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3.

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»Ach, du meine Güte«, flüsterte die Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung und stupste ihre Kollegin aus der Erwachsenenabteilung, Linda Warming, in die

Seite, als L. O. Beck die Bibliothek betrat. »Es gibt doch verdammt viele Sorten Leser.«

Linda warf Beck, der mitten in der Tür stehen geblieben war und jetzt den halb geschmolzenen Schnee von sich abschüttelte, einen schnellen Blick zu.

»Der da?«, sagte sie. »Der will nichts ausleihen. Vielleicht will er in den Lesesaal.«

Hätte man Linda gefragt, woher sie das wissen wollte, hätte sie mit der Antwort Schwierigkeiten gehabt. Wahrscheinlich hätte sie gesagt, dass er nicht wie jemand aussah, der Bücher auslieh, aber, da musste sie ihrer Kollegin Recht geben, es gab viele Sorten Leser. Weder der grüne Lodenmantel, der passende Hut, die braune, gut gebügelte Hose noch die teuren Schuhe gaben den Ausschlag. Auch nicht die Tatsache, dass Beck wie ein Mann aussah, der genug Geld hatte, sich die Bücher zu kaufen, die er lesen wollte, das hatten schließlich viele ihrer Kunden. Und auch nicht, dass er nicht einmal wie jemand aussah, der überhaupt Bücher las.

Würde Linda wirklich gefragt – aber das wurde sie nicht –, hätte die Antwort wohl gelautet, dass Beck wie ein Mann aussah, dem nichts daran lag, etwas umsonst zu bekommen, das alle anderen genauso leicht bekommen konnten. Und damit hätte sie Recht gehabt.

Beck blieb mit dem Hut in der Hand stehen und ließ den Blick durch den Raum wandern. Er streifte uninteressiert die beiden Frauen in der Ausleihe, registrierte kurz den kleinen eingefallenen Mann, der an einem Schreibtisch saß und versuchte, sich hinter einem Schild zu verstecken, auf dem BIBLIOTHEKAR stand, und erblickte schließlich die Tür zum Lesesaal. Die Bibliothek war klein und überschaubar, die kleinste Filiale der Stadt mit nur fünf, sechs Angestellten, sein Glück, denn so war die Wahrscheinlichkeit groß, dass er Karen Jensen hier finden würde.

Er wusste, dass sie hier war. Er hatte sie zwei Tage lang beschattet und war ihr vor ein paar Stunden bis zur Tür gefolgt.

»Was hab ich gesagt!«, flüsterte Linda triumphierend ihrer Kollegin zu, als Beck im Lesesaal verschwand.

Karen Jensen sah fragend auf, als Becks Schatten über den Schreibtisch fiel, an dem sie Karteikarten bearbeitete.

Der Schatten eines Lächelns zeigte sich in ihren Augen und wuchs fast unmerklich, als Beck höflich und fast ein wenig unsicher fragte: »Entschuldigung, kann ich hier etwas über Münzen finden?«

Ein Lächeln, von dem Beck annahm, dass es bedeuten sollte: »Wir wissen doch beide ausgezeichnet, dass das Numismatik heißt, warum spielen Sie den Unwissenden?«

Wieder lächelte Beck leicht verlegen. Ein Lächeln, das sagte: »Ja, natürlich weiß ich das, und ich weiß, dass Sie das wissen, aber ich bin ein bescheidener Mensch, der sich nicht mit seinem Wissen brüstet.«

»Über Münzen? Ja, natürlich«, sagte Karen Jensen, schob die Karteikarten zur Seite und stand auf. »Ich werde Ihnen helfen. Möchten Sie etwas ausleihen oder nur im Lesesaal hineinschauen?«

»Nur hineinschauen«, antwortete Beck. »Sehen Sie.« Er steckte die Hand in die Tasche und zog eine kleine Schachtel heraus. »Ich habe kürzlich einige Münzen von einem alten Onkel geerbt. Eigentlich war er kein Numismatiker«, Beck lächelte schwach, »deshalb glaube ich nicht, dass er auch nur die leiseste Ahnung gehabt hat, was das für Münzen sind und was sie wert sind. Bestimmt ist er irgendwann über sie gestolpert. Es sind nur zehn Stück, deshalb habe ich mir gedacht, dass sie leicht zu finden sein müssen, wenn Sie einen Katalog oder so etwas haben.«

»Was sind das für Münzen?«, fragte Karen Jensen interessiert.

