Читать книгу In den Sand gesetzt - Skandinavien-Krimi - Kirsten Holst - Страница 5

2. Kapitel

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Das Telefon schellte.

Høyer schlief schwer und traumlos, kein Laut drang durch den schützenden Kokon des Schlafs. Sie waren früh ins Bett gegangen, nachdem sie sich eine Flasche des mitgebrachten Weins geteilt hatten, der ihnen auf Mallorca besser geschmeckt hatte. Høyer hoffte auf einen ruhigen Arbeitsanfang nach den Ferien. Ein paar stille Tage, um langsam wieder in Gang zu kommen. Als er gefahren war, hatten sie ein paar offene Fälle gehabt. Da war vor allem der Pyromane, der sie während des ganzen Winters und des frühen Frühjahrs in Atem gehalten hatte. Er hatte lange nichts von sich hören lassen, aber wenn die Nächte wieder dunkel wurden, würde er wohl wieder zuschlagen. Høyer hatte zum Fenster hinaus gesehen. Es wurde langsam dunkel. Dann hatte es mehrere Einbrüche in Villen gegeben. Professionelle oder Rauschgiftsüchtige. Fälle von der Sorte, bei denen man nicht weiß, wo man anfangen soll, bis man plötzlich das richtige Ende zu fassen bekommt und die Geschichte daran aufwickeln kann. Er hoffte, dass sie das richtige Ende zu fassen bekommen hatten, während er fort gewesen war. Es hatte auch eine Vergewaltigung gegeben, aber Høyer war davon überzeugt, dass sie den richtigen Mann erwischt hatten, er hatte nur nicht genug Beweise gehabt, um ihn genügend unter Druck zu setzen. Und wer weiß, was während seiner Abwesenheit passiert war. Hoffentlich nur das Übliche. Er hatte herzhaft gegähnt, noch kurz wach gelegen und gewartet, dass Rigmor ins Bett kam, war jedoch eingeschlafen, bevor sie im Bad fertig war.

Das Telefon schellte noch einmal und riss ihn aus seinen Traumgespinsten. Er versuchte, sich aus der Verpuppung zu kämpfen, während seine Frau die Hand ausstreckte und den Hörer abnahm. Er hörte ihre Stimme von weit her. »Ja, danke ... das hatten wir ... Herrlich! ... Ja, er ist hier. Wo sonst? Ich gebe ihn dir jetzt.«

Sie legte die Hand auf die Muschel und sah zu ihm hin, während er die letzten Reste des Schlafs abschüttelte. »Therkelsen«, flüsterte sie.

»Oh nein, verdammt noch mal«, knurrte Høyer und nahm den Hörer. »Ja«, sagte er.

»Hallo und willkommen zu Hause!« Therkelsen klang unverschämt frisch. Høyer schielte zum Wecker. Zwei Minuten vor zwei.

»Rufst du nur an, um mir das zu sagen.«

»Nein, es tut mir Leid, dich jetzt schon rausjagen zu müssen, aber ...«

»Nein«, sagte Høyer. »Nein, nein und nochmals nein. Das geht nicht. Ich habe Urlaub. Ich bin gar nicht da.«

»Mit wem spreche ich denn dann«, lachte Therkelsen. »Darüber muss ich mich unbedingt mal mit Rigmor unterhalten.«

»Mit meinem Anrufbeantworter. Verdammt noch mal, Mann, ich bin nicht da, ich habe bis morgen Urlaub.«

»Es ist morgen«, stellte Therkelsen trocken fest.

»Bis morgen um halb neun.«

»Das steht nirgendwo. Høyer, es brennt und es sieht so aus, als ob unser Mann wieder seine Hand im Spiel hat, deshalb hielt ich es für richtig, dich ...«

»Okay, ich komme. Wo?«

»Ich hole dich ab. Sagen wir in zehn Minuten?« Er legte den Hörer auf.

Høyer schwang die Beine aus dem Bett und saß einen Augenblick auf der Bettkante. Er ertappte sich dabei, wie er sich ein ganz kleines bisschen freute, dass es wieder losging.

Seine Frau hatte sich wieder hingelegt, jetzt hob sie ein wenig den Kopf und warf ihm einen halb verstehenden, halb belustigten Blick zu.

»Willkommen zu Hause«, sagte sie. »Ist es nicht schön, so unentbehrlich zu sein ... altes Zirkuspferd.«

»Schlaf!«, sagte Høyer beleidigt.

Høyer und Therkelsen standen in der Mitte des Hofs und betrachteten die Szenerie. Alle Gebäudeflügel waren fast ganz heruntergebrannt, aber man hatte verhindern können, dass sich das Feuer bis zu dem frei stehenden Wohnhaus ausbreitete. Als es am gefährlichsten ausgesehen hatte, hatten beherzte Nachbarn – eher gut gemeint, als gut durchdacht – einen Großteil der Einrichtung auf den Hof geworfen, wo jetzt Möbel, Teppiche, Federbetten und Hausgeräte aller Art in einem Regen von Wasser, Funken und Rußflocken lagen. Das, was bei der Rettungsaktion nicht kaputtgegangen war, tat es bestimmt jetzt. Ein vom Feuer zerstörter Fernsehapparat war oben an der Treppe in sich zusammengebrochen.

