Читать книгу Seewölfe - Piraten der Weltmeere 190 - Kelly Kevin - Страница 4
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Оглавление„Land ho! Land Steuerbord voraus!“
Wie ein Trompetensignal schmetterte die Stimme des zwanzigjährigen Moses Bill über die Decks der „Isabella“. Köpfe wurden gehoben, in die schläfrigen Männer geriet Bewegung. Tropische Hitze brütete über dem Schiff, nur gemildert von der stetigen Brise, die die Segel füllte, die Galeone raumschots über das tiefblaue Wasser trieb und der Crew Zeit gab, das süße Nichtstun zu genießen. Nicht einmal der Rudergänger brauchte sich anzustrengen. Der Wind wehte gleichmäßig, als wolle er die Menschen vergessen lassen, daß es so etwas wie Böen überhaupt gab. Das Kielwasser der „Isabella“ wirkte wie mit dem Lineal gezogen.
Soweit wäre alles in schönster Ordnung gewesen, wenn das süße Nichtstun nicht eine weniger süße Seite gehabt hätte: die Langeweile.
Philip und Hasard, die achtjährigen Zwillingssöhne des Seewolfs, vertrieben sich die Zeit, indem sie immer neue Streiche ausheckten, bis ihnen der Profos mal wieder die Kehrseiten verdrosch. Hasard junior hatte sich bestens von seiner Verletzung erholt.
Der Kutscher, Koch und Feldscher auf der „Isabella“, schlich mit Leichenbittermiene herum, weil der Mangel an handfesten Problemen, die debattiert werden konnten, zu völlig unberechtigten Nörgeleien an seinem Essen führte.
Old O’Flynns Gespenstergeschichten waren nach einhelliger Meinung auch nicht mehr das gleiche wie früher. Sogar Ed Carberrys Flüchen fehlte der wahre Schwung. Heute zum Beispiel hatte er sich nur ein einziges Mal zu der Drohung aufgerafft, jemandem die Haut in Streifen von einem gewissen edlen Körperteil zu ziehen – nämlich Blacky und Luke Morgan, die sich über die tiefgründige Frage in die Haare gerieten, wie man bei den Kakerlaken Männlein und Weiblein auseinanderhalten könne.
Jetzt waren es die Zwillinge, die diese Frage aufgegriffen hatten und zum Zwecke ihrer Erforschung in der Kombüse auf Kakerlaken-Jagd gingen.
Der Kutscher schimpfte wie ein Rohrspatz über die Unterstellung, in seiner Kombüse seien Kakerlaken zu finden. Luke Morgan und Stenmark zogen ihn prompt mit finsteren Mutmaßungen über den Inhalt seiner Suppenkessel auf.
Und der Seewolf, der auf dem Achterkastell stand und den makellos blauen Himmel betrachtete, hatte den Verdacht, daß gleich wieder der Profos dazwischenfahren würde, um zu verhindern, daß sich die Streithähne eine herzerfrischende Keilerei lieferten.
Land in Sicht! Das war genau die richtige Medizin.
Selbst Ben Brighton, der immer ruhige und beherrschte Bootsmann der „Isabella“, grinste erleichtert, als er den grünlichen Buckel Steuerbord voraus über der Kimm sah. Eine Insel bedeutete Abwechslung, auch wenn man nicht behaupten konnte, daß es in letzter Zeit an Inseln gemangelt hätte. Dieser Teil des pazifischen Ozeans war voll davon. Viele gleichen sich, aber manch eine hatte schon eine Menge Überraschungen geboten. Und irgendwo, vermutlich in nicht allzu weiter Ferne, mußte auch noch jener geheimnisvolle, unentdeckte Kontinent Australien liegen, von dem niemand mit Sicherheit sagen konnte, ob er nicht doch nur eine Legende war.
Unten auf der Kuhl drängten sich die Männer am Steuerbord-Schanzkleid.
