Читать книгу Sprich nichts Böses - Kayla Gabriel - Страница 8
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ОглавлениеEtwas stimmte ganz und gar nicht mit Kira Hudson. Dessen war sie sich sicher. In einem metallenen Klappstuhl zusammengesackt, unter dem einzigen Fenster in dem dunklen, feuchten Keller kauernd, starrte sie auf ihre Hände. Sie waren jetzt vor ihr gefesselt und das Klebeband scheuerte ihre Handgelenke auf. Die neue Wache hatte ihr klipp und klar gesagt, dass jeder Fluchtversuch in einer sehr schmerzhaften Bestrafung resultieren würde und dass es ohnehin zwecklos war.
Kira war vor vier Tagen in Baton Rouge von der Straße entführt worden… oder waren es mittlerweile fünf? Jedenfalls war der dürre, bleiche Meth-Junkie, der sie momentan bewachte, ihr Favorit unter den Männern, die bisher diesen Posten innegehabt hatten. Dieser war viel zu stark weggetreten, um sich für viel zu interessieren, und Kira erhielt nicht mehr als ab und zu einen Blick, solange sie sich ruhig verhielt.
In Anbetracht dessen, dass sie nur ein dünnes weißes Top und einen langen smaragdgrünen Rock trug, der während ihrer Gefangenschaft mehrere Risse abbekommen hatte, war sie geneigt, den Meth-Junkie der ersten Wache vorzuziehen. Die erste Wache hatte sie wie ein saftiges Stück Fleisch angestarrt, über seine Lippen geleckt und den halben Tag gegrinst. Allein der Gedanke an ihn ließ sie erschaudern.
Ihr Kiefer verspannte sich, als sie darüber nachdachte. Das war natürlich genau das, was sie wollten. Sie einschüchtern, sie ruhigstellen. Die Geschichte von Kiras vermaledeitem Leben. Sie war immer zu irgendetwas für irgendjemand. Zu frech, zu ungeduldig. Zum Kuckuck, zu vollschlank. Den Kommentar hatte sie damals in ihrer Heimatstadt zur Genüge gehört. Union City war ein kleiner Ort voller Kleingeister und die Kerle in Kiras Alter waren alle hinter den blonden Cheerleaderinnen her gewesen.
Kiras Augen fielen zu und schlossen das Elend ihrer Gefangenschaft aus. Stattdessen reflektierte sie ihr Liebesleben in dem Versuch, ihren Sinn für Humor zu bewahren trotz der furchteinflößenden Situation, in der sie sich befand.
Baton Rouge war größer und etwas besser, aber Kira hatte recht schnell entdeckt, dass die Kerle dort nicht viel besser waren. Sie mochten zwar an großen Trucks und großen Titten interessiert sein, aber Mädchen mit einer Figur, wie sie Kira hatte, wollten sie auch nicht länger als für einen One-Night-Stand.
Kira hatte diese Kerle eine Weile ausprobiert und sie für unbefriedigend befunden. Es war wirklich eine Schande, Kiras Meinung nach. Sie mochte ihre großen Brüste und Hüften und Hintern. Sie sah in einem engen Paar Bootcut Jeans verdammt gut aus. Wenn die Kerle in Baton Rouge mit ihr geflirtet hatten, war sie auf deren Flirt eingegangen und hatte versucht, ihre oberflächliche Aufmerksamkeit als das zu würdigen, was sie war. In der Zwischenzeit hatte sie gewartet auf…
Tja, das war hier die Frage, oder nicht? Kira hatte gewartet und gewartet und versucht herauszufinden, was in ihrem Leben fehlte. Als es nie aufgetaucht war, hatte sie von ihrem Verdienst als Barkeeperin Geld beiseitegelegt und ein One-Way-Ticket nach Singapur gekauft.