Die Frau des Hofes stand am Fuß der Treppe. Über ihr langes Nachthemd hatte sie einen dunklen Mantel gezogen. Sie hielt die Hände vor die Brust und presste eine Zuckerschale mit Muschelmuster und Würfelzucker an sich. Das Einzige, was sie in der Panik mit nach draußen genommen hatte. Eine Nachbarin stand neben ihr und berührte immer wieder leicht ihre Schulter, während sie etwas sagte. Vermutlich versuchte sie, sie dazu zu überreden, mit ihr nach Hause zu gehen, aber die andere schüttelte nur den Kopf und blieb mit der Zuckerschale in der Hand, den Blick steif auf die rauchgeschwärzten Ruinen gerichtet, stehen. Ihr Mann ging ein Stück von ihr entfernt gebückt umher. Er schien sich überflüssig zu fühlen. Er wanderte von Gruppe zu Gruppe, fast als würde er sie unbewusst meiden.

Høyer schüttelte sich. Eine Brandstätte gehörte zum Trostlosesten, das er kannte. Vor allem, wenn es sich wie hier um ein Zuhause handelte, das zerstört worden war. Es war erschreckend zu sehen, wie schnell ein Brand einen ganzen Hof verwüsten konnte.

Es stank nach Rauch und Ruß und nasser Asche, der übliche Brandgeruch. Høyer schnupperte. Da war auch noch etwas anderes. Der unverwechselbare Geruch von Schweinebraten. Von angebranntem Schweinebraten. Die wenigen Kühe waren glücklicherweise auf der Weide gewesen und die Schweine hatte man alle hinaustreiben können, aber ein paar von den jungen waren laut quiekend weggerannt und hatten sich, bevor man sie wieder einfangen konnte, mit der gleichen kopflosen Entschlossenheit in das brennende Inferno gestürzt, die Politiker an den Tag legten, wenn sie eine Reihe ökonomischer Gesetze verabschiedeten.

»Man kann nur hoffen, dass sie eine ordentliche Hausratversicherung haben«, sagte Therkelsen und nickte in Richtung der zerstörten Möbel.

Høyer warf ihm einen schnellen Blick zu. »Ja«, sagte er. »Aber das ändert auch nichts an den Tatsachen, nicht?«

Therkelsen zuckte mit den Schultern. Aber es war trotz allem eine Hilfe.

Ein Pressefotograf machte ein paar Aufnahmen von den rauchenden Mauerresten. Ein Blitz leuchtete auf. Er machte auch ein Bild von der Frau mit der Zuckerschale.

»Geier!«, sagte Høyer, als der Mann auf sie zukam.

»Ach, hören Sie doch auf«, sagte der gutmütig. »Ihr lebt doch auch davon.«

»Hm«, brummte Høyer.

»Brände sind sonst doch Halles Spezialität«, sagte Therkelsen.

»Er ist hier auch irgendwo. Aber diesmal bin ich ihm um Längen voraus. Er kam erst, als alles fast vorbei war, und ich bedauere das bestimmt nicht. Seine Verbindungen müssen ihn im Stich gelassen haben.«

»Man kann ja nicht jedes Mal den Jackpot gewinnen«, sagte Halle, der sich unbemerkt zu ihnen gesellt hatte.

Høyer sah die beiden an. Pressefotografen mussten eine besondere Gabe haben, Gewalttaten und Unglücksfälle zu riechen. Früher waren auch immer ein paar Journalisten da gewesen, aber jetzt waren sie anscheinend alle Redakteure und saßen zu Hause an ihren Schreibtischen. Es gab viel zu viele Häuptlinge und kaum Indianer. Die beiden hier waren bestimmt nirgendwo fest angestellt. Typisch.

»Trauriger Anblick«, sagte der Pressefotograf.

»Zum Glück waren die Kühe draußen«, sagte Therkelsen.

»War das wieder der Pyromane?«, fragte der Fotograf.

»Dazu können wir zum derzeitigen Zeitpunkt noch nichts sagen«, sagte Høyer schroff mit seiner offiziellsten Stimme und entfernte sich von der Gruppe.

»Na«, sagte der Fotograf. »Welche Laus ist dem denn über die Leber gelaufen?«

»Er ist erst gestern Nachmittag aus dem Urlaub nach Hause gekommen«, erklärte Therkelsen. »Er hat sein eigenes Bett kaum gesehen.«

»Es muss wohl an eurem hohen Gehalt liegen, dass ihr so schuftet«, sagte Halle und lachte.

»Ganz genau«, sagte Therkelsen. »Hast du dir nie überlegt, zur Kripo zu gehen?«

Halle lachte. »Nee, aber jetzt, wo du es sagst. Vielleicht wäre das gar keine schlechte Idee.«

Er kicherte weiter vor sich hin, während er und der andere Fotograf zu ihren Autos gingen. Therkelsen sah ihnen kopfschüttelnd nach. Nichts konnte ihn in seiner festen Überzeugung erschüttern, dass alle Pressefotografen ein bisschen verrückt waren.

Høyer kam wieder zu ihm.

