Читать книгу Menetekel - Kendran Brooks - Страница 3
Vorgeschichte
Оглавление»Der nicht anwesende Angeklagte Adel Imam, vertreten durch seine Anwälte, wird wegen Beleidigung des Islam zu einer bedingten Gefängnisstrafe von drei Monaten und einer Buße von eintausend Pfund verurteilt.«
Der Hammerschlag des Richters nach seiner Urteilsverkündung hallte lauter durch den Saal als je zuvor. Jedenfalls kam dies Youssef Marwan so vor. Der junge Regisseur hatte den gesamten Prozess gegen den berühmten Filmstar verfolgt, war an jedem Tag der Verhandlung zusammen mit vielen anderen Kulturschaffenden Ägyptens ins Gerichtsgebäude geströmt, hatte sich die fantastisch klingende Anklage kopfschüttelnd angehört, die lächerlichen Fragen an die aufgerufenen Zeugen genauso, wie ihre befremdlichen Antworten. Die absurden Behauptungen und böswilligen Unterstellungen der Islamisten konnten doch von niemandem ernst genommen werden.
Aber der Irrsinn hatte sich nun tatsächlich manifestiert, war juristische Wirklichkeit geworden. Das Film Idol von Millionen Ägyptern, Adel Imam, war tatsächlich wegen Blasphemie verurteilt worden. Doch nicht etwa für eine aktuelle Kinoproduktion, sondern für seine Rolle in einem Film, der vor zwanzig Jahren gedreht wurde. Vor zwanzig Jahren! Das war nicht grotesk, sondern ganz und gar lächerlich.
Doch die Hetzkampagne der Salafisten hatte die Berühmtheit nun hier und heute, im modernden Kairo, in der Millionenmetropole am Nil, der größten Stadt Afrikas eingeholt.
Youssef Marwan war aufgewühlt und sein Gehirn raste, ließ keinen klaren Gedanken zu. Wie benommen verließ er mit den anderen, meist ebenso fassungslosen Zuschauern den Gerichtssaal, ging mit ihnen niedergeschlagen die Flure entlang in Richtung Ausgang. Er blieb nach den mächtigen, offenstehenden Türflügeln auf dem breiten Treppenabsatz stehen, geblendet von der gleißenden Februar-Sonne. Immer wieder rempelten ihn vorbei drängelnde Menschen an, wurde er mit einem »Entschuldigung« oder »Mach doch etwas Platz« bedacht, hörte die Worte zwar, verstand sie aber nicht. Denn in seinen Ohren rauschte immer noch sein aufwallendes Blut, immer wieder übertönt vom lauten Knall des Richterhammers.
*
Zwei Wochen zuvor hatten sich die PR-Berater der Agentur Falaq beim Pressechef des Militärrats für eine Besprechung zusammengesetzt. Khaled Salama blickte die vier Männer in ihren dunklen, italienischen Anzügen mit einem zunehmend mulmigen Gefühl an, hatten sie ihm doch bereits im Vorfeld dieser Sitzung den überaus wichtigen Anlass genannt. Entsprechend angespannt war Salama zur Besprechung erschienen. Er fühlte, das heute eine wichtige Entscheidung zu treffen war, eine Weichenstellung, die vielleicht sogar ägyptische Geschichte schreiben sollte.
»Verehrter Khaled Salama«, begann Naguib Abdala höflich das Treffen und lächelte den Pressechef dabei gewinnend, wenn auch etwas gequält, an.
