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Der Gewinn

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„Papa, ich brauche einen Nintendo-Forcefield-3D-Cube. Bald ist Weihnachten und ich wünsche mir den.“ Thorben hatte genaue Vorstellungen davon, was er zu Weihnachten haben wollte. Gerd und Evi bekamen seit zwei Jahren gedruckte Wunschlisten von ihm. Leider überschätzte Thorben die Rentenansprüche eines ehemaligen Bahnangestellten ganz erheblich. „Der Forcefield kostet als Basic satte 300 Euro, Sohn. Den kannst du dir abschminken“, stellte Gerd klar. Charlie, Thorbens Schwester, die eigentlich Charlotte hieß und ihre Eltern dafür hasste, grinste gemein. „Wenn der Grützkopp den Forcefield kriegt, will ich mein iPhone haben.“ Thorben lachte. „Damit du mit diesem Cyborg chatten kannst, der dir immer an die Wäsche will?“ Gemeint war Ulf, ein Typ aus Charlies Parallelklasse, der mit fünfzehn schon drei Piercings im Gesicht hatte. Thorben hatte die beiden beim letzten Schulfest knutschend hinter der Turnhalle erwischt. Damit hatte er seine Schwester in der Hand. „Halt die Fresse, du Hirni.“ Charlie versuchte, Thorben unter dem Tisch zu treten, erwischte aber Gerd. Doch der war so in seinen neuen Elektronikwelt-Katalog vertieft, dass er es gar nicht bemerkte. „Ihr sollt euch nicht streiten! Und Schimpfwörter passen nicht zu dir, junge Lady!“ Evi deeskalierte ihre Sprösslinge. „Gerd, kannst du morgen einkaufen fahren, wir haben kaum noch Lebensmittel im Haus. GERD!“ Gerd sah kurz von einer Seite auf, die einen riesigen ferngesteuerten Hubschrauber mit eingebauter Videokamera zeigte, und nickte automatisch. Einkaufen war gut, dann konnte er noch ein paar Teile im Baumarkt kaufen, die er für den Gartenteich brauchte. „Aber du beeilst dich und hängst nicht wieder stundenlang im Baumarkt rum!“ Evi konnte sehr energisch werden und Gerds Motivation sank. „Aber ich brauche ...“, versuchte er es. „Nichts brauchst du! Statt rumzubasteln, könntest du mal den Wagen waschen, das habe ich dir schon vor zwei Tagen gesagt! Das Auto war mal rot, jetzt ist es rostbraun. Aber das ist dir vermutlich noch gar nicht aufgefallen.“ Gerd zuckte mit den Schultern, dann würde er morgen halt in die Waschanlage fahren. Die war direkt gegenüber vom Baumarkt und er hätte mindestens zwanzig Minuten Zeit zum Shoppen. Geheim, das gefiel ihm. Gut, dass Evi sich nicht dafür interessierte, was er im Keller so trieb, sie wäre sofort ausgezogen. Evi war sehr bodenständig und hatte für gerds elektronische Spielereien nur dann etwas übrig, wenn sie praktisch und nicht peinlich waren. Evi und Gerd waren seit 24 Jahren verheiratet und im Januar nächsten Jahres würden sie Silberhochzeit feiern.

Nachdenklich sah er seine beiden Kinder an. Thorben war ein blasser, schlacksiger Junge mit einer zu kleinen Brille. Er war hochbegabt und die Schule langweilte ihn. Charlie, seine "kleine Prinzessin" sah mittlerweile mehr aus wie eines dieser Models aus dem Fernsehen. Bis auf ihre Klamotten. Sie trug nur Schwarz, am liebsten knappe Miniröcke und ihre Oberweite schien sich im letzten Jahr verdoppelt zu haben. Sie wäre auch für 18 durchgegangen, eine Tatsache, die Gerd Angst machte. Im Urlaub in Italien hatte sie die Blicke von Männern jeden Alters auf sich gezogen und Gerd hätte am liebsten jeden dieser Kerle verprügelt. Beide waren „Spätwüchsige“, wie er es nannte. Evi und Gerd waren sich eigentlich einig gewesen, dass sie keine Kinder haben wollten. Doch wegen ihrer Hormonschwankungen konnte Evi nicht die Pille nehmen und Gerd hatte damals noch nicht eingesehen, warum er Kondome benutzen sollte. So war Charlie in einer windigen Nacht auf der Nordseeinsel Norderney entstanden. Thorben war das Produkt eines Kondoms, das sich nicht an die Bedienungsanleitung gehalten hatte. Aber er liebte seine Kinder und war stolz auf beide. Auch wenn Charlies schulische Leistungen in letzter Zeit zu wünschen übrig ließen, was vermutlich an Ulf und anderen Jungs lag, die sie „süß“ fand.

