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Ist mein Kind ein „Schreibaby“?

Die Dreierregel

Laut Definition spricht man von einem „Schreibaby“, wenn ein ansonsten gesundes, wohlgenährtes Baby mehr als drei Wochen, an mehr als drei Tagen pro Woche mehr als drei Stunden schreit oder quengelt (sog. Dreierregel). Aber sparen Sie sich bitte das minuziöse Zählen der Schreiminuten Ihres Babys! Auch wenn die Dreierregel nicht erfüllt ist, sollten vor allem Ihre Sorgen und Ihre Erschöpfung ernst genommen werden. Vertrauen Sie Ihrem Gefühl! Kaum ein „Schreibaby“ schreit wirklich drei Stunden täglich, denn meist finden seine Eltern sehr schnell eine Methode, um es zu beruhigen. Allerdings, und dies ist ein wesentliches Merkmal von Babys mit besonders starken Bedürfnissen, sind diese Beruhigungsmethoden oft sehr zeitaufwändig und kräftezehrend. Ob ein Baby ein „Schreibaby“ ist, kann man daher eher am Erschöpfungszustand der Eltern oder allgemein am Engagement zur Beruhigung des Babys ablesen als am Schreipensum des Kindes. Ich schließe mich daher der Definition von Renz-Polster, Menche und Schäffler (2008) an: Ein „Schreibaby“ ist ein Säugling, der mehr schreit, als die Nerven seiner Eltern es aushalten.

Wenn Ihr Baby also mehr schreit, als Sie ertragen können oder zur Beruhigung weit mehr Anstrengungen bedarf, als Sie leisten wollen und können, dann wenden Sie die im weiteren Verlauf des Buches geschilderten Beruhigungstechniken an. Sie werden so bald das Schreipensum Ihres Babys reduzieren und die Schlafphasen erhöhen können, und damit nicht nur Ihrem Kind, sondern auch Ihnen mehr Erholungspausen verschaffen.

Dreimonatskoliken

Besonders liebebedürftige Babys leiden oft an den sogenannten Dreimonatskoliken. Wenn Sie folgende Merkmale an Ihrem Kind feststellen können, dann spricht man im Allgemeinen von einem „Kolikbaby“:

(a) Die Koliken bzw. Schreiattacken beginnen ca. zwei Wochen nach dem errechneten Geburtstermin, da sich dann die Wachphasen des Babys langsam erhöhen und die Gefahr einer Überreizung steigt. Das vermehrte Schreien erreicht mit sechs Wochen seinen Höhepunkt und endet nach drei bis vier Monaten.

(b) „Kolikbabys“ zeigen beim Schreien ein verzerrtes, rot anlaufendes Gesicht und das Schreien verläuft krampfartig in Wellen. Es endet allerdings abrupt durch Stillen, Autofahren oder andere hilfreiche Tricks. Dies zeigt Ihnen, dass Ihr Baby keine Schmerzen haben kann, denn sonst würde es dennoch weiter schreien.

(c) Das Schreien beginnt oft während des Fütterns oder danach. Dies ist eine Überreaktion auf den gastrokolischen Reflex. Ist der Magen gefüllt, wird das Signal an den Dickdarm gesendet, sich zusammenzuziehen. Dieser normale und an sich harmlose Vorgang lässt „Kolikbabys“ allerdings manchmal aus der Haut fahren. Der Reflex verschwindet nach ca. drei bis vier Monaten und damit auch dieses Schreien Ihres Babys.

(d) Sie beobachten eine Erleichterung bei Ihrem Baby, sobald Blähungen oder Stuhlgang abgehen.

(e) Die Koliken und damit die Schreiattacken sind in den Abendstunden oft viel schlimmer.

(f) Bewegung und Geräusche verbessern die Situation, da dies das Baby an die Welt im Mutterleib erinnert. In Kulturen, wo die Kleinsten praktisch den ganzen Tag am Mutterleib getragen und zudem oft gestillt werden, kommen Koliken überhaupt nicht vor.

(g) Zwischen den Schreiattacken scheint Ihr Baby gesund und zufrieden.

Meiner Meinung nach handelt es sich bei Koliken nicht um eine Krankheit, sondern sie sind Begleiterscheinungen eines unruhigen, sensiblen Temperaments. „Kolikbabys“ reagieren eben empfindlicher auf völlig normale Verdauungsvorgänge und auf neue Reize als andere Babys. Grund hierfür ist ihre mangelnde Selbstregulationsfähigkeit. Das heißt, sie sind nicht in der Lage, einen ausgeglichenen Zustand herzustellen, wenn ein stressauslösender Reiz (z.B. Blähungen) auf sie einwirkt. Dann reagieren sie oft sofort mit exzessivem Schreien, während zufriedenere Babys diese natürlichen und in der Regel nicht schmerzhaften Verdauungsmechanismen ruhig über sich ergehen lassen. Eine medizinische Behandlung der Koliken ist daher in den meisten Fällen wirkungslos. Mein Kinderarzt verschrieb meinem Baby damals ein Mittelchen gegen die Blähungen. Auf die Frage, wie lange ich dieses geben müsse, antwortete er schelmisch: „Solange es die Mama braucht.“ Medizinische Produkte (z.B. Sab simplex®, Lefax®) wirken also, so meine Vermutung als Psychologin, vorrangig gegen das Gefühl der Hilflosigkeit bei den Eltern, sind beim Baby aber nahezu wirkungslos.

