Читать книгу Am Ende der Wahrheit - Kerstin Teschnigg - Страница 8

Kapitel 5

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Ich hatte unseren gemeinsamen Sommer recht gut verdrängt in den letzten Jahren. Verdrängt aber nicht vergessen. Ich werde es nie vergessen können, dafür war es einfach zu schön. Es war mehr als eine Affäre, Sex oder was auch immer. Ich fühle mich ganz komisch in seiner Gegenwart, es wäre am Einfachsten zu beschließen ihn zu vergessen, aber das gelingt mir nicht. Es wird mir nie gelingen, auch wenn es besser so wäre. Nachdenklich gehe ich nach Hause. Nein ich gehe nicht, ich schlurfe. Kraftlos und müde fühle ich mich. Ein Wagen der mir entgegen kommt lässt mich aufschauen. Ich seufze tief durch. Auch das noch. Das Auto hält neben mir, die Scheibe geht hinunter. Anton sieht mich breit grinsend an.

„Grüß dich Resi! Wo läufst du denn herum? Ich war bei euch am Hof, aber da herrscht gähnende Leere.“

„Servus. Ja meine Eltern sind mit Maxi unterwegs und Leopold wird auf irgendeinem Weinberg sein denke ich.“

„Ach so. Warum meldest du dich denn nie? Ich hab doch gesagt du sollst mal vorbei kommen?“

Jetzt versuche ich das Seufzen zu unterdrücken. Ich will ihn nicht unbedingt besuchen, ich wüsste nicht wozu, darum zucke ich nur mit den Schultern.

„Soll ich dich nach Hause fahren?“

„Nein, ich laufe, ist ja nicht mehr weit. Wir sehen uns.“

Ich versuche die Konversation abzukürzen. Er nickt etwas verständnislos. Ich will schon losgehen, aber er scheint noch nicht fertig zu sein.

„Warum ich eigentlich bei euch war…Vroni schmeißt morgen eine Geburtstagsparty für Jonas, ich wollte dich und Maxi einladen. Er wird sechs, ich denke die Jungs könnten sich gut verstehen.“

Ich lächle. Vroni ist seine jüngere Schwester, ich mochte sie immer sehr gerne. Auch wenn ich nicht unbedingt scharf auf einen Besuch am Hof der Klingers bin, für Maxi wäre es bestimmt lustig mit anderen Kinder spielen zu können. Darum stimme ich auch seinetwillen zu.

„Danke, das ist nett. Wann denn?“

„Um zwei. Ich freue mich.“

Ich zwinge mich zu einem: „Ja…ich mich auch.“

Er verabschiedet sich mit seinem mir durchaus bekannten Augenzwinkern. Charmant kann er schon sein wenn er will, allerdings verstehe ich nicht, was er bei mir damit erreichen möchte. Er fährt weiter und ich gehe nach Hause. Mir geht sowieso nicht ein, warum er nicht längst verheiratet ist und selbst Kinder hat. Er ist jetzt über dreißig. Aber ich will darüber nicht nachdenken, weil es mich eigentlich auch gar nicht interessiert. Gerade als ich am Hof ankomme, fahren auch meine Eltern ein. Endlich, der Tag war unglaublich lang ohne Maxi. Ich lege schrittmäßig zu und öffne die hintere Autotür.

„Na wie schaust du denn aus Bärchen?“, frage ich lachend.

Er hatte scheinbar einen richtig tollen Tag und so sieht er auch aus, ziemlich eingesaut.

„Mama schau, wir waren bei McDonalds und da hab ich ein Spielzeug bekommen, und wir waren dort wo man so toll turnen kann und der Opa kann nicht balancieren.“

So glücklich hab ich ihn lang nicht mehr erlebt. Er strahlt von einer Backe zur anderen.