Auch die Zwillinge hatten die Kakerlaken-Jagd aufgegeben, enterten ein Stück in die Wanten und spähten nach Nordwesten. Über ihnen schaukelte der Schimpanse Arwenack auf einer Webleine. Der Papagei Sir John flatterte aufgeregt herum und bewies wieder einmal, was er seinem speziellen Freund Ed Carberry alles abgelauscht hatte.
„Land ho! An die Brassen und Fallen, ihr lahmen Säcke! Quergestreifte Affenärsche Steuerbord voraus!“
„Halt den Schnabel, du Mistvieh!“ schnauzte der Profos.
„Ramm das Schott dicht, du Enkel einer triefäugigen Gewitterziege“, krächzte der Papagei.
„Da soll doch dieser und jener dreinfahren!“ empörte sich Carberry.
„Wasch dir die Füße, du Hering!“ konterte der Vogel total unlogisch, und die Crew kommentierte den Wortwechsel mit einer donnernden Lachsalve, zumal der Profos automatisch auf seine Zehen blickte und im nächsten Moment in einem Ton losfluchte, als wolle er den Himmel zum Erröten bringen.
Sir John plusterte sich ob der allgemeinen Aufmerksamkeit. Er hatte noch mehr auf Lager, aber er wurde von Bill übertönt, der von seinem luftigen Ausguck im Großmars aus weitere Meldungen brachte.
„Deck! Auslegerboot Steuerbord voraus. Ist gerade hinter einer Landzunge der Insel erschienen!“
Hasard zog das Spektiv auseinander und setzte es ans Auge.
Die Insel rückte heran: ein unregelmäßiger Kegel, von sattgrüner Vegetation überwuchert. Perlmuttfarbener Sand säumte eine tief eingeschnittene Bucht, die in einer felsigen Landzunge auslief. Aus dem Schatten dieser Landzunge löste sich tatsächlich ein Auslegerboot mit dem typischen, seltsam geformten Katamaran-Segel.
Minuten später folgten ihm ein zweites, dann ein drittes und viertes Boot.
Undeutlich erkannte Hasard die halbnackten braunhäutigen Gestalten: fast drei Dutzend Eingeborene, die aufmerksam zur „Isabella“ spähten. Ihr Kurs lag etwa parallel zu dem der Galeone. Doch der ranke Segler holte rasch auf, und es dauerte nicht lange, bis auch mit bloßem Auge Einzelheiten zu erkennen waren.
„Ha!“ schrie Donegal Daniel O’Flynn junior, der die schärfsten Augen an Bord hatte.
„Was heißt hier Ha, du Wanze?“ grollte der Profos.
„Hast du Brotfrüchte auf den Klüsen, Ed? Eine Südsee-Lady! Und was für eine! Gegen die hat die rote Lou aus der ‚Bloody Mary‘ ’ne Figur wie ein Großsegel bei Flaute!“
Auch das noch, dachte der Seewolf erschüttert.
Was Dan O’Flynn meinte, war klar: ein Großsegel bei Flaute ließ jegliche Rundung vermissen. Und die braunhäutige Südsee-Lady, die da vorn in dem ersten Katamaran kauerte, hatte alle Rundungen, die wichtig waren, was nicht zu übersehen war, da ein Grasrock und ein Blumenkranz eine ziemlich unzureichende Bekleidung darstellten.
„Mannomann“, seufzte Smoky, der Decksälteste, verzückt.
„Verdammt, verdammt“, murmelte der rothaarige Schiffszimmermann Ferris Tucker und hatte ein gewisses Glitzern in den Augen.
„Was ist denn mit euch los?“ erkundigte sich Philip junior respektlos. „Habt ihr noch nie ’n paar Insulaner gesehen, oder wie?“
Wahrscheinlich, überlegte Hasard senior, wurde es Zeit, seinem Nachwuchs bei Gelegenheit ein paar Einsichten in gewisse Aspekte der menschlichen Natur zu vermitteln. Oder doch nicht? Bei den Gauklern, mit denen sie bis zu ihrem siebenten Lebensjahr herumgezogen waren, hatte es eine bauchtanzende Lady namens Suleika gegeben, die keine Lady gewesen war. Und das Talent der Zwillinge, immer genau das aufzuschnappen, was nicht für ihre Ohren bestimmt war, konnte sich sehen lassen.
