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DER BLAUE PFAU

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“Sag’, was ist Safya für eine Rasse?”, rief Maren aus dem Wohnzimmer, als ich die Tür aufschloss. Mir blieb fast das Herz stehen!

Safya drückte sich an mir vorbei, ging zielstrebig mit ausgestreckter Hand auf Maren zu und verkündete: “Ich bin Jessidin, na, eigentlich nur fast. Mein Name ist Safya.”

Als Maren dann wieder Worte fand, meinte sie nur: “Dann magst du bestimmt lieber Kekse als Trockenfutter, oder?”

“Ja, Kekse sind völlig in Ordnung”, antwortete Safya.

Als wir uns dann mit Saft und Keksen am Esstisch niedergelassen hatten, wollte Maren dann doch wissen, wo Safya denn herkäme.

“Charlottenburg, Kamminer Straße, dritter Stock, rechter Seitenflügel”, antwortete Safya präzise zu Marens Verwunderung. Und ich nickte zur Bestätigung.

“Nein, ich meine ursprünglich”, beharrte Maren auf ihrer Frage.

“Also davor habe ich in einem kleinen Dorf in der Nähe von Mossul gelebt, bei meiner Großmutter. Und davor direkt in Mossul in der Innenstadt, als meine Eltern noch gelebt haben, bevor die Granate eingeschlagen ist.”

“Deine Eltern sind bei einem Granateneinschlag ums Leben gekommen?”, wollte ich wissen.

“Nein, die ist ja ins Schlafzimmer eingeschlagen und wir waren gerade beim Abendessen. Da ist niemandem etwas passiert. Nur die Wohnung war ganz kaputt und alle Betten.”

“Aber deine Eltern sind dann doch gestorben?”, nahm ich den Faden auf.

“Ja, als sie versucht haben, eine neue Wohnung zu finden. Das ist schwierig, weil so viele Wohnungen nämlich kaputt sind. Da sind sie mit dem Auto auf eine Mine gefahren. Dann bin ich zu meiner Großmutter gezogen, weil ich ja keine richtige Jessidin bin und nicht alle in der Gemeinde mich gemocht haben. Da hat sie mich beschützt vor denen und den Arabern. Die mögen nämlich Jessiden auch nicht, weil sie denken, wir beten den Teufel an. Das stimmt aber gar nicht!”

“Warum bist du keine richtige Jessidin?”, wollte Maren wissen.

“Jessidin kann man nicht werden, es sei denn man ist es von Geburt an. Und dann müssen beide Eltern vorher Jessiden sein. Denn das Jessidentum ist eine synkretistische Religion, die weder eine heilige Schrift hat, noch ein Aufnahmeritual.”

“Und bei dir war ein Elternteil, lass mich raten, aus Deutschland? Wenn du so schwierige Wörter kennst wie Synkretismus”, vermutete ich.

“Ja, mein Papa ist Deutscher, war Deutscher. Er war Professor und hat die jessidische Religion erforscht. Und Synkretismus bedeutet einfach ‘Mischmasch’ in der Sprache der Professoren. Das sagt man so, wenn man gebildet ist. Ich will nämlich später auch mal studieren und forschen und anderen Leuten was beibringen, wie mein Papa.”

“Und dein Papa hat das Jessidentum erforscht?, wollte Maren wissen.

“Ja, weil wir nämlich keine heilige Schrift haben, müssen die ganzen heiligen Geschichten immer von den Großeltern erzählt werden und die erzählen es ihren Kindern und die dann wieder ihren Kindern. Und im Laufe von Hunderten von Jahren verändert sich die Geschichte ein wenig, weil man Geschichten beim Erzählen nicht so genau wieder erzählt, wie beim Vorlesen aus einem Buch. Und diese kleinen Veränderungen hat mein Papa erforscht. Denn in euer Religion war das am Anfang genauso. Da wurden die Geschichten von Jesus auch erst nur erzählt bis man sie aufgeschrieben hat. Und deswegen wollte er erforschen, ob Geschichten sich auf eine bestimmte Art verändern, wenn man sie erzählt.”

“Und so hat er deine Mama kennengelernt?”, überlegte Maren.

“Ja, er hat sich die Geschichten immer und immer wieder erzählen lassen und sich Notizen gemacht. Er ist in die Dörfer gefahren und hat ganz alte und junge Leute erzählen lassen und sich Notizen gemacht. Er war ja Forscher.

