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Gerd
ОглавлениеGerd Semmler sah nachdenklich dem Rauchfaden nach, der von dem Lötzinn aufstieg. „Fertig.“ Wie immer, wenn er etwas zusammengelötet hatte, war er stolz und gespannt, ob es auch funktionierte.
Gerd Semmler war ein passionierter Bastler, der Stunden in seinem Werkstattkeller verbrachte und Dinge erschuf. Fand er. Im Grunde lötete er vorgefertigte Teile zusammen, die er bei seinem Lieblingselektronikversand Elektronikwelt bestellt hatte. Angefangen hatte es mit kleinen Geräten, einem Wassersensor für die Waschmaschine, steuerbaren Thermostaten für die Heizkörper und einer selbst zusammengebauten Alarmanlage. Gerd war 55 Jahre alt und Pensionär, er hatte früher bei der Deutschen Bahn gearbeitet. Nicht als Elektroniker, sondern als Schaffner. Mit der Einführung elektronischer Tickets ging die Zeit der Fahrkartenkontrolleure zu Ende. Gerd hatte die Gelegenheit wahrgenommen, aufzuhören, auch wenn er dadurch Einbußen bei seiner ohnehin nicht üppigen Pension in Kauf nehmen musste. Die Bastelei mit der Elektronik hatte er früher als perfekten Ausgleich zu den ganzen Idioten im Zug gesehen, die ihn mit Ausreden nervten, warum sie ihre Fahrkarten »noch nicht« gekauft hatten. Seine Frau Evi hatte ihn gewähren lassen und immer gesagt: „Andere Männer saufen und hocken vor der Sportschau, mein Gerd ist kreativ und seine Sachen funktionieren.“ Das stimmte. Gerd hatte ein Händchen für seine kleinen Maschinen und das meiste davon konnte man im Haushalt gut gebrauchen. Gerd hatte allerdings ein Geheimnis. Etwas, das weder Evi noch der Rest der Familie, seine 14-jährige Tochter Charlie und ihr ein Jahr jüngerer Bruder Thorben, wussten oder auch nur ahnten. Gerd hatte einen Breitbildfernseher im Keller stehen, und wenn ihn niemand störte, sah er Filme. Nichts Schlimmes oder Verbotenes sondern alle Filme über James Bond. Er war besessen davon, er war »Q«, der Waffenmeister des Filmagenten. Seine geheime Leidenschaft war der Nachbau von Agentenwaffen. Videokameras in Armbanduhren, Schuhe, aus denen Klingen sprangen, wenn man die Absätze zusammenschlug und Feuerzeuge, die die Spitzen von Dartpfeilen zielgenau fünf Meter weit schießen konnten. Es gab noch viel mehr. Gerd hatte hinter dem Regal mit den Werkzeugen eine regelrechte kleine Waffenkammer eingerichtet. Abschließbar, nicht das die Kinder auf die Idee kamen, dort was rauszunehmen und auszuprobieren. Viel zu gefährlich.
Er nahm die Fernbedienung in die Hand, die zu dem Gegenstand gehörte, den er gerade fertig gestellt hatte. Nichts Agententechnisches, sondern ein Roboter für Thorben. Es war November, Weihnachten war nur noch vier Wochen entfernt. Thorben hatte Gerds Leidenschaft für Maschinen geerbt, jedoch mehr in einem wissenschaftlichen Sinn. Er würde später garantiert Maschinenbau oder Bionik studieren, davon war Gerd überzeugt. Er betätigte einen Knopf an der Fernbedienung und der Roboter stakste über den Tisch. An der Tischkante stoppte er und sagte auf Deutsch deutlich „Drecksmist.“ Dann drehte er sich um und stakste in einem 90 Grad-Winkel weiter.
Die Sätze, die der Roboter sagen konnte, hatte Gerd selbst auf den Sprachchip gesprochen. Natürlich würde er den nicht gesellschaftsfähigen Wortschatz von Thorbens neuem elektronischen Freund noch mal umsprechen müssen. Aber Gerd hatte Humor und lachte, als der Roboter ihm zuwinkte und „Hi, Schweinegesicht!“ von sich gab.
„Gerd! Kommst du Abendessen?“ Das war Evi, es hatte schon die ganze Zeit nach Frittierfett gerochen und Gerd merkte, dass er Hunger hatte. Er drückte einen kleinen Knopf an seiner merkwürdig aussehenden Armbanduhr, die die Uhrzeit an die Wand projizierte. Die hatte er komplett selbst erfunden und gebaut. Ein Einzelstück, das mehr konnte als Bonds olle Rolex. „Ich komme!“ rief er und verstaute den Roboter in einer Umzugskiste. Er seufzte. Mehr Geld müsste man haben, dann könnte man mal was mit dem Familienauto machen, diese Sache mit dem kugelsicheren Schild oder dem Ölteppichspritzer wäre super. Oder Boden-Boden-Raketen hinter den Frontscheinwerfern, mit denen man bei der nächsten Urlaubsfahrt nach Italien den Stau auflösen konnte. Gerd grinste in sich hinein, dann stieg er die Holztreppe hinauf und das Licht im Keller schaltete sich automatisch aus.