Hasard verschob die Frage.
Denn inzwischen hatte auch er die Südsee-Lady etwas genauer betrachtet – als Kapitän mußte man sich schließlich orientieren – und dabei festgestellt, daß Grasrock und Blütenkranz der Schönen reichlich zerrauft wirkten. Sie sah nicht so aus, als befinde sie sich freiwillig auf dem Auslegerboot. Als sich die „Isabella“ jetzt näherte, glaubte der Seewolf, in den großen, dunklen Augen einen deutlich flehenden Ausdruck zu erkennen.
Auch den anderen entging das nicht.
Blacky verzog grimmig das Gesicht. Sam Roscill kippte fast außenbords, weil er sich dermaßen den Hals verrenkte. Luke Morgan winkte lebhaft, und die Südsee-Lady produzierte ein Lächeln, bei dem ein Eisberg aufgetaut wäre.
Im nächsten Moment sprang sie auf, federte in den Knien und hechtete mit einem eleganten Sprung ins Wasser.
Kein Zweifel: sie schwamm auf die „Isabella“ zu. Sekundenlang waren die Eingeborenen in dem Auslegerboot verblüfft. Dann erhob sich ein wildes Wutgeschrei, und zwei von den braunhäutigen Gestalten sprangen dem Mädchen nach.
Und noch jemand sprang: nämlich Smoky, der Decksälteste.
Bei ihm fiel der Sprung nicht so elegant aus, aber dafür wühlte seine bullige Figur sehr eindrucksvoll das Wasser auf. Die beiden Männer, die der Südsee-Schönen nachschwammen, um sie zurückzuholen, wurden etwas langsamer. Smokys klotzige Gestalt gebot Respekt. Zumindest ließ sie es geraten erscheinen, sich die Sache noch mal durch den Kopf gehen zu lassen. Die beiden Eingeborenen taten das offenbar. Bevor sie mit ihren Überlegungen fertigwaren, hatte Smoky die braunhäutige Lady bereits erreicht.
Daß er einen Arm um ihren Körper schlang und sie sozusagen abschleppte, war nach Hasards Meinung völlig überflüssig: schließlich sah jeder, daß die Lady schwimmen konnte wie ein Fisch.
Die Insulaner heulten vor Wut.
Blitzartig änderten sie den Kurs, hielten auf die „Isabella“ zu und fischten unterwegs ihre schwimmenden Genossen auf. Smoky erreichte mit ein paar letzten kräftigen Stößen die Galeone. Blacky und Luke Morgan hatten inzwischen eine Jakobsleiter ausgebracht, und der Deckälteste ließ mit galanter Geste der Lady den Vortritt.
Die braunhäutige Schöne konnte nicht nur schwimmen wie ein Fisch, sondern auch klettern wie eine Katze.
Es dauerte nur Sekunden, bis sie sich über das Schanzkleid schwang. Smoky folgte dichtauf, und im selben Augenblick erreichten die Auslegerboote der Eingeborenen die „Isabella“.
Mit Gebrüll versuchten sie, aufzuentern.
Die Seewölfe sahen sie sich an. Speere und Keulen, registrierte Hasard. Nicht gerade eine Art von Bewaffnung, wegen der man gleich Klarschiff zum Gefecht machen mußte.
Während Smoky die Südsee-Lady in Sicherheit brachte, ballten Ferris Tukker, Ed Carberry und ein halbes Dutzend anderer erwartungsvoll die Pranken.
Die Angreifer veranstalteten ein Geschrei, mit dem sie sich wahrscheinlich selbst zur Weißglut anstacheln wollten. Die Seewölfe fanden Weißglut in diesem Fall übertrieben: mittelmäßiger Ärger genügte. Aber es war keiner von der Crew, der das Gefecht eröffnete, sondern Arwenack, der Schimpanse.
Der Affe hatte so seine Erfahrungen.