Bitterkeit legte sich bei diesem Gedanken auf ihre Zunge und Kira öffnete die Augen. Mittlerweile hatte sie ihren Flug sicherlich verpasst, ihre Fluchtmöglichkeit hatte sich zu spät aufgetan. Wenn sie doch nur gewusst hätte, dass sie mehr als ihrem langweiligen Leben entkommen hätte müssen…
Sie starrte erneut hinab auf ihre Hände und blickte ihre Finger wütend an. Natürlich, jetzt waren sie absolut reglos und gehorsam. Wo war dieses Level an Inaktivität während der letzten Monate gewesen, als ihr Gehirn mehrere Minuten ausgesetzt und sie, als sie wieder zu sich gekommen war, eine tote Maus oder Vogel in den Händen gewiegt hatte? Nur dass sie da nicht mehr tot gewesen war. Etwas war aus Kira geströmt, in direkter Linie von ihrem Herzen durch ihre Fingerspitzen und hatte den gebrochenen Körper des Wesens mit ihrem inneren Licht erfüllt…
Dann war die Maus von ihrer Hand gesprungen und davongehuscht, oder der Vogel hatte sich in die Lüfte geschwungen, oder… nun, es gab jede Menge Beispiele. Kira hatte sich nie bewusst dafür entschieden, es zu tun. In der Tat war ihre neugefundene Kraft bei dem einen Mal, als sie versucht hatte ein Nest Opossumbabys unter ihrer Terrasse wiederzubeleben, nicht zu Tage getreten. Sie kam und ging, wie es ihr gefiel, sehr zu Kiras Missfallen.
Es war unvermeidlich gewesen, dass jemand Kiras kleine… Fähigkeit entdeckte, was nun passiert war. Sie war sich nicht sicher, wer sie gesehen hatte oder was sie getan hatte, um deren Aufmerksamkeit zu erregen, aber so oder so steckte Kira in großen Schwierigkeiten. Eine Fahrt in einem fensterlosen Van, fünf nervöse Wachen und unzählige beschissene Wurstsandwiches später, waren Kira und ihre dämlichen Hände in einem gruseligen Keller eingesperrt, anstatt in Singapur Sehenswürdigkeiten zu erkunden.
Das Handy ihres Gefängniswärters klingelte und er erschrak sich beinahe zu Tode. Kira beobachtete, wie er den Anruf annahm und aus dem Raum schlurfte. Er ließ die Tür einen Spalt offenstehen und sie konnte das Krächzen seiner Stimme hören, während er mit jemandem sprach. Als er zurückkam, hielt er einen dunklen Kissenüberzug und eine Rolle Klebeband in seinen zitternden Händen.
„Nein, nein, nein“, protestierte Kira, deren Stimme kaum mehr als ein erbärmliches Wimmern war. „Du musst das nicht tun. Ich werde still sein!“
Der Typ grunzte und verdrehte die Augen, bevor er ihr den Mund zuklebte. Er zog den Kissenbezug über ihren Kopf und riss dann noch ein Stück Klebeband ab. Kira spürte, wie er den Kissenbezug an der nackten Haut ihrer Brust, Arme und oberem Rücken festklebte. Dann hob er sie hoch und warf sie sich über die Schulter, um sie die Treppe hinauf zu tragen. Zu ihrer Schande spürte Kira, dass sie sich mit der Situation abfand, als sie auf einen gepolsterten Platz gedrückt wurde. Ein metallisches Knallen ließ sie vermuten, dass sie wieder in dem fensterlosen Van war.
Sie hörte, dass der Motor ansprang, und spürte dann einen Ruck, als das Fahrzeug losfuhr. Ihr Herz hämmerte wie wild und ihr war leicht übel, während Visionen von all den schrecklichen Dingen, die als nächstes passieren könnten, die Worst-Case-Szenarien ihres nächsten Ziels, ihren Kopf füllten.
Die Fahrt schien eine Ewigkeit zu dauern. Kira bemühte sich, sich zu beruhigen, weil sie wachsam und konzentriert sein wollte für den Fall, dass sich ihr eine Fluchtmöglichkeit bieten sollte. Sie atmete tief durch ihre Nase ein und versuchte die Tatsache zu ignorieren, dass ihre Schulter und Arm wegen der unbequemen Position, in der sie lag, eingeschlafen waren. Sie war sich ziemlich sicher, dass nur zwei Männer mit ihr in dem Auto saßen, da sie sich hin und wieder mit harschem Flüstern verständigten.
Irgendwann stoppte das Fahrzeug für eine Weile. Kira fühlte, wie zwei Paar grobe Hände sie aus dem Van hoben. Trotz ihrer Versuche, ruhig zu bleiben, brach ihr der Schweiß aus und ihr Schädel kribbelt wegen einer düsteren Vorahnung. Dann sackte ihr der Magen in die Kniekehlen, als die Männer sie in die Luft warfen. Ihr Gehirn produzierte sofort Bilder, wie sie im Meer versank, um Atem rang…
Dann landete ihr Körper auf dem Boden und ihr Kopf schlug hart auf. Zum Glück war der Boden unter ihr weich. Gras wie sie bemerkte. Sie lag auf Gras.