Rumpelnd fuhren die elektronisch gesteuerten Rollläden des kleinen Reihenhäuschens herunter. Sie waren zeitgesteuert, genau wie die Heizung, die Alarmanlage und die Teichpumpe mit dem Springbrunnen.

Die Familie Semmler fuhr jedes Jahr eine Woche nach Norderney, Pension Seestern und im Sommer nach Italien, zu einem Campingplatz in der Nähe von Rimini. Charlie hatte sich schon tausendmal beschwert, weil sie so uncoole Urlaube machten, während ihre Freundinnen in die U.S.A. oder nach Australien flogen.

„Schatz, wir haben kein Geld für solche Luxusreisen“, sagte Evi dann immer und Gerd schämte sich etwas.

„Warum verkaufen wir nicht Charlie und schaffen uns einen Hund an? Der riecht wenigstens besser.“ Das war Thorbens Standardkommentar in diesem Gespräch, das sich jedes Jahr wiederholte.

Gerd sah auf die letzte Seite im Elektronikwelt-Katalog. „Jubiläums-Preisausschreiben: Gewinnen Sie das Haus von morgen!“ stand da. Er las genauer: „Zum zwanzigjährigen Bestehen des Elektronikwelt-Versandes verlosen wir ein Fertighaus der Firma Futurehome, komplett ausgestattet mit einem zentralen Steuersystem. Bedienen Sie alle Funktionen vom Handy aus! Zusammen mit einem Warengutschein im Wert von 20.000 Euro der Elektronikwelt können Sie das Haus Ihren Bedürfnissen anpassen.“ Das klang traumhaft. Ein komplett computergesteuertes Haus. Gerd seufzte, dann riss er die Seite aus dem Katalog. Die würde er morgen mit seiner Adresse versehen an die Elektronikwelt faxen. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie etwas gewonnen, er spielte auch nie Lotto, aber das hier, das war etwas ganz anderes.

Gerd stand auf, er würde das Ding sofort faxen, warum bis morgen warten? Es war ja eine Verlosung, vielleicht gewann man, wenn man schnell genug war. Doch dann sah er etwas, das ihm gar nicht gefiel: Auf der Rückseite des Blattes war ein Kreuzworträtsel und man musste das Lösungswort herausfinden, um an der Verlosung teilnehmen zu können. Offensichtlich wollte es die Elektronikwelt den Teilnehmern nicht leicht machen, denn das Rätsel war das Anspruchsvollste, das Gerd jemals gesehen hatte. Er musste ins Internet um die Begriffe herauszufinden, soviel war klar. Gerd pirschte sich in Charlies Zimmer, denn Charlie hatte den einzigen vernünftigen Computer im Haus. Er durfte sich nur nicht erwischen lassen, denn Charlie hütete ihren Laptop wie ihre Unschuld. Hoffte Gerd jedenfalls. Das Ding brauchte eine Ewigkeit, um hochzufahren, aber Charlie würde zurzeit unten auf dem Sofa liegen und mit ihrer besten Freundin Solveig telefonieren. Das tat sie jeden Abend, meistens dauerte es zwei Stunden. Dabei sahen sich die beiden jeden Tag in der Schule. Gerd fragte sich immer, was man zwei Stunden besprechen konnte, wenn man sich jeden Tag sechs Stunden sah. Er hatte ein Mal ein Gespräch belauscht und danach eine Flatrate bei seinem Telefonanbieter einrichten lassen. Natürlich sprach man in dem Alter über Jungs. Charlie und Solveig sprachen jeden Abend über alle Jungs, die sie im Laufe des Tages gesehen hatten. Und über Lipgloss, Handtaschen, Jeans von Marken, die nur in Neuseeland oder über eBay zu bekommen waren und unreine Haut.

