oder sieht der Typ ihm wirklich zum Verwechseln ähnlich?«, hörte ich Gabrielle fragen und wurde neugierig.
»Wer sieht wem ähnlich?«, fragte ich verwirrt, da ich während des Löschens von Jonahs Nachrichten kaum zugehört hatte, worüber sich meine Freundinnen unterhielten.
»Der sieht doch aus wie Jonah Reeves!«, kreischte Vicky auf einmal zu uns herüber und ich zuckte augenblicklich zusammen. Hatte ich mich verhört? Vermutlich! Schließlich hatte ich eben noch an ihn gedacht, da war das sicher nur Einbildung. Dennoch schaute ich verunsichert auf, folgte den Blicken meiner Freundinnen und erstarrte vor Schreck zur Salzsäule, als ich in Richtung der Menschentraube sah, die sich wie das Meer vor Moses Füßen plötzlich zu teilen begann, aus dessen Mitte tatsächlich ein zufrieden grinsender Rockstar geradewegs auf mich zulief.
Was zum – ?
»Ladies.« Jonah zwinkerte meinen Freundinnen kess zu, als er direkt vor mir stehen blieb und mich anschließend von oben bis unten ausgiebig musterte.
»Jonah?!«, quetschte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und starrte ihn finster nieder. Was zum Teufel machte er hier? Ich hatte ihn nicht um einen Besuch gebeten! Schon gar nicht an diesem Wochenende.
»Annabelle.« Jonah lächelte ein Siegerlächeln, das mich skeptisch die Stirn runzeln ließ. Dieser Kerl hatte doch wieder einmal etwas vor, ich konnte den Braten längst riechen. Die Frage war nur, was heckte er diesmal aus?
Nach Luft schnappend hörte ich meine Freundinnen neben mir laut tuscheln, bis mich eine von ihnen vor Unglauben kopfschüttelnd anschaute. »Wartet mal! Ihr kennt euch?«
Jonah lachte belustigt auf. »Oh, und ob wir uns kennen! Annie und ich kennen uns seit unserer Kindheit sogar, nicht wahr, Sommersprosse?«
Entschuldigend verzog ich das Gesicht und widerstand dem Drang die Augen zu verdrehen, als Hayden und Vicky der Mund gleichzeitig aufklappte und sie Jonah anstarrten, als wäre er vom anderen Planeten. War er vermutlich auch, so verdammt gut, wie er heute wieder einmal aussah!
»Scheiße Annie, wie konntest du uns all die Jahre verschweigen, dass du den verdammten Jonah Reeves kennst?«, quietschte Gabrielle mit deutlich zu hoher Stimme, als es vermutlich gesund für sie war.
Ihre Frage ignorierend blickte ich zu dem Blödmann vor mir und schnaubte. »Was zum Teufel machst du hier und wie hast du mich überhaupt gefunden?«, fragte ich wütend und konnte noch immer nicht fassen, dass er tatsächlich hier war. In einem Club! In Boston! In dem es nur so von weiblichen Fans und Studenten wimmelte, die ihm gleich um den Hals fallen könnten.
Jonah schien das aber nicht sonderlich zu interessieren. Mit zufriedenem Grinsen auf den Lippen zuckte er mit den Schultern. »Deine Mitbewohnerin Mary-Louise hat gesagt, ich würde dich hier finden.«
»Du warst in unserem Wohnhaus?«, platzte es entsetzt aus mir heraus. War er vollkommen lebensmüde?
Meine Kommilitonin neben mir begann zu hyperventilieren. »Gott im Himmel, ich glaube, ich falle gleich um! Annie, das ist verdammt nochmal Jonah Reeves. Jonah. Reeves! Und er war in unserem Wohnheim!«
Wütend funkelte ich sie an. »Reiß dich mal zusammen, Vicky, das ist auch nur ein Typ wie jeder andere.«
»Allerdings attraktiver und reicher als die meisten«, ergänzte Jonah mit selbstsicherem Lächeln und zwinkerte meinen Freundinnen erneut zu, die daraufhin beinahe gleichzeitig schmachtend zu seufzen begannen.