Naguib Abdala hatte seine PR-Agentur Morgenröte erst vor zehn Jahren gegründet, hatte über seine guten Beziehungen zu den Mächtigen im Land rasch die Mandate von zwei der Söhne des ehemaligen Präsidenten Mubarak gefunden. Die Arbeit der Werbeagentur bestand darin, Gamal und Alaa wann immer möglich aus der Schusslinie von Presse und Rundfunk zu halten. Denn die beiden Söhne des Präsidenten schienen direkt an Fettnäpfchen zu suchen, um genüsslich in sie zu treten, scherten sich nicht um Staatsraison, dachten auch nicht im Traum daran, sich an die Ratschläge und Vorgaben der PR-Profis zu halten. So verspielten die Söhne Mubaraks mit ihrer öffentlich zur Schau gestellten Korruption immer mehr des früher so hohen Ansehens der Präsidentenfamilie. So tauchten in der Presse immer wieder kritische Kommentare über die beiden auf und das Brodeln in weiten Teilen der Bevölkerung verstärkte sich zusehends. Selbst die geschicktesten Reparaturbemühungen des gewieften Naguib Abdala und seiner PR-Crew kamen auf Dauer gegen die Dummheit und Arroganz der beiden Söhne des Präsidenten nicht an.
Doch dieses Kapital war abgeschlossen und neue Aufgaben warteten auf die PR-Profis von Falaq. Denn auch die neuen Machthaber im Land der Pharaonen mussten ihre Finger am Puls der Bevölkerung halten, musste die verschiedenen Strömungen erfühlen und für sich günstig beeinflussen, wollten vor allem erfahren, wie sie sich gegen die erstarkenden religiösen Gefühle im Land verhalten konnten, wie weit sie gegen die islamistische Strömung gehen durften, ohne neue Unruhen zu provozieren.
Der wichtigste Auftrag an die Agentur war allerdings sehr schlicht formuliert und man hatte ihn nur ein einziges Mal und erst noch nur mündlich mitgeteilt. Naguib Abdala und seine PR-Berater sollten nichts weniger als die dauerhafte Machtübernahme durch das Militär vorbereiten und begleiten. Sie sollten einen Weg finden, wie man diesen Schritt der Bevölkerung schmackhaft machen konnte, ohne eine neuerliche Revolution auszulösen. Die Strategie war bereits vor Wochen festgelegt worden, einzelne Schritte längst schon eingeleitet. Man glaubte sich bereits auf Zielkurs.
Die Parlamentswahlen hatten vor Kurzem allerdings zu einem Fiasko für die nationalistischen und militärischen Parteien geführt. Muslimbrüder und Salafisten eroberten auf Anhieb eine komfortable Mehrheit, drängten die freiheitlichen und Mubarak-freundlichen Kräfte im Land beinahe in die Bedeutungslosigkeit. Doch der Militärrat hatte mit seiner Übergangsverfassung vorgesorgt. Ein Drittel der Parlamentssessel sollten Unabhängigen vorbehalten bleiben, waren deshalb widerrechtlich von religiösen Vertretern über die Wahlen besetzt worden. Damit verstieß die Einsetzung des Parlaments gegen die aktuelle Verfassung der Übergangsregierung. Der Oberste Gerichtshof würde zu einem günstigen Zeitpunkt darum seine Auflösung beschließen und Neuwahlen anordnen. Dies war nur einer der Schritte auf dem Weg zu einer allgemein anerkannten und von der Bevölkerung begrüßten Militär-Diktatur. Bis dahin musste jedoch die wirtschaftliche Situation im Land noch verschärft werden. Nur so würden selbst die aufgeregtesten Gemüter in der Bevölkerung zur Einsicht gelangen, dass eine Militärdiktatur die einzig stabile Regierungsform für das Land darstellte.
Ein weiterer Teil des Plans betraf den Sinai. Hier sollten zu gegebener Zeit islamistische Überfälle provoziert werden. Falls nämlich auch noch der falsche Mann als neuer Präsident an die Spitze des Landes gewählt werden sollte, musste seine Unfähigkeit und Machtlosigkeit möglichst rasch aufgezeigt werden, damit ihn das Volk zu hassen begann.
Doch an diesem Februar-Morgen war ein ganz anderes Problem zu lösen, wobei die PR-Fachleute von Falaq wohl eher von einer neuen, unbedingt wahrzunehmenden Chance gesprochen hätten. Im Grunde schien der Anlass der Besprechung unerheblich. Doch wie so oft konnte man in der Politik aus einer Maus einen Tiger züchten, wenn man nur wollte.