„Ehrlich? Das musst du mir ganz genau erzählen. Am besten während du in der Badewanne sitzt, du schaust ja aus wie ein Schweinebärchen.“

Ich knuddle und küsse ihn. Schnell tritt alles worüber ich den ganzen Tag über nachdachte, sowie die Begegnung mit Markus in den Hintergrund.

Maxi ist nach dem Baden schnell eingeschlafen, er war komplett erledigt. Auch wenn es erst kurz vor neun ist, hab ich mich auch gleich hingelegt. Ich würde wirklich gerne einmal richtig gut schlafen. Sanft streiche ich noch einmal über seine Wange und fahre mit meiner Nase durch seine Haare. Dann schließe ich meine Augen und atme dabei tief durch.

„Warum gehst du mir nicht aus dem Sinn…warum nicht…“, murmle ich für mich selbst und versuche einzuschlafen.


Tatsächlich konnte ich die vergangene Nacht ein paar Stunden schlafen, dafür habe ich fürchterlich geträumt und bin heute auch nicht wirklich ausgeschlafener. Ich hatte solche Angst im Traum, weil mir ständig jemand Maxi wegnehmen wollte, als ich aufwachte war ich komplett schweißgebadet. Jetzt sind wir auf dem Weg zur Geburtstagsfeier von Jonas. Am Vormittag haben wir noch ein kleines Geschenk besorgt, Maxi freut sich total. Ich allerdings habe ein sehr komisches Gefühl im Bauch, das sich noch verstärkt, je näher wir zum Klinger Hof kommen. Nur nichts anmerken lassen, nehme ich mir vor. Am Hof hat sich nicht viel verändert, natürlich hat auch hier die Modernisierung nicht halt gemacht, aber es ist trotzdem wie immer. Der Klingerhof war schon immer sehr fortschrittlich. Vroni freut sich mich zu sehen und mir geht es nicht anders. Sie hat den Tisch im Garten festlich aufgedeckt und auch das Wetter ist perfekt für eine Geburtstagsparty im Freien. Alle scheinen sich über unseren Besuch sehr zu freuen und Maxi freundet sich sofort mit den anderen Kindern an. Meine Nervosität lässt nach. Ich sehe ihm beim Spielen zu und nippe an einem Glas Prosecco.

„Ich hole mal die Torte“, verkündet Vroni.

„Kann ich dir helfen?“, frage ich höflich.

Sie schüttelt den Kopf und geht auch schon von dannen, dafür setzt sich Anton neben mich.

„Schön dass du gekommen bist.“

„Du hattest Recht, Jonas und Maxi verstehen sich richtig gut“, entgegne ich.

Er nickt. „Ihr könnt ja gerne öfter zu Besuch kommen, würde mich freuen.“

Ich sehe ihn überrascht an. Schon wieder ein seltsam unterschwelliges Angebot. Er lächelt. Sein Lächeln ist ansteckend. Ja, ich war mal wirklich verliebt in ihn, aber das ist lange her. Er hat mir schon in der Schule gefallen, er ging zwei Klassen über mir und es gefiel mir wenn er mich genauso anlächelte wie gerade eben. Ich mochte seine dunkelbraunen Locken und die blauen Augen. Er ist ein fescher Mann, ohne Zweifel. Doch die schönen Augen und das ansteckende Lächeln waren in Laufe der Jahre einfach zu wenig. Vroni bringt die Torte und ich bin froh auf sein Angebot nicht reagieren zu müssen. Es ist ein schöner gemütlicher Nachmittag, man spürt die Kinder gar nicht, so viel Spaß haben sie beim Toben im Garten. Inzwischen spielt Anton mit den Jungs Fußball, Michi, Jonas Papa, spielt auch mit. Es scheint ein riesiger Spaß zu sein.

„Bleibst du hier?“, fragt mich Vroni plötzlich.

„Am Hof meiner Eltern?“

Sie nickt.

