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2.

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Der schwarze Segler hatte auch den zweiten knüppelharten Sturm ohne größere Schäden überstanden.

Nach Meinung Thorfin Njals und der Roten Korsarin war er dabei allerdings so weit nach Westen geraten, daß er die beiden geheimnisvollen Inseln längst passiert haben mußte. In der pechschwarzen Sturmnacht hatten sie kaum die Hand vor Augen sehen können, aber sie waren überzeugt, daß die Inseln achteraus geblieben waren und sie sie jetzt im Osten suchen mußten. Mit halbem Wind segelte das schwarze Schiff südwärts.

Im Ausguck beobachtete Hilo die Kimm für den Fall, daß sich noch einmal die verlotterte spanische Galeone mit dem Namen „Maria Mercedes“ zeigen sollte.

Der Wikinger grinste, als er über die Kuhl zum Achterkastell stampfte. Er war von Anfang an in dieses Schiff vernarrt gewesen, und es befriedigte ihn immer wieder von neuem, zu sehen, wie ausgezeichnet es sich bewährte. Nicht umsonst hatten es die Chinesen „Eiliger Drache über den Wassern“ genannt. Der schwarze Segler war schnell und stark, und er würde sie sicher in jenes geheimnisvolle Land bringen, das Siri-Tongs Heimat war und das den Seewolf mit geradezu magischer Anziehungskraft lockte.

Thorfin Njal klopfte an die Tür der Kapitänskammer, bevor er eintrat.

Siri-Tong hob den Kopf und lächelte flüchtig. Ihre dunklen Mandelaugen waren zusammengekniffen. Im Licht der blakenden Öllampe saß sie über eine Karte gebeugt, eine ganz bestimmte, vom Alter vergilbte Karte, die sie sonst nicht benutzten, da sie mehr Schnörkel und Verzierungen aufwies als genaue Angaben.

Jetzt tippte Siri-Tong auf eine bestimmte Stelle. Verhaltene Erregung lag auf ihren Zügen. „Schau dir das an, Thorfin!“

Der Winkinger runzelte die Stirn, schloß die Tür hinter sich und beugte sich über den Tisch.

Siri-Tongs Finger zeigte auf eine der beiden Inseln, die sie bereits auf den anderen Karten entdeckt hatten. Aber hier auf dem vergilbten Pergament war die Insel nicht einfach als Punkt in der endlosen Weite des Meeres eingetragen. Eine kleine, kunstvoll ausgeführte Zeichnung markierte ihre Lage. Eine Zeichnung, die die Linien von Buchten und Landzungen zeigte – und daraus hervorwachsend ein halbes Dutzend eigentümlich unproportioniert wirkender menschlicher Figuren, von denen nur Köpfe und Oberkörper abgebildet waren.

„Hmm“, brummte der Wikinger.

„Für was hältst du es?“ fragte Siri-Tong. „Vielleicht für Steinfiguren?“

„Möglich. Auf was willst du hinaus?“

„Steinfiguren, Thorfin! Wenn die Zeichnungen auch nur halbwegs der Wirklichkeit entsprechen, müssen es sehr große Figuren sein. Steinerne Riesen! Erinnerst du dich nicht an das, was uns Hasard über das Abenteuer auf Jamaica erzählt hat?“

Der Wikinger erinnerte sich vor allem an den Bericht über den Kampf mit der spanischen Galeone, an den Capitan Raffael Virgil, der vor den Augen der Seewölfe tot zusammengebrochen war, Opfer eines geheimnisvollen Zaubers. Aber auch von der Schatzkarte hatte Hasard erzählt, von jener geheimnisvollen Insel, auf der der Vater des Schiffsjungen Bill vor Jahren eine Kiste mit Gold und Edelsteinen vergraben hatte.

Thorfin Njal runzelte die Stirn. „Du meinst, das könnte diese merkwürdige ‚Insel der Steinernen Riesen‘ sein?“

„Warum nicht? Die Chinesen haben die Dinger ja nicht umsonst eingezeichnet. Auf der zweiten Insel gibt es allem Anschein nach nur nackte Felsen.“

Der Wikinger kratzte ausgiebig an seinem Kupferhelm. Ein paar Sekunden starrte er auf die Karte, dann nickte er.

„Stimmt“, sagte er. „Und wenn das da wirklich diese Steinernen Riesen sein sollen, dann wissen wir jetzt wenigstens, wo wir die ‚Isabella‘ suchen müssen.“

Siri-Tong nickte nur.