Beck nahm den Deckel von der Schachtel und ließ die Münzen auf den Tisch fallen. Ein älterer Mann am anderen Ende des Raums hob irritiert den Blick von dem Buch, das vor ihm lag.

Karen Jensen studierte eine Münze nach der anderen.

»Es sind alles dänische«, sagte sie dann. »Das wird uns helfen.«

Beck beobachtete sie, als sie vor ihm her zu den Regalen ging. Es war das erste Mal, dass er sie ohne Mantel sah. Schön war sie nicht und seinem Geschmack nach hatte sie ein paar Kilo zu viel drauf, aber im Grunde genommen hatte sie keine schlechte Figur, auch wenn die rotebetefarbene Cordhose und der lose sitzende Pullover nicht gerade vorteilhaft für sie waren. Er überlegte, ob sie dicke Knöchel hatte, aber die meisten Frauen trugen zu dieser Jahreszeit Hosen und Stiefel, das musste also nicht heißen, dass sie etwas zu verstecken hatte.

Sie drehte den Kopf und sah ihn über die Schulter hinweg an. »Wir haben natürlich nicht so viel wie in der Hauptbibliothek«, erklärte sie.

»Nein«, antwortete er, ohne weitschweifige Erklärungen abzugeben, warum er nicht dorthin gegangen war.

Ihr vorstehender Oberkiefer war etwas zu groß, um reizvoll zu sein, und sie hatte einen schlechten Teint. Mit Wasser blank gescheuert und mit den ersten Anzeichen von roten Äderchen auf Wangen und Nase und kleinen roten, entzündeten Pickeln, dachte er. Sie könnte vielleicht mehr hermachen, wenn eine tüchtige Kosmetikerin sie unter die Finger bekäme, aber Karen Jensen schien nicht der Typ zu sein, der das zulassen würde. Rein und fein, arm, aber ehrlich, genau das war sie. Aber vielleicht doch nicht so arm.

Im Laufe einer mehr als halbstündigen geflüsterten Unterhaltung gelang es ihnen, alle Münzen zu bestimmen. Das hatte Beck auch erwartet, denn er hatte sie sorgfältig mit genau diesem Ziel vor Augen aus seiner Münzsammlung ausgewählt und zu Karen Jensens überraschter Freude fand sich eine wirkliche Seltenheit darunter.

»Ich muss schon sagen, da haben Sie wirklich Glück«, rief sie entzückt, als würde es sie persönlich freuen, dass Becks Erbe nicht ganz wertlos war.

Er lächelte. »Ja, jetzt bleibt die Frage, ob ich sie verkaufe oder als Grundstock einer Münzsammlung nehme. Darüber muss ich noch nachdenken, aber vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich habe mich ein wenig verloren gefühlt, als ich kam. Vielen Dank.«

Sie lächelte wieder, zuckte jedoch gleichzeitig leicht mit den Schultern. »Dafür sind wir schließlich da.«

»Trotzdem«, bekräftigte Beck und verabschiedete sich mit einer Verbeugung. Er behielt den Hut in der Hand und setzte ihn erst auf, als er wieder auf der Treppe vor dem Gebäude stand.

Das war’s. Der Anfang war gemacht.

»Was zum Teufel war das denn für ein Gauner?«, fragte Linda, als sie sich auf die Kante von Karen Jensens Schreibtisch setzte und sich mit einem Fuß abstützte.

»Warum denn Gauner?«, fragte Karen leicht irritiert. »Auf mich hat er einen netten Eindruck gemacht.«

»Er war mindestens fünfzig und er war ein Gauner. Das sah man doch von weitem. Allein der Aufzug.«

»Ist es jetzt auch falsch, gut gekleidet zu sein?«, fragte Karen und warf einen Blick auf Lindas enge Lederhose und ihren teuren schwarz-weißen Pullover.

»Es geht nicht darum, dass jemand gut angezogen ist, sondern darum, wie er es ist«, erklärte Linda. »Er war ein Gauner. Was wollte er?«

»Etwas über Numismatik nachsehen.«

»Du willst mir doch nicht erzählen, dass der Münzen sammelt«, lachte Linda. Der ältere Herr war verschwunden und sie waren allein im Lesesaal. »Ich hätte ihn eher für jemanden gehalten, der Münzen verschwendet.«

Karen Jensen zuckte mit den Schultern. Eigentlich war er ja kein Münzsammler, das hatte er selbst gesagt, aber das war kein Grund Linda Recht zu geben. Linda war zwar nett, aber sie hatte die Angewohnheit, sie, Karen, wie ein naives Kind zu behandeln, das vom Leben keine Ahnung hat.