»Wir haben leider erst gestern Abend erfahren, dass Adel Imam freigesprochen werden soll.«
Die Stimme von Abdala enthielt keinen Vorwurf an den Pressesprecher Khaled Salama, auch wenn der Chef der PR-Agentur noch vor gut zwölf Stunden wütend aufgebraust war und von lauter Dummköpfen im Militärrat gesprochen hatte, als er diese Information von einem befreundeten Staatsanwalt erhielt. Nein, die Stimme von Abdala blieb diesmal kühl, geschäftsmäßig und höflich.
Khaled Salama nickte eifrig: »Ja, wir denken, dass ein rascher Freispruch des Schauspielers die religiösen Extremisten klar in ihre Schranken weisen wird.«
Abdala schüttelte ablehnend den Kopf: »Das wäre bestimmt eine Möglichkeit, lieber Khaled Salama. Doch wir vergeben damit auch eine große Chance.«
Pressechef Salama sah sein Gegenüber erstaunt an, dachte über dessen Aussage erst gründlich nach.
»Bevorzugen Sie etwa eine Verurteilung?«, fragte er sicherheitshalber nach und als Abdala ihm sogleich zustimmte, fuhr er fort, »Sie wollen die Stimmung in der Bevölkerung gegen die Salafisten weiter schüren?«
Es war mehr Feststellung als Frage.
»Ja, Sie haben unsere Gedanken erraten. Der Schauspieler Adel Imam ist in weiten Teilen der Bevölkerung äußerst beliebt, ja, er wird gerade von den unteren Schichten als ihren Helden verklärt. Wie würde es Ihnen gefallen, lieber Khaled Salama, wenn eines ihrer Vorbilder vor Gericht gezerrt und aufgrund einer an sich lächerlichen Anklage verurteilt wird?«
Die Augen von Salama leuchteten kurz, aber freudig auf und seine Lippen zeigten ein schmales, smartes Lächeln.
»Ausgezeichnete Idee. Aber gegen das Urteil werden die Anwälte von Adel Imam bestimmt Rekurs einlegen?«
»Damit rechnen auch wir«, meinte Naguib Abdala und lächelte dazu süffisant, »so können wir gleich dreimal Punkten.«
»Dreimal?«
»Über alle drei Instanzen hinweg, meine ich«, fügte der PR-Profi erklärend hinzu, »Sie müssen nur dafür sorgen, dass die Berufungsgerichte das Urteil bestätigen.«
Salama nickte nachdenklich, legte sich wohl seine Vorgehensweise gegenüber dem Militärrat und den zuständigen Behörden in Gedanken zu Recht.
»Sollten wir Adel Imam nicht einweihen? Immerhin ist er Schauspieler?«
»Auf keinen Fall, lieber Khaled Salama. Auch der beste Darsteller kann einmal aus seiner Rolle fallen. Wir sollten kein Risiko eingehen.«
Salama stimmte ihm zu.
*
Als der junge Regisseur in sein Büro an der Talaad Harb zurückkehrte, begrüßte ihn seine Assistentin Samira mit mühsam unterdrückter Wut in ihrer Stimme.
»Sie verweigern uns den Dreh, diese Idioten.«
Marwan blickte die hübsche, junge Frau ruhig, aber ohne Verständnis an, denn in seinem Kopf schwirrten immer noch die Bilder zum skandalösen, kulturfeindlichen Gerichtsurteil.
»Welche Genehmigung meinst du?«, meinte er darum zerstreut.
»Na, in der Omar Makram Moschee. Der zuständige Imam lässt dir ausrichten, dass er keine Filmaufnahmen mehr wünsche oder dulde und weitere Anfragen darum zwecklos seien.«
Ohne Erwiderung und ohne sichtbare Reaktion ging Youssef müde an Samira vorbei und setzte sich hinter sein Pult, lehnte sich weit im alten Ledersessel zurück, legte seinen Kopf in den Nacken und verschränkte seine Arme vor der Brust, starrte stumm zur Decke hoch.
»Youssef, was ist?«, fragte Samira leise, Unheil ahnend.
Doch der junge Regisseur antwortete nicht.