»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet, Reeves! Was tust du hier?«, versuchte ich es erneut und ignorierte die Blicke der anderen, die mich gerade anstarrten, als wäre ich vollkommen verrückt geworden, so mit diesem Superstar zu reden.
»Ich hab dich vor ein paar Tagen am Telefon ja warnen wollen, aber dann hast du einfach aufgelegt, also…«
»Also?«, fragte ich verständnislos und wurde langsam ungeduldig.
»Hier bin ich. Und ich werde nicht ohne dich nach Underwood fahren.«
Bitte, was? »Ist das dein Ernst? Es geht hier um das verdammte Thanksgiving?«
Jonah grinste nickend, während Hayden, meine andere Mitbewohnerin und Freundin, ungläubig nach Luft schnappte. »Hat er sie gerade allen Ernstes zum Thanksgiving zu sich nach Hause eingeladen?«, fragte sie die anderen Mädels fassungslos. Ich verdrehte meine Augen.
»Oh, das war keine Einladung, Ladies. Das ist eine Ansage. Ich werde sie mitnehmen. Und wenn ich sie dazu packen und über meine Schulter werfen muss«, verkündete Jonah drohend und mit teuflischem Lächeln, das mich automatisch einen Schritt rückwärts stolpern ließ.
»Du spinnst doch«, beschloss ich kopfschüttelnd und suchte bereits nach einem schnellstmöglichen Weg unauffällig zu verschwinden.
Jonahs Augen funkelten angriffslustig, als er meinen leicht panischen Blick bemerkte. »Und du hast dich schon viel zu lange vor mir versteckt, nachdem wir beim letzten Mal wieder nur im Be…«
»Klappe, Cowboy!«, fuhr ich ihm schnell dazwischen und funkelte ihn warnend an. »Du weißt genauso gut wie ich, dass es ein Versehen war. Ein Ausrutscher, nichts weiter«, behauptete ich und schaute verunsichert zu meinen Freundinnen, in der Hoffnung, sie hätten die Andeutung von Jonah nicht verstanden.
»Sicher doch, Schneewittchen. Was immer du sagst. Genauso wie die anderen Male in den letzten zwei Jahren, als wir…«
Drohend hob ich meinen Finger und bohrte ihn in seine Brust. »Noch ein Wort und ich mache die ganze Bar auf dich aufmerksam, Reeves. Und du weißt, das wird nicht gut für dich und dein berühmtes Rockstar Gesicht ausgehen. Schließlich wimmelt es hier nur so von willigen und angetrunkenen Studentinnen, die nur ein Mal in ihrem Leben von einem echten Superstar angegrapscht werden wollen.«
Jonah lächelte siegessicher. »Ich halte meinen Mund, wenn du jetzt schön brav mitkommst und mit mir nach Underwood fährst. Meine Mom weiß schon Bescheid, dass du sie mit mir gemeinsam besuchen wirst und freut sich auf dich.«
»Das ist Erpressung!«, zischte ich protestierend.
»Und trotzdem ist es das Richtige.«
Mein bester Freund und ich starrten uns einige Sekunden mit leicht zugekniffenen Augen an und lieferten uns damit direkt vor meinen Freundinnen ein Blickduell, das niemand von uns verlieren wollte.
»Weiß irgendjemand, um was es hier genau geht?«, hörte ich Hayden irgendwann die anderen beiden Mädels fragen, doch keiner von ihnen schien eine plausible Antwort darauf zu finden.
