Читать книгу Woodwalkers & Friends. Katzige Gefährten - Katja Brandis - Страница 11
ОглавлениеWild und frei
Wir mussten hier raus, auch wenn wir dabei gesehen werden würden. Weg hier, schnell!, schrie ich den anderen in Gedanken zu und schob mich aus der Nische ins Zimmer. Die Tierheimfrau glotzte mich verblüfft an, dann warf sie sich förmlich auf das Telefon. Doch auf dem hockte schon eine Fledermaus, grinste sie an, sodass man ihre nadelspitzen Zähnchen sah, und bewegte den Kopf von einer Seite zur anderen.
Leute, die im Tierheim arbeiten, sind hart im Nehmen. Schließlich haben sie jeden Tag mit Dobermännern und Schäferhunden zu tun, die nicht immer ihre Zähne bei sich behalten. »Weg da!«, grunzte die Tierheimfrau nur, fegte Tabitha mit einer Hand vom Telefon herunter und begann, entschlossen auf den Tasten herumzutippen.
He, ich brauche keine Starthilfe! Tabitha trudelte ein Stück in Richtung Boden, fing sich und flatterte hoch.
Seite an Seite rannten Mia und ich nach draußen, während uns Flauschi alias Terry so um die Beine wuselte, dass wir beinahe über ihn fielen. Als ich mich kurz umwandte, sah ich, wie Tabitha eine Ehrenrunde um den Kopf der Tierheimfrau drehte. Also dann tschüss und danke für die Mehlwürmer, die waren richtig gutes Zeug, meinte sie, dann schoss sie hinter uns her.
Wir rannten durch den Gang, stießen die Vordertür auf und machten, dass wir rauskamen. In Gummistiefeln kann man nicht gut rennen, aber wir taten unser Bestes. Wir machten einen kurzen Abstecher zu dem Haus von vorhin, um die Stiefel und wenigstens ein paar der Klamotten zurückzugeben, dann rannten wir in Unterwäsche in den Wald und konnten nur hoffen, dass uns niemand dabei beobachtete.
Erst als wir auf einer Lichtung angekommen waren, wagten wir zu verschnaufen.
Terry ließ sich hechelnd ins Gras fallen, Tabitha setzte sich zwischen seine Vorderpfoten und faltete die Flügel zusammen. Bist du in Ordnung?, fragte sie Terry.
Ja, und du? Ist dir auch wirklich nichts passiert? Er versuchte, nach oben zu schielen.
Während die beiden sich versicherten, dass es ihnen gut ging und wie toll es war, frei zu sein, verschwanden Mia und ich hinter irgendwelche Büsche, damit wir uns endlich zurückverwandeln konnten.
Vor Schreck begann Terry, wild zu knurren, als wir in Gestalt von zwei zimtfarbenen Raubkatzen wieder zum Vorschein kamen.
Kein Grund zur Panik, wir sind die Guten, sagte Mia, ging unbeeindruckt auf ihn zu und schleckte ihm über den Kopf.
Lass das oder ich jag dich auf den nächsten Baum, Katze, kündigte Terry an und wir schnaubten vor Lachen.
Ah, ihr seid also Pumas, stellte Tabitha fest. Lateinischer Name Felis concolor, Verbreitungsgebiet ganz Nord- und Südamerika.
Mia und ich blickten uns an. Konnte man eigentlich wegen Besserwisserei ins Tierheim kommen?
Wie bist du eigentlich gefangen worden, Tabitha?, fragte ich. Wahrscheinlich hatten sie ein Lexikon als Köder ausgelegt oder so was.
Tabitha seufzte. Meine Mutter hat gemeint, ich würde bei meiner Oma – bei der wohne ich – zu selten als Fledermaus leben und zu oft als Mensch irgendwo rumliegen, lesen und Lakritze in mich reinstopfen.
Und war da was dran?, fragte Mia, legte sich gemütlich hin und ließ sich die Sonne auf den Pelz scheinen.
Selbstverständlich war da was dran. Also hab ich ihr versprochen, dass ich in den Sommerferien mal bei einem wilden Schwarm lebe, mindestens fünf Stunden täglich herumfliege und nur gesunde Sachen esse.
Nachtfalter?, meinte ich trocken.
Genau. Tabitha blickte uns mit ihren schwarzen Knopfaugen an. Ich muss zugeben, beim Schwarm war es lustig … bis diese Frau mich mit ein paar anderen eingefangen und in dieses unerträgliche Tierheim gebracht hat.
Neugierig beobachtete meine Schwester sie. Aber jetzt kannst du zurück zu deinen Eltern, meinte Mia.
