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Kapitel 2
ОглавлениеMein Vater wurde 1941 im Südlibanon geboren. Mit dreizehn Jahren ist er alleine nach Beirut gezogen, da er große Schwierigkeiten mit seinem Vater hatte. Er wohnte bei einem Verwandten im Hinterhof und arbeitete in einem Lebensmittelgeschäft. Seine Aufgabe bestand anfangs darin, den Kunden die Einkäufe nach Hause zu tragen und den Laden zu putzen. Er verdiente nicht viel und nicht genug, um davon leben zu können. Doch die meisten Kunden hatten ihn ins Herz geschlossen und schenkten ihm Kleidung und Schuhe, die ihren Kindern nicht mehr passten. Die Mahlzeiten bekam er meistens von seinem Chef, von den Kundinnen und ihren Haushälterinnen. Ein Zubrot hatte er sich dadurch verdient, dass er nur ein Teil der ihm geschenkten Sachen behielt und den Rest verkaufte. Mit dem Geld, das er verdiente, ging er sehr sparsam um. Fast nichts davon gab er aus, außer für seine ersten Bücher. Als die Kunden seine Leselust bemerkten, erhielt er auch Bücher geschenkt oder geliehen. Es sprach sich im Viertel schnell um, dass er lesen und schreiben konnte.Von da an verwandelte sich der Laden in ein Schreibbüro. Er las den Leuten Briefe vor, die sie von ihren Verwandten bekamen und schrieb für sie, auch in sehr vertraulichen Angelegenheiten. Die Menschen rechneten es ihm hoch an, dass er trotz seines jungen Alters deren Geheimnisse für sich behielt. Seitdem trug er den Spitznamen »Alamin«. Er war sehr glücklich über diese Bezeichnung, denn auch den Propheten Mohammed nannte man schon in seiner Jugend »Alamin«, was soviel bedeutet wie »der Vertrauenswürdige« oder »der Bewahrer des Anvertrauten«. Es hieß: »Geh zu Hassan, Hassan Alamin, der kann für dich schreiben.« Oft wurde entgegnet: »Aber das ist sehr vertraulich.« Sie antworteten:
»Für unseren Alamin nicht.« Es wurde erzählt, dass die Polizei ihn eines Tages abholte. Als sie ihn nach zwei Tagen vor dem Laden absetzten, konnte er nicht laufen und auch nicht sprechen. Sein Chef, der ihn mittlerweile wie seinen eigenen Sohn behandelte, rannte aus dem Geschäft hinaus, als er ihn sah und trug ihn mithilfe von anderen Nachbarn in seine Wohnung über dem Geschäft. Er stotterte nur, dass er nichts verraten habe. Er war ein Held, mit Fünfzehn ein Held. In einer Zeit, in der erwachsene Männer für einen schönen Abend ihr Land verkauften.
Es war das Jahr 1956. Israel, Frankreich und England griffen Abdel Nassers Ägypten an oder wie es die ach so freien Journalisten ausdrückten: »In einer Militäraktion hat Israel Ägypten angegriffen − mit der Hilfe von Frankreich und England − und konnte den größten Teil der Sinai-Halbinsel besetzen.« Die Welt funktionierte damals ganz anders, so anders, dass die Amerikaner und Russen die Israelis dazu brachten, sich aus Ägypten zurückzuziehen.