Читать книгу Die Schule der Wunderdinge (2). Simsala Schirm - Kira Gembri - Страница 6

Оглавление

1. Kapitel

Tilly Bohnenstängel hatte Aufräumen noch nie leiden können. Dummerweise legten ihre Eltern aber sehr viel Wert auf Ordnung, und Tilly sorgte mit ihren Erfindungen immer wieder für Chaos. Einmal hatte sie zum Beispiel alle Fahrräder der Familie Bohnenstängel auseinandergenommen, um ein Bettmobil zu bauen. Mit ihrer Seifenblasenkanone hatte sie das Wohnzimmer in Schaum versinken lassen, und einem Frühstücksautomaten verdankte sie eine Überschwemmung mit Kakao. Man konnte also sagen, dass Tilly schon sehr viel Erfahrung im Putzen und Sortieren hatte – aber ein Haus voller magischer Gegenstände war auch für sie eine Herausforderung.

»Da ist noch ein Fleck«, jammerte der altmodische Spiegel, den Tilly soeben mit einem Staubtuch abrieb. »Genau da!«

»Wo?«, fragte sie. Dann fiel ihr ein, dass der Spiegel ja keine Hände besaß und ihr deshalb nichts zeigen konnte.

»Wie kannst du den bloß übersehen?!« Der Spiegel veränderte Tillys Spiegelbild, sodass es aussah, als hätte sie Tomaten auf den Augen.

Seufzend bearbeitete Tilly ihn weiter mit dem Staubtuch. Seit zwei Wochen ging sie nun in Wilma Wirbeligs Wunderschule, und genauso lange waren sie und ihre fünf Mitschüler bereits damit beschäftigt, die Wundervilla sauber zu machen. Um genau zu sein, putzten sie nur das Erdgeschoss, in dem sich eine Küche, ein kleiner Salon und eine Art Werkstatt mit vielen Tischen und Regalen befanden. Der erste Stock war Wilmas Wohnbereich, um den sich die Wunderlehrerin selbst kümmerte, und den Dachboden hatten die Kinder bisher nie betreten dürfen.

»Glaubt mir, dafür seid ihr noch nicht bereit«, hatte Wilma gesagt und ihnen dabei mit ihren grüngoldenen Augen zugezwinkert.

Doch auch im untersten Stockwerk gab es mehr als genug zu tun. Vor allem die Werkstatt war vollgestopft mit Gegenständen – gewöhnlichen und magischen –, die jede Menge Staub angesetzt hatten: Teppiche, die niesen mussten, wenn Tilly sie ausklopfte; altmodische Kleider, die sie mit ihren Ärmeln kitzelten; verbeulte Kessel, die beim Polieren fürchterlich falsch vor sich hin summten … und noch unzählige andere Dinge, an die kein vernünftiger Mensch jemals geglaubt hätte. Tilly konnte sich daran kaum sattsehen, aber natürlich war es auch sehr anstrengend, zwischen so vielen Gegenständen für Ordnung zu sorgen. Vor allem, weil diese Gegenstände oft gar nicht hilfsbereit waren.

»Wieso polierst du mich nicht gleich mit einem vergammelten Fisch?«, quäkte der Spiegel jetzt.


»Oder mit einem schimmligen Blumenkohl? Noch schmutziger kann ich ja kaum werden!«

Tilly überlegte noch, wie sie ihn besänftigen könnte, als ihre besten Freunde in die Werkstatt kamen. Das heißt, eigentlich wurden sie eher hereingezerrt. Die beiden versuchten nämlich, den Boden zu fegen, und die Besen in der Wundervilla hielten nichts von langweiligem Hin und Her. Stattdessen drehten sie sich im Kreis, malten Schleifen und Spiralen, und ihre Benutzer tanzten wohl oder übel mit.

»Bist du – wuhuiii – bald fertig?«, quietschte Pip, die eigentlich Philippa Matzkowski hieß. Sie war sehr klein für ihr Alter und hatte Mühe, sich an ihrem Besen festzuklammern. Ihre steif geflochtenen schwarzen Zöpfe wackelten heftig, als sie zweimal im Kreis wirbelte.

»Wilma lässt fragen, ob wir alle in die Küche kommen«, erklärte Nico de Luca. Er hatte sich mit ausgestreckten Armen auf die Bürste seines Besens gestellt und sah ein bisschen so aus, als würde er Skateboard fahren. Passend dazu trug er wie immer einen lässigen Kapuzenpullover und große Kopfhörer.

»Fertig? Von wegen!«, zeterte der Spiegel. »Denk doch an meinen Fle-heck!«

»Der ist aber längst we-heg!«, hätte Tilly am liebsten erwidert, konnte sich allerdings noch beherrschen. In den letzten Tagen hatte sie gelernt, dass viele Wunderdinge sehr leicht beleidigt waren. »Ich kümmere mich später weiter darum«, versprach sie und steckte das Staubtuch in den Bund ihrer verbeulten Lieblingsjeans. Zum Dank verpasste der Spiegel ihrem Spiegelbild eine riesige Schweinenase.

Mit etwas Anstrengung brachten Pip und Nico ihre Besen zum Wenden und begleiteten Tilly aus der Werkstatt. Auf dem Flur trafen sie die anderen Wunderschüler, die im Salon neben der Küche beschäftigt gewesen waren.

