Читать книгу Polstead Hall oder Die Frau in Rot - Katja Pelzer - Страница 8

Kapitel 5

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Wenn Marie mit Edith am Wochenende in Colchester ausging, kam sie erst mit dem letzten Bus zurück nach Polstead. In den dunklen Gassen hörte sie nichts als ihre eigenen Absätze. Von dort führte ihr Weg über den kleinen Friedhof von St. Mary. Um sich selbst Mut zu machen, schaltete Marie an dieser Stelle immer ihre Taschenlampe an. Dennoch sprang ihr Herz im schnellen Galopp. Sie hatte viele Geschichten gehört. Unter anderem die von der alten Frau im Pfarrhaus, die verrückt sein sollte und beim Schein des Vollmonds Monat für Monat Kräuter zwischen den Gräbern pflückte, um sich daraus einen magischen Trank zu brauen. Jedes Mal wenn Marie nachts hier entlang kam, fürchtete sie, die alte Frau könne plötzlich vor ihr stehen. Doch bisher waren ihr nur Käuzchen begegnet. Einmal leuchteten im Dunkeln die Augen einer Katze. Im Sommer waren es schon einmal Glühwürmchen die vor der Hecke tanzten, die den Kirchhof einfasste. Sobald sie im Park war, hatte Marie einen ganzen Pulk von Begleitern. Ein Bauer hatte das Land der Cookes gepachtet und weidete hier seine Kühe. Die schliefen nachts im Schutz der hohen alten Bäume. Der Pegel der Taschenlampe weckte sie jedoch und zog sie magisch an. Sie folgten ihm und Marie über das Grün hinweg bis zum Eingang des Herrenhauses. Marie fühlte sich von den Kühen beschützt. Sie hatte sich angewöhnt, in einem leisen Singsang mit ihnen zu sprechen. Es wurde zu einer Art Ritual ihrer Ausgeh-Abende. So endeten diese jedes Mal mit einer Herde Kühe vor den ehrwürdigen weißen Säulen von Polstead Hall. Sobald Marie die Tür geschlossen hatte, trollten sich die Tiere wieder unter die Bäume, um weiterzuschlafen.

Als sie einmal nach einem Treffen mit Edith nachts durch die dunklen Gassen von Polstead lief, hörte sie hinter sich einen Wagen. Er näherte sich sehr langsam und fuhr dann einige Meter neben ihr her. Marie ignorierte das Auto und ging scheinbar ruhig ihres Wegs, während sie meinte, ihr Herz im ganzen Körper zu spüren. „Mary“, sagte da plötzlich eine bekannte Stimme. Und als Marie den Kopf wendete, sah sie Sarah, die jüngere der beiden Cooke-Töchter hinterm Steuer sitzen. „Do you want a lift?“

Erleichtert lachte Marie auf und stieg neben Sarah in den Wagen.

Eine Woche später, kam sie wiederum aus Colchester von einem Treffen mit Edith und überquerte den Friedhof. Als sie fast bei der Kirche angekommen war, huschte eine Gestalt in einem roten Kleid durch den Lichtkegel ihrer Taschenlampe und zwischen den Grabsteinen hindurch. Vor Schreck wäre beinahe Maries Herz stehen geblieben oder ihr zumindest die Taschenlampe aus der Hand gefallen. Als sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte, begannen ihre Beine ohne ihr Zutun zu rennen, den Hügel hinauf auf das rettende Haus zu. Die Zweige der Büsche griffen gierig nach ihr. Einer verhakte sich in der Tasche ihres Mantels, die zerriss, als Marie sich voller Panik wehrte. Die Kühe konnten nicht mithalten und trollten sich bevor Marie die Tür erreicht hatte wieder zu ihren Schlafstellen an den Büschen und unter den Bäumen. Es knisterte und knackte, als sie sich niederlegten und Marie verlor beinahe den Verstand vor Furcht. Sie schien eine Ewigkeit zu laufen, ohne sich der Tür zu nähern. Dann endlich stand sie zwischen den Säulen und versuchte den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Doch so sehr zitterte ihr die Hand, während sie sich ängstlich umschaute, dass sie mehrfach das Schloss verfehlte. Viel zu langsam öffnete sich endlich die große Tür und sie stolperte hinein. Noch in der Tür drehte sie sich um. Da war nichts. Und doch spürte sie etwas. Sehen konnte sie lediglich die Auffahrt und die Schemen der Bäume in der Dunkelheit. Der Wind heulte leise, wie eine gequälte Seele. Marie schloss schnell und viel zu laut die Tür und lief rasch auf ihr Zimmer. Dort rettete sie sich in ihr Bett und zog sich die Decke bis über die Ohren. Die Aufregung wich lähmender Müdigkeit. Und wenige Augenblicke später zog der Schlaf sie in die traumlosen Tiefen seines dunklen Ozeans.

Polstead Hall oder Die Frau in Rot

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