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2. KAPITEL

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Über dem See lag noch der Frühdunst, es würde ein schöner Tag werden. Das Mädchen wurde spät wach, fand sich wieder auf den Inletts der Kissen und einer nicht bezogenen Matratze, wusste im ersten Moment nicht, was das zu bedeuten hatte, dann kam die Erinnerung wieder, die Nacht - und die Angst.

Sie lauschte ins Haus, aber da war nichts zu hören, stand auf und öffnete die Fenster, auch der Garten zeigte keine Anwesenheiten. Sie legte das Ohr an die Tür, durch den Spalt ließ sich nichts hören von einem Menschen im Haus. Vorsichtig öffnete Fränzi die Tür und fand einen Zettel auf dem Bettzeug. Sie ließ sich auf dem Boden nieder und starrte auf das Muster der Bettwäsche, die sie noch in der Nacht abgezogen hatte.

Dörte fiel ihr ein, die Freundin, die immer sagte: Wir sind nicht dreizehn, wir sind mindestens sechzehn, und wenn du willst auch zwanzig. Fränzi wollte nie unbedingt älter sein als sie war, nur wenn Dörte die Klamotten ihrer Mutter heimlich anzog und tatsächlich viel toller aussah, als Fränzi, dann versuchte sie, mitzuhalten. Aber es gelang so richtig nicht. "Du hast eben eine Kinderschnute", sagte Dörte dann immer, "da gehören Lolliballs rein und keine heimlichen Küsse drauf." Fränzi bewunderte in solchen Augenblicken Dörte sehr und kontrollierte abends um so strenger die Entwicklung ihrer Formen. Jetzt hätte sie gern die Freundin da gehabt. Mit dem Bettzeug unterm Arm ging sie in die Küche. Schmiss es in die Waschtrommel, begann mit Sorgfalt ihr Frühstück zu bereiten. Die Gewissheit, allein im Haus zu sein, machte sie locker, fast wieder fröhlich. Ich werd's einfach vergessen, beschloss sie und leckte den Honig direkt vom Esslöffel ab. Es war diese feine, dünnflüssige Honigsorte, die auf keinem Brötchen hielt. Der Vater kannte ihre Vorliebe dafür und achtete sorgfältig darauf, immer genug davon im Haus zu haben.

Ich werd's vergessen. Er wird wieder lieb zu mir sein und alles wird gut werden, sagte sie sich, wieder und wieder. Die Mutter kam ihr in den Sinn. Immer wenn es zwischen ihr und dem Vater Krach gegeben hatte, sagte die Mutter, es wird schon alles wieder gut werden. Und es war ja dann auch so.

So schlimm war es noch nie gekommen, dass die Eltern sich nicht mehr vertragen hätten. Nur einmal hatte sie erlebt, wie die Mutter nachts in der Küche gesessen und geweint und gesagt hatte, dass sie das Haus verlassen wolle. Fränzi hatte nie herausbekommen, warum. Es hatte sie auch nicht sonderlich interessiert, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass man einen Mann, wie den Vater verlassen könnte. Selbst Dörte fand Fränzis Vater 'super', wie sie sagte. "Hast du wirklich Glück gehabt. Guck dir meinen an, da vergeht dir alles!"

Nein, Fränzi konnte sich nicht beklagen über ihren Vater. Er sah gut aus und sportlich, hatte immer Zeit und kümmerte sich mehr um Fränzi als ihr zuweilen lieb war. Da war sie schon ein großes Mädchen und hatte doch noch immer gern auf seinem Schoß gesessen. Der Vater hatte den Arm um sie gelegt und die Spottreden der Mutter scharf unterbrochen. Fränzi hatte sich tüchtig erschrocken, denn danach war die Mutter schnell aus dem Zimmer gegangen und hatte den ganzen Abend keinen Ton mehr gesagt.

Aber der Vater hatte Fränzi wieder auf den Schoß gezogen. "Wir lassen uns doch nicht von ihr und so einem Quatsch den Frieden nehmen. Wir beide doch nicht, was?"

Es würde schon alles gut werden. Das Alleinsein tat ihr gut, machte sie friedlich. Mit dem neu zu beziehenden Bett wurden ihr mit einem Mal die Nöte des Haushalts bewusst. Morgen würde die Mutter kommen. Fränzi sah sich um. Staub und Spritzer überall. Mit den Augen der Mutter, Staubsauger und Wischtuch ausgerüstet, schritt sie das Haus ab, besonders das Bad und die Küche. Was die Mutter auf den Tod nicht ausstehen konnte, war ein vernachlässigter Haushalt. Fränzi wusste das und hatte die Mutter in dieser Hinsicht fürchten gelernt.