»Auf seine Weise hat er natürlich Recht«, sagte er übergangslos. »Wir leben auch davon. Aber ich möchte doch behaupten, dass da ein Unterschied besteht. Ich glaube fast, die genießen das. Und zumindest besteht kein Zweifel, dass Halle von der Pyromanengeschichte ganz schön profitiert hat. Ich sage nicht, dass er keine guten Bilder gemacht hat, das hat er, fantastisch gute. Aber das ist auch genau die Art, die sich verkauft, und ein bisschen Glück war wohl auch mit im Spiel. Außerdem glaube ich, dass es zu einer Verzerrung der Proportionen kommt. Es wäre nicht so viel über die Pyromanengeschichte geschrieben worden, wenn es keine guten Bilder gegeben hätte, um sie zu illustrieren. Im Übrigen bin ich nicht der Auffassung, dass es notwendig war, die Frau zu fotografieren.« Er nickte in Richtung der Ehefrau.

»Amen«, psalmodierte Therkelsen.

»Okay, ich habe mich ein bisschen geärgert«, räumte Høyer ein. »Das schadet denen aber nichts.«

Der Mann hatte inzwischen seinen Mut zusammengenommen und war zu seiner Frau gegangen. Offenbar versuchte er, der Nachbarsfrau zu helfen sie zum Gehen zu überreden. Sie sah ihn eine Weile leer an, dann gab sie ihm plötzlich wortlos die Zuckerschale, drehte sich um und ging langsam vom Hof. Die Nachbarsfrau folgte ihr mit einer kleinen hilflosen Geste zu dem Mann hin. Einen Moment blieb er mit der Zuckerschale in der Hand stehen; er sah sie verwirrt an, dann ging er zu der Stufe, die zur Haustür führte, und setzte sie vorsichtig ab.

»Wollen wir wetten, dass sie den Morgen nicht überlebt?«, sagte Therkelsen.

»Sicher«, sagte Høyer.

Der Einsatzleiter kam zu ihnen. Er sah müde, aber zufrieden aus.

»Jetzt ist es bestimmt bald überstanden«, sagte er.

»Sieht so aus«, sagte Høyer. »Und ich darf vielleicht erfahren, welcher geniale Clown unbedingt wollte, dass ich hier herauskomme? Der Pyromane, dass ich nicht lache!«

Therkelsen hatte genug Schamgefühl im Leib, um verlegen auszusehen.

»Nein, dich meine ich nicht«, sagte Høyer. »Du musst das doch irgendwo hergehabt haben.«

»Vom Dienst habenden Polizisten«, sagte Therkelsen. »Und so gesehen, ist er unschuldig. Er hatte die Meldung von dem Anrufer bekommen. Und wir wussten ja auch nicht ...«

»Der Einsatzleiter verwettet seinen Kopf darauf, dass es an der Getreidetrockenanlage lag, richtig?« Høyer drehte sich zu dem Einsatzleiter um.

»Ja. Natürlich werden unsere Techniker sich die Sache ansehen, aber es sieht ganz so aus. Das ist der erste Brand in diesem Jahr, aber es wird nicht der letzte bleiben. Die Ernte hat ja erst angefangen. Die Trockenanlage hier wurde heute Abend eingeschaltet. Gas. Bestimmt war irgendwo eine undichte Stelle und natürlich haben sie sie vorher nicht überprüft.«

»Warum lernen die Leute das einfach nicht?«, klagte Høyer. »Strohfeuerung, Getreidetrockenanlagen, Kurzschlüsse, Traktoren, was weiß ich. Ich wette darauf, dass neunzig Prozent aller Brände Schlamperei oder Gedankenlosigkeit in mehr oder minder großem Ausmaß zugrunde liegt.«

»Fünfundneunzig Prozent«, sagte der Einsatzleiter. »Du kannst ruhig fünfundneunzig Prozent sagen.«

»Warum hat man angenommen, dass es der Pyromane war?«, fragte Høyer.

»Eigentlich ist das nicht so verwunderlich. Er hat ja genau in diesem Gebiet hier operiert und die Leute haben Angst. Schon wenn jemand ein Streichholz anzündet, herrscht Lynchstimmung. Und die Frau meinte, dass sie, unmittelbar bevor der Brand entdeckt wurde, draußen jemanden gehört hat. Ich wette, dass das, was sie gehört hat, der Brand war«, erklärte der Einsatzleiter.

»Natürlich hätte er es gewesen sein können«, sagte Høyer. »Er fängt bestimmt wieder an, jetzt, wo es nachts dunkel wird. Wenn wir ihn bis dahin nicht erwischt haben. Und darauf deutet wenig hin.«

»Gibt es etwas Neues?«, fragte der Einsatzleiter.

»Nee«, sagte Therkelsen. »Nichts. Wir sind kurz davor zu hoffen, dass er wieder in Aktion tritt, damit wir etwas haben, woran wir arbeiten können. Wir haben alles durchgesehen, bevor Høyer in Urlaub gegangen ist. Ohne Ergebnis. Wir sind auch alle Bilder durchgegangen, die wir von den Bränden bekommen konnten. Es bestand ja die Möglichkeit, dass wir jemanden entdecken, der auf den meisten zu sehen ist.«

»Ja«, grinste der Einsatzleiter. »Mich.«

Die anderen lachten.

