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THE DAY AFTER

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“Wir können auf den Etagendruckern nicht mehr drucken! Das geht so nicht! Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Korrespondenz fristgerecht das Haus verlässt! Bringen sie das umgehend in Ordnung!”, schallte es aus dem Telefon, kaum dass sie am nächsten Morgen ihr Büro betreten hatte.

Tatin schloss ihre Tasche ein, hängte sich die Sicherheitskarte um den Hals und machte sich auf in den Druckerraum des siebten Stocks, wo der funktionslose Drucker stand.

Der Drucker wirkte unauffällig. Auf dem Display stand bereit, es gab keinen Papierstau und die entsprechenden Vorratsfächer für A4- und A3-Papier waren hinreichend gefüllt. Dann entdeckte sie einen neuen Kaffeevollautomaten auf einem kleinen Beistelltisch und verfolgte das Stromkabel zu der Mehrfachsteckdose hinter dem Drucker. Und richtig, um die Kaffeemaschine anschließen zu können, hatte jemand das Kabel von dem Netzwerk-Switch, der den Drucker mit dem Hausnetz verband, herausgezogen und den Platz stattdessen für die Zubereitung von Heißgetränken verwendet. Sie korrigierte den Fehler und ging wieder zu ihrem Büro zurück. “Darf man erfahren, wo du jetzt erst herkommst? Wie soll ich eine saubere Übergabe hinbekommen, wenn du erst so spät kommst?”, rief ihr Eric entgegen, als sie zurück im Büro erschien. Ludgar stand daneben und fand offensichtlich Gefallen an Erics Auftritt. “Ich habe meinen Job gemacht. Im siebten Stock ging der Etagendrucker nicht mehr.” “Ich muss dringend ins CS-Meeting und kann hier keinem eine saubere Übergabe liefern”, meckerte Eric, der offensichtlich Spontangenesene. “Und ich bin gar nicht im CS-Team. Was bei mir aufschlägt, sind reine Helpdesk-Aufgaben. Und eine dieser Aufgaben habe ich gerade erledigt”, entgegnete Tatin. “Papperlapapp”, raunzte Ludgar. “Jeder hier muss jeden vertreten können.” Was ich ja gestern wohl auch getan habe, dachte Tatin. “Wir sind für den Rest des Tages unabkömmlich in diversen Meetings. Wenn etwas Wichtiges ist, bitte eine entsprechende Notiz an unsere Handys. Aber bitte nur das Wichtige. Sei eine gute Sekretärin, Tatin!”, meinte Ludgar, der das lustiger fand als Tatin, und dann verschwanden beide. “Was fällt ihnen ein, unsere Kaffeemaschine auszuschalten?”, brüllte sie der Anrufer kurz darauf aus dem Telefonhörer an. “Haben sie eigentlich eine Vorstellung davon, was so ein Kaffeevollautomat kostet? Das ist Privateigentum, da haben sie gefälligst die Finger von zu lassen.” Tatin war noch aufgebracht wegen des Auftritts von Ludgar und Eric und so antwortete sie schroffer, als es ihre Art war. “Ist ihnen bewusst, was ein netzwerktauglicher Din-A3-Vierfarblaser mit Duplex-Scan-Einheit in dieser Leistungsklasse kostet? Das ist Firmeneigentum. Eigenmächtige Eingriffe in die Netzwerkstruktur sind laut Dienstvereinbarung ein Grund für eine sofortige Kündigung. Wenn Sie einen zusätzlichen Stromanschluss benötigen, klären Sie das mit den Hausmeistern. Und wenn sie nicht im Brandfall haftbar gemacht werden wollen, sorgen sie vor erneuter Inbetriebnahme des elektrischen Geräts dafür, dass ein Hauselektriker das Gerät nach DGUV Vorschrift 3 abnimmt.” Sie legte den Hörer auf und fühlte sich zu ihrer eigenen Überraschung besser.

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Ludgar und Eric waren auch am nächsten Tag mit dem Collaboration-Projekt beschäftigt. Also blieb das Tagesgeschäft an Tatin hängen. Sie stellte interne Ankündigungen ins Intranet, fahndete nach gelöschten Dokumenten, reparierte falsch rechnende Tabellenkalkulationen, hübschte Präsentationen auf und verhalf dem Vorstand zu Visum-tauglichen Passbildern für die geplante USA-Reise.