Alles konnte sein, aber Ordnung hatte sie immer noch gemacht. Schließlich hatte Fränzi die Zimmer für ihre Begriffe tipptopp, sie holte Blumen und tröpfelte, was verboten war, wegen der Flecken, Parfüm von der Mutter auf den Teppich. Das Haus trug so schon die Gegenwart der Mutter und Fränzi war das recht.

Dörte war es, die sie einmal, das war schon ein Weilchen her, gefragt hatte, wen sie lieber mochte, den Vater oder die Mutter. Und zu wem sie, falls eine Scheidung ins Haus stünde, gehen würde. Fränzi wollte das eigentlich gar nicht denken, aber Dörte bohrte so lange, bis Fränzi wenigstens theoretisch ihre Entscheidung vollzogen hatte. Da hatte sie sich für den Vater ausgesprochen und lief innerlich tagelang mit einem schlechten Gewissen der Mutter gegenüber herum. Sie hatte, wohl mehr zur eigenen Entlastung, die Mutter gefragt, ob sie auch schon einmal an eine Scheidung gedacht hätte.

Die Mutter hatte sich ihr heftig zugewandt und grob zurückgefragt: "Kommt das von deinem Vater?"

Fränzi hatte erschrocken und eilig erklärt: "Nein. Bloß mal so. Es lassen sich doch in meiner Klasse so viele Eltern scheiden. Mehr als die Hälfte hat keinen Vater mehr oder einen neuen."

Die Mutter schwieg erst ein Weilchen, dann sagte sie: "Glaub mal, es gab schon solche Situationen, in denen ich dachte, dann geh ich eben. Du bist ja jetzt groß genug. Kannst es ruhig wissen."

"Wieso würdest du gehen?" fragte Fränzi zurück. "Wieso geht nicht Papa?"

"Der?" Die Mutter fragte es überraschend schrill, "der würde nie seine Wohnung verlassen. Ist doch alles seins, die Möbel, die Tochter, selbst ich. Das ist es ja gerade", sie lachte etwas hysterisch. "Er würde nicht mal mich gehen lassen. Er ist eine Art Sklavenhalter. Aber er liebt seine Sklaven, sorgt für sie, verdient gutes Geld, nimmt alle Sorgen auf seine Schultern. Er ist ein guter Vater geworden. Wer hätte das geglaubt!"

"Wollte er keiner werden?"

Die Mutter hatte sich damals mit ihrem Lieblingskaffeetopf neben Fränzi gesetzt. "Also Dinge bereden wir. Das sollten wir eigentlich nicht tun." Sie schwieg einen Moment, strich dann Fränzi sanft über die Wange. "Daran merkt man, dass die Kinder erwachsen werden. Man bespricht mit ihnen Sachen, die nicht in ein Kinderohr gehören."

Fränzi feixte und griff zum Kaffeetopf. "Dann gib auch einen Schluck Kaffee rüber, der gehört auch nicht in einen Kindermund."

Amüsiert sah ihr die Mutter zu, wie sie genießerisch den Kaffee in sich hineinschlürfte. "Wirst auch mal 'ne richtige Kaffeetante", sagte sie und fuhr fort. "Nein, dein Vater wollte überhaupt keine Kinder. Er wollte auch nicht heiraten. Er wollte ein Junggeselle bleiben. Mal 'ne Freundschaft, mal 'ne Liebe. Alles okay. Aber dann wurde ich schwanger und hab es zu spät gemerkt. Ich war schon im vierten Monat. Dein Vater hat später mal behauptet, ich hätte es mit Absicht verpasst. Aber es war wirklich so. Ich hatte die Menstruation immer sehr unregelmäßig und mich daran gewöhnt, mal kam sie und mal nicht. War eben so. Insofern ist mir erst sehr spät aufgefallen, dass nun schon monatelang keine Regel war. Ich ging zum Arzt und der sagte es mir."

Fränzi sah die Mutter aufmerksam an. Sie sah so jung aus, wie sie das alles erzählte. So jung und so traurig. "Hast du dich gefreut?" fragte Fränzi.