»Das wäre natürlich eine Möglichkeit«, sagte Therkelsen. »Falls du Angst hast, arbeitslos zu werden.«

»Nein, jemanden, der dort nichts verloren hatte«, sagte Høyer.

»Und der Einzige, der praktisch auf jedem einzelnen Foto herumsprang, war der Vizepolizeipräsident.« Sie lachten. Es war ein interner Witz, dass der Vizepolizeipräsident bei jedem Brand informiert werden wollte, und in der Regel kam er auch.

»Ja, in jedem von uns steckt wohl ein kleiner Pyromane«, sagte der Einsatzleiter.

»In mir nicht«, warf Høyer ein. »Ich mag kein Feuer. Nicht einmal das Johannisfeuer. Und am Weihnachtsbaum haben wir elektrische Lichter. Ich habe einfach Angst vor dem Scheiß.«

Therkelsen lachte. »Und ich verrate dir was«, sagte er zu dem Einsatzleiter. »Obwohl sie elektrische Lichter am Weihnachtsbaum haben, stellt er einen Eimer mit Wasser ins Wohnzimmer, wenn er den Baum anmacht. Ich habe es selbst gesehen.« Er wandte sich an Høyer. »Fahren wir?«

»Wer weiß, ob es nicht eine Art Wunschdenken von dem Mann war, dass der Pyromane das Feuer gelegt hat«, sagte Therkelsen, als sie nach Hause fuhren. »Er muss sich sofort darüber im Klaren gewesen sein, dass es die Getreidetrockenanlage war. Aber natürlich hat er weiter gehofft.«

»Dass ein anderer Schuld hat?«, fragte Høyer.

»Ja, du hast die Frau doch selbst gesehen. Das wird er bis an sein Lebensende zu hören bekommen.«

»Das glaube ich eigentlich nicht. Das gehört nicht zu den Dingen, die ... Wahrscheinlich werden sie sich darauf einigen, dass es ein unverschuldeter Unfall war«, meinte Høyer.

»Das bezweifle ich«, sagte Therkelsen. »Ihm war nicht wohl in seiner Haut, das konnte man sehen. Und das wäre mir an seiner Stelle auch nicht.« Er seufzte. »Es ist auch so schlimm genug.«

»Wie geht es?«, fragte Høyer.

»Überhaupt nicht«, sagte Therkelsen. »Ich weiß nicht, was ich tun soll. Was ich auch mache, es scheint verkehrt zu sein. Wir fangen an zu streiten und jedes Mal geht sie bis zur Schöpfung der Welt zurück. Offenbar bin ich während unserer ganzen Ehe ein widerlicher Chauvinist gewesen. Unser Urlaub war auch nicht okay. Ich hatte geglaubt, wir wären uns einig, dass wir dieses Jahr ein Sommerhaus mieten. Jetzt sagt sie, dass das für sie kein Urlaub war mit der ganzen Lauferei und dem Bedienen von uns anderen. Aber das ist Quatsch. Ich habe geholfen. Aber ich muss zugeben, dass die Kinder ... manchmal glaube ich, sie sind an allem schuld.«

»Die Kinder?« Høyer drehte den Kopf und sah ihn verwundert an.

»Ja. Sie dominieren und kritisieren und fordern. Nein, sie fordern nicht einmal, sie erwarten einfach, dass sie bekommen, was sie wollen, und dann werfen sie uns vor, materialistisch zu sein. Materialistisch! Im letzten Jahr habe ich nicht einmal ein neues Hemd bekommen. Während sie enge Hosen und weite Hosen und gestreifte Hosen und karierte Hosen haben wollten und was weiß ich alles und zum Handball gehen und zur Gitarrenstunde und zu den Pfadfindern und zu Klubtreffen, und all das kostet Geld. Und dann sitzen sie auf ihren Hinterteilen wie die Hunde im Schlaraffenland und rühren nicht einen Finger, während Ida alle Hände voll zu tun hat. Ich weiß, das ärgert sie genau so wie mich, aber wenn ich explodiere, fährt sie dazwischen. Sie bilden eine Art Front gegen mich. Ich habe das Gefühl, von innen belauert zu werden, sobald ich nach Hause komme. Wenn ich etwas sage, antwortet sie nur, dass sie bestimmt helfen würden, wenn sie sähen, dass ihr Vater seinen Teil der Arbeit leistet. Und dass es nicht besonders lustig ist, wenn ich nur mit ihnen schimpfe, wenn sie mich endlich einmal zu sehen bekommen. Aber verdammt noch mal, ich kann meinen Teil nicht leisten, ich bin kein Büromensch, der von neun bis fünf arbeitet. Und wenn ich nach Hause komme, bin ich müde.«

»Das ist sie wohl auch«, warf Høyer ein.

»Dann wäre es doch nur angemessen, dass die faulen Gören ein bisschen helfen. Ich habe ihr nie versprochen, dass ich meinen Teil an der Hausarbeit mache. Ich habe versprochen, sie zu versorgen, und sie hat gewusst, was für eine Arbeit ich habe. Das ging auch gut, als die Kinder klein waren, bis sie auf die Idee kam zu arbeiten. Wir hatten eine Arbeitsteilung, die funktionierte. Hätte ich gewusst, dass sie außer Haus arbeiten will, hätte ich mir einen anderen Job gesucht. Ich finde, ich werde verarscht. Sie sagt, das sei umgekehrt.«

»Aber ihr könnt doch ihr Gehalt nicht entbehren«, sagte Høyer.