Eine alberne Melodie zeigte an, dass sich das Betriebssystem des Laptops jetzt fit genug fühlte, um auf Befehle des Users zu reagieren. Gerd hasste Computer. Nicht weil er altmodisch war, das konnte man ihm nun wirklich nicht vorwerfen, sondern weil er so viele Ideen hatte, wie man die Dinger so konstruieren könnte, dass jeder damit klarkommen würde, nicht nur Computerfreaks.

Gerd rief Google auf und gab den ersten Begriff ein: „Sumpfschildkröte Südamerikas“, sieben Buchstaben. „Anhilona“ gab Google zur Antwort und Gerd trug das Wort in dem Rätsel ein, dann das nächste. Bereits nach der Hälfte des Kreuzworträtsels war ihm ziemlich klar, wie das Lösungswort lauten würde. Doch Gerd war ein gründlicher Mensch und er machte weiter, bis er alle Felder bis auf einen Begriff gefüllt hatte. Für diesen Begriff fand Google keine Einträge. Nichts. Gesucht wurde ein „Tibetanischer Nacktmullmori“ mit acht Buchstaben. Gerd fluchte leise, er hatte das Lösungswort bis auf einen Buchstaben rausbekommen. Es hieß entweder „Sicherungskasten“ oder „Sicherungskosten“. Letzteres war eher unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen. Gerd dachte angestrengt nach, dann suchte er eine Webseite, die sich mit der Fauna Tibets beschäftigte. Unter Tibet.de hatte eine Reisegesellschaft ihre Angebote aufgeführt. Er gab Tibet.com ein. Es erschien ein Haufen versautes Zeug auf dem Bildschirm. Er hatte sich verschrieben, hatte Tibett.com eingegeben und starrte verblüfft auf die Abbildungen, verblüfft darüber, wie wenig das Kamasutra darüber aussagte, was man mit zwei nackten Körpern wirklich tun konnte.

„Papa! Verdammt, was soll das denn?“ Charlie hatte heute scheinbar weniger Jungs in der Schule getroffen, über die es sich zu reden lohnte. Bestürzt fiel Gerd ein, das heue Sonntag war.

„Erklärst du mir mal, warum du auf MEINEM Laptop Pornoseiten guckst?“

Gerd wurde rot und beendete die verhängnisvolle Anwendung.

„Ich habe mich bei einer Internetseite vertippt und dann kam dieses ... Zeug.“ Charlie sah ihn an, als wenn er gerade behauptet hatte, dass es den Weihnachtsmann wirklich gab. „Tochter, ich bin 55, glaubst du wirklich, ich brauche so was noch?“ Schwaches Argument. „Ach ja? Wann wurde Thorben noch mal geboren, du geiler Bock?“

„He, ich habe nur was gesucht. Weißt du, wie ein tibetanischer Nacktmullmori mit acht Buchstaben heißt?“

Charlie grinste. „Keloquoa, Paps.“ Vielleicht waren ihre schulischen Leistungen doch gar nicht so schlecht.

„Danke, Tochter.“ Gerd gab ihr einen Kuss auf die Wange.

„Soll ich Mama erzählen, dass du dir im Internet Schweinkram runterlädst?“ „Aber ich habe ...“

„Oder bekomme ich Weihnachten mein iPhone?“ Sie sah ihn mit ihrem unschuldigsten Hundeaugenblick an. „Ich sollte einen Vaterschaftstest machen“, brummte Gerd. „War das ein „Ja“? Charlie klimperte mit ihren Hyper-Extended-Supertelescopic-Maskara-Augenwimpern. Gerd kapitulierte. „Das kriegst du. Obwohl alles nur ein großer Irrtum ist.“ „Danke, Dad, Irrtum, klar.“ Gerd ging in der Gewissheit, dass ihn seine Schlange von Tochter mindestens die nächsten fünf Jahre mit ihrem „Wissen“ erpressen würde. Gerd trug das letzte Wort in das Kreuzworträtsel ein. Das Lösungswort war „Sicherungskasten“. Dann faxte er die Seite an die Elektronikwelt, in der sicheren Überzeugung, nie wieder etwas von diesem Preisausschreiben zu hören. Oder vielleicht in der nächsten Ausgabe zu lesen, dass eine Herta B. aus G. das Haus gewonnen hatte, vermutlich eine 89-jährige Dame, die von Elektronik so viel Ahnung hatte wie Thorben von Mädchen.