"Ich sagte doch, Vater wollte keine Kinder. Die Mark ist dann nur noch die Hälfte wert, hat er immer gesagt. Keine Heirat, keine Kinder, gesund bleiben und alt werden. Das war seine Devise."

"Also hast dich nicht gefreut", konstatierte Fränzi, obwohl es ihr ein wenig stichig innerlich war.

"Ach Gott", die Mutter seufzte, "was heißt freuen. Ich hatte das Alter allemal und einen Beruf auch. Ich hätte uns zur Not auch allein ernähren können. Aber es gab so Vorstellungen in mir. Ich wollte eine Familie, zwei oder drei Kinder, ein kleines Haus, einen Hund, na eben so, wie man das alles immer im Kino sieht. Heute ja nicht mehr, aber früher, zu meiner Zeit, eben sehr."

"Und Oma?" fragte Fränzi, "hat sie dir nicht geholfen?"

Die Mutter nickte. "Oma hat mir sehr geholfen. Kennst doch Oma. Sie hat doch immer gesagt, wenn man den Krieg überlebt hat, dann kann nicht mehr viel Schlimmeres kommen. Sie war die Einzige, die Tränen in den Augen hatte, als ich ihr sagte, dass ich schwanger bin. Na endlich mein Mädchen, hat sie gesagt und 'das kriegen wir auch noch groß'. Sie hat irgendwie nicht damit gerechnet, dass dein Vater und ich heiraten würden."

"Habt ihr aber", sagte Fränzi zufrieden, "kann man ja sehen." Sie wies auf das golden gerahmte Hochzeitsbild über dem Vertiko, das sie so gern ansah, weil die Eltern so schön darauf aussahen.

"Da war ich schon im achten Monat", sagte die Mutter und sah wehmütig auf das Foto. "Der Fotograf musste mich so stellen, dass man meinen Bauch nicht sah. Dein Vater wollte das Bild doch seinen Eltern nach Wuppertal schicken. Die hielten auf Anstand."

"Aber als ich dann da war, da hatte Papa mich gleich lieb, ja?" Fränzi sagte es fast bittend.

"So ähnlich schon." Die Mutter wich aus. Der Vater hatte überhaupt keine Anstalten gezeigt, zur Geburt seiner Tochter nach Haus zu kommen. "Die krieg ich noch früh genug zu sehen", ließ er die Mutter wissen. Fränzi war fast ein Vierteljahr, da sah er sie zum ersten Mal.

"Als du dann größer wurdest, ein richtiges Mädchen, niedlich mit Schleifchen und Röckchen, da war er versessen darauf, dich zu zeigen, mit dir auszugehen, dich ins Bett zu bringen. Ich weiß auch nicht genau, wieso das so plötzlich. Aber von da ab war er ein leidenschaftlicher Vater." Die Mutter nickte. "Besser spät als nie", sagte sie, "und du bist ja auch so eine richtige Vatertochter geworden."

Fränzi fiel das Spiel mit Dörte ein. Sie hatte das Zimmer verlassen, nicht ohne die Mutter heftig zu umarmen.

Der Tag zeigte sich von seiner schönsten Seite, kurz nach der Mittagszeit lag der See spiegelglatt und die Sonne hatte ihn zur Hälfte umwandert. Fränzi ging zum Bootssteg und nahm sich den zweiten Kahn, ruderte weit auf den See hinaus, dann ließ sie sich treiben. Der Tag hatte ihr den Frieden zurückgegeben. Und sie wollte Frieden mit dem Vater. Er würde heute Abend mit einem Fisch kommen und sie wollte gewappnet sein und keine Angst haben. Sie würden, wie sie den Vater kannte, über nichts anderes reden, als über die Zubereitung des Fisches. Vielleicht ein Hecht oder ein Zander. Der Vater hatte sie gelehrt, Fisch zuzubereiten. Den letzten Hecht hatte sie ganz allein gebraten und er war ihr vorzüglich gelungen. Vaters Freund, Karl, hatte sie sehr gelobt und ihr wiederholt bestätigt, dass sie nicht nur bildschön sei, bildschön hatte er gesagt und den Arm um ihre Schultern gelegt, sondern auch vom Fisch solange gegessen, bis ihm eigentlich schlecht war. Karl vertrug selten Gebratenes.