Als Eric zurückkam, griff er sogleich zum Telefonhörer und sagte seinem Gegenüber: “Meine Sekretärin wird ihnen die entsprechende Präsentation zukommen lassen.”

“Du hast eine Sekretärin?”, wunderte sich Tatin.

“Nein, aber ich dachte, du kannst ihm ja die Präsentation auch gleich schicken.”

“Gleich schicken?”

“Na, wo du doch vorgestern die Zusammenfassung der Machbarkeitsstudie geschrieben hast, kannst du sie ja auch noch schnell auf die Seiten von einer Präsentation werfen. Dann muss ich mich da nicht erst reinarbeiten”, meinte Eric.

Tatin wechselte das Thema.

“Ludgar und du, ihr scheint bereits darüber gesprochen zu haben, wer sein Nachfolger wird, oder?”

“Ja, er hat mich neulich im - äh, privaten Rahmen angesprochen. Er meint, ich sei am Geeignetsten im Team dafür.”

“Ihr ward im privaten Rahmen zusammen? Ich dachte Ludgar vermeidet es, mit seinen Kollegen zu feiern?”

“Nun, eine Feier war es nicht wirklich. Er hat mich auf dem Klo angesprochen.”

“Ihr habt Karrierepläne beim Pinkeln geschmiedet?”, wollte Tatin wissen.

“Ihr redet doch auf der Toilette bestimmt auch miteinander!”, meinte Eric und war auch schon wieder verschwunden, bevor Tatin antworten konnte, dass es eher um die Farbe von Lippenstiften ging, wenn man am Waschbecken mal aufeinander traf. Und dass es ein strategischer Nachteil wäre, dass die Chefs die Damentoilette nicht frequentierten.

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Am nächsten Tag fand Tatin eine Haftnotiz an ihrem Bildschirm.

Sorry, war an deinem PC. Wollte nachsehen, ob die Präsentation schon fertig ist. Habe deshalb dein Kennwort zurückgesetzt. Dein neues Kennwort lautet nun Max1m1l1an. Eric. P.S.: Ich übernehme die Koordinierung! Tatin stieg der Ärger innerlich hoch: Du übernimmst die Koordinierung? Es ist dein Projekt! Koordiniere dich gefälligst selbst! Dann bekam sie einen Anruf von einer Gruppenleiterin aus dem Investment-Bereich. “Das ist gut, Frau Bergen, dass ich Sie direkt erreiche. Mir ist etwas ganz Schreckliches passiert. Ich habe versehentlich ein Dokument gedruckt, und ich weiß nicht, auf welchen Drucker. Und dann habe ich das Original vor Schreck geschlossen, ohne es zu speichern. Nicht nur, dass ich an dem französischen Text etliche Stunden gearbeitet habe, es ist zudem etwas sehr Privates!” “Etwas schrecklich Privates - im Dienst?”, meinte Tatin und hoffte, dass man ihr Augenzwinkern im Telefon bemerken würde. “Es ist eine Bewerbung bei einem Mitbewerber in der französisch-sprechenden Schweiz”, bekam sie zur Antwort. Und dann nach einer gewissen Pause: “Ich pflege doch meine neunzigjährige Mutter. Zuhause kann ich nicht einmal die Konzentration aufbringen, eine Einkaufsliste zu schreiben.” Tatin schaltete sich auf den Bildschirm der Anruferin auf und forschte nach deren eingestelltem Standarddrucker. Dann erkannte sie auf der Konsole an ihrem PC, mit der sie die Druckerwarteschlangen verwaltete, dass dieser Drucker aktuell einen Papierstau hatte und löschte den deswegen noch nicht ausgeführten Druckauftrag. Die Anruferin wirkte deutlich erleichtert. Allerdings blieb die nicht gespeicherte Datei wirklich verschwunden. Auch die automatisch alle 10 Minuten angefertigte Sicherheitskopie war beim Beenden des Textverarbeitungsprogramms gelöscht worden. Tatin konnte durch die Telefonleitung förmlich die Verzweiflung hören, die zwischen den Worten Abgabefrist und Karrierechance mitschwang. Dann hatte sie eine Idee. In Computernetzen ziehen Daten, ähnlich wie Kometen, einen Schweif hinter sich her. Und diese Schattenbilder der Textdatei mussten sich doch noch aufspüren lassen. Sie schaute mit einem Spezialprogramm auf die Datenstrukturen und fand eine Version, die etwa zehn Minuten vor dem Anruf existiert hatte. Leider war diese Version beschädigt, denn das Netzwerk stand seit diesem Zeitpunkt ja nicht still. Tatin war aber zuversichtlich, dass sie den Schaden so reparieren könne, dass zumindest der Text gerettet wurde. Die Formatierung konnte man sicherlich schneller wieder durchführen. Sie besprach sich mit der Anruferin und berichtete ihr von der möglichen Lösung ihres Problems. “Haben Sie einen USB-Stick dabei?”, fragte Tatin die Anruferin. “Ja, aber ich kann ihn hier nicht benutzen. Der USB-Anschluss ist gesperrt.” “Sie vergessen, dass ich Administratorin bin. Ich werde den USB-Anschluss kurzfristig entsperren, die Datei nach der Reparatur darauf kopieren und ihn danach wieder sperren. In zehn Minuten haben Sie die Datei wieder. Ich werde sie Kindergeburtstag nennen. Sie bekommen eine Mail, dann können Sie den USB-Stick wieder abziehen.” Nach knapp zehn Minuten sandte sie der Gruppenleiterin eine Mail mit der Betreff-Zeile Kindergeburtstag und dem Inhalt: Ich habe die Bilder vom Kindergeburtstag Ihres Patenkinds wiederhergestellt.