»Na schön, aber das war wohl das erste und letzte Mal, dass er einen Fuß in eine Bibliothek gesetzt hat«, sagte Linda.

Karen begann, in ihren Karteikarten zu blättern. »Hast du Zeit, hier zu sitzen?«, fragte sie.

»Zeit? Heute haben wir nichts anderes. Kein Mensch ist heute hier gewesen. Bei dem Wetter wagen die Leute sich nicht vor die Tür. Dieser furchtbare Schneeregen und elf Grad Kälte. Elf Grad unter null! Ich war gerade draußen und habe auf das Thermometer gesehen. Ich hoffe wirklich, dass der kleine Rote anspringt, wenn Feierabend ist. Ich habe ihn heute Morgen fast nicht in Gang bekommen und Lars war in seinem Volvo natürlich schon längst unterwegs.«

»Ja, diese Probleme haben wir anderen nicht«, entgegnete Karen spitz.

»Sei froh darüber«, sagte Linda. »Und investiert um Gottes willen nicht in ein Auto, das du eigentlich gar nicht brauchst, selbst wenn du gerne fährst. Leih dir eins. Das ist billiger.«

Sie rutschte vom Schreibtisch und verließ, zufrieden mit ihrer letzten Bemerkung, den Lesesaal. Sie hatte sowohl angedeutet, dass Karen sich ohne weiteres ein Auto kaufen konnte, wenn sie das wollte, als auch dass sie, Linda, schließlich eins brauchte, da sie am Ende der Welt wohnte.

Karen war eigentlich recht nett, obwohl sie so naiv war, dass es zum Himmel schrie. Sie glaubte noch immer, dass eines schönen Tages ein Prinz auf seinem weißen Pferd zwischen den Regalen entlanggaloppiert kommen würde, um ihr sich und sein Königreich zu Füßen zu legen. Das war noch auszuhalten, aber fast nicht auszuhalten war, dass Karen sich immer, immer, immer zutiefst vom Schicksal benachteiligt fühlte. Seit der ersten Klasse waren sie zusammen in die Schule gegangen, ohne jemals richtige Freundinnen gewesen zu sein, und solange Linda zurückdenken konnte, hatte Karen ihren Armes-uneheliches-Kindmit-alleinerziehender-Mutter-Komplex wie eine Fahne vor sich hergetragen – oder besser wie ein Kampfschild, mit dem sie andere vor den Kopf stoßen konnte. Die Wahrheit war jedoch, dass sie ihre Schulkameraden um absolut nichts beneiden musste. Ihre Mutter hatte eine ausgezeichnete Stellung gehabt und Karen war wie eine Prinzessin erzogen worden. Es gab keine Sportart, die sie nicht hatte ausüben dürfen. Sie hatte Klavier- und Tanzuntericht bekommen, ja, sie war sogar zum Unterricht zu ein paar alten Damen geschickt worden, die ihr beibrachten, Artischocken, Hummer und Krebse zu essen und anständig Bridge zu spielen. Sie war nach Strich und Faden verwöhnt, aber immer von den Argusaugen ihrer Mutter bewacht worden. Als bestünde die Gefahr, dass jemand irgendwann mit ihr durchbrennen könnte. Linda schüttelte den Kopf. Trotz des vielen Sports war Karen übergewichtig, ungeschickt, plump und uncharmant – eigentlich begann sie erst jetzt, nach dem Tod der Mutter, ein wenig aufzublühen.

»Du hättest sie sehen sollen«, sagte Linda zu der Bibliothekarin der Kinderbuchabteilung, als sie in die Ausleihe kam. »Sie ist ganz durcheinander wegen dieses Kerls von vorhin und du weißt ja, wie sie ist. Man kann ihr vormachen, was man will, jeder Heiratsschwindler hätte ein leichtes Spiel bei ihr. Außerdem hat sie jetzt Geld, nachdem sie das Haus ihrer Mutter verkauft hat, sie ist also das perfekte Opfer. Pflückreif, das sag ich dir! Überreif! Reif, von selbst abzufallen.«

Die Dinge brauchen ihre Zeit war eine von Becks Devisen, sodass er die folgenden drei Tage mit angenehmem Müßiggang verbrachte, während er sein nächstes Außenspiel vorbereitete. Am vierten Tag – genau vor Geschäftsschluss – verlor er direkt vor einem Supermarkt das Gleichgewicht auf der glatten Straße und stolperte geradewegs in eine Dame, die daraufhin ihre übervolle Einkaufstasche fallen ließ, deren Inhalt sich nun in alle Richtungen ausbreitete. Beck entschuldigte sich mehrmals, sammelte die Sachen auf, klopfte die Dame ab, klopfte, klopfte, klopfte und brach in gut gespielte Überraschung aus: »Ach, sind Sie nicht ...? Doch, das ist meine nette, junge Dame aus der Bibliothek.«

Karen Jensen errötete leicht. Beck war in dem Alter, dass meine nette, junge Dame überzeugend klang, und sie war gerade alt genug, sich davon geschmeichelt zu fühlen.