Und wenn meine Mama die heiligen Geschichten erzählt hat, dann hat es ihm wohl am besten gefallen. Und so hat er sich in sie verliebt. Sie war auch sehr schön.

Aber als sie dann geheiratet haben und ein Baby bekommen haben, da hat das vielen in der Gemeinde gar nicht gefallen, obwohl sie meinen Papa eigentlich gemocht haben. Nur meine Großmutter hat gesagt, dass es nicht unsere Aufgabe ist, über den Kopf von Melek Taus hinweg zu entscheiden, ob etwas in seinen Augen gut ist oder nicht. Melek Taus ist unser oberster Engel, und wenn es ihm gefällt, dass die beiden ein gemeinsames Kind haben, dann wird man das dem Kind schon anmerken, dass das gut ist, davon war sie überzeugt. Sie hat mich immer sehr lieb gehabt und auch verteidigt. Nur ist sie dann irgendwann zu alt geworden, um mich weiter zu versorgen.”

“Und wie bist du in die Kamminer Straße gekommen?”, wollten wir dann wissen.

“Tante Gundi, die jüngere Schwester von meinem Papa hat dann irgendwann alles Mögliche versucht, dass ich nach Deutschland komme, als sie gehört hat, dass er bei der Explosion gestorben ist. Sie hat mich sogar apportiert.”

“Also doch ein Hund”, meinte Maren trocken, und ärgerte sich sogleich über diese Bemerkung.

“Adoptiert”, korrigierte ich und Safya wirkte merklich zerknirscht.

“Du sprichst wirklich hervorragend deutsch, Safya. Und wer Begriffe kennt wie ‘Synkretismus’, der darf sich auch gelegentlich versprechen.”

“Danke”, stammelte Safya - “Aber ich mache wirklich ungern Fehler. Habt ihr mich dennoch lieb?”

“Aber natürlich!”, riefen wir beide fast gleichzeitig.

“Ja, und als dann endlich alle Papiere fertig waren und ich nach Berlin geflogen bin, war Tante Gundi schon sehr krank. Und dann hat sie euch gefragt, ob ihr auf mich aufpasst, bis sie wieder gesund ist.”

“Ja, und das machen wir jetzt auch. Soll ich dir dein Zimmer zeigen, in dem du wohnst, solange du da bist?”

“Ja, und die Katzen. Frau Michalke hat gesagt ihr habt ganz viele Katzen”, setze Safya die Prioritäten zurecht.

“Gut, die Katzen zuerst. Dort in der Mulde im Kratzbaum schläft Lord Nelson, der ist der Papa der Katzenbande. Und die Mama Maree hat sich im Wohnzimmer auf der Fensterbank zusammengerollt”, stellte ich die beiden gerade anwesenden Tiere vor.

“Und die Kleinen?”, wollte Safya wissen.

“Die sind sicherlich in dem Zimmer, in dem sie vor ein paar Monaten geboren sind. Da schlafen sie immer noch besonders gern. Das ist übrigens auch das Zimmer, das wir für dich ausgesucht haben”, meinte Maren.

“Kann man die anfassen und streicheln?”, wollte Safya wissen.

“Bestimmt. Die kommen bestimmt von ganz allein auf dich zu, wenn du erst in ihrem Zimmer wohnst”, meinte ich.

“Und dann kochen wir zum Abend noch Pasta Bolognese, was meinst du?”, ergänzte Maren.

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Als der Duft von Bolognese-Soße durch das Haus zog, kam Safya die Treppe runtergelaufen, trat in die Küche und rümpfte die Nase.

“Oh!”, rief Maren erschrocken aus, “Ich habe völlig vergessen, dich zu fragen, ob Schweinefleisch für dich OK ist?”

“Für mich ist es weniger problematisch als für das Schwein”, erwiderte Safya zu Marens Verwunderung und fügte dann hinzu:

“Aber es fehlt Rosmarin! An gehacktes Fleisch gehört Rosmarin. Meine Großmutter hat mich gelehrt, wenn wir schon das Fleisch der Tiere essen, dann gehört es sich, sie wenigstens dadurch zu ehren, dass das Essen, das wir zubereiten, gesund und schmackhaft ist. Und Rosmarin gehört dazu.”