Jonah wurde langsam ungeduldig. »Kommst du jetzt mit oder muss ich dich tatsächlich quer über die Schulter werfen und raustragen?«
»Du bist wirklich unglaublich, weißt du das eigentlich?«
Er grinste wissend. »Ich erinnere mich zumindest sehr gut an das letzte Mal, als du mir das gesagt hast. Können wir gern wiederholen, wenn du bereit dazu bist.«
Arsch! Wieso musste er mich ständig daran erinnern? Ich wusste selbst, dass es beinahe bei jedem unserer Treffen dazu kam, dass wir zusammen im Bett landeten. Oder in seinem Tourbus. Oder im Hotel. Oder… ach, wo auch immer wir es bereits getrieben hatten, verdammt! Es passierte einfach zu oft. Zu oft dafür, dass ich doch eigentlich nicht mehr als Freundschaft von ihm wollte. Und genau deswegen hasste ich mich dafür. Es machte mich wütend, dass ich ihm selten widerstehen konnte, auch wenn ich es doch eigentlich besser wusste. Dennoch spielten jedes Mal meine Hormone verrückt, sobald er mir zu nahe kam. Das musste unbedingt aufhören!
Und doch wusste ich, ich würde Jonah jetzt nicht mehr los werden, egal wie lange ich Widerstand leisten würde. Solange er nicht das bekam, was er wollte – mich nämlich nach Underwood zu entführen –, solange würde er mich weiter nerven und belagern. Geschweige denn, dass ich ihm durchaus zutraute, dass er mich irgendwann tatsächlich einfach quer über seine Schulter warf und mich wie ein Höhlenmensch aus dem Club hinaustrug.
Resigniert seufzte ich auf. »Ist gut, ich komme mit! Aber vorher muss ich nochmal zurück zum Wohnheim und ein paar Sachen zusammenpacken.«
Jonah schüttelte den Kopf. »Nicht nötig, hab ich schon alles erledigt vorhin.«
»Wie bitte?«, fragten meine Freundinnen und ich gleichzeitig.
»Keine große Sache, deine Mitbewohnerin hat mir dabei geholfen.«
Fassungslos starrte ich den Rockmusiker vor mir an und wusste absolut nicht, was zum Henker ich dazu sagen sollte. Deswegen fackelte Jonah auch nicht länger, sondern griff fest nach meiner Hand und nickte meinen Freundinnen zur Verabschiedung noch einmal kess lächelnd zu, bevor er begann mich quer durch die Menge hinter sich herzuziehen und ich völlig hilflos und entschuldigend nach hinten zu meinen Freundinnen schaute.
»Parker, du schuldest uns allen eine dicke, richtig ausführliche Erklärung, wenn du wieder hier bist. Das ist dir klar, oder?«, hörte ich Hayden noch rufen, doch erkannte sie in der Menge schon nicht mehr, als Jonah und ich uns dem Ausgang näherten und mir plötzlich die unzähligen, neugierigen Blicke auffielen, die auf meinem Freund und mir lagen.
Unbehagen stieg in mir auf, weswegen ich mich unauffällig an Jonah klammerte. »Lass uns schnell abhauen, bevor doch noch der ganze Club auf dich aufmerksam wird.«
»Hast du etwa Angst um mich, Sommersprosse?«, hörte ich ihn in mein Ohr belustigt raunen, während er mir die Tür zur Freiheit aufhielt und wir nur einem Augenblick später draußen vor einem kleinen Parkplatz standen.
»Es wäre schade um dieses hübsche Gesicht«, zog ich ihn auf und zog eine Grimasse.
»Nur um das Gesicht? Hab ich denn nicht mehr zu bieten als das?«, empörte Jonah sich gespielt, musste aber deutlich grinsen.
»Nichts, um das ich mir Sorgen machen müsste«, entgegnete ich schulterzuckend und blieb einen Moment vor seinem Wagen stehen, bis er ihn aufgeschlossen hatte.
»Autsch!« Jonah legte sich breit grinsend, von meiner Aussage getroffen, eine Hand auf die Brust, während ich lachend den Kopf schüttelte und wir anschließend einstiegen.
»Schnall dich an«, forderte Reeves rau, nachdem er zwar den Motor gestartet hatte, jedoch nicht losgefahren war.