Fränzi musste lächeln, wenn sie an die Szene dachte. Sie hatte sich für die beiden Männer besonders hübsch machen müssen. Das Auge isst mit, hatte der Vater gesagt. Zieh nicht zu viel an und auch nicht zu wenig. Fränzi hatte ihre Lieblingsbluse angezogen. Hauchdünne Spitze mit einem blauen Seidenbändchen am Hals. So hatte sie den Hecht serviert und sich wie eine brave Hausfrau zu den Männern gesetzt. Der Vater hatte Karl gefragt, wer ihm wohl besser gefiele, das Mädchen oder der Hecht. Karl hatte nur gegrinst: "Alles zu seiner Zeit, erst den Hecht." Er hatte es auf eine Art gesagt, die Fränzi nicht angenehm war.

Sie nahm die Ruder und trieb den Kahn wieder zurück auf die Mitte des Sees, dann sprang sie ins Wasser und genoss seine Weichheit und Klarheit. Die Großmutter hatte nie verabsäumt, bei jedem Baden auf die Qualität des Wassers hinzuweisen. Nun, nach ihrem Tod, kamen ihre Worte von allein.

Gut, also der Vater würde mit dem Fisch kommen, sie würde ihm entgegengehen, sie würde keine Angst haben, sie würde so tun, als gäbe es nichts, als sei alles normal, alles wie immer. Sie wollte seinen Körper vergessen, sein verzerrtes Gesicht, seine heisere Stimme und den Geruch, diesen ekelhaften Geruch ...

Da wusste sie mit einem Male, dass sie es nicht bringen würde. Eltern, so sagte sie sich, sind auch nur Menschen, machen Fehler, sind wie sie sind. Wie oft hatte ihr die Mutter eine Ohrfeige gegeben, für nichts und wieder nichts, nur weil sie nervös und überreizt aus der Kneipe kam, aus der sie seit Jahren schon wegwollte, weil ihr die Kerls auf die Nerven gingen. Sie war nicht gegangen, weil hier alles vertraut war, weil die Kollegen mit ihr alt geworden waren, weil man sich kannte und nichts mehr zu erklären brauchte. Hatte Fränzi jemals der Mutter ihre Ungerechtigkeit nachgetragen? Ihr fiel jene nächtliche Szene ein, die es ihr lange schwer machte, der Mutter, vor allem ihr, unbefangen in die Augen zu sehen.

Es war schon hier, im Sommerhaus gewesen. Sie war nachts wach geworden von lautem Stöhnen und kleinen schrillen Schreien, denen sie erschreckt nachging bis vor die offene Badezimmertür. Sie sah die Eltern nackend vor der großen Spiegelwand. Die Mutter vornübergebeugt mit offenem Mund, aus dem die kleinen Schreie kamen. Hinter ihr der Vater, der seinen Penis in sie hineintrieb und mit jeder Bewegung laut aufstöhnte.

Fränzi stand erstarrt, konnte sich nicht rühren, nicht lösen von diesem Bild, das Entsetzen und Zwang auf sie ausübte. Dann spürte sie den Blick des Vaters auf sich. Er grinste sie breit an und Gier trat noch stärker in seine Züge. Zugleich sah Fränzi aber auch die erschrockenen Augen der Mutter, sah ihre hastige Bewegung zum Vater hin. Das löste Fränzis Entsetzen. Sie jagte zurück in ihr Zimmer, vergrub sich in ihr Bett, zog sich das Kissen über das Gesicht und konnte dennoch die Bilder nicht abschütteln, die sie anekelten und auch wieder seltsam erregten.

Sie hatte später mal Dörte davon erzählt und die hatte feixend zugehört. "Vergiss es", sagte sie. "Eltern sind auch nur Menschen. Meine machen es immer altdeutsch. Dann quietschen die Betten, hörst du im ganzen Haus. Ist eben nicht anders. Mal sehen, wie wir es später machen."

Wäre jetzt die Freundin da, könnte sie ihr vom gestrigen Abend erzählen. Was würde sie ihr wohl erzählen? Und Dörte? Würde die sie dann nicht verachten? Dörte war zuweilen sehr entschieden. Hatte ihre Meinung und punktum. Wie, wenn sie nun auch eine Meinung über Fränzi hätte, über eine, die mit ihrem Vater im Bett war! Mit ihrem Supervater! Er lässt es sich von seiner Tochter machen!

Sie hätte vielleicht gar keinen Mut, es irgend jemandem zu erzählen.