Wenn auf eine bestimmte Art gebrüllt wurde, konnte das nur heißen, daß im nächsten Moment die Fetzen flogen. Arwenack war ein kluges Kerlchen und verstand es durchaus, Freund und Feind auseinanderzuhalten. Wenn die Fetzen flogen, pflegte er sich in die Wanten zurückzuziehen. Wohlgemerkt mit einem soliden Belegnagel bewaffnet.
Der erste Angreifer, der sich über das Schanzkleid schwingen wollte, verspürte einen dumpfen Schlag, der aus dem Nichts zu erfolgen schien, und kippte wieder außenbords.
Einen zweiten Mann riß er mit. Das Wasser klatschte. Ferris Tucker beugte sich ungeduldig vor, weil ihm die Sache zu lange dauerte. Der dritte Mann schob soeben den Kopf über das Schanzkleid, doch nur für Sekunden, bis ihn die mächtige Faust des rothaarigen Schiffszimmermanns erwischte.
Es war ein Hammerschlag von oben nach unten, und der kostete nicht nur den Getroffenen das Bewußtsein, sondern räumte zugleich die Jakobsleiter leer.
Die Seewölfe rieben sich die Fäuste und warteten. Philip Hasard Killigrew schüttelte den Kopf.
„Einholen!“ schrie er.
„Einholen, ihr hirnrissigen, dreimal kalfaterten Decksaffen!“ nahm Carberry den Befehl auf.
Ferris Tucker und Luke Morgan griffen zu und holten die Jakobsleiter ein. Da sie herzhaft zugriffen, wurden gleich noch drei, vier von den heulenden Eingeborenen ins Wasser geschüttelt. Sie paddelten herum und schnitten grimmige Gesichter, aber da sie keine Flügel hatten, gab es keine Chance mehr für sie, an Bord zu gelangen.
„Deckung!“ schrie Dan O’Flynn, der mit seinen scharfen Augen Gefahren immer etwas früher erkannte als andere.
Diesmal war seine Warnung überflüssig, da die Seewölfe schon von selbst in die Deckung des Schanzkleids tauchten. Ein Hagel von Lanzen zischte heran, die die Männer in den Auslegerbooten mit verzweifelter Wut geschleudert hatten.
Der blonde Stenmark, dem fast die Zehen durchbohrt wurden, vollführte einen Luftsprung und fluchte. Batuti, der hünenhafte Gambia-Neger, blickte kopfschüttelnd auf die Waffe, die sich neben ihm in den Mast gebohrt hatte, zog sie heraus und schleuderte sie zurück ins Wasser.
„Bist du verrückt, du schwarzer Affe?“ fauchte Ferris Tucker aufgebracht.
„Selber verrückt, rothaariges Riesenaffe“, knurrte Batuti. „Lanze hat schweres eiserne Spitze, also sie sinkt. Klar?“
In solch schauderhaftes Englisch fiel Batuti nur noch zurück, wenn er sich ärgerte. Ferris Tucker schnaufte und spähte über das Schanzkleid. Die Eingeborenen, die im Wasser schwammen, kletterten gerade wieder in die Auslegeboote, triefend und vermutlich fluchend, obwohl die Seewölfe das bei der fremden Sprache nicht so genau unterscheiden konnten.
In aller Eile wurden die Boote gewendet.
„Ruhmloser Rückzug“, meldete Luke Morgan. „Schade!“
Seine Ansicht wurde allgemein geteilt.
Niemand hätte etwas gegen einen handfesten Kampf einzuwenden gehabt. Aber dafür hatten sie jetzt eine Sammlung fremdartiger Lanzen an Bord, für die sich vor allem die Zwillinge brennend interessierten. Und eine fremdartige, leichtbekleidete Lady, die triefend auf der Kuhl stand und Smoky, den Decksältesten, offensichtlich als ihren Lebensretter anhimmelte.
Philip Hasard Killigrew kletterte vom Achterkastell ebenfalls auf die Kuhl hinunter.