»Und wenn ich nicht will?« Herausfordernd grinste ich ihn an. Ich war noch immer auf Protest und auch noch leicht auf Krawall gebürstet, nachdem er mich eben im Club so überrumpelt hatte. Vielleicht aber war es auch einfach nur der Alkohol, der noch nachwirkte. Vermutlich sogar.
»Schnall dich an, Parker, sonst muss ich es tun«, drohte Jonah und ich war nicht sicher, ob er es tatsächlich ernst meinte.
»Das ist doch wirklich lächerlich! Ich bin kein kleines Kin…« Die Worte blieben mir regelrecht im Halse stecken, als sich Jonah plötzlich direkt über mich beugte, den Gurt fest um meinen Oberkörper zog und ihn mit einem leisen Klicken am anderen Ende befestigte. Dabei war er mir so nah, dass ich seinen warmen Atem an meinen Lippen spürte.
Ein unaufhaltsam angenehmes Kribbeln breitete sich in meinem Magen aus, während ich ihn intensiv und voller Bewunderung von der Seite musterte. Jonah sah unverschämt gut aus. Nach all den Jahren hatte er sich kaum verändert. Sein Gesicht schien zwar ein wenig kantiger als früher, doch das konnte genauso gut an dem leichten Bartschatten auf seinen Wangen und an seinem Unterkiefer liegen. Was jedoch neu war, waren die kleinen, schmalen Fältchen um seine Augen und an seiner Stirn. Ich liebte sie, je mehr es wurden.
Mit amüsiertem Schmunzeln auf den Lippen bemerkte Jonah meine ausgiebige Musterung seines faszinierend schönen Gesichts und fuhr langsam los. »Du kannst ein wenig deinen Rausch ausschlafen, wenn du willst. Die Fahrt wird einige Stunden dauern.«
Von wegen Rausch! »Ich bin nicht betrunken«, widersprach ich trotzig.
»Und ich bin nicht der Weihnachtsmann. Du musst mich also nicht belügen, um das zu bekommen, was du willst.« Grinsend warf er mir einen kurzen Seitenblick zu und ich wusste, er wollte mich nur wieder einmal necken. Dennoch sprang ich auf seine Provokation an, was bedeutete, ich musste vermutlich doch betrunken sein.
»Was will ich denn, deiner Meinung nach?«, fragte ich herausfordernd, auch wenn ich wusste, das war eine ganz blöde Idee.
»Mich. Gleich hier auf dem Rücksitz«, behauptete Jonah selbstzufrieden lächelnd und meinte es auch noch todernst. »Ich hab genau gesehen, wie du die Rückbank inspiziert hast, als du eingestiegen bist.« Belustigt lachte er auf, als er mich grinsend die Augen verdrehen sah.
»Ich glaube, ich gehe doch lieber schlafen.«
»Braves Mädchen.« Jonah zwinkerte mir grinsend zu und griff kurz zur Rückbank, von der er mir ein kleines Reisekissen entgegen schmiss. »Hier, damit geht es besser, als sich den Kopf im Schlaf an der Scheibe anzuschlagen.«
»Du bist verrückt, Jonah Reeves. Wirklich verrückt!« Schmunzelnd machte ich es mir in meinem Sitz gemütlich, kuschelte meinen müden und leicht angetrunkenen Kopf an das Kissen und betrachtete ihn solange von der Seite, bis ich in einen ruhigen und tiefen Schlaf fiel.
Ich wusste es. Ich wusste, ich hätte nicht mitkommen und mich von diesen Menschen dazu überreden lassen sollen. Ich wusste es, weil Ben mich noch davor gewarnt hatte. Er wusste schließlich ohnehin immer alles besser. Deswegen hätte ich auf ihn hören müssen. Hätte! Tat ich jedoch natürlich nicht. Denn ich war offensichtlich wieder einmal zu stolz, um mir einzugestehen, dass mein großer Bruder Recht hatte mit seiner Vermutung. Diese Leute da draußen am Lagerfeuer waren nicht meine Freunde. Sie würden es auch niemals werden.