Auf keinen Fall! Tabithas Öhrchen zuckten. Die denken doch, ich bin immer noch mitten in der Natur und sammle dort wichtige und inspirierende Erfahrungen.
Ach so, sagte ich. Und was jetzt?
Keine Ahnung. Auf einmal klang Tabitha kleinlaut. Vielleicht ziehe ich ein bisschen mit Terry durch die Gegend. Es ist so schön, einen Freund zu haben. Vorher habe ich außer meinen Eltern fast keine Woodwalker gekannt, nur ein Erdhörnchenmädchen, das immer nur übers Löchergraben und seine ungefähr tausend Verwandten reden wollte.
Terry sprang mit leuchtenden Augen auf. Oh ja, coole Idee, wir können wild und frei durch die Gegend streifen! Ich bin dabei.
Tabitha flatterte auf seinen Rücken und sagte zu uns: Also tschüss dann, Leute. Danke für alles.
Genau, danke für die Befreiung – total nett von euch, meinte Terry und die beiden machten sich in Richtung Yellowstone auf den Weg. Besorgt blickten Mia und ich ihnen nach. Ich versuchte, mir vorzustellen, wie dieser kleine wuschelige Hund tage- oder sogar wochenlang durch die Wildnis spazierte. Die Frage war nur, was ihn als Erstes erledigen würde, der Hunger, ein Raubtier, das nicht ganz so nett war wie wir, oder ein Ranger, der was gegen streunende Hunde in Nationalparks hatte.
Wartet!, rief ich den beiden nach. Wovon wollt ihr leben?
Ich gehe jagen, ist doch klar, sagte Terry, hob witternd die Schnauze und machte einen so heftigen Satz nach vorne, dass Tabitha von seinem Rücken purzelte. Nur leider war die Maus, auf die er es abgesehen hatte, längst in ihrem Loch verschwunden. Terry schaute verdutzt drein. Das Dosenfutter, das er wahrscheinlich gewohnt war, lief ja nicht weg und schon gar nicht so schnell.
Wahrscheinlicher ist, dass du selber gejagt wirst, Terry, erklärte ihm Mia.
Hm, ich fürchte, das stimmt. Tabitha klang düster. Dann werden deine Knochen diese Ebene dekorieren.
Sie hatte wirklich eine wunderbar aufbauende Art.
Terry sah sehr traurig aus. Muss ich zurück in die Stadt? Aber wenn ich da niemanden finde, der mich nimmt, sitze ich bald wieder im Tierheim fest. Und einen Besitzer zu haben, war auch nicht so klasse, das hatte ich schon ein paarmal.
Wie waren diese Leute denn so?, fragte ich neugierig.
Darüber will ich nicht reden, kam es trotzig zurück. Entschlossen wandte Terry sich um und begann, in Richtung der Drehkiefern am Waldrand davonzutrotten.
Kann ich verstehen, meinte seine Fledermausfreundin, zögerte und warf uns einen Blick zu. Ich schüttelte hektisch den Kopf, was in meiner Pumagestalt wahrscheinlich ziemlich seltsam aussah. Sie musste uns helfen, ihn zu überzeugen, sonst wurde das die totale Katastrophe!
Doch Tabitha hatte andere Pläne, sie streckte die Flügel, hob ab und folgte Terry. Bei der Brennsonne, ich kann ihn nicht im Stich lassen, sagte sie zu uns. Ich werde es schon irgendwie schaffen, ihm zu helfen.
Nicht zum ersten Mal dachte ich an die neue Erstjahresklasse an der Clearwater High. Entweder ich erzählte den beiden jetzt davon oder es war zu spät. Ich hätte da eine bessere Idee – und niemand müsste irgendjemanden im Stich lassen, rief ich den beiden hinterher und klang wahrscheinlich ein bisschen verzweifelt. Wart ihr schon mal auf einer Schule?
Klar, schließlich bin ich schon fünfzehn, antwortete Tabitha und schickte mir das Gedankenbild eines etwas misstrauisch dreinblickenden Mädchens in schwarzen Klamotten. Leider schlafe ich ziemlich oft beim Unterricht ein, weil der ja tagsüber ist, und dann gibt’s wieder mal Ärger. Aber meistens kann ich meine Noten retten, indem ich mir nachts die Lehrbücher durchlese.
Schule?, fragte Terry, ohne anzuhalten. Wozu soll ich denn auf eine Schule? Ich weiß doch schon genug.