Die nächsten vier Wochen verbrachte Gerd so, wie es sich für einen echten Rentner gehörte: Garage aufräumen, Winterreifen aufziehen, Charlie aus dem Weg gehen, das iPhone bei Amazon bestellen und einen handelsüblichen Laserpointer so umbauen, dass man damit Löcher in Metall brennen konnte. Das Ganze hatte er als Taschenlampe getarnt und sorgfältig in seinem „Geheimwaffenarsenal“ versteckt. Weihnachten verlief wie jedes Jahr, bis auf Thorbens enttäuschtes Gesicht, der statt seines teuren Nintendos nur einen selbstgebauten Roboter bekam, der unflätig fluchte, weil Gerd vergessen hatte, den Sprachchip neu zu besprechen. Charlie war mit ihrem neuen iPhone selig und man sah ihr an, dass sie darüber nachdachte, wie sie ihren Vater das nächste Mal erpressen konnte. Kurz nach Weihnachten entdeckte Evi in der Post zwischen Rentenbescheid, Kurantragsablehnung und Versicherungswerbung ein Schreiben der Elektronikwelt. Das war nichts Besonderes, Gerd bekam wöchentlich Werbung von dieser Firma, vermutlich, weil er der beste Kunde war. Sie warf den Brief auf Gerds Arbeitstisch im Keller und machte sich an die Zubereitung von Pfannkuchen mit Apfelmus. Das Fett spritzte aus der Pfanne und Evi fluchte, als die heiße Flüssigkeit ihren Arm traf. Dadurch verpasste sie den markerschütternden Schrei, den Gerd im Keller ausgestoßen hatte. Der saß an seinem Arbeitstisch und starrte fassungslos auf den Brief. Er hatte in seinem ganzen Leben noch nie ein Schreiben bekommen, das mit „Herzlichen Glückwunsch ...“ begann, außer Geburtstagskarten und Werbebriefen, die ihm bestätigten, dass er ein nagelneues Auto gewonnen habe oder eine Butterfahrt nach Helgoland, wenn er eine Heizdecke aus der „Kuschelmuschel“-Kollektion für 300 Euro das Stück bestellte. Der Brief zitterte in seinen Händen, als er ihn wieder und wieder las: „Herzlichen Glückwunsch, Herr Semmler“, stand da, „Sie haben den ersten Preis in unserem Wettbewerb Futurehome gewonnen. Bitte melden Sie sich in den nächsten Tagen bei uns, um die Formalitäten zu klären. Wir benötigen eine Kopie Ihres Personalausweises, eine Bestätigung der Annahme des Gewinns sowie eine Angabe für das Grundstück, auf dem das Gebäude errichtet werden kann. Die Bauzeit beträgt ein halbes Jahr. In dieser Zeit können Sie Ihren Gutschein über 20.000 Euro für die erweiterte Ausrüstung Ihres Futurehome verwenden. Bitte beachten Sie unsere Angebote im Bereich sprachgesteuerte Haussteuerung, Haushaltsroboter und prozessorgesteuerte Küchentechnologie.“ Gerd wurde heiß. Er hatte bei der Sache etwas übersehen: Er hatte kein Grundstück! Das alte Reihenhaus, in dem die Semmlers wohnten, war ein Erbe von Evis Großvater und über siebzig Jahre alt. Es stand auf einem Erbpachtgrundstück. Wo sollte er das Geld für ein Baugrundstück hernehmen? Das bisschen, was sie angespart hatten, reichte gerade für die Urlaube. Das Haus konnte er nicht so einfach verkaufen, denn Gerd hatte sich vorgenommen, Evi und die Kinder mit dem Futurehome zur überraschen. „Gerd, Telefon!“ rief Evi von oben. Gerd versteckte den Brief reflexartig in einer Schublade seines Arbeitstisches. „Ich komme schon!“ Er nahm Evi den Hörer aus der Hand. „Wir essen aber auch gleich!“ ermahnte sie ihn. Gerd nickte abwesend, dann meldete er sich. „Ah, guten Abend Herr Semmler, mein Name ist Tomas Rebstein, ich bin der Marketingleiter der Elektronikwelt. Haben Sie die gute Nachricht schon erhalten?“ „Ja, ich hatte den Brief heute im Postkasten, vielen Dank. Es gibt da nur ein Pro...“ „Herr Semmler, ganz herzlichen Glückwunsch von der Elektronikwelt. Das Futurehome ist das fortschrittlichste Haus auf diesem Planeten, das kann ich Ihnen sagen. Alles computergesteuert, alles vom Handy aus fernbedienbar. Das Handy kriegen Sie auch von uns, gratis, und wir ziehen die Übergabe des Hauses ganz groß auf, Printmedien, Fernsehen, wir haben sogar eine Anfrage von RTL für eine Doku-Soap, also das sollten Sie sich wirklich überlegen. Lohnt sich für Sie.“ Gerd war nicht nur mit dem Wortschwall überfordert, der aus dem Hörer blubberte, sondern vor allem mit der Tatsache, dass die das so groß aufziehen wollten. Fernsehen? Doku-Soap? Das war doch Wahnsinn. „Das ist doch Wahnsinn.“ „Genau Herr Semmler, das ist der absolute Wahnsinn. Sie müssen der glücklichste Mensch der Welt sein im Augenblick. Haben Sie Familie? Die können sich auch freuen, ein Kühlschrank, der selbst Nachschub bestellt, wenn etwas fehlt, für immer kostenfrei telefonieren und von jedem Raum aus Internetzugang, selbstreinigende Bodenbeläge, Solaranlage, Garage für das Elektroauto ...“