„Ich glaube schon.“

„Und du hast wirklich keinen Kontakt zu Maxis Papa? Will er ihn denn gar nicht sehen? Ich meine wenn ihr jetzt so weit weg von München seit ist das doch nicht so einfach.“

Ich schüttle den Kopf. Ein Thema über das ich nicht gerne spreche. Maxi hat keinen Papa. Sie scheint zu bemerken, dass ich mich dabei unbehaglich fühle und fragt nicht weiter. Es gibt noch die berühmte Klinger Speck Jause, ich hatte schon vergessen wie lecker der Speck der Klingers schmeckt. Danach beschließe ich aufzubrechen, Maxi fallen inzwischen fast die Augen zu. Ich nehme ihn hoch, nachdem ich mich bedankt und verabschiedet habe.

„Warte, ich nehme ihn, Maxi ist doch schon viel zu schwer für dich.“

Anton nimmt mir Maxi ab, der ist so fertig, dass er sich dagegen auch gar nicht wehrt. Er packt ihn in den Kindersitz, umarmt mich überraschender Weise zum Abschied und gibt mir noch einen Kuss auf die Wange.

„Resi…der Maximilian braucht einen Vater. Ich wäre echt gerne für euch da.“

Seine Worte prallen an mir ab, als hätte ich eine Ritterrüstung an. Hab ich gerade richtig gehört? Mein Blick ist mit Sicherheit entgeistert.

„Anton…ich weiß nicht…Schön wie du das sagst…aber…“ Ich ringe nach den richtigen Worten, doch er unterbricht mich.

„Ich verstehe schon wir haben uns lang nicht gesehen, trotzdem glaub ich wir könnten das hinbekommen, ich kann für euch sorgen. Du weißt doch wie wichtig du mir bist?“

Ich bin immer noch geschockt.

„Wir müssen ja nichts überstürzen“, fährt er fort, „aber wir könnten uns häufiger treffen und ich werde dir beweisen, dass ich für Maxi ein guter Vater sein kann.“

Verzweifelt suche ich weiter nach den richtigen Worten.

„Ich kenne dich schon so lange und ich weiß wie sehr du dir einen Stammhalter wünschst, aber Maxi wird nie wie dein eigener Sohn sein Anton.“

Er blickt zu Boden. „Du weißt doch, dass ich vor zwei Jahren krank war.“

Ich nicke, allerdings weiß ich nicht genau was er hatte, nur dass er ein paar Monate ziemlich krank war.

„Ich kann keine Kinder mehr zeugen, ich werde nie einen eigenen Sohn haben können“, sagt er leise.

„Das wusste ich nicht…tut mir leid…“, stammle ich.

„Schon gut…überleg es dir. Wir haben so viel zusammen erlebt.“ Wieder lächelt er. „Ich denk ganz oft an unseren ersten Kuss.“

Jetzt muss ich auch lächeln. Ich erinnere mich auch sehr gut daran. Es war im Schwimmbad im Nachbarort, beim Nachhause gehen. Mir sprang die Kette vom Fahrrad ab und er hat mir geholfen, wenn ich heute daran denke glaube ich, es kam ihm ziemlich gelegen. Er hat mich ein Stück nach Hause belgeitet und dann geküsst. Einfach so. Mit Zunge. Ich spüre wie ich rot werde.

„Mama…“, murmelt Maxi am Rücksitz.

„Wir fahren schon…“, beruhige ich ihn.