Während sie langsam zurückruderte, kamen ihr seine Sätze in den Sinn, die Worte, die er benutzt hatte. Eigentlich hatte sie die bislang nur in Filmen gehört. Wenn sie heimlich Videos bei Dörte guckten, die in der Klasse umgingen. Fränzi fand sie immer ein bisschen langweilig, aber Dörte und Benjamin kriegten blanke Augen und heiße Wangen davon.

Sie zurrte das Boot fest und sah sofort das zweite Boot am Steg, spürte ihr Herz schlagen und hatte Angst; Angst vor seinen Augen und seinen Händen, seinem Zugriff.

Der Vater hatte tatsächlich einen Hecht gefangen und war enttäuscht, dass Mädchen nicht im Haus zu sehen. Aber er wollte Frieden und so hatte er sich schon an die Zubereitung des Hechtes gemacht. Sie schob sich zaghaft und mutig durch die Tür, blieb dort schwer atmend stehen und sah ihn an.

"Es ist ein schöner Hecht", sagte der Vater.

Fränzi nickte.

"Wie wollen wir ihn machen? Braten? Dünsten? Soll ich oder machst du ihn?"

Er sah sie an, fragend, heiter, stolz auf seinen Fang. Sie mochte seine abenteuerlichen Geschichten, die er mit jedem ordentlichen Fang verband und später bei Tisch erzählte.

"Wie du willst", sagte sie ausweichend und weil sie seine Enttäuschung aufflackern sah, entschied sie sofort: "Gebraten."

Der Mann nickte und machte sich kommentarlos an die Zubereitung, während Fränzi ebenso selbstverständlich einen Tisch deckte, wie sonst nur zu Geburtstagen oder Feiertagen. Als der Vater mit den dampfenden Hechtstücken ins Zimmer trat, blitzte das Fischservice der Großmutter ihm entgegen.

"Donnerwetter", sagte er staunend. "Mamas Erbe! Du traust dich was."

Fränzi lachte vergnügt, weil er "Mamas Erbe" gesagt hatte. So nannten sie noch zu Großmutters Lebzeiten ein wunderschönes Service, dessen einzelne Teile mit Fisch- und Wassermotiven bemalt waren. Die Großmutter nahm es heilig nur zu Silvester aus dem Schrank, wenn es den Karpfen mit Meerrettichbutter gab, und wusch es - komme, was da wolle - auch sofort ab, um es sogleich wieder wegzustellen. Dabei pflegte sie zu sagen: "Das ist Mamas Erbe. Das mir da keiner beigeht."

Doch. Er wusste es zu würdigen, dass Fränzi heute die Teller und die große Fischplatte hervorgeholt hatte. Sorgsam legte er die duftenden, glänzend braunen Hechtstücke auf die Platte, hatte frisches Gemüse in der Schüssel. Sie rollte auf einem kleinen Beistelltisch die Bierflaschen heran und stellte ihre Fanta-Dosen dazu. Dann betrachteten sie beide zufrieden ihr Werk, wünschten sich gleichzeitig "Guten Appetit", lachten darüber wie die Kinder, er rückte ihr den Stuhl zurecht und legte das schönste Stück auf ihren Teller.

Es schmeckte vorzüglich und der Vater lehnte sich genießerisch zurück. "Zufrieden?" fragte er und Fränzi nickte gelöst und glücklich. Es schmeckte gut und sie war ihm für seine deutliche Fürsorge so dankbar. Ich hab ihn so lieb, dachte sie zärtlich und fragte erwartungsgemäß nach dem Hergang des Fangs. Das mochte der Vater zumindest genauso wie das Fischessen selbst.

"Kapital", sagte er, "ich habe auf Blinker geangelt. Und wusste gleich, dass er wieder hinten im Schilf steht. Als ich früh ran bin, schoss er davon. Ich hab mich schon geärgert, weil ich dachte, ihn nie wieder zu bekommen. Aber dann hab ich mich doch wieder an die gleiche Stelle gesetzt und er hat mich nicht enttäuscht. Die Angel - ich sag - die Angel, ein Bogen. Fast dachte ich, sie hält es nicht. Wie damals, weißt du, wie wir beide den Sechspfünder am Haken hatten? Du hättest dabei sein sollen. So ein Bursche! Wie der abgezogen ist", der Vater sah bewundernd auf die Gräten, die am Tellerrand lagen, "einfach abgezogen, dabei saß der Blinker, das hab ich später gesehen, aber schon geahnt, tief."