Genau das war es. Solange unter Umständen beide Schiffe auf der Suche nach dem jeweils anderen im Pazifik herumkreuzten, konnte es lange dauern, bis sie wieder aufeinander stießen. Aber wenn Sturm und Abdrift sie tatsächlich in die Nähe der „Insel der Steinernen Riesen“ verschlagen hatte, würde nichts die Seewölfe daran hindern, dort vor Anker zu gehen und nach Bills Schatz zu suchen.

„Versuchen wir’s“, sagte die Rote Korsarin ruhig. „Wenn die Karten auch nur halbwegs stimmen, müßten wir die Insel eigentlich bis morgen gefunden haben.“

Kanonendonner!

Zwei der drei spanischen Galeonen umsegelten die Insel und schossen systematisch auf alles, was sich bewegte. Immer wieder donnerten Steinschläge nieder, polterten größere Felsbrocken, die sich gelöst hatten. Morgen bei Tageslicht würde man die Insel Sala-y-Gomez vermutlich nicht wiedererkennen.

„Hoffentlich lassen die unsere Boote heil“, brummte Ed Carberry, während er sich vorsichtig um eine scharfkantige Felsennase herumschob.

„Diese Idioten scheinen die ganze Insel in Stücke schießen zu wollen“, sagte Matt Davies pessimistisch. „Verdammt noch mal, haben die denn gar keine Angst, ihre eigenen Leute zu treffen?“

„Wahrscheinlich wissen sie, daß ihre eigenen Leute hier auf der Nordseite am Strand bleiben, bis das Geballer aufhört. Ich denke …“

Ben Brighton kam nicht mehr dazu, den anderen zu erklären, was er dachte. Zufällig war sein Blick nach rechts über das verlassene Lager der Meuterer gewandert, jetzt ließ sein leiser Warnruf auch Hasard, Big Old Shane und Ferris Tucker die Köpfe wenden.

Ein Spanier raste über den freien Platz zwischen den Hütten.

Er stolperte, fing sich wieder und hetzte weiter, als sei der Teufel selber hinter ihm her. Sein Blick hing an einer Stelle auf halber Höhe des Hangs. Ganz offensichtlich plante er, sich in die Höhle hinter dem zerzausten Rankenvorhang zu retten – doch dieses Versteck hatten die Seewölfe schon für sich reserviert.

„Batuti schickt Spanier schlafen“, gab der riesige Gambia-Neger bekannt.

Dabei bückte er sich bereits, hob einen handlichen Stein auf, holte aus und zielte.

Der Stein wirbelte durch die Luft.

Präzise traf er den Kopf des Spaniers. Der Mann brach ohne einen Laut zusammen und legte sich schlafen.

„Rumms!“ sagte Batuti zufrieden. Ein paar von den anderen Männern kicherten vergnügt.

Zwischen ihnen und der Höhle lag nur noch der steile Hang, auf dem Gebüsch und Dornenranken zwischen verstreuten Felsblöcken wucherten. Im fahlen Mondlicht konnten sie genug sehen, um nicht zu stolpern oder allzuviel Lärm zu veranstalten. Hasard übernahm die Spitze, und Dan O’Flynn blieb zurück, um mit seinen scharfen Augen die Steinbarriere zu beobachten, die das Lager vom Strand trennte.

Immer noch dröhnte dumpf der Kanonendonner.

Der Seewolf begriff durchaus den Zweck dieser mörderischen Ballerei. Der Führer des spanischen Verbandes war offenbar entschlossen, das Unternehmen ohne größere Verluste durchzuziehen.

Die beiden Galeonen zwangen mit ihrem Beschuß die Meuterer, sich ins Innere der Insel zurückzuziehen, auf das Hochplateau. Mindestens drei Dutzend Spanier waren mit ihren Booten bereits in der Bucht jenseits der Felsenbarrieren gelandet. Sobald die Kanonade aufhörte, würden sie sich verteilen, ihre Opfer einkreisen, zusammentreiben und dann entweder gefangennehmen oder sofort massakrieren.

Die Meuterer hatten nicht die Spur einer Chance.

Sie kämpften mit dem Mut der Verzweiflung, kämpften weil sie gar keine andere Wahl hatten. Wenn sie sich ergaben, wartete der Galgen auf sie. Ein paar mochten auf die naheliegende Idee verfallen, sich in der Höhle zu verbergen, aber auch dort würde eine böse Überraschung auf sie warten.