Hannah hatte mich zu diesem blöden Campingtrip überredet. Ihr neuer Freund Scott, der zusammen mit Jonah und Ben in einer Jahrgangstufe war, hatte das alles organisiert. Zusammen mit seinen Freunden, die sich nun allesamt als totale Vollidioten und verstrahlte Snobs herausstellten, wollten sie unweit von Underwood an einem kleinen See campen. Nur über das Wochenende.
Zuerst dachte ich, das könnte wirklich witzig werden. Vor allem zusammen mit Hannah. Leider übersah ich dabei jedoch das Offensichtliche. Diese Typen waren riesengroße Arschlöcher, die den ganzen Tag lang nur Bier soffen und sich anschließend noch die Birne zudröhnten.
Ich war doch tatsächlich mit dämlichen Kiffern unterwegs! Mitten im Nirgendwo und ohne eine Möglichkeit, hier wieder allein wegzukommen.
Seit Stunden verkroch ich mich schon in meinem und Hannahs Zelt, das sie scheinbar sowieso nicht nutzen und stattdessen lieber bei Scott schlafen wollte. Ich fragte mich wirklich, wie es mit meiner Freundin so weit kommen konnte. Nicht nur, dass es ihr egal war, was für unglaubliche Idioten diese Typen da draußen waren, es war ihr auch egal, dass sie Drogen nahmen. Verdammt nochmal, das war illegal! Und gesund schon gar nicht.
Ob Ben davon wusste? Hatte er mich deswegen gewarnt, mit Scott und seinen Freunden wegzufahren? Oder mochte mein Bruder die Jungs nur nicht und würde ihnen die Hölle heiß machen, würde er erfahren, dass sie in meiner Gegenwart kifften wie die Verrückten? Ich war mir nicht sicher.
Sicher war nur, dass jeder von diesen Idioten bisher die Finger von mir gelassen hatte. Nicht einmal eine kurze Umarmung hatte ich heute Morgen, als wir aufgebrochen waren, erhalten, aus Angst, Ben oder Jonah würden ihnen dafür in die Eier treten. Verdient hätten sie es, wenn auch eher für andere Dinge.
Mühevoll schluckte ich den schweren Kloß in meiner Kehle hinunter und unterdrückte die Tränen, die meine Augen brennen ließen, als ich an meinen besten Freund und meinen Bruder dachte. Ich war nicht einmal einen Tag von ihnen getrennt und schon vermisste ich sie wie verrückt. Aber nicht nur das! Ich wünschte mir einfach, sie wären jetzt hier und ich würde mich nicht mehr so allein und verlassen fühlen.
Niemanden von den Leuten da draußen, Hannah eingeschlossen, interessierte es, wie es mir ging oder dass ich mich so gar nicht wohlfühlte. Ich wollte nach Hause! Ich wollte… zu Jonah.
Erstickt schluchzte ich einmal leise auf und wischte mir die ersten Tränen von der Wange, als mir bewusst wurde, wie unglaublich dumm ich eigentlich war. Statt einfach das Wochenende bei meinen echten, meinen wahren Freunden zu bleiben, nämlich bei meinem großen Bruder und seinem besten Freund, machte ich mir Hoffnung, ich könnte dank Hannah sogar ein paar neue Freunde finden. Als ob mir Ben und Jonah nicht genügten… War für eine beschissene Lüge! Mehr als diese Beiden hatte ich noch nie gebraucht, wenn ich ehrlich war. Sie waren alles für mich! Was also wollte ich mehr? Ich war so eine unglaubliche Idiotin!
Tief durchatmend wischte ich mir erneut die stummen Tränen aus dem Gesicht und griff zu meinem Handy. Wenn ich schon nicht bei ihnen sein konnte, wollte ich wenigstens das Gefühl haben, ich wäre es, also wählte ich die Nummer, die ich selbst im Schlaf auswendig konnte.