»Sie könnte halbtags arbeiten. Sie wird bestimmt sagen, dass wir uns das nicht leisten können, aber die Kinder könnten ja ihre Forderungen ein bisschen herunterschrauben. Sie sind es, die hier die Materialisten sind. Dann können sie mal zeigen, wie solidarisch sie sind. Noch eins ihrer Lieblingswörter.«

»Aber das will Ida nicht?«

»Bestimmt nicht, vor allem nicht, wenn ich es vorschlage.« Therkelsen schwieg kurz. »Ha!«, platzte er plötzlich heraus. »Und das Beste weißt du noch gar nicht. Der Bengel, der Älteste, ist darauf gekommen, dass das Haus nur Ausdruck unserer Ambitionen ist. Jedenfalls hätten wir es nicht wegen der Kinder. Weißt du warum? Weil die Kinderzimmer in einem normalen Reihenhaus nur ungefähr zwölf Quadratmeter haben. Und das heißt nach seiner Rechnung, dass drei Kinder zusammen nur über 36 Quadratmeter verfügen, während die Eltern sich auf den restlichen neunzig breit machen, oder um wie viele es nun geht. Mensch, wo haben die das bloß her? Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn er mit so einem Schwachsinn kommt. Sie sind überall und ihre Musik ist überall. Wenn ich in Ruhe Zeitung lesen will, muss ich ins Bett gehen oder mich aufs Klo setzen.«

Høyer sah ihn an. »Was willst du machen?«

»Ich habe keine Ahnung. Was kann ich machen? Ich bin der Meinung, dass wir es ziemlich gut gehabt haben und jetzt bekomme ich zu hören, dass alles von Anfang an der reinste Alptraum war. Und sie redet so gehässig. Wahrscheinlich endet es damit, dass sie geht. Oder ich gehe. So kann es jedenfalls nicht weitergehen.«

»Willst du dich scheiden lassen?«

»Nein!«, rief Therkelsen. »Das heißt, nein, natürlich nicht, aber ich will mir auch nicht all ihre Vorwürfe anhören. Wenn wir keine vernünftige Lösung finden, dann ...« Er zuckte mit den Schultern.

»Ganz schön blöd«, sagte Høyer.

»Entschuldige, dass ich das bei dir ablade, aber manchmal wird es einfach zu viel«, sagte Therkelsen, als sie vor Høyers Haus vorfuhren.

»Das ist schon in Ordnung«, sagte Høyer. »Solange du keinen guten Rat erwartest. Wir sehen uns morgen?«

Er unterließ es, »grüß zu Hause« zu sagen. Es schien ihm irgendwie unpassend zu sein.

Høyer hatte das Gefühl, gerade erst eingeschlafen zu sein, als das Telefon erneut schellte. Einen kurzen Moment glaubte er zu träumen. Oder dass es sich um eine Art Déjà–vu handelte. Wieder griff seine Frau über ihn hinweg und nahm den Hörer ab und er wartete halbwegs darauf, dass sie sagen würde: »Therkelsen«, bevor sie ihn an ihn weitergab. Er stützte sich auf die Ellenbogen.

»Der Dienst habende Polizist«, flüsterte sie mit der Hand über dem Hörer.

»Wie spät ist es?«, fragte Høyer schlaftrunken.

»Halb sieben«, sagte sie.

Høyer gähnte und griff nach dem Hörer. Und hörte zum ersten Mal von dem Mann in der blauen Badehose.

Das Gebiet war bereits abgesperrt, als sie eintrafen. Der Ortspolizist Jønsson hatte gute Arbeit geleistet. Genau nach Vorschrift.

Man war versucht zu glauben, dass Mord für ihn ein alltägliches Geschäft war. Die Wahrheit war jedoch, dass das in den neunzehn Jahren, die er hier Polizist war, der erste Mord war.

Als Høyer und Therkelsen eintrafen, stand er ein Stück weiter den Weg hinauf und erwartete sie.

»Die Spurensicherung ist bereits da«, sagte er. »Sie sind da drüben.«

»Die müssen in ihren Kleidern schlafen, die Kerle«, sagte Høyer. »Hier entlang?«

»Ja, ein paar hundert Meter. Sie hätten natürlich auch am Strand entlangfahren und dort parken können, aber die Leute vom Rettungsdienst haben diesen Weg genommen und ich war der Meinung, es sei das Beste, so wenig wie möglich herumzulaufen, wenn ich das so sagen darf.«

»Ausgezeichnet«, sagte Høyer. »Obwohl es hier kaum eine Rolle spielt. Herr im Himmel, was für ein Platz.«

Jønsson nickte verständnisvoll. »Ja, hier braucht man wohl nicht nach Fußspuren oder so etwas zu suchen und dort in der Mulde, wo er liegt, ist es genauso hoffnungslos. Außerdem waren die Sanitäter dort unten.« Er räusperte sich ein wenig. »Aber ich glaube trotzdem, dass wir ein paar interessante Sachen gefunden haben.«

Es war ein Ausdruck von Bescheidenheit, dass er wir sagte. Alle drei wussten sie, dass er ich meinte.