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Ludgar und Eric entwickelten sich zu einem wahren Chef-Duo. Und nachdem sie für Eric nicht nur die Präsentation zusammengestellt, sondern auch die Sekretärin gespielt hatte, indem sie diese an diverse Empfänger versandt hatte, fand sie am nächsten Tag einen geeigneten Zeitpunkt, Ludgar einmal darauf anzusprechen. Sie erwischte Ludgar morgens, als Eric noch einen Arzttermin beim Urologen wegen einer Beckenbodenthematik hatte und sprach ihn direkt darauf an:

“Ludgar, ich habe das Gefühl, dass deine Nachfolge bereits ausgemachte Sache ist und, dass du Eric favorisierst. Ich möchte aber zu bedenken geben, dass unsere Betriebszugehörigkeit ebenso vergleichbar ist wie unser Tätigkeits- und Erfahrungsprofil. Warum nur habe ich das Gefühl, nicht im Rennen zu sein?”

Ludgar war die Situation sichtbar unangenehm. Dann räusperte er sich:

“Frauen werden schwanger und fallen dann wegen des Mutterschutzes unkontrollierbar aus.”

“Mit neunundvierzig?”, hakte Tatin nach.

“Dann menstruieren sie eben. Auch dafür soll es demnächst Sonderurlaub geben.”

“Habe ich in den letzten, mehr als vierzehn Jahren einmal auf Firmenkosten menstruiert?”, wollte Tatin nun wissen.

“Was weiß ich denn. Wenn ich das kontrollieren würde, würde die Gleichstellungsbeauftragte mir zurecht aufs Dach steigen.”

Aber die Vermutung äußern, meinst du zu dürfen? dachte Tatin, antwortete aber: “Wie es scheint, sind ja auch männliche Mitarbeiter nicht davor gefeit, gelegentlich einen Facharzt aufsuchen zu müssen. Meine Krankheitstage sind wie die meiner Kollegen sicher bei der Personalabteilung erfasst und ich würde sie jederzeit für einen Vergleich freigeben.” “Das ist es ja nicht allein. Chef-Sein ist eine Sache der Sozialisation von frühauf. Das kann man nicht einfach so hin und her ‘main-streamen’, wie es einem gerade in den Kram passt. Allein schon durch die Bundeswehr haben Männer auf eine ganz andere Art Kameradschaft gelernt. Zum Chef-Sein gehört einfach mehr Schneid dazu, als man mit der Schulbildung und dem Studium erwirbt.” “Ach, Eric hat ihn, aber mir traust du ihn nicht zu, weil ich nicht in grünen Zelten im Schlamm geschlafen und gelernt habe, Bierflaschen mit den Zähnen zu öffnen? Und überhaupt, hatte Eric nicht schon damals seine Rückenprobleme und deshalb einen mit mir vergleichbaren Ausbildungsstand, was Kameradschaft anbelangt?” Statt zu antworten gab Ludgar vor, in eine dringende Sitzung zu müssen.

Tarte Tatin und Rébellion

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