„Ich habe kein Elektroauto.“ Gerd wurde das Ganze jetzt zu viel.

„Gerd, Essen ist fertig!“ rief Evi aus dem Esszimmer.

„Herr Semmler, deswegen rufe ich ja an. „Die Firma Futurecar, die auch das Haus konzipiert hat, stellt Ihnen ein werbefinanziertes Elektroauto zur Verfügung! Eine echte Rakete, 200 PS, vier Elektromotoren ...“ „Gerd!“ „Ich komme ja schon! Hören Sie, ich bin ...“ „Sprachlos, natürlich, das verstehe ich sehr gut, Herr Semmler, das ist ja auch eine fantastische Sache. Denken Sie an die Umwelt, das „Solarstream 3000 spart ...“ „GERD! Verdammt, es wird alles kalt!“ „Herr Rebmann, ich muss erst mal über alles nachdenken. Ich melde mich bei Ihnen, ja, oder Sie bei mir, noch besser. Auf Wiederhören.“ Gerd knallte den Hörer in die Ladestation und eilte zum Abendessen.

„Wer war das?“ fragte Evi und klatschte Gerd einen Apfelpfannkuchen auf den Teller. Charlie spielte mit ihrem Handy und Thorben blätterte in einem Wissenschaftsmagazin. Gerd überlegte fieberhaft. Hatte Rebmann sich bei Evi mit Elektronikwelt gemeldet? Am besten die Wahrheit sagen, natürlich etwas modifiziert. „Das war jemand von Elektronikwelt“, ich habe ein Elektroauto gewonnen.“ Charlie blickte von ihrem Handy auf. „Boah, wie uncool, bist du jetzt der Öko oder was? Die Dinger kann man doch nur zum Einkaufen gebrauchen. Können wir uns zwei Autos überhaupt leisten?“ Thorben sah Gerd interessiert an. „Wie viel KW hat das Fahrzeug denn?“ Gerd seufzte, woher sollte er das wissen? „Zweihundert PS hat der Mann gesagt.“ Thorben nickte und sah beeindruckt aus. Dann widmete er sich wieder dem Artikel über seltsame Teilchen im subatomaren Kontinuum. „Wir haben ein Auto gewonnen? Oh, Gerd, das ist ja fantastisch. Aber diese Elektrodinger sind doch noch gar nicht ausgereift. Und Strom ist teuer.“ Typisch Evi. „Mum, sei doch nicht so ein Dino! Tobias aus meiner Klasse seine Eltern, die beiden Ärzte, die fahren auch einen Tesla-Roadster, voll das geile Teil. Arschschnell!“ Charlies Einstellungen zu Dingen änderten sich schneller als ihre Haarfarbe. „Charlie, fluch nicht, außerdem heißt es nicht „Tobias seine Eltern“, was lernt ihr bloß in Deutsch?“ Gerd hörte nicht zu, sein Gehirn erhitzte sich vom Denken so schnell wie der Pfannkuchen vor ihm abkühlte. Er brauchte ein Grundstück. Vielleicht konnte er sich die 20.000 Euro auszahlen lassen als Anzahlung für ein billiges Baugrundstück in Vögelsheim, da war gerade Baugrund geschaffen worden, nachdem ein Bauer sein Land verkauft hatte. Hatte ihm Walter, sein Rentnerkumpel und bester Freund, der früher in der Stadtverwaltung beschäftigt gewesen war, unter der Hand verraten. Er musste Walter anrufen, am Besten sofort. „Sitzenbleiben!“ brüllte Evi und die Gläser in der Vitrine klirrten. Gerd schlang seinen Pfannkuchen herunter und stand kauend auf. „Muff noch waff im Keller machen.“ „Klar geh nur. Ich stehe stundenlang am Herd und der Herr Familienvater isst wie ein Spatz und verschwindet dann in seinem Reich. So soll es sein.“ Gerd staunte, ironische Bemerkungen war er von Evi nicht gewohnt. Aber sie verhielt sich in letzter Zeit sowieso sehr merkwürdig. „War sehr lecker, ich nehme gern noch einen Pfannkuchen mit runter, Häschen.“ Evi war besänftigt und reichte ihm drei Pfannkuchen auf einem Teller. Gerd pflückte sein antikes Handy aus der Tasche seiner Jacke an der Garderobe und verschwand im Keller. „Walter? Ich brauche deine Hilfe!“