»Sie haben doch nichts angefasst?«, fragte Therkelsen.

Jønsson sah ihn beleidigt an. »Natürlich nicht. Aber ich habe ein paar Stellen markiert.«

»Sehen wir uns den Burschen zuerst einmal an«, sagte Høyer. »Wer hat ihn übrigens gefunden? Sie selbst?«

»Nein, der Mann im Trainingsanzug.« Jønsson nickte in Richtung einiger Männer, die abwartend dastanden. »Er ist Deutscher. Er ist seine Morgenrunde gelaufen, als er den Mann entdeckt hat, und er sagt, dass ihm sofort klar war, dass er tot war. Er ist Apotheker«, fügte er hinzu und sah einen Moment leicht verwirrt aus, als würde er sich selbst fragen, was das mit der Sache zu tun hatte. »Also, er lief Richtung Stadt, wo er die Strandwache getroffen hat, das ist der Alte da, er dreht hier um die Zeit immer seine Runden. Er ist nach Hause gegangen und hat den Rettungsdienst informiert, während der Deutsche hier gewartet hat. Natürlich haben sie geglaubt, dass der Mann an einem Herzstillstand oder so etwas gestorben ist«, sagte er erklärend. »Erst als die Sanitäter gekommen sind und ihn umgedreht haben, um ihn auf die Bahre zu heben, da ... na ja, da bestand kein Zweifel mehr.« Er sah aus, als würde er etwas Unangenehmes schmecken. »Ein hässlicher Anblick«, schloss er. »Ein sehr hässlicher Anblick.«

»Sie haben doch bestimmt schon mal einen Toten gesehen«, sagte Therkelsen, um ihn aufzuziehen.

»Schon«, räumte Jønsson ein. »Ich habe mit der Zeit so einige gesehen. Aber keine ... so toten, wenn ich das so sagen darf. Und dann der ganze Sand.«

Es war ein hässlicher Anblick.

Der Mann in der blauen Badehose sah nicht mehr so gut gekleidet aus. Dafür sah er ganz eindeutig tot aus. Er lag jetzt auf dem Rücken, aber nicht die Flecken auf seinem Körper sprangen einem zuerst ins Auge, sondern das Gesicht. Oder das, was einmal ein Gesicht gewesen war. Irgendjemand hatte es zu einer blutigen Masse zerschlagen und anschließend die Leiche umgedreht, sodass das, was man jetzt sah, eine groteske, erstarrte Maske aus Sand und Blut war.

Der Fotograf war bei der Arbeit. »Das Licht ist gut«, sagte er anerkennend und Høyer dachte, dass das wohl auch das einzig Gute war, was sich über die Situation sagen ließ.

Einen Augenblick betrachtete er den Toten, dann suchte sein Blick sorgsam die Umgebung ab. Er drehte sich zu dem Ortspolizisten um. »Sagen Sie, waren da keine Kleider?«

»Nein«, sagte Jønsson. »Nur das Handtuch dort«. Er zeigte darauf.

»Sonderbar«, sagte Høyer.

»Nee«, wandte Jønsson ein. »Das ist hier draußen nichts Besonderes. Die Leute gehen oft nur in Badesachen hier runter.«

»Aber man sollte doch meinen, dass er etwas bei sich hatte«, meinte Høyer. »Zigaretten, Pfeife, Feuerzeug zum Beispiel.«

»Vielleicht hat er nicht geraucht«, sagte Jønsson unbeirrt.

»Ja, dann eben eine Zeitung oder ein Buch und auf jeden Fall Geld. Irgendetwas.« Høyer sah wieder auf die Leiche hinunter. »Was ist mit einer Uhr? Hatte er auch keine Uhr? Man sieht, dass er eine getragen hat.« Er zeigte auf das Handgelenk des Toten.

Jønsson schüttelte den Kopf. »Nichts. Überhaupt nichts. Sie müsste schon unter ihm liegen, aber das glaube ich nicht.«

Høyers neu gewonnene Erfahrungen sagten ihm, dass man nicht ohne irgendetwas zum Strand ging. Aber natürlich war das hier nicht Mallorca.

»Ich weiß nicht«, unterbrach der Ortspolizist ihn vorsichtig in seinen Spekulationen, »ich glaube, dass der Deutsche und der Mann von der Strandwache nach Hause möchten. Aber vielleicht sollen sie Ihnen zeigen, wie äh ... die Leiche gelegen hat, als sie sie gefunden haben?«

»Nee, das können die Sanitäter machen. Die sind so etwas gewohnt. Sie haben ihn ja auch umgedreht. Und da waren sie vielleicht doch ein bisschen zu schnell. Nicht dass ich glaube, dass es etwas ausmacht. Aber ich kann gut ein paar Worte mit den beiden wechseln.«

Høyer erfuhr nichts Neues.