»Darf ich Sie als Wiedergutmachung nach Hause fahren?«

Beck nahm die Einkaufstasche und überhörte ihre Proteste.

»Das ist das Mindeste, was ich tun kann«, sagte er, während er die Tür eines graubraunen Mercedes öffnete, der nobel aussah, ohne prahlerisch zu wirken. »Ich bestehe darauf. Bei dem Glatteis sind selbst ein paar hundert Meter Fußweg zu viel.«

Er erfragte ihre Adresse und fuhr sie bis vor die Tür, wo er ihr die Einkaufstüten aushändigte.

»Es war nett, in Sie hineinzulaufen«, sagte er und lachte jungenhaft – um ihr eine weitere sympathische Seite seines Selbst zu zeigen. »Ich hoffe, wir sehen uns einmal wieder.«

Das taten sie bereits am folgenden Montag, als er kurz nach sieben den Plattenweg zur Bibliothek hinaufgeeilt kam, gerade als sie die Bibliothek verließ.

»Oh, ist schon geschlossen?«, rief er enttäuscht. »Ich dachte, es ist bis acht Uhr geöffnet.«

»Das war früher so, aber jetzt, wo gespart wird, da ... Es steht auch an der Tür.«

»Das habe ich übersehen, aber da kann man nichts machen. Dann muss ich morgen wiederkommen.«

Sie gingen zusammen den Plattenweg entlang zum Bürgersteig.

Beck schielte zu ihr hinüber. Sie trug eine kleine Pelzjacke über einem schwarzen Rock und hochhackige schwarze Stiefel. Alles neu, soweit er das beurteilen konnte.

»Wissen Sie was«, schlug er vor, »wenn wir uns schon getroffen haben, könnte ich Sie doch zu einem Drink oder zu einer Tasse Kaffee einladen? Hier um die Ecke ist ein nettes Lokal. Es sei denn, jemand sitzt zu Hause und wartet auf Sie?«, fügte er hinzu, als sie zögerte.

Nein, auf Karen Jensen wartete niemand. Überhaupt niemand.

Und als sie sich nach zwei Whisky und zwei Gläsern Weißwein verabschiedeten, hatte Beck erreicht, dass sie sich duzten, und sie außerdem für Mittwoch zum Konzert eingeladen.

Langsam bekam Beck kalte Füße. Er hatte absolut nichts dagegen einzuwenden, Mercedes zu fahren, in Konzerte zu gehen oder Karen Jensen zum Weißwein einzuladen. Er hatte sie sogar nach dem gestrigen Konzert auf einen Drink in seine kleine, aber nett eingerichtete Dachwohnung mitgenommen. Er hatte daran gedacht, alles, was mit Numismatik zu tun hatte, aus dem Regal zu entfernen, und sie hatten anderthalb Stunden damit verbracht, die Aussicht zu bewundern und über Musik zu sprechen, bevor er sie in seinem Mercedes nach Hause gefahren hatte.

Gegen all das hatte er, wie gesagt, nicht das Geringste, viel aber hatte er dagegen einzuwenden, das alles von seinem eigenen Geld zu bezahlen, und jetzt waren fast drei Wochen vergangen, seit sein Arbeitgeber von sich hatte hören lassen.

Hatte er es sich vielleicht anders überlegt? Natürlich hatte er letztes Mal prompt bezahlt, aber jetzt wusste er ja, wer Karen Jensen war und wo sie wohnte, und Beck musste sich eingestehen, dass er Schwierigkeiten hatte, einen Sinn in dem zu sehen, was er gerade tat.

Er war inzwischen vollkommen überzeugt, dass die Stimme am Telefon dem Stiefvater des Mädchens gehörte, aber warum wollte er wissen, ob sie ihn kannte? Und war das alles, was er wissen wollte? Es kam ihm unsinnig vor und vielleicht hatte der Kerl diese Sinnlosigkeit selbst eingesehen, ohne sich die Mühe zu machen, ihn, Beck, davon zu unterrichten.