Sie hörte das Zuschlagen der Vantüren und das Quietschen von Reifen. Eine halbe Minute lag Kira einfach nur da, schockiert und unschlüssig.
Eine Minute verging. Noch eine und noch eine. Kira rollte sich auf den Bauch und kniete sich hin. Sie beugte sich nach vorne, um den Kissenbezug mit ihren gefesselten Händen von ihrem Kopf zu ziehen. Sie zerrte daran, wodurch sie ein Stück des Klebebandes an ihrer rechten Schulter wegriss, aber konnte ihn einfach nicht vom Kopf bekommen.
„Heilige Scheiße!“, erklang die Stimme einer Frau aus der Ferne. „Gabriel! Gabriel, da liegt eine gefesselte Frau in unserem Vorgarten!“
„Cassie, geh zurück“, ertönte die geknurrte Antwort, eine Männerstimme mit britischem Akzent. „Hol bitte die anderen, ja?“
Kira zuckte zusammen, als zwei große Hände auf ihren Schultern landeten. Sie schrie auf, doch der Laut wurde von dem Klebeband gedämpft.
„Schh, alles ist gut“, beruhigte der Mann sie. „Halt still.“
Der Mann schälte das Klebeband von Kiras Haut und zog den Kissenbezug von ihrem Kopf, sodass sie in die helle Mittagssonne blinzelte. Punkte schwammen einen Moment vor ihren Augen und Kira sah hoch, wodurch sie einen riesigen Mann mit dunklen, kinnlangen Haaren entdeckte, der sich über sie beugte. Eine umwerfende rothaarige Frau stand hinter ihm, eine Hand sanft auf ihren gewölbten Bauch gelegt. Der Mann streckte eine Hand aus und schnitt eine entschuldigende Grimasse, als er das Klebeband von Kiras Mund riss.
„Geht’s dir gut?“, fragte die Frau, die besorgt aussah. „Ich bin Cassie und das ist Gabriel. Gabriel, schneid die Fesseln an ihren Handgelenken durch.“
„Ich…ich glaube schon“, antwortete Kira. Gabriel zückte ein Taschenmesser und durchtrennte das Band, das ihre Handgelenke fesselte, und Kira seufzte erleichtert auf. Sie wusste, sie sollte sich größere Sorgen um ihre Sicherheit machen, weil sie von Fremden umgeben war an einem Ort, den sie noch nie gesehen hatte. Sie schaute hoch zu der mehrstöckigen, grauen Backsteinvilla, die hinter Gabriel und der Frau, die sich jetzt an seine Hand klammerte, aufragte, und versuchte sich zu sammeln. „Bin ich in Louisiana?“
„New Orleans“, sagte die hübsche Rothaarige mit einem Nicken. „Ich hasse es, so direkt zu sein, aber… warum wurdest du einfach aus einem Van in unseren Vorgarten geworfen?“
Kira öffnete den Mund, ohne so recht zu wissen, was genau sie antworten sollte. Wie es das Glück so wollte, wurde sie von der Ankunft einer weiteren Handvoll Leute davor gerettet. Ein großer rothaariger Kerl, eine Frau mit einer wilden Mähne blonder Haare, ein mürrisch dreinblickender Diener in einem Smoking, eine kleine, aber entschlossen aussehende kreolische Dame und…
Jedes Härchen an Kiras ganzem Körper richtete sich in der Sekunde auf, bevor sie ihn erblickte. Obwohl er etwas älter und ganz gewiss gezeichneter vom Leben aussah, war es unverkennbar er. Ein stämmiger Baum von einem Mann, groß und breit und gebaut aus reiner Muskelmasse. Dunkle Haare, kürzer als in Kiras Erinnerung, fast schon ein Buzzcut an den Seiten, aber oben länger. Er bestand aus nichts als harten, sehnigen Kanten und er lief mit einem unerträglich intensiven Blick auf Kira zu.
Kiras Augen schnellten nach oben, um in seine zu blicken. Sofort verzehrten diese glänzenden dunklen Augen sie, verschlangen sie, nahmen alles, das sie zu geben hatte. Das hatte sich zumindest nicht verändert, nicht einmal nach fünfzehn Jahren.
Asher Fucking Ellison hielt direkt vor ihr. Sie hatte die Entführung und den Wurf aus dem Auto zwar mit einem gewissen Maß an Ruhe ertragen, doch diese flog gerade mit wehenden Fahnen aus dem Fenster.
Kira erhob sich stolpernd auf die Füße und wandte sich ab, um zu fliehen.