Ja, der Deutsche war den Weg entlanggelaufen, das war seine übliche Morgenrunde, und dann hatte er den Mann in der blauen Badehose gesehen. »Ich wusste sofort, dass er tot war«, sagte er und fügte hinzu: »Ich bin Apotheker.« Høyer unterdrückte ein Lächeln. Aha, daher hatte Jønsson das.

»Kannten Sie ihn?«

Der Deutsche erlaubte sich ein kleines, feines Lächeln. »Selbst wenn ich ihn gekannt hätte, würde ich ihn wohl kaum wiedererkannt haben, nicht?«

Høyer antwortete nicht, aber er war anderer Meinung. Hätte er den Toten gut gekannt, hätte er ihn trotz allem erkannt. Körper, Haare, Größe, ja, vielleicht sogar die Badehose.

Der Mann von der Strandwache konnte auch nichts Neues hinzufügen. In groben Zügen wiederholte er die Erklärung, die er bereits dem Ortspolizisten gegeben hatte. »Das ist bestimmt ein Deutscher«, schloss er, »die liegen hier fast vierundzwanzig Stunden am Tag. Sie können einfach nicht genug bekommen von Sonne und Strand.«

Das klang fast, als wäre er der Ansicht, der Mann hätte sich hingelegt und sich auf unerklärliche Weise selbst den Kopf eingeschlagen.

Høyer ließ sie gehen. Irgendwann mussten sie die Aussage des Deutschen übersetzen und in Reinschrift bringen, aber das hatte Zeit.

Therkelsen kam zu ihm. »Es sieht so aus, als ob Wenn–ich–das–so–sagen–darf–Jønsson wirklich etwas gefunden hat«, sagte er.

Der Ortspolizist stand ungefähr zehn Meter von der Mulde entfernt und zeigte auf eine 2–Liter–Flasche, die ein Stück abseits des Weges lag.

»Ich möchte nicht besserwisserisch erscheinen«, sagte er. »Aber meiner Meinung nach könnte das, wenn ich das so sagen darf, die Mordwaffe sein.«

Høyer beugte sich hinunter und sah sich die Flasche an. Jønsson hatte vollkommen Recht. Das war gut möglich. Die Flasche war auf einer Seite schmierig und klebrig und fast ganz mit Sand bedeckt.

Høyer winkte dem Fotografen, der jetzt unten in der Mulde fertig war. »Wir brauchen hiervon noch ein paar Bilder«, sagte er. Dann drehte er sich zu Jønsson um. »Den Korken haben Sie wohl nicht gefunden?«

»Den Korken?« Jønsson starrte ihn an.

»Ja. Die Flasche selbst ist ja nicht besonders schwer, deshalb könnte ich mir denken, dass sie voll war, als sie benutzt wurde. Entweder mit Wasser oder – wer weiß – mit Wein. Und vor dem Wegwerfen ist sie dann geleert worden. Suchen Sie nach dem Korken.«

»Der Medizinmann ist da«, sagte Therkelsen. »Sollen wir zu ihm gehen und hören, was er zu sagen hat.«

»Vermutlich nicht sehr viel«, sagte Høyer. »Abgese– hen davon, dass der Mann tot ist, und das kann ich selbst sehen.«

Sie gingen zurück zu der Mulde.

»Ein seltsamer Ort, den er sich ausgesucht hat«, sagte der Arzt und sah verwundert zu ihnen auf, als wären sie für die Platzierung der Leiche verantwortlich. »Aber ich kann euch sagen, dass er seit mindestens zwölf Stunden tot ist. Und anscheinend haben ein oder mehrere Schläge dazu geführt. Jedenfalls gibt es keine anderen Zeichen von Gewalteinwirkung. Und ich würde darauf wetten, dass es vor vier Uhr gestern Nachmittag passiert ist.«

»Im Ernst?«, sagte Høyer überrascht. Es war selten, dass der Arzt sich so entschieden ausdrückte. »Woraus schließt du das?«

»Daraus, dass er hier liegt«, sagte der Arzt. »Er hat hier offenbar ein Sonnenbad genommen, als es passiert ist, und um vier war Seenebel und niemand, der alle Sinne beieinander hat, würde sich dann hier hinlegen.«

»Nicht einmal ein Deutscher, egal was die Strandwache meint«, sagte Høyer.

»Aber wir können ihn ebenso gut direkt in die Gerichtsmedizin bringen«, sagte der Arzt. »Dann bekommt ihr einen ordentlichen Bericht.«

Er richtete sich auf und sah sich um. »Ziemlich kaltblütig, nicht? Mitten am Strand mit Hunderten von Menschen.«

»Nun ist das hier ja nicht mitten am Strand«, sagte Høyer. »Und wenn dir nicht gerade jemand dabei zusieht, wie du es tust, läufst du keine Gefahr aufzufallen.«

»Nee, vielleicht nicht.« Der Arzt schloss seine Tasche und kletterte aus der Mulde. »Und der ganze Sand. Na ja, der ist wenigstens sauber.«

»Wir wissen ja nicht einmal, ob er Deutscher ist«, sagte Therkelsen, als der Arzt den Weg hinunter verschwunden war.

