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Prolog

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Ichtaca

Norwegen, 1448


Mit dem Sommer wächst der Bauch, und mit ihm meine Angst vor dem, was geschieht, wenn unser Kind das Licht der Welt erblickt. Es sind nicht nur die typischen Fragen, die man sich als werdende Mutter stellt, nein, meine größte Angst gilt Meztli und dem Zeitpunkt, an dem sie kommen wird, um ihren Preis einzufordern.

»Vielleicht hat sie es vergessen«, murmelt mir Nanauatzin an den Abenden zu, an denen die Verzweiflung mich um den Verstand bringt. »Es ist schon eine halbe Ewigkeit her. Sie hat sicher noch andere Handel geschlossen, die ihr wichtiger sind.«

Doch ich kann ihm ansehen, dass er nicht einmal selbst daran glaubt. Auch er hat Angst vor dem Tag, an dem das Kind, das wir bereits jetzt so sehr lieben, aus unserem Leben verschwinden wird.

Erst haben wir noch versucht, es zu ignorieren. So zu tun, als wäre es gar nicht da. Als wäre ich bloß krank und der ganze Spuk bald vorbei, doch dann – eines Abends, als wir nebeneinander auf der Wiese lagen – hat es sich zum ersten Mal bewegt. So deutlich, dass ich es nicht mehr leugnen konnte: das ist unser Kind!

»Wir könnten ihn verstecken«, schlägt mir Nanauatzin an anderen Abenden vor. Mittlerweile geht er fest davon aus, dass ich einen Sohn gebären werde. Mein Gefühl ist ein anderes, aber das verrate ich ihm nicht. Es macht sowieso keinen Unterschied, wenn Meztli kommt und uns unser Kind wegnimmt. »Vielleicht nimmt ihn einer der Dorfbewohner und zieht ihn auf wie sein eigenes Kind. Dann könnten wir ihn zumindest immer sehen.«

»Glaubst du wirklich, dass sich eine Magica durch so etwas hereinlegen lässt?«, frage ich dann zweifelnd. »Sie ist so mächtig, dass sie uns an einen anderen Ort auf dieser Welt gebracht hat. Sie würde es sofort durchschauen.«

So geschieht es, dass die Monde vergehen und die Geburt unseres ersten Kindes immer näher rückt, doch wir immer weniger Ahnung haben, wie wir es vor der Magica beschützen sollen. Manchmal spinnen wir herum und stellen uns vor, wie es wäre, wenn unser Kind bei uns aufwachsen würde … doch diese Gedanken werden so schnell von Tränen abgelöst, dass wir sie irgendwann einstellen, weil sie zu sehr schmerzen.

Ich wünschte, es gäbe eine Lösung. Ich würde alles dafür geben, um mein Kind in Sicherheit zu wissen. Doch ich bezweifle, dass sich Meztli auf einen weiteren Handel einlassen würde.

Ich erwache zum Knistern des Feuers und fühle mich irgendwie anders. Ruhiger. Bereiter.

Eine Weile liege ich einfach da und lausche den Atemzügen Nanauatzins in meinem Nacken, bis mir klar wird, was mich geweckt hat.

Mein Bauch wird immer wieder hart. Die leichten Schmerzen ziehen sogar bis in den Rücken.

Ich schiebe meine Hand unter die Decke und lege sie auf meine nackte Haut. »Schhh«, mache ich, um mein Kind zu beruhigen. »Ich bin bei dir.«

Doch als das Feuer beinahe runtergebrannt ist, sind die Schmerzen nicht besser geworden. Im Gegenteil, sie kommen nun häufiger und nehmen mir die Luft zum Atmen – still liegen kann ich schon eine Weile nicht mehr. Irgendwann wird Nanauatzin davon wach, dass ich so laut schnaufen muss.

»Was … ist alles in Ordnung?«, fragt er müde. Seine langen Haare sind so zerzaust, dass ich sie ihm am liebsten aus dem Gesicht streichen würde, doch es fällt mir schwer, mich zu ihm hinunter zu beugen.

»Ich glaube, unser Kind macht sich auf den Weg.« Meine Antwort lässt ihn schlagartig hellwach werden. Er springt auf und stolpert aus den Fellen, auf der Suche nach seiner Kleidung.

Ich muss lachen, und er sieht mich an, als würde etwas mit mir nicht stimmen.

»Hast du keine Schmerzen?«

»Doch.« Ich lache wieder, bevor mich die nächste Welle überrumpelt und ich mich am Tisch festhalten muss, um sie zu veratmen. Mit dem Becken kreise ich dabei sanft. Das hilft mir am besten, um mit den Schmerzen umzugehen. Ich schließe die Augen und lasse mich ganz hineinfallen. Was bleibt mir auch anderes übrig, kommen wird unser Kind so oder so – und umso entspannter ich bin, desto leichter mache ich es ihm.