Drei schlaflose Nächte später klärte sich die Lage für Gerd. Walter hatte ihn darauf aufmerksam gemacht, dass man ein Grundstück ja nicht unbedingt kaufen müsse. Gerd solle mal mit seiner Bank sprechen wegen eines günstigen Baukredites. Dann hatte er ihm ein kleines, aber günstiges Baugrundstück vermittelt. Leider weit ab von allem. Außerdem stand zu bezweifeln, dass sich dort überhaupt noch weitere Familien oder sonst jemand ansiedeln würde. Der nächste Ort war fast fünf Kilometer entfernt, es war überhaupt ein Wunder, dass die Versorgungsleitungen für das einsame Baugebiet schon verlegt worden waren. Der nächste Anruf Rebmanns von der Elektronikwelt lief wesentlich entspannter ab. Gerd hatte das Gespräch selbst angenommen und war in den Keller geflüchtet. „Herr Semmler, ich wollte noch mal fragen, was mit der Doku-Soap ist. RTL hat nochmal nachgefragt.“ „Ich wollte eigentlich nicht so ein Aufheben um die Sache machen, wissen Sie ...“ „Die zahlen 8.000 Euro pro Sendung, Herr Semmler, 10 Folgen sind geplant. Natürlich nur, wenn Sie und Ihre Familie einverstanden sind.“ „80.000 Euro? Sind die verrückt? Wer guckt sich sowas denn an? Ich meine, wir ziehen in ein neues Haus, das interessiert doch keinen.“

„Herr Semmler, die Leute vor dem Fernseher lieben es, wenn jemand etwas gewinnt, die können sich dann mitfreuen. Und unter uns: Um Publicity kommen sie sowieso nicht herum. Ganz Deutschland, Europa, eigentlich die ganze Welt interessiert sich für Ihr neues Heim. Weil es einzigartig ist, vollkommen neu ...“

Bevor Rebmann wieder in sein Marketinggeschwätz verfiel, bremste ihn Gerd. „Jaja, ist in Ordnung, wir machen das so. Ein Grundstück habe ich auch, die Papiere schicke ich Ihnen zu, wenn die Sache in trockenen Tüchern ist. Wann würden die Fernsehfritzen, ich meine die Filmleute denn kommen? Zur Schlüsselübergabe?“

„Nein, die stehen schon Gewehr bei Fuß, wird ja so eine Vorher-Nachher-Kiste. Ich sage denen Bescheid, dass Sie so weit sind, dann ... Hallo? Hallo Herr Semmler?“ Das Telefonteil piepte, der Akku war leer. „Verdammt, wieso jetzt?“ Gerd hoffte, dass Rebmann nochmal anrufen würde. Doch es passierte gar nichts.

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