Beck hatte über eine Stunde in düsterer Stimmung das Telefon angestarrt und gerade beschlossen, ins Limpotten hinunterzugehen und zu frühstücken, als es plötzlich läutete. Beck ließ es dreimal klingeln, bevor er den Hörer abnahm. Er war es.

»Wie geht es voran?«, hörte er, fast noch bevor Beck seinen Namen ausgesprochen hatte.

»Wie geplant«, sagte Beck. »Sie frisst mir aus der Hand.«

»Guten Appetit!«

»Wie bitte?«

»Nichts. Ich darf das so verstehen, dass Sie ihre Bekanntschaft gemacht haben?«

»Ja, wir sind mehrmals zusammen ausgegangen, und wenn es von Interesse ist, kann ich Ihnen sagen, dass sie eine nette und gebildete junge Frau ist. Ein bisschen zurückhaltend, vielleicht ein wenig naiv, aber ganz bestimmt nicht dumm.«

Ein nettes, kleines Verkaufsgespräch, sagte sich Beck. Vielleicht überlegte die Stimme, ob die unbekannte Tochter es wert war, für ehelich erklärt zu werden, vielleicht überlegte sie, ob ihr ein größerer Teil des zukünftigen Erbes zugesprochen werden sollte, als bisher geplant, und es schadete nie, jemandem einen Dienst erwiesen zu haben, an den man ihn zu einem passenden Zeitpunkt erinnern konnte.

»Ausgezeichnet«, sagte der andere eher uninteressiert. »Haben Sie herausgefunden, ob sie weiß, wer ihr Vater ist?«

»Das weiß sie nicht«, sagte Beck. »Sie hat mir erzählt, dass sie früher nie darüber nachgedacht hat.«

»Früher? Was hat sie damit gemeint?«

»Dass sie nach dem Tod ihrer Mutter, seit sie allein ist, angefangen hat, darüber nachzudenken. Sie möchte gerne herausfinden, wer ihr Vater eigentlich war. Nicht um ihn aufzusuchen, hat sie gesagt, sondern nur, um es zu wissen.«

»Das hat sie gesagt?« Die Stimme klang nachdenklich.

»Ja. Aber das heißt ja noch nicht, dass sie das auch tut.«

»Kann sie das? Herausfinden, wer er ist?«

»Ja, ich denke schon«, sagte Beck. »Daran besteht eigentlich kein Zweifel.«

Der andere schwieg lange und Beck glaubte schon, dass die Verbindung unterbrochen worden wäre.

»Hallo«, fragte er, »sind Sie noch da?«

»Ja«, sagte der andere. »Ich habe nur überlegt, wie ... Sagen Sie, haben Sie irgendeine Verabredung mit ihr?«

»Nur lose. Ich habe gesagt, dass ich sie im Laufe des Tages anrufe. Also heute. Aber jetzt ist das wohl nicht mehr aktuell, oder?«

»Ja und nein«, erwiderte der andere. »Haben Sie Ihre Rechnung fertig?«

»Ja«, sagte Beck. »Ich habe sie täglich auf den neuesten Stand gebracht.«

»Wie viel?«, fragte der andere.

»Zwanzigtausend«, antwortete Beck. »Ich habe einen einen kleinen Rabatt eingeräumt.«

»Ausgezeichnet. Das Geld kommt morgen Abend – mit einem Boten. Seien Sie um 19.30 Uhr in Ihrem Büro.«

»Um 19.30 Uhr«, wiederholte Beck irritiert.

»Ja, und dann habe ich noch eine letzte Aufgabe für Sie. Verabreden Sie sich mit ihr für morgen Abend um 19.00 Uhr.«

»Sie hat erst um 19.00 Uhr frei. Aber ich kann sie in der Bibliothek abholen.«

»Nein, dann sagen wir 19.30 Uhr. Am Bahnhof.«

»Ja, aber da bin ich doch in meinem Büro.«

»Ja, das weiß ich. Sie brauchen nur die Verabredung zu treffen, dann ist Ihr Job beendet. Morgen bekommen Sie Ihr Honorar – inklusive einer Extravergütung.«

»Ja, aber ... ich wüsste gerne ...«

»Keine Fragen. Das war Teil unserer Abmachung. Auf Wiedersehen.«

Beck legte den Hörer auf.

Aus irgendeinem Grund schwitzte er auf einmal.

Er beugte sich vor, zog die unterste Schublade auf und holte die Whiskyflasche heraus.

Plötzlich hatte er einen Drink verdammt nötig.

Wege des Todes - Skandinavien-Krimi

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