Es klingelte nur zwei Mal, dann hörte ich die Stimme, die mich augenblicklich in die Wärme hüllte, die ich gerade so dringend brauchte. »Sommersprosse, es ist mitten in der Nacht. Was ist los, ist was passiert, soll ich vorbeikommen?«
Ich lächelte erleichtert. »Was machst du gerade?«
»Was?! Was denkst du denn, was ich mache? Ich… Warte, wo steckst du gerade? In deinem Zimmer brennt kein Licht. Nicht einmal die kleine Nachtleuchte, die du so sehr liebst.«
»Woher…?«, wunderte ich mich leise, jedoch nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor es mir klar wurde. »Jonah Reeves, stalkst du mich etwa?«
»Nicht mehr als sonst«, meinte mein bester Freund nur trocken, »Also… Wo bist du? Und wieso zur Hölle flüsterst du? Hast du irgendetwas ausgeheckt? Denn wenn es so ist, schwöre ich, wird mir Ben dafür den Kopf abreißen, wenn ich…«
»Er hat dir nicht gesagt, wo ich bin?«, unterbrach ich ihn überrascht, doch dann fiel mir wieder ein, dass Ben die letzten Tage ohnehin ziemlich abgelenkt schien. Von Stacey, dieser dämlichen Kuh! Vermutlich hatte er es deswegen vergessen, Jonah zu erzählen. Ich konnte es nicht mehr tun, so schnell und spontan wie Hannah, die Idioten und ich heute früh aufgebrochen waren.
»Nein, warum? Wo zum Henker steckst du? Vielleicht sollte ich lieber Ben den Kopf abreißen…«
Leise lachend schüttelte ich den Kopf über Jonahs Reaktion. »Ich bin mit Hannah campen. An dem kleinen See außerhalb von Underwood.«
»Was?! Du meinst diesen gruseligen Tümpel dreißig Meilen von hier?«, fragte mein bester Freund entsetzt.
»Genau der!«, kicherte ich bestätigend.
»Und ihr seid dort allein? Nur ihr zwei Mädchen?« Sorge schwang in seiner Stimme mit.
»Äh… nein. Scott und seine Freunde sind auch hier. Du weißt schon, Hannah und Scott sind seit ein paar Wochen zusammen und…«
»Ich hol dich ab!«, schoss es aus Jonah plötzlich entschlossen heraus und ich ahnte, er duldete jetzt weder Widerspruch noch eine Diskussion darüber. »Kommt nicht in Frage, dass ich dich mit diesen Kiffern allein lasse. Schon gar nicht über Nacht!«
Ich stutzte überrascht. »Warte, du weißt davon?«
»Dass sie kiffen? Natürlich weiß ich das! Die halbe Schule weiß es«, meinte Jonah aufgebracht und ich hörte es im Hintergrund rascheln. Waren das etwa die Autoschlüssel seiner Mom?
Verwirrt runzelte ich die Stirn. »Aber wenn es doch die halbe Schule weiß, wieso hat Ben mich dann trotzdem mit ihnen fahren lassen?«
Jonah schnaubte. »Weil er zur anderen Hälfte der Schule gehört, dieser Trottel. Er hatte keine Ahnung, mit wem er dich da wirklich gehen lässt. Ben denkt nur, Scott wäre ein Idiot. Dass er noch dazu ein ziemlich zugedröhnter Idiot ist, weiß er nicht.«
Das erklärte natürlich vieles. Jedoch war das alles weder Bens noch Jonahs Schuld. Deswegen wollte ich nicht, dass mein bester Freund meinen bescheuerten Fehler ausbadete, indem er nun mitten in der Nacht zu mir zu diesem Tümpel fuhr und mich von hier abholte. Ich wollte nicht, dass er mit dem Wagen seiner Mom fuhr, wenn er müde war. Und dass er müde war, hörte ich ganz eindeutig an seiner Stimme. Bei dieser Sache konnte er mir nichts vormachen, ich kannte ihn einfach viel zu lange und ebenso viel zu gut, als dass ich so etwas nicht durchschauen würde.