Hasard blieb neben dem Loch im Felsen stehen, während seine Männer durch den Rankenvorhang schlüpften. Ben Brighton stützte die zitternde, zu Tode erschöpfte Luana. Dan O’Flynn bildete den Schluß. Nach einem letzten Blick über die Ansammlung primitiver Hütten zog sich auch der Seewolf in die Dunkelheit der Grotte zurück.

Sorgfältig ordnete er den Rankenvorhang wieder so, daß er das Loch im Felsen völlig verdeckte.

Dabei spähte er nach draußen, zu der Steinbarriere hinüber – und lächelte matt, als er die beiden Gestalten bemerkte, die dort drüben fast die Felsen hinunterrollten.

„Wir erhalten Besuch“, sagte er trocken. „Verteilt euch ein bißchen an den Wänden, damit die Kerle uns nicht auf den ersten Blick entdekken.“

Die Männer gehorchten.

Viel war in dem schwachen Lichtschimmer, der durch die Ranken fiel, ohnehin nicht zu sehen. Immer noch rollte Kanonendonner, aber jetzt klang er fern und gedämpft. Draußen polterten Steine und hörten sie das Knacken von Zweigen, als die beiden fliehenden Spanier durch das Gebüsch brachen. Ihr Keuchen war fast noch lauter als das Geräusch ihrer Schritte. Helles Entsetzen hielt sie in den Klauen. Sie fegten ohne jede Vorsicht die herabhängenden Ranken zur Seite.

Der erste Mann stolperte einfach in die Höhle und ließ sich völlig ausgepumpt auf den Bauch fallen.

Der zweite fiel ebenfalls, aber nicht freiwillig, sondern unter der Wirkung des Nackenschlags, mit dem ihn Ferris Tucker bediente.

„Krrrch“, gurgelte der Bursche.

Sein Kumpan hob den Kopf und riß entsetzt die Augen auf, als eine Faust vom Format einer Ankerklüse auf ihn zuflog.

Seine Zähne klickten aufeinander, die aufgerissenen Augen verdrehten sich. Der Mann klatschte auf den Bauch zurück, und Pete Ballie blies sich grinsend über die Knöchel.

„Raus mit ihnen“, sagte Hasard knapp.

Big Old Shane war es, der die beiden Kerle am Kragen packte, aus der Höhle schleifte und den Hang hinunterbeförderte.

Dort fielen sie einem ihrer Kumpane vor die Füße. Der Bursche stieß einen schrillen Schrei aus, warf sich herum und setzte seine Flucht in eine andere Richtung fort.

Big Old Shane kroch in die Höhle zurück und brachte hinter sich den Rankenvorhang in Ordnung.

„So“, brummte er. „Und nun? Wollen wir in diesem Mauseloch bleiben, bis wir schwarz werden?“

Hasard schüttelte den Kopf. „Bestimmt nicht! Wir müssen zur ‚Isabella‘ zurück. Und zwar schleunigst, bevor Old O‘Flynn und die anderen auf den Gedanken verfallen, irgend etwas auf eigene Faust zu unternehmen.“

„Also zu den Booten“, sagte Carberry. „Das hätten wir auch gleich tun können, ohne uns erst hier zu verkriechen.“

Der Seewolf grinste. „Hätten wir nicht! Weil wir nämlich den Teufel tun werden und quer über die Insel marschieren. Die Spanier sollen sich getrost in aller Ruhe gegenseitig die Köpfe einschlagen. Wir benutzen die Höhlen. Von dem verdammten Labyrinth ist höchstens ein kleiner Teil eingestürzt. Wir werden versuchen, einen anderen Ausgang zu finden, einen, der so nah wie möglich an der Stelle liegt, wo wir die Boote zurückgelassen haben.“

„Hm“, brummte Carberry.

Man sah ihm an, wie wenig ihm der Gedanke behagte, in dem Gewirr der unterirdischen Gänge herumkriechen zu müssen. Aber er kam nicht dazu, seine Bedenken in Worte zu fassen. Denn im selben Augenblick polterten draußen in der Senke schon wieder eilige Schritte.

Diesmal war es ein ganzer Trupp von Meuterern, der in panischem Entsetzen durch das Lager floh und der Höhle zustrebte.

Es waren fünf oder sechs Männer. Sie keuchten, bewegten sich unsicher und stolperten immer wieder. Einer von ihnen wimmerte vor sich hin, er war offenbar verletzt. Hasard schob sich zum Höhleneingang hinüber und spähte vorsichtig durch eine Lücke im Rankenvorhang.