Anton streicht über meinen Oberarm. „Bis bald.“

„Ja…bis bald.“

Dann steige ich ein und fahre los. Nach der ersten Kurve ist Maxi schon eingeschlafen. Nach dem Kuss waren Anton und ich ein Paar. Ich war knapp siebzehn. Ein paar Wochen später haben wir dann auch miteinander geschlafen, es war mein erstes Mal. Es war nicht so toll. Anton war recht schnell fertig und ich geschockt weil es ziemlich weht tat. Fast sechs Jahre waren wir dann zusammen. Mit Hochs und Tiefs. Vielen Tiefs. Vor allem die letzten zwei gemeinsamen Jahre waren echt schlimm. Zumindest habe ich das so in Erinnerung. Bis das Arschloch Marco kam. Ich habe Anton betrogen, heute tut mir das Leid, was auch immer zuvor war, er hatte es nicht verdient, niemand hat so etwas verdient, es war sehr dumm von mir. Keine Ahnung wonach ich suchte, eventuell nach der Leidenschaft, die er mir gegenüber nicht aufbringen konnte. Womöglich auch nach der großen Liebe, doch die gibt es nicht. Vielleicht sollte ich wirklich einmal vernünftig sein und über sein Angebot nachdenken. Wenn es schon nicht die große Liebe ist, er wäre mit Sicherheit zuverlässig und würde sich bestimmt gut um uns kümmern. Ich schüttle den Kopf.

„Mein Gott was ist denn mit dir Resi…“, murmle ich für mich selbst, während ich einparke. Leopold kommt gerade aus dem Weinkeller.

„Na da hat aber einer ordentlich gefeiert, was?“ Er schaut schmunzelnd auf den schlafenden Maxi. „Ich nehme ihn“, bietet er mir sofort an.

Heute fällt das Baden und Zähneputzen ausnahmsweise aus. Leopold legt ihn ins Bett und ich ziehe ihm die Decke über die Schulter. Er schläft so fest und bekommt davon gar nichts mit. Ein paar Augenblicke schaue ich ihn noch an, dann lösche ich das Licht und gehe ins Badezimmer. Unter der Dusche denke ich über Antons Worte nach, doch ich kann nicht nachdenken, nicht so lange mir ständig Markus Lächeln in meinen Gedanken einen Strich durch die Rechnung macht. Wieder sind die Szenen des gemeinsamen Sommers allgegenwärtig. Es war ein traumhafter Sommer. Mit ihm. Wir trafen uns sooft es ging, auch wenn er immer wieder irgendwelche Ausreden bei seinem Vater erfinden musste um das Training zu schwänzen. Zumeist am Wochenende, manchmal aber auch unter der Woche. Ganz oft haben wir die Sonntagabende und den Montag gemeinsam verbracht. Montags war der Frisiersalon geschlossen und ich hatte frei. Wir kochten gemeinsam und er versuchte mühsam mir das Kraulen im Badesee beizubringen, leider relativ erfolglos. Ich war ein hoffnungsloser Fall was das Erlernen dieser Technik betraf. Manchmal lagen wir auch einfach nur im hohen Gras und redeten über alles Mögliche, dann kuschelte ich mich ganz fest an seine Brust. Die Nächte waren kurz und intensiv, ich konnte nicht genug von ihm bekommen und ich glaube ihm ging es auch nicht anders. Jede seiner Berührungen und Zärtlichkeiten war perfekt. Niemals hatte ich das Gefühl er könnte etwas tun das mir nicht gefällt. Alles gefiel mir. Einfach alles. Er gefiel mir. Seine Art, sein Wesen, sein Lächeln, sein Humor, seine Schüchternheit, sein Körper, all das und noch viel mehr. Ich war verliebt. Unglaublich verliebt. Oft erwischte ich mich dabei darüber nachzudenken, was nach diesem Sommer sein wird. Dann bremste ich mich selbst ein. Ich nahm mir vor es auf mich zukommen zu lassen, ich wollte ihn einfach nur fühlen, spüren und lieben. Und ich wollte ihn auch nicht fragen, ob er das Gleiche für mich empfindet. Ich hatte Angst vor seiner Antwort und wollte nicht enttäuscht werden. Für den Augenblick war es gut so wie es war, auch wenn ich viel mehr wollte, doch ich wusste nicht was er wollte.

Ich drehe das Wasser in der Dusche ab. „Es war gut….Es war gut…“, seufze ich und trockne mich ab.
























Am Ende der Wahrheit

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