»Mir reicht’s«, zischte Clarissa von Rosenberg und schüttelte ihr honigblondes Haar nach hinten. »Wehe, wenn wir jetzt noch irgendwas sauber machen müssen! Zu Hause muss ich nie aufräumen, das erledigen die Wunderdinge für mich. Und ausgerechnet hier in der Wundervilla soll es umgekehrt sein?!«

Tilly wechselte vielsagende Blicke mit Nico und Pip. Die drei wussten genau, in was für einem prunkvollen Haus Clarissa wohnte und dass sie dort von allen Seiten bedient wurde. Ihr Vater war nicht nur der Bürgermeister von Blasslingen, sondern hatte auch eine Vorliebe für moderne, perfekt funktionierende Wunderdinge. Niemals hätte er so widerspenstige oder altmodische Gegenstände besitzen wollen, wie sie sich in der Wundervilla tummelten.

»Na ja«, kam es zaghaft von Bastian Halbmeier. »Zu den Aufgaben eines Wunderhüters gehört es nun mal, Wunderdinge zu schützen und zu pflegen …« Sofort brach er ab, als Clarissa ihn giftig anschaute, und wurde dunkelrot im Gesicht. Der schüchterne Bastian wollte mit niemandem Streit anfangen, schon gar nicht mit Clarissa.

»Also, ich bin ganz ihrer Meinung«, sagte Gabriel Achilles, der sechste Wunderschüler, und rückte seine eckige Brille zurecht. Dann hielt er einen Zeigefinger hoch. »Es wird Zeit, dass Wilma uns mal was beibringt. Immerhin verzichte ich auf den Schachklub, um hier dabei zu sein! Ordnung ist ja schön und gut, aber ich hatte erwartet, dass wir in der Wunderschule vor richtige Herausforderungen gestellt –«

Er stoppte verwirrt, als Pip zu glucksen begann. Auch Tilly konnte sich das Lachen nur schwer verkneifen. Direkt hinter Gabriel war eine kleine Gestalt aufgetaucht: Lux, Tillys magischer Kerzenständer, der mit seinen »Armen« Gabriels wichtigtuerische Haltung nachmachte. Dann puffte er ein paar Rauchwölkchen in die Luft, die so aussahen wie Z-z-z. Das tat er immer, wenn er etwas stinklangweilig fand.

»Na, na«, ertönte eine mahnende Stimme. »Wer wird denn da so unhöflich sein?«

Gabriel fuhr herum. Aus der Küchentür lugte ein Kopf voller Locken, die wild nach allen Seiten abstanden. Lila Locken, um genau zu sein. Wilma Wirbeligs Haare wurden nur dann unscheinbar braun, wenn sie sie mit ihrer magischen Spange zu einem Dutt zusammensteckte. Auf diese Weise getarnt, arbeitete sie in der Blasslinger Grundschule als Hausmeisterin. Jedenfalls solange sie nicht in ihrer Wundervilla zu tun hatte.

Peinlich berührt, trat Gabriel von einem Fuß auf den anderen. Wahrscheinlich glaubte er, Wilma hätte seine Beschwerde mit angehört. »Ich, äh, wollte nur vorschlagen, dass …«, begann er, doch da kam Wilma bereits in den Flur, bückte sich und erwischte Lux an seinem metallenen Sockel.

»Bleib du mal lieber bei deiner Besitzerin, du frecher kleiner Kerl«, sagte sie. »Meine Wunderschüler bekommen nämlich gleich eine ganz besondere Aufgabe!«

Clarissa verzog das Gesicht. »Was denn, die Fenster putzen? Oder vielleicht den Fußboden schrubben?«

Lachend drehte Wilma sich einmal im Kreis, sodass ihr Kittel mit den unzähligen Taschen um sie herumwirbelte. »Aber nein. Ihr habt schon so viel geschafft – daran erkenne ich, dass die Wunderdinge bei euch in guten Händen sind! Außerdem war das Putzen auch zu eurem eigenen Besten. Was ihr dabei gelernt habt, wird euch vielleicht schon bei eurer nächsten Aufgabe sehr nützlich sein!«

»Und wie sieht diese Aufgabe aus?«, fragte Nico. Mit seiner typischen finsteren Miene und der Narbe in der linken Augenbraue wirkte er oft abweisend, doch jetzt schien sein Gesicht vor Spannung zu leuchten.

»Das erzähle ich euch, wenn wir am Küchentisch sitzen«, raunte Wilma, und Tilly spürte, wie ihr ein wohliger Schauer den Rücken hinunterlief. Ihre neue Lehrerin schaffte es, das Wort Küchentisch so geheimnisvoll klingen zu lassen, als ginge es dabei um einen verwunschenen Schatz. Wahrscheinlich hätte sie auch Klobürste oder Zehennagel auf eine Weise aussprechen können, dass man unbedingt mehr erfahren wollte.

Hastig drängten sich die sechs Kinder in die Küche, in der es umwerfend duftete. Das Besondere dabei war, dass dieser Duft jeden Menschen an etwas anderes erinnerte. Wilma hatte nämlich Was-du-willst-Kekse gebacken, und die rochen und schmeckten immer nach der Speise, auf die man gerade Lust hatte.

»Greift zu!«, sagte Wilma und stellte einen vollen Teller auf den Tisch. Mit geschlossenen Augen hätte Tilly geglaubt, eine Pizza mit viel Knoblauch und geschmolzenem Käse vor sich zu haben. Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, aber sie war zu aufgeregt, um jetzt etwas zu essen.


Die Schule der Wunderdinge (2). Simsala Schirm

Подняться наверх