Seufzend fuhr ich mir über das Gesicht. Ich wollte meinen besten Freund so gerne sehen, wollte bei ihm sein und doch musste ich ihm nun diese blöde Idee, die er sich in den Kopf gesetzt hatte, ausreden. Schöne Scheiße!
»Du musst nicht extra wegen mir herkommen, Jonah. Es ist gar nicht mal so schlimm hier. Ich bin ohnehin in meinem Zelt.«
»Ich hoffe doch, du bist da drin allein!« War das reine Sorge? Oder war er eifersüchtig?
»Keine Angst, ich bin allein. Und niemand kam mir auch nur einen Schritt oder eine Berührung zu nah.«
Jonah atmete erleichtert aus, bevor er erneut schnaubte. »Immerhin etwas Verstand haben diese zugekifften Idioten scheinbar noch. Ich komme dich trotzdem abholen!« Was?!
»Jonah, nein! Das ist wirklich nicht nötig. Die Nacht schaffe ich noch und morgen können wir dann nochmal telefonieren. Okay?«, versuchte ich ihn aufzuhalten, doch dann hörte ich auch schon einen Motor im Hintergrund am anderen Ende der Leitung starten.
»Bis gleich, Sommersprosse«, hörte ich meinen besten Freund noch sagen, bevor die Stille, die mein Handy ausstrahlte, mich resigniert die Augen schließen ließ.
Dieser Idiot! War er etwa tatsächlich gerade losgefahren? Wegen mir? Um mich abzuholen? Ich konnte es kaum fassen. Andererseits war das auch so unglaublich typisch für diesen Kerl, dass ich mich ehrlich fragte, weswegen ich mich darüber wunderte. Jonah tat alles für mich. Erst recht wenn er merkte, dass es mir nicht gut ging oder dass ich mich nicht wohlfühlte. Und das musste ich ihm nicht einmal sagen, er wusste es einfach. Er spürte es. Immer.
Ein seliges Lächeln schlich sich auf mein Gesicht, als ich mit noch immer geschlossenen Augen allein in meinem Zelt lag und darauf wartete, bis mein Held und Retter kam und mich erlöste. Doch je mehr Minuten verstrichen, desto stiller wurde es draußen. Hannah, Scott und die anderen Jungs schienen mittlerweile auch in ihren Zelten. Oder aber sie waren zugedröhnt am Lagerfeuer eingeschlafen. Mir konnte es egal sein. Ich wartete nur darauf von hier verschwinden zu können.
Eine Stunde verging und beinahe wäre ich in einen tiefen Schlaf gedriftet, da hörte ich, wie jemand leise den Reißverschluss meines Zeltes zu öffnen versuchte.
»Hannah?«, fragte ich leise flüsternd, hoffte jedoch auf jemand anderen.
»Hey, psssst. Nicht erschrecken, ich bin es nur«, wisperte Jonah zu meiner Erleichterung.
Ohne ihn in der Dunkelheit wirklich sehen zu können, strampelte ich den Schlafsack beiseite und fiel ihm um den Hals, nachdem er zu mir ins Zelt geklettert war.
»Woher wusstest du, dass dies mein Zelt sein würde?«, fragte ich glücklich lächelnd, während ich mich wie ein Äffchen an ihn klammerte und mein Gesicht an seinem Hals vergrub.
»Ehrlich gesagt, ich wusste es nicht. Deswegen war ich vorher auch schon in zwei anderen Zelten von irgendwelchen Typen, die verdächtig nach Gras gerochen hatten. Aber was tue ich eben nicht alles für dich, Sommersprosse?«, erzählte Jonah leicht amüsiert und ließ mich damit leise lachen.
»Du bist verrückt, Jonah Reeves, wirklich verrückt!«