Ich stöhnte. Hoffnungsloser Fall! Wie es aussah, mussten wir ihn einfach gehen lassen. Aber er würde da draußen in Schwierigkeiten geraten, das war so sicher, wie auf jeden Sommer ein Winter folgte. Tabitha dachte vielleicht, dass sie ihm helfen konnte, aber ohne Klamotten würde sie nicht mal als Mensch auftreten können. Und falls diese beiden einem hungrigen Grizzly begegneten, konnte sie als einzelne Fledermaus höchstens versuchen, ihn zu Tode zu kitzeln.
Was sollte ich tun? Hin- und hergerissen, starrte ich Terry nach und überlegte, ob ich ihn mir schnappen und gegen seinen Willen ins Tierheim zurückbringen sollte. Vielleicht spürte der Hunde-Wandler meine Gedanken, denn er drehte sich um und knurrte mich an. Vergiss es! Bleib, wo du bist, Katzenjunge!
Unerwartet ergriff Mia in freundlichem Ton das Wort. Ist ja lustig, das dachte ich auch – dass ich schon genug weiß, sagte sie. Aber Carag hat tolle Sachen in seiner Woodwalker-Schule gelernt, zum Beispiel, wie man sich im Sprung verwandelt oder wie man Wölfe besiegt, die einen angreifen wollen.
Terry hielt an, auch wenn er sich nicht umdrehte. Echt jetzt?
Na ja, manchmal gewinnen auch die Wölfe, musste ich zugeben. Aber selten.
Wisst ihr schon, wie man sich verwandelt?, fragte Mia unsere beiden neuen Bekannten.
Nein, gab Terry zu. Hab ich noch nie gemacht. Kann ich wirklich ein Mensch sein, einfach so, wenn ich es will?
Na ja, es ist Übungssache, meinte ich und meine Tasthaare zuckten, weil mir meine jämmerlichen Versuche am Anfang des Schuljahres einfielen. Es klappt nicht immer, wenn man es gerade will.
Das habe ich leider auch schon gemerkt, gestand Tabitha. Richtig viel üben konnte ich bisher nicht, weil ich auf einer normalen Schule war.
Na also, das passt. Allmählich entspannte ich mich und plötzlich kam mir ein Gedanke, der mir richtig gut gefiel. Ihr kommt mit auf die Clearwater High, werdet Verwandlungsprofis, habt jede Menge Spaß und kriegt lawinenhaft viel Wissen ab. Okay?
Na gut. Terrys gesträubtes Fell glättete sich und er fletschte nicht länger die Zähne. Wo ist denn diese Schule?
Das war ein Problem. Meine Begeisterung ließ so schnell nach wie die eines Welpen, der zum ersten Mal versucht, ein Stachelschwein zu jagen. Sie ist leider viel weiter südlich, in Jackson Hole. Ein ganzes Stück entfernt.
Vielleicht könntet ihr uns hinbringen?, fragte Tabitha hoffnungsvoll. Wenn ich die Landkarte richtig im Kopf habe, müssten wir sonst durch den ganzen Nationalpark, um dorthin zu kommen. Und haben dasselbe Problem wie am Anfang.
Ich tauschte einen schnellen Blick mit Mia. Nein, auch sie hatte nicht viel Lust darauf, die beiden zu begleiten. Wir waren schon eine Woche lang durch die Wildnis unterwegs zu unseren Eltern … wenn wir jetzt umkehrten, die beiden Neuen bei Lissa Clearwater ablieferten und uns wieder auf den Weg machten, waren die Ferien schon zur Hälfte um, bevor wir endlich bei unserer Familie waren.
Meine Schwester und ich tauschten einen Blick. Lass sie uns einfach mitnehmen, flüsterte Mia mir in den Kopf, sodass niemand außer ich sie hören konnte.
Das werden unsere Eltern bestimmt toll finden, flüsterte ich zurück.
Oh ja, bestimmt, antwortete Mia amüsiert. Immerhin, seit Pa als Hilfslehrer an deiner Schule war, weiß er, dass man Beutetier-Wandler nicht fressen sollte.
Leider war Terry anscheinend ziemlich gut darin, fremde Gedanken aufzufangen. Wer ist hier ein Beutetier?, fragte er empört. Ihr meint doch nicht etwa mich, oder? Mein Vater war ein Kampfhund!
Ich war nicht sicher, ob ich das glauben sollte. Tatsächlich? War der auch schon so flauschig wie du?, fragte ich und Terry schwieg eingeschnappt. Aber er kam trotzdem mit und das war es, worauf es ankam. Zu viert machten wir uns auf den Weg nach Norden, zum neuen Revier meiner Eltern im Gallatin National Forest.