Daß er innerlich stöhnte und sich versucht fühlte, sämtliche Schutzheiligen der englischen Seefahrt anzurufen, wußte nur er selber.
„Ich – Nuami.“
Die Perle der Südsee legte die Hand auf die Brust und lächelte. Hasard war einigermaßen verblüfft, genau wie die Männer.
„Sie sprechen Englisch?“ fragte er.
„Ja – gelernt von Großes Donnerer.“
„Wovon?“ fragte Smoky perplex.
Nuami, klatschnaß, aber unübersehbar bildhübsch, schenkte ihm einen tiefen Blick aus großen schwarzen Glutaugen.
„Von Großes Donnerer“, wiederholte sie geduldig. „Schöner Mann! Guter Mann mit gutes Donnerrohr.“
Smoky, der sich offenbar Nuamis besonderer Wertschätzung erfreute, kratzte sich verständnislos am Kopf. Hasard grinste, weil er ungefähr begriff, um was es ging. Das „gute Donnerrohr“ mußte ein Gewehr sein, dem der „Große Donnerer“, ein schiffbrüchiger Engländer vermutlich, seinen Spitznamen verdankte.
„Und wo steckt der Große Donnerer?“ erkundigte sich der Seewolf.
Die braunhäutige Schönheit breitete die Arme aus.
„Nur Wind weiß“, erklärte sie philosophisch. „Von Großes Donnerer jetzt nur noch Kopf übrig, Schrumpfkopf für Tauschhandel.“
„Heiliger Bimbam“, murmelte Smoky.
Hasard fuhr sich mit dem Handrücken über das Kinn und warf einen Blick auf seine Söhne, die die Südsee-Lady fasziniert und völlig unerschüttert betrachteten.
„Der große Donnerer lebt also nicht mehr?“ vergewisserte sich der Seewolf.
„Lebt nicht mehr.“ Nuami nickte. „Er mit uns wohnte auf kleiner Insel, was heißt Mond-Insel. Kam mit Boot auf Insel, weil Schiff gesunken war. Nahm Nuami zur Frau, Muna, Luana …“
Die Aufzählung der Namen ging weiter. Die Augen der Zuhörer wurden immer größer.
„D-das sind ja zehn!“ stotterte Luke Morgan ungläubig.
„Zehn“, bestätigte Nuami ungerührt. „Großer Donnerer guter Mann. Aber Krieger von Nachbarinsel erschienen, brachten Großes Donnerer um und machten Schrumpfkopf aus ihm. Und dann sie erschienen noch einmal und entführten Nuami. Aber Nuami ist ihnen entwischt. Breites braunes Mann wie Felsen hat sie gerettet.“
Dabei strahlte sie wieder Smoky an.
Der schluckte verwirrt. Daß sie mit „breites braunes Mann wie Felsen“ ihn meinte, hatte er inzwischen begriffen. Aber mußte sie deshalb gleich auf Tuchfühlung gehen, seine breite Brust streicheln und ihn mit schwärmerischen Blicken bedenken? Nicht, daß er etwas gegen Tuchfühlung mit schönen Südsee-Ladys gehabt hätte. Aber so vor aller Augen …
„Ich nehme an, daß Sie auf Ihre Mond-Insel zurückmöchten“, sagte Hasard. „Ist das weit von hier?“
„Nicht weit. Halbe Stunde mit Schiff. Ihr mich werdet hinbringen?“
Hasard nickte. Nuami strahlte.
„Ihr dort willkommen“, versicherte sie. „Wir werden großes Fest feiern. Viele hübsche Mädchen für Freunde von breites braunes Mann wie Felsen.“
Nicht viel fehlte, und Hasard hätte sich an den Kopf gegriffen.
Das wurde ja immer schöner! Und seine Männer grinsten sich eins, als seien Weihnachten, Ostern und drei Faß Rum auf einen Tag gefallen. Aber es half alles nichts: wenn sie die Perle der Südsee nicht an Bord behalten wollten, mußten sie die Mond-Insel ansteuern, wo die vielen hübschen Mädchen auf die „Freunde von breites braunes Mann wie Felsen“ warteten.