Ich musste schmunzeln und schob eine Gemeinheit nach:

“Maren mixt einen Beton mit hervorragenden Qualitäten. In der Küche jedoch verliert sie oft viel zu schnell die Lust.”

Jetzt spielte Maren theatralisch die Beleidigte, fügte aber schnell hinzu:

„Um die Terrasse herum haben wir vor Jahren ganz viele Kräuter angepflanzt. Schau einfach, ob du das findest, woran es deiner Meinung nach meiner Soße mangelt.

Safya war schon bei der ersten Hälfte des Satzes durch das Wohnzimmer entschwunden und kam nach einer Weile mit einem großen Strauß an unterschiedlichen Kräutern zurück.

“Euer Kräutergarten ist erstaunlich gut. Ihr lasst die Natur das richtige Verhältnis der Kräuter zueinander finden und strapaziert sie nicht mit zu viel Düngen. Ihr lasst sie in Ruhe ihre Kraft entfalten. Das gefällt mir”, brachte Safya ihre Begeisterung zum Ausdruck.

Mir gefiel die Beschreibung unserer Gartenkultur. So charmant hatte noch niemand unsere ungezähmte Wildnis hinter dem Haus beschrieben. Safya war inzwischen in die Küche gelaufen, wusch die Kräuter sorgfältig und zupfte die Blätter und Nadeln ab. Dann suchte sie sich ein großes scharfes Messer aus dem Messerblock heraus und hackte die Kräuter sehr sorgfältig klein.

“Es ist wichtig, dass das Messer sehr scharf ist. Sonst werden die Kräuter nicht geschnitten, sondern zerquetscht und die Kraft landet im Schneidebrett und nicht im Essen”, dozierte sie stolz beim Abschmecken.

“Wie im Restaurant!”, bemerkte Maren, der es sichtlich schmeckte, beim Essen. “Sehr, sehr gut! Wie mein Beton!”, schmunzelte sie.

“Was hast du an Kräutern benutzt?”, wollte ich wissen.

“Rosmarin, ein wenig Estragon, Liebstöckel. Und natürlich Petersilie. Ich hätte noch Koriander dran gemacht, wenn ich welchen gefunden hätte”, meinte Safya.

“Wir werden Koriander besorgen. Gleich morgen! Einer solch guten Köchin darf man die Mittel nicht verwehren!”, fand Maren.

Aber auch die beste Pasta neigte sich irgendwann dem Ende entgegen und irgendwann waren wir alle satt und der Topf fast leer. Also kam der Moment, wo wir mehr Zeit hatten, uns zu unterhalten.

“Dieser Melek Taus”, wollte Maren wissen, “Ist das euer Gott?”

“Nein!”, antwortete Safya irritiert. “Melek Taus ist ein Engel. Aber er ist der wichtigste Engel. Als Gott alle sieben Engel aus einer Perle erschaffen hat, war Melek Taus der erste, er wird auch ‘Azra’il genannt. Dann erschuf er noch Darda’il, Israfa’il, Mika’il, Gibra’il, Shamna’il und Tura’il. Aber Melek Taus war der erste und wichtigste. Und er bekam die Aufgabe, die Welt und Adam und Eva zu erschaffen.”

“Dann hat in euer Religion nicht Gott die Welt erschaffen?”

“Nein, dann wäre sie bestimmt viel perfekter!”, war sich Safya sicher. “Und dann hat Gott zu Melek Taus gesagt, er soll Adam anbeten. Und Melek Taus war ganz entrüstet, weil er der Meinung war, dass nur Gott allmächtig sei, und ein von ihm selber geschaffenes Wesen keinen Anspruch auf Anbetung habe. Diese Antwort hat Gott gefallen und er hat zu Melek Taus gesagt, du hast die Prüfung bestanden. Nun sollst du der Anführer der anderen Engel sein.”

“Aber du hast gesagt, du glaubst an den blauen Pfau?”, wunderte ich mich.

“Melek Taus heißt in unserer Sprache Engel Pfau. Wir symbolisieren ihn als blauen Pfau. Oder als Scheich ʿAdī, denn der war eine weltliche Form von Melek Taus. Deshalb ist sein Grab auch heilig. Und ein Pfau ist er deshalb, weil er mitunter auch sehr hochmütig sein kann”, ergänzte Safya.

