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Kapitel 3

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Eines Tages wollte Peter auf dem Weg zur Schule über eine rote Ampel gehen. Marie hielt ihn an der Schulter fest. Da drehte Peter sich unwirsch um und sagte in seinem hochnäsigen Englisch: „Du hast mir gar nichts zu sagen, hat meine Mum gesagt.“ Marie war so baff über diese Frechheit, dass sie nichts zu erwidern wusste.

Täglich gab Mrs Harris ihr das Gefühl unerwünscht zu sein. Täglich ließ sie das Mädchen schuften wie Aschenputtel.

Oft dachte Marie an ihre Mutter und Großmutter. Wie gut, dass sie ihr hauswirtschaften beigebracht hatten. Marie wusste, wie man Hemden bügelte und kannte sämtliche Tricks gegen Flecken. Sie hatte zu Hause häufig die Waschtage übernommen und auch in der Küche stellte sie sich geschickt an. Zwar kannte sie vor allem deutsche Rezepte, doch auch die Moden der englischen Küche waren ihr schnell vertraut. Sie kaufte sich von ihrem ersten Gehalt das Buch Traditional Dishes of Britain von Philip Harben. Dieser kochte für die erste BBC-Kochshow überhaupt. Und hin und wieder erhaschte Marie eine Minute der Fernsehsendung, wenn sie ihren Herrschaften etwas ins Wohnzimmer bringen musste und diese zur Zerstreuung vor dem Gerät saßen.

Maries Familie zu Hause in Deutschland hatte noch keinen Fernseher. Ihre englische Gastfamilie besaß zwar einen, lud sie jedoch niemals ein, sich zu ihnen zu setzen. Doch Philip Harben war auch ihren deutschen Freundinnen ein Begriff. Manch eine bekam die Gelegenheit die eine oder andere Folge zu schauen. Die meisten Gasteltern unterstützten, dass die Mädchen fernsahen, da sie auf diese Weise Englisch und Kochen gleichermaßen lernten.

Edith erzählte ihr, dass Harben, als nach dem Krieg die Lebensmittel rationiert waren, teilweise seine eigenen Nahrungsmittel mit ins Studio gebracht und in der Kochshow verarbeitet hatte.

Er hatte seinen Landsleuten gezeigt, wie man aus spärlichen Zutaten etwas Gutes zubereiten konnte. Von ihm lernte England Steak and Kidney Pie kennen und Pommes Frites, die man hier Chips nannte. Und nun lernten es Marie und ihre Freundinnen. Doch im Gegensatz zu Ediths reizender Pianisten-Witwe verloren weder Mrs, noch Mr. Harris oder eines der Kinder jemals ein Wort über Maries Kochkünste. Dabei ließ sie sich jeden Tag etwas einfallen. Sie hatte sich ein weiteres Buch von Philip Harben gekauft. Daraus kochte so ausgefallene Sachen wie Grapefruit and Shellfish Salad und wurde für diese „Extravaganz“ dann auch noch gerügt. „Sie werfen unser Geld zum Fenster hinaus“, sagte Mrs Harris und schüttelte angewidert den Kopf. Daraufhin rührten die Kinder das Essen nicht mehr an. Lediglich Mr. Harris probierte den Salat und schaute angetan. Fand dann jedoch den strafenden Blick seiner Frau auf sich gerichtet und schob den Teller mit dem wie Marie fand, köstlichen Gericht weit von sich, als befürchtete er, dass er sonst reflexartig weiteressen würde.

Auch für ihre Ente mit Orange, die Marie eines Sonntags als Sunday Roast servierte, gab es eine Zurechtweisung. Marie wurde allmählich klar, dass sie sich noch so anstrengen konnte, sie würde es ihrer Gastgeberin nie recht machen. Sie hatte das Gefühl, dass Mrs Harris immer strenger, ja sogar gehässiger wurde, je besser Marie sich entwickelte. Sie kochte immer besser, ihr Englisch wurde flüssiger und sie organisierte ihre Arbeit immer gekonnter mit wachsender Leichtigkeit. Doch nie zeigte ihre erzkatholische Gastmutter auch nur einen Hauch von Dankbarkeit, nie gab es ein Lob oder wenigstens einen anerkennenden Blick.

In ihren Briefen nach Hause beschwerte sich Marie darüber, dass es ausgerechnet eine katholische Familie hatte sein müssen. Die Erwartungen ihrer Großmutter wurden hier nicht erfüllt. Von Nächstenliebe war nichts zu spüren. Nicht einmal von Akzeptanz.

Polstead Hall oder Die Frau in Rot

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