Das Gute ist, dass Koliken in den meisten Fällen nach drei bis vier Monaten von ganz allein wieder verschwinden. Dauern die Koliken länger als vier Monate an, liegt dagegen häufig ein medizinisch-pathologisches Problem vor (siehe unten).

Weitere charakteristische Merkmale eines besonders liebebedürftigen Babys

Neben den oben genannten Anzeichen, die darauf hinweisen, dass Ihr Baby wohl unter den berühmt berüchtigten Dreimonatskoliken leidet, gibt es noch weitere Merkmale, die ein sogenanntes „Schreibaby“ charakterisieren:

Sensibel

Babys mit starken Bedürfnissen reagieren sehr sensibel auf ihre Umwelt. Veränderungen ihres gewohnten Tagesablaufs sowie alles Neue können sie aus der Ruhe bringen – wenn nicht sofort, dann spätestens am Abend vor dem Schlafengehen. Sie haben eine niedrigere Reizschwelle als andere Babys. Das heißt, sie reagieren früher auf äußere oder innere Einwirkungen bzw. nehmen diese eher wahr. Zudem können sie störende Eindrücke nicht einfach eigenständig ausblenden. Daher geraten Sie schnell aus dem Gleichgewicht. Das auffälligste Merkmal an meinen beiden Babys waren ihre großen, stets wach blickenden Augen, die alles um sie herum aufzunehmen schienen. Später zeigen diese Kinder oft eine starke Neugier und ausgeprägte Wachsamkeit gegenüber ihrer Umgebung.

Intensiv

Besonders fordernde Babys schreien meist eindringlicher als ihre Altersgenossen. Sie protestieren lauter und fordernder, wenn sie etwas nicht mögen oder nicht umgehend bekommen können. Aber sie lachen später auch herzhafter. Sämtliche Gefühlszustände und die entsprechenden Verhaltensreaktionen scheinen bei ihnen intensiver zu sein als bei anderen Kindern.

Ruhelos

Babys mit starken Bedürfnissen scheinen ständig in Unruhe zu sein. Ärmchen und Beinchen bewegen sich ununterbrochen.

Angespannt

Besonders liebebedürftige Babys besitzen zudem eine sehr hohe Muskelspannung. Sie strecken sich beim Hochnehmen oft durch und versteifen Arme und Beine. Vielleicht haben Sie die Gelegenheit, einmal ein ruhigeres Baby einer Freundin auf den Arm zu nehmen. Sie werden den Unterschied sofort spüren. Dies ist auch der Grund, weshalb sich Ihr Baby anfangs wahrscheinlich sehr dagegen wehren wird, in ein Tragetuch eingepackt oder straff in ein Pucktuch gewickelt zu werden.

Neugeborene mit starken Bedürfnissen scheinen zunächst schwierig und für ihre Eltern äußerst kräftezehrend zu sein. So wollen sie z.B. den ganzen Tag nur herumgetragen werden, können nicht allein einschlafen oder sind stundenlang an der Brust, obwohl sie längst satt sind. Doch aus einem anstrengenden Baby wird oft ein fröhliches, einfühlsames, kreatives und begeisterungsfähiges Kind, welches die Herzen seiner Umgebung höher schlagen lässt. Außerdem zeigt solch ein Baby, das fordernd und ausdauernd weint, wenn seine Bedürfnisse (z.B. Schlaf, Nahrung, Geborgenheit) nicht befriedigt werden, ein hohes Maß an Durchsetzungsstärke. Es kann seinen Bezugspersonen deutlich mitteilen, dass es etwas braucht. Nur weil solch ein Baby nicht unseren Erwartungen und den Normen unserer Gesellschaft entspricht, wird es oft als „schwierig“ und „anspruchsvoll“ bezeichnet. Schöner klingen doch die Eigenschaften „selbstbewusst“ oder „charakterstark“.

Exkurs: Erbanlagen oder Umweltbedingungen?

Interessant ist auch die Frage, ob das Schreiverhalten eines Babys vordergründig durch sein angeborenes Temperament oder durch seine Umwelt beeinflusst wird. Ein Neugeborenes ist nach dem heutigen Stand der Wissenschaft kein unbeschriebenes Blatt. So ist sein Temperament vor allem erblich geprägt und auch die Umgebungsbedingungen während der Schwangerschaft und der Geburt beeinflussen das Baby bereits. Doch auch wenn vor oder während der Geburt nicht alles optimal laufen sollte, ist es beruhigend zu wissen, dass die Persönlichkeit eines Kindes nicht von Beginn an vorgeschrieben ist. Sie kann im weiteren Verlauf durch die Umweltbedingungen und den Erziehungsstil positiv beeinflusst werden. Gerade für Babys mit einem sensiblen, fordernden Temperament ist daher eine einfühlsame Umgebung und eine enge Bindung zu seiner Mutter und/oder seinem Vater entscheidend, um seine Persönlichkeit optimal zu entwickeln. Langsam kann sich das Baby dadurch an unsere Welt gewöhnen und einen Rhythmus finden, der es wiederum bald ruhiger und ausgeglichener werden lässt.

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