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Die Entwicklung des Naha-te
ОглавлениеDas Naha-te soll seinen Ursprung im Dorf Kume haben. Kume wurde von Chinesen gegründet, die 1393, während der Ming-Dynastie, aus der chinesischen Provinz Fukien auf die Ryūkyū-Inseln gekommen waren.41 Unter ihren Nachkommen waren viele im Handel mit China tätig. Sie brachten Kempō-Kenntnisse aus ihrer chinesischen Heimat mit, die sie offenbar auch den Adligen von Kume vermittelten. Wahrscheinlich handelte es sich aber schon nicht mehr um reines chinesisches Kempō, sondern um eine vom Shuri-te beeinflußte und den auf Ryūkyū herrschenden Verhältnissen angepaßte Kampfkunst. Aragaki Seishō (1840-1920) aus Kume, der den Namen »Aragaki, die Katze« erhalten hatte, war ein großer Meister der Kampfkünste. Sowohl mein Vater, als auch Funakoshi Gichin und Miyagi Chōjun hatten bei ihm Unterricht. Er praktizierte nicht nur Karate, sondern auch bō-Techniken.
Higaonna Kanryō (1853-1916) hat ebenfalls bei Meister Aragaki Karate gelernt. Higaonna stammte aus einer Familie von Feuerholzhändlern aus Naha. Er muß sich durch besonderes Talent zum Kämpfen ausgezeichnet haben, da Aragaki ihn trotz seiner einfachen Herkunft Kempō lehrte, das eigentlich den Adligen aus Kume vorbehalten war. Er begab sich danach für 15 Jahre nach Fukien, studierte das dortige Kempō und entwickelte nach seiner Rückkehr das Naha-te. Deshalb ist das Naha-te jünger als das Shuri-te und der chinesische Einfluß noch stärker. Mein Vater sagte über das Karate von Higaonna: »Meister Higaonna war in China und hat dort das Fukien-Kempō studiert. Sein Unterricht ist anders als der heute sonst allgemein übliche.«
Während für das Shuri-te der Kampf auf Distanz charakteristisch ist, da man von einem Gegner mit Schwert ausgeht, ist das auf dem südchinesischen Kempō beruhende Naha-te auf den Nahkampf orientiert.
Foto 12
Foto 13
Fotos 12 und 13: Die hängende, auf- oder angelegte Hand (kake-te). Foto 12 zeigt die Technik des kake-te, wie sie im Shuri-te eingesetzt wurde, und Foto 13 zeigt dieselbe Technik bei ihrem Einsatz im Naha-te.
Es gibt keine Stöße und Tritte wie im Distanzkampf. Natürlich ist auch das Naha-te nicht reines chinesisches Kempō, sondern vom Shuri-te beeinflußt und weitgehend an die Bedingungen Okinawas angepaßt, aber seine Besonderheit sind die im chinesischen Kempō »Explosivkraft« (hakkei) oder »Kraft des Moments« (sunkei) genannten Techniken. Im Naha-te werden sie zuerst anhand der Basis-Kata Sanchin (»drei Phasen«) und Tenshō (»Handfläche drehen«) trainiert.
Im Naha-te gibt es eine Übung, die im Shuri-te nicht existiert. Bei dieser kontrahiert man mit einer besonderen Atemtechnik die gesamte Muskulatur des Körpers. Anfänger üben, indem sie langsam ein- und langsam ausatmen, dabei langsam die Faust in die Hüfte ziehen (hikite) und langsam nach vorn den Stoß ausführen. In Kampfsituationen erfolgen Stöße und Blöcke natürlich schneller.
Der oben genannte Ausdruck »Kraft des Augenblicks« (sunkei), d. h., explosive Kraft, bezeichnet die Harmonie von Atmung und Aktion, um die inneren Energien zu akkumulieren, die gesamte Körpermuskulatur in einem Augenblick zu kontrahieren und dann explosionsartig loszulassen. Gewöhnlich spricht man dabei von ki oder omoi.
Foto 14
Foto 14: Analyse des kake te im Shuri-te: Die Hand blockt und greift.
In den modernen Kata lassen sich die Unterschiede zwischen dem Shuri-te und dem Naha-te kaum noch erkennen. Die ursprünglichen Stile unterscheiden sich aber deutlich voneinander. Das betrifft nicht nur die Prinzipien der Stöße und Tritte, sondern auch die konkreten Techniken. Als Beispiel soll hier die Blocktechnik der aufgelegten Hand, kake-te, dienen (siehe Fotos 12-15). Diese Technik existiert sowohl im Shuri-te als auch im Naha-te, aber die Anwendung unterscheidet sich. Im Shuri-te als Distanzkampf wird der vorstoßende Arm des Gegners auf Distanz abgefangen, und das Auflegen erfolgt mit einer greifenden und ziehenden Bewegung (Fotos 12 und 14). Im nahkampforientierten Naha-te dagegen ist die Distanz zum Gegner reduziert, und sein Angriff wird mit der hochgestellten Hand abgelenkt (Fotos 13 und 15).
Foto 15
Foto 15: Analyse des kake te im Naha-te: Die Hand blockt und leitet den Angriff ab.