"Aber aus dem Kahn bist du dieses Mal nicht gefallen", sagte Fränzi kichernd und goss die Fanta ins Glas. Er sah etwas ungehalten auf. "Hör mal", er räusperte sich, "man kann doch mal die Balance verlieren. Du bist noch nie aus dem Boot gefallen, weil ich immer auf dich aufgepasst habe. Geh nur mal allein angeln, dann wirst auch du noch kippen."

"Mein ja bloß so", beschwichtigte Fränzi ihn, "war doch aber auch ganz lustig, oder?" Sie sah ihm zum ersten Mal seit jener Nacht, die eigentlich erst gestern war, wieder in die Augen. Erleichtert stellte sie fest, dass es wieder seine ganz normalen Augen waren, keine Gefahr war in ihnen, es waren die guten Vateraugen, die sie kannte.

Fränzi hätte ihm stundenlang zuhören mögen, ihr war so leicht ums Herz, wie lange nicht. Abends dann im Bad lächelte sie ihrem nackten Spiegelbild zu. Was war schon geschehen? Nichts! Nichts, was sich lohnen würde, weiter bedacht zu werden. Er war etwas betrunken gewesen, der Vater. Na und? Kommt das nicht überall mal vor? Wir sind eine Familie, da bleibt die Welt außen vor, sagte die Mutter gern. Fränzi hatte ihm vergeben. Sie hatte ihn lieb.

Die Mutter kam früher als erwartet, schon am nächsten Morgen war sie da und Fränzi freute sich. Ganz leise gab es einen Klick in ihr und die Angst war nun endgültig weg. Ein warmes Gefühl breitete sich wohlig in ihr aus. Sie vergrub das Gesicht im Haar der Mutter und man sah ihr tatsächlich große Freude an.

Die Mutter schob sie gerührt ein wenig von sich.

"So lange waren wir doch nun auch wieder nicht getrennt." Fränzi strahlte und sagte: "Ich freu mich so."

"Dann kann unser Familienurlaub beginnen", sagte der Vater laut.

Die Mutter sah friedlich ihre Leute an. "Ihr seht beide unverschämt nach Urlaub aus", sagte sie, "das wollen wir gleich mal festhalten."

Der Vater wehrte ab. "Fang nicht gleich mit der Fotografiererei an."

"Wer redet von so was", sagte die Mutter und machte ihr spitzbübisches Gesicht. Sie verschwand für einen Moment und kam mit einem voluminösen Karton zurück. "Wer arbeitet denn mit solch mittelalterlichen Methoden. Die moderne Welt filmt!" Mit diesen Worten hatte sie eine Videokamera aus dem Papier gegraben, klein, handlich, schwarz und hart.

Der Vater sprang freudig drauf zu, legte sie sich auf die Schulter und tanzte wie ein Junge damit durch die Gegend. Dann richtete er die Kamera auf Fränzi. "Etwas mehr Haltung, wenn ich bitten darf. Wir gehen zum Film."

Fränzi blieb gelassen im Sessel hängen, die Beine über die Lehne. "Sieht eher aus wie ein Revolver", sagte sie, "sieht eher nach erschießen aus!"

Der Vater sah sie seitlich an der Kamera vorbei aufmerksam an. "Du hast sie nicht alle", sagte er. "Kennst eben keinen Revolver. Weltfremd dieses Mädchen!"

"Ein Revolver wär vielleicht auch nicht schlecht", fuhr Fränzi ungerührt fort. "Wenn man hier so allein ist. Kann doch mal was sein. Hört man doch jetzt alle Tage."

"Also Ideen hast du", stöhnte die Mutter, "ist mit ihrem Vater in der Sommerfrische und denkt an Einbrecher. Du siehst zu viel Fernsehen. Gibt es denn einen besseren Schutz als deinen Papa?" Die Mutter legte ihren Arm um seine Taille und zog ihn an sich, um ihn zu küssen. Für Fränzis Empfinden ein wenig zu intensiv, weil schließlich noch sie im Zimmer saß.

So hangelte sie sich aus dem Sessel heraus, tippte im Vorbeigehen der Mutter auf den Rücken und sagte: "Wenn ihr fertig seid mit der Knutscherei, dann komm in die Küche, da wartet ein Stück Hecht auf dich."

Sie schloss die Tür hinter sich und ahnte, dass die Mutter vorerst nicht kommen würde.

Süße Lust Tochter

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