Die Welle ebbt ab, so dass ich wieder normal atmen kann. Ich lasse den Tisch los und drehe mich zu Nanauatzin, der mich mit großen Augen ansieht. »Die Schmerzen kommen und gehen«, erkläre ich ihm. »Es ist halb so schlimm.«

»Kann ich irgendetwas tun?«

»Feuerholz nachlegen.« Ich deute auf das niedergebrannte Feuer. »Und im Dorf Bescheid sagen, damit Thea herkommt. Sie wollte helfen, wenn es so weit ist. Es ist nicht die erste Geburt, die sie begleitet.«

Ich bin überrascht, wie schnell er reagiert, obwohl er morgens derjenige ist, der ein paar Augenblicke Zeit zum Wachwerden braucht. Heute benötigt er diese nicht. Vielleicht, weil ich ihn in Angst und Schrecken versetzt habe?

Es dauert keine zwei Wellen, da macht er sich auf den Weg ins Dorf, um Thea zu holen. Ich blicke ihm durchs Fenster hinterher, bis er nicht mehr zu sehen ist, und widme mich dann wieder meinem Kind.

»Du machst das toll«, flüstere ich und streichle über den Bauch, der nun so lange mein treuer Begleiter gewesen ist. Es wird komisch sein, mein Kind nicht mehr in mir zu fühlen. »Und du wirst ein großartiges Leben haben – egal, was geschieht. Das spüre ich ganz tief in meinem Herzen.«

Nanauatzin und Thea kehren bald darauf zurück. Sie untersucht mich und verspricht mir, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis unser Kind das Licht der Welt erblicken wird. Deshalb bittet sie Nanauatzin, am nahegelegenen Bach Wasser zu holen und es am Feuer zu erwärmen.

Ich glaube, er ist dankbar für die Aufgabe, denn in seinen Augen kann ich sehen, wie sehr ihn die Situation überfordert. Als er weg ist, kann ich mich noch besser auf die Wellen einlassen, die nun in immer kürzeren Abständen kommen.

Thea streicht mir die Haare aus der Stirn und drückt ihre Hand auf meinen unteren Rücken, wann immer ich den Gegendruck gebrauchen kann. Sie redet mir gut zu, wenn ich vergesse zu atmen und lobt mich, wenn ich eine weitere Welle überstanden habe.

Ich bekomme nur noch am Rande mit, wie Nanauatzin zurückkehrt und das Wasser aufsetzt, bevor Thea ihn bittet, die Hütte zu verlassen. Sie kennt mich so gut, dass sie genau weiß, was ich nun brauche.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstreicht, bis ich ihn schließlich spüre. Diesen Druck nach unten, von dem alle Frauen im Dorf immer geredet haben, wann immer sie von ihren Geburten erzählten. Die Schmerzen werden erträglicher, aber ich habe das dringende Gefühl, mich hinhocken zu wollen, um Ballast loszuwerden. Thea lacht, als ich ihr davon erzähle, und hilft mir aus dem Kleid.

»Dein Kind kommt jetzt sehr bald, Ichtaca«, erklärt sie mir. »Du darfst jetzt mitdrücken.«

Ich hocke mich an die Wand, um wenigstens etwas Stabilität in meine zittrigen Beine zu bekommen, und warte auf die nächste Welle, um mitzudrücken. Doch das fühlt sich merkwürdig an, und ich zögere etwas. Thea scheint mir die Unsicherheit anzusehen.

»In die Richtung.« Sie nickt und lächelt mir bestärkend zu. »Das ist genau richtig so.«

Unter ihrer Anleitung dauert es nicht lange, da spüre ich ein so heftiges Brennen, dass ich laut aufjapsen muss – doch im nächsten Moment ist es vorbei. Thea fängt mein Kind auf, und ich rutsche zu Boden, so überrollt von dem Schock, ein Kind auf die Welt gebracht zu haben, dass meine Beine mir den Dienst versagen.

»Sie ist wunderschön.« Thea legt mir das Kind auf die Brust. Es ist warm und feucht und bewegt den Kopf mit geschlossenen Augen hin und her, als wäre es auf der Suche nach etwas.