Wahrscheinlich, dachte der Seewolf, hatte Smoky noch nie so viele erklärte Freunde gehabt wie in diesen Minuten.
Eine Viertelstunde später war die „Mond-Insel“ bereits in Sicht.
Ihren Namen hatte sie zweifellos der Sichelform zu verdanken. Die Bucht zwischen den Landzungen, die die beiden Spitzen der Sichel bildeten, bot einen erstklassigen Ankergrund, und nach einer weiteren Viertelstunde lag die „Isabella“ dort so sicher wie in Abrahams Schoß.
Das Ankermanöver hatte allerdings schon mal besser geklappt.
Zwei Dutzend braunhäutige Insulaner standen am Strand, winkten und schwenkten Blumenkränze zur Begrüßung. Bis auf einige Ausnahmen bestand die ganze Gruppe aus leichtbekleideter, bildhübscher Weiblichkeit. Der Profos mochte brüllen, fluchen und toben: die Männer verrenkten sich die Hälse mehr nach dem Empfangskomitee, denn nach dem Ankergeschirr.
Ben Brighton, der neben Hasard an der Schmuckbalustrade des Achterkastells stand, seufzte schicksalsergeben, obwohl auch der ruhige, besonnene Bootsmann nicht verleugnen konnte, daß er ein gewisses Funkeln in den Augen hatte.
„Das wird ja ein tolles Fest“, sagte er trocken. „Ich fürchte, wenn du sofort wieder ankerauf gehen läßt, bricht eine Meuterei aus.“
Hasard nickte grimmig.
Aber er plante ohnehin nicht, gleich wieder ankerauf zu gehen. Schließlich konnte man die wartenden Damen nicht beleidigen. Und die Männer brauchten ohnehin mal wieder eine Abwechslung. Hier, auf diesem winzigen Eiland der Salomon-Inseln, herrschte daran offenbar kein Mangel, und daß die Südsee-Perlen, deren heißgeliebter „großer Donnerer“ zum Schrumpfkopf verarbeitet worden war, dem männlichen Besuch sehr wohlwollend gegenüberstanden, ließ sich deutlich an ihren strahlenden Gesichtern ablesen.
Der Seewolf, Ben Brighton, Ed Carberry und Smoky begleiteten Nuami an Land.
Letztere wich nicht von der Seite des Decksältesten und ließ keine Gelegenheit aus, die Wange an seine Schulter zu legen oder ihm tief in die Augen zu blicken. Smoky hatte schon rote Ohren. Die anderen feixten, aber kaum daß sie einen Fuß auf den Strand gesetzt hatten, kriegten sie auch ihren Teil.
Nuamis wortreicher Erklärung in ihrer Heimatsprache folgte allgemeiner Jubel.
Eine bildschöne, samthäutige Insulanerin mit träumerischen Rehaugen stellte sich vor Hasard auf die Zehenspitzen, hängte ihm ihren Blumenkranz um, wodurch ihre eigene Bekleidung noch etwas leichter wurde, und küßte ihn, ehe er recht wußte, wie ihm geschah.
„Ich Luana“, sagte sie. „Du schöner Mann!“
„Ich Muna“, zwitscherte eine ihrer Freundinnen, und im nächsten Moment war auch Edwin Carberry bekränzt. Der Profos schluckte erschrocken, und seine Ohren wurden genauso rot wie bei Smoky, als die Schöne hingebungsvoll sein zernarbtes Rammkinn streichelte. Die Dame, die sich Ben Brightons annahm, hieß Cori und stand ihren Geschlechtsgenossinnen um nichts nach. Jede einzelne dieser Südsee-Perlen war eine Schönheit, und diejenigen, die noch kein Opfer für Kranz und Kuß gefunden hatten, winkten zur „Isabella“ hinüber und hatten sehnsüchtige Augen.
Es stand fest, daß der „große Donnerer“ zu seinen Lebzeiten ein beneidenswerter Mann gewesen war.