Fast taten ihm die Kerle leid, die sich da keuchend und mit schweißbedeckten Gesichtern wie gejagte Tiere den Hang heraufkämpften.

Hinter ihnen, jenseits der Felsenbarriere, peitschten jetzt Musketenschüsse. Nur noch auf der anderen Seite der Insel krachten in Abständen die schweren Geschütze der Galeonen. Der Führer des Verbands hatte offenbar zum Halali geblasen. Nach allem, was bereits über Carlos Ingarra und seine Leute hereingebrochen war, konnte es nicht mehr schwer sein, den entnervten Rest zusammenzutreiben.

Der erste Spanier hatte es so eilig, in der Höhle unterzutauchen, daß er sich in dem Rankenvorhang verhedderte.

Er fluchte, zerrte und dabei erkannte er im schwachen Widerschein des Mondlichts, daß die Grotte schon besetzt war. Ein gurgelnder Laut drang über seine Lippen. Seine Augen wurden weit und verdrehten sich in der nächsten Sekunde, als Hasards Rechte punktgenau unter sein Kinn krachte.

„Diablo!“ kreischte einer der Spanier draußen, packte seinen bewußtlosen Kumpan am Kragen und zerrte ihn kurzerhand zurück.

Daß der Bursche ohnmächtig war, schienen die anderen nicht zu bemerken. Immerhin gingen sie jetzt systematisch vor. Einer hielt die Dornenranken zur Seite, die anderen drängten keuchend und fluchend durch den engen Höhleneingang.

Zweimal hintereinander klatschte es dumpf.

Der dritte Mann sah seine Kumpane zusammenbrechen, und er sah auch die dunklen Gestalten, die dafür verantwortlich waren. Vielleicht dachte er, der Geist des toten Kapitäns habe inzwischen Junge gekriegt. Jedenfalls schrie er gellend auf, zuckte zurück und prallte gegen den Burschen, der von hinten nachdrängte.

Genau eine Sekunde lang glichen Druck und Gegendruck sich aus.

Die beiden Spanier standen da wie ein Ringerdenkmal. Dann gewann der Bursche, der nach draußen drängte, die Oberhand. Nicht weil er stärker war als sein. Kumpan, sondern weil der rothaarige Ferris Tukker mit einem wuchtigen Fausthieb nachhalf.

Die beiden Kerle wurden nach draußen katapultiert und überschlugen sich am Boden.

Der letzte Spanier ließ die Dornenranken fahren und wandte sich zur Flucht. Die beiden anderen rappelten sich stöhnend auf. Auch sie dachten nur noch daran, so schnell wie möglich zu verschwinden. Im nächsten Augenblick erhielten sie unerwartete Starthilfe.

Zwei Schatten wuchsen hinter ihnen hoch. Ed Carberry und Ferris Tucker.

Sie wechselten einen Blick, grinsten sich an und hoben wie auf Kommando die Füße.

Die beiden Spanier lernten das Fliegen.

Je ein mächtiger Tritt in den Achtersteven lüftete sie an. Mit weit ausgebreiteten, rudernden Armen segelten sie den Hang hinunter und hinterließen eine Schneise im Gebüsch, bevor sie endgültig liegenblieben.

„Mußte das sein?“ fragte Hasard, der ebenfalls aus der Höhle auftauchte.

„Wieso?“ fragten Ed und Ferris wie aus einem Munde zurück.

Kopfschüttelnd blickte der Seewolf auf die Verwüstung. „Weil ihr genausogut einen Wegweiser hättet aufstellen können“, sagte er trocken. „Na ja, jetzt ist es auch schon egal. Die nächsten, bitte.“

Die drei bewußtlosen Spanier flogen ihren Kumpanen hinterher.

Der sechste Mann, der als einziger rechtzeitig Fersengeld gegeben hatte, wühlte sich in einiger Entfernung durch die Büsche. Wenn er auf die versprengten Reste seiner Kameraden traf, würde er vermutlich wahre Schauermärchen erzählen. Aber deswegen waren die Seewölfe in dem Höhlenversteck trotzdem nicht mehr sicher.

„Abmarsch“, sagte Hasard mit ruhiger Stimme. „Das Labyrinth hat mehr Ausgänge als ein Fuchsbau. Einen davon werden wir ganz sicher finden.“

Seewölfe - Piraten der Weltmeere 98

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