»Oh, bei den Göttern«, wispere ich erstaunt. Mehr bringe ich nicht zustande. Etwas so Schönes habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Heiße Tränen steigen mir in die Augen, als ich das Wunder in meinen Armen dabei betrachte, wie es allmählich in dieser Welt ankommt. Es öffnet den Mund und lässt einen leisen Schrei hinaus. Theas Worte dringen zu mir durch. »Sie?«

»Ja, sieh nur. Es ist ein Mädchen.« Sie schiebt meine Tochter so, dass ich den Beweis dafür sehen kann, bevor sie uns in eine warme Decke einhüllt. »Ich hole Nanauatzin rein, ja?«

Kurze Zeit später hockt sich Nanauatzin neben mich, um das kleine Wesen zu betrachten, das soeben im Sturm mein Herz erobert hat. Sein ganzes Sein beginnt zu leuchten, als er ins Gesicht seiner Tochter blickt. Als hätte sie gespürt, dass er da ist, öffnet sie die Augen und blinzelt ihn müde an. Er stößt ein kurzes Gebet aus und streckt die Hand aus, um mit einem Finger die runden Wangen nachzufahren. »Das ist unsere Tochter«, murmelt er fasziniert. In seinen Augen sammeln sich Freudentränen. »Wir haben eine Tochter bekommen.«

Ich lache leise auf und drücke meine Lippen an die Stirn des Kindes. »Wir sollten sie Thea nennen, findest du nicht?«

Nanauatzin schaut auf, blickt zu der Frau, die mich in den letzten Stunden so gut versorgt hat, und stimmt mir zu. Theas Wangen färben sich rosa, und sie lächelt, bevor sie sich wieder dem Badewasser widmet, um unsere kleine Tochter bald sauber zu machen.

»Thea ist der perfekte Name für ein so wunderschönes Kind«, erwidert Nanauatzin und nimmt uns in seine Arme.

Ich nicke, überglücklich, denn für einen winzigen Moment habe ich vergessen, welches Schicksal unsere Tochter ereilen wird.

Thea ist ein Goldschatz. Sie schläft viel, und wenn sie wach ist, lässt sie sich von uns durch die Gegend tragen und füttern. Abends kuschle ich mich mit ihr ins Bett, während Nanauatzin uns eine Geschichte erzählt, und lausche ihren immer ruhiger werdenden Atemzügen. Irgendwann lösen sich ihre kleinen Händchen von meinen Fingern, und ich weiß, dass sie von guten Dingen träumt.

Dann drückt Nanauatzin jedem von uns einen Kuss auf die Stirn und kuschelt sich an mich. Es sind die stillen Minuten kurz vor dem Einschlafen, in denen wir beten, dass Meztli uns vergessen hat.

Dass sie uns unser Wunder lässt, weil sie weiß, wie sehr wir es lieben.

Und tatsächlich, mit jedem Tag, der vergeht, wiegen wir uns mehr in Sicherheit. Thea wächst und gedeiht und beginnt schon bald, die ersten richtigen Laute von sich zu geben. Wir zeigen ihr den Schnee und das Feuer und nehmen sie mit zu den heißen Quellen im Breen, als sie ein paar Mondzyklen alt ist. Sie liebt das Wasser genauso sehr wie ich, doch noch mehr liebt sie ihren Vater, der mit ihr die größten Späße veranstaltet.

Im Sommer lernt sie ihre ersten Worte, im Herbst die ersten Schritte, und als der Winter vor der Tür steht und sich ihr erstes Lebensjahr dem Ende zuneigt, haben Nanauatzin und ich vergessen, uns jeden Tag Sorgen wegen Meztli zu machen.

Jeder Tag ist ein Geschenk, so auch der heutige, an dem ich ein paar Frauen aus dem Dorf eingeladen habe, um Theas Sonnenjahr mit uns zu feiern. Während ich die letzten Vorbereitungen treffe und den Eintopf abschmecke, sitzt Nanauatzin mit Thea auf dem Boden. Er hat ihr ein paar Holzklötze geschnitzt, die er nun munter aufeinanderstapelt, damit sie sie wieder umwerfen kann. Wann immer sie in alle Richtungen purzeln, lacht sie glockenhell auf. Es ist ihr liebstes Spiel.

Ich würde den beiden gerne eine Weile dabei zu sehen, doch da klopft es an die Tür.

»Das müssen die ersten Gäste sein«, sage ich freudig. Nanauatzin blickt auf, stupst Thea auf die Nase und räumt das Holzspielzeug weg. Ich hebe Thea vom Boden hoch, um mit ihr gemeinsam die Gäste zu begrüßen. Sie klammert sich an mich und vergräbt ihr Gesicht an meinem Hals. Irgendwie ist sie in den letzten Wochen schüchtern geworden.

Ich öffne die Tür, bereit, die anderen aus dem Dorf in Empfang zu nehmen, doch die Begrüßung bleibt mir im Hals stecken. »Meztli«, keuche ich auf und will die Tür sofort wieder zuschlagen, aber da hat sie bereits ihre Hand ausgestreckt und hält mich auf.

»Hallo, Ichtaca.«

Black Heart - Band 15: Der Fluch des Vergessens

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