“Und dann hast du gesagt, die Araber denken, dass ihr den Teufel anbetet?”, wollte Maren wissen.

“Ja, aber das ist falsch! Melek Taus ist zwar mitunter arg hochmütig, aber er ist gut. Einmal wollte er allerdings Gott gleich sein, was natürlich nicht geht, denn er ist ja auch ein Geschöpf! Aber als er gesehen hat, dass er Gott damit furchtbar erzürnt, hat er es tief und ehrlich bereut. Und deshalb hat Gott ihm vergeben, und er blieb der erste Engel.”

Wir sahen sie ratlos an.

“Großmutter hat immer gesagt, einen wirklich allmächtigen Gott zeichnet aus, dass er seine Meinung ändern und vergeben kann. Wer nur nach vorher festgelegten Regeln handelt, kann nicht allmächtig sein, sondern ist ein Automat”, war Safya wirklich überzeugt.

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Dann wechselte Safya das Thema. “Wie heißen eigentlich die kleinen Katzen?”

“Die haben noch keinen Namen”, meinte ich.

“Doch, die heißen Tick, Trick und Track!”, erwiderte Maren trotzig.

“Das sind doch Namen für Enten”, meinte Safya irritiert.

“Als unsere Katzen Nachwuchs bekommen haben, hatten wir erst vor, sie in liebevolle Hände zu vermitteln. Und um uns nicht zu sehr an sie zu gewöhnen, haben wir sie eben Tick, Trick und Track genannt. Doch das hat nichts genutzt, denn wir konnten uns einfach nicht von ihnen trennen”, erklärte ich.

“Melanie hat recht. Wenn dir bessere Namen einfallen, darfst du sie gern umtaufen”, meinte Maren.

“Das ist gut! Aber dazu muss ich sie erst noch besser kennenlernen, damit ich sehe, welche Namen zu ihnen passen. Aber Tick, Trick und Track passen gar nicht, dass sind doch die Jungen von Donald Duck und zwei von ihnen sind ja Mädchen”, meinte Safya.

“Du bist aber eine gute Beobachterin”, war Maren erstaunt.

“Das sieht man doch in dem Alter. Nur bei jungen Katzen ist das schwierig!”

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Beim Abendessen meinte Maren: “Erzähl uns von Mossul.”

Safya schaute sie an und meinte, Mossul ist wie Berlin. Es war eine sehr große Stadt. Vielleicht so groß wie Berlin. Aber älter, viel, viel älter. Es ist so alt, dass es sogar in der Bibel erwähnt wird. Dort heißt es Ninive.”

“Das wusste ich gar nicht”, meinte ich.

“Und bis der ISIS kam, hatte ich viele unterschiedliche Freunde in der Schule. Es gab dort Moslems, Christen, Jessiden und auch noch andere Gruppen. Natürlich gab es zwischen den Gruppen auch Streit. Aber die haben sich nicht getötet. Irgendwann waren es dann aber nur noch Araber in meiner Klasse. Manche sind ganz schnell weggezogen. Aber viele waren auch einfach so getötet worden. Einfach so, ohne Grund! Und dann bin ich ja auch zu meiner Großmutter aufs Land gezogen.”

“Und hast du die große Stadt vermisst?”, wollte Maren wissen.

“Nein, aber meinen kleinen Vogel. Der war im Schlafzimmer als die Granate einschlug. Aber bei Großmutter habe ich eine kleine Katze gefunden, die saß einfach auf der Straße und hatte Hunger. Ich habe sie Ulima getauft, denn sie war Waise wie ich. Aber nach en paar Monaten war sie groß genug und hat sich einen Kater gesucht. Inzwischen hat sie bestimmt eine eigene Familie. und dann bin ich ja schon zu Tante Gundi nach Berlin gereist.”

“Und du? Du hättest bestimmt auch gern wieder eine Familie?”, meint ich.

Safya dachte nach.

“Ich glaube, ich habe schon mehrere Familien gehabt. Hier und in Mossul. Immer gab es Menschen, die mir geholfen haben, wenn ich allein war und traurig. Menschen, die mich lieb hatten. Das ist doch Familie, oder?”

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Kannst Du mal auf Safya aufpassen?

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