»Tatsache ist, dass wir überhaupt nichts über ihn wissen«, sagte Høyer. »Zu allererst müssen wir ihn identifizieren. Das wird hoffentlich kein großes Problem. Es muss doch jemanden geben, der ihn vermisst.«

»Na ja«, Therkelsen sah nicht überzeugt aus. »Das ist nicht gesagt. Es kann sein, dass er alleine hier oben war. Vielleicht hat er im Hotel gewohnt oder auf dem Campingplatz.«

»Im Hotel wird ein Gast, der plötzlich verschwindet, auf jeden Fall auffallen.«

»Er kann doch auch hier aus der Stadt sein.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Høyer. »Ich bin sicher, dass er Tourist war. Sonst hätte die Strandwache ihn doch gekannt.«

»Aber er kann ein Tagestourist gewesen sein«, sagte Therkelsen. »Er kann mit dem Auto gekommen sein, um sich ein paar Stunden an den Strand zu legen. Dort bei der Absperrung parken Autos. Und hinten auf dem Parkplatz stehen auch welche.«

»Tja, wir sollten wohl besser in die Gänge kommen«, sagte Høyer und versuchte optimistischer zu klingen, als er sich fühlte. Wenn es sich nur um eine richtige Stadt mit einer halbwegs homogenen Ansammlung von Menschen gehandelt hätte, aber das hier war ein Ferienort, wo Tausende von Menschen für eine kürzere oder längere Zeit auf wenigen Quadratkilometern zusammengeballt waren. Man konnte nur hoffen, dass jemand den Mann in der blauen Badehose bereits vermisste. Oder dass jemand etwas gesehen hatte, das sie auf die Spur des Täters führte. Ansonsten hatten sie wirklich eine harte Nuss zu knacken. Und ein Drittel der Belegschaft war noch immer in Urlaub.

Plötzlich hatte Høyer das Gefühl, dass sein eigener Urlaub schon lange zurücklag.

Der Mord war an diesem Tag das Thema in der Stadt. In vielen verschiedenen Versionen. Bo wurde eine davon präsentiert, als er Pia traf.

»Hey, Bo! Hast du gehört, dass unten in den Dünen ein Mädchen erwürgt worden ist? Ich darf abends nicht mehr raus, bevor sie nicht den Mörder gefunden haben.«

»Das war kein Mädchen, das war ein Mann«, sagte Bo.

»Das kannst du doch nicht wissen«, sagte Pia beleidigt. Ihre Freundin kicherte.

»Doch, sie haben es im Radio gebracht.«

»Ach ja? Aber ich glaube trotzdem nicht, dass ich alleine raus darf.«

Bo lachte. »Du bist ja auch nicht alleine. Und was sollst du auch abends am Strand?«

»Das weiß ich nicht. Einen Spaziergang machen«, sagte sie und fügte hinzu: »Spendierst du mir ein Eis?«

Die Frage kam unweigerlich jedes Mal. Bo fragte sich, ob sie sich wirklich jedes Mal, wenn sie ihn traf, Hoffnungen auf ein Eis machte oder ob es sich um einen bedingten Reflex handelte, der bei seinem Anblick ausgelöst wurde.

Er schüttelte den Kopf. »Heute nicht. Ihr habt gestern eins bekommen. Glaubt ihr, ich bin Millionär?«

»Gestern hattest du doch massenhaft Geld.«

»Ja, aber das ist lange her. Was ist übrigens mit der Uhr und dem Schuh? Habt ihr die abgeliefert? Dafür habt ihr doch bestimmt Finderlohn bekommen.«

»Au, Mann!«, Pia schlug sich mit der Hand auf den Mund. »Verdammt, das habe ich vergessen. Aber glaubst du, dass wir etwas bekommen, bevor jemand danach fragt?«

»Keine Ahnung. Ihr werdet es ja sehen.«

»Ich dachte nur, dass du uns jetzt, wo du weißt, dass ich Geld bekomme, vielleicht Geld für ein Eis leihen kannst.«

»So kommst du leicht auf die schiefe Bahn«, sagte Bo warnend.

»Ich leih mir doch nicht oft etwas«, sagte Pia unbeeindruckt. »Du bekommst es bestimmt zurück. Auf Ehre und Gewissen.«

»Ihr seid unmöglich!« Bo schüttelte den Kopf. »Aber nur einen Zehner. Und den will ich zurückhaben.«

Er gab Pia einen Zehner.

»Also Bo, du bist der Beste ... das werde ich Maja erzählen.«

»Ja, danke. Mach das. Und sieh zu, dass du zu Jønsson kommst. Wer weiß, ob nicht schon jemand nach den Sachen gefragt hat.«

Am Abend wurden Bilder vom Tatort in den Nachrichten gezeigt.

»Da waren wir doch!«, rief Jens aufgeregt. »Das ist unsere Mulde.«

»Die sehen doch alle gleich aus«, sagte sein Vater.

»Vielleicht ist das der Mann, der unsere Mulde geklaut hat«, sagte Jens.

»Unsinn«, antwortete sein Vater.

Der Beitrag schloss mit der üblichen Aufforderung an alle, die meinten, irgendwelche Hinweise zu haben, sich bei der Polizei zu melden.

Alice Larsen sah nachdenklich aus.

»Was ist?«, fragte ihr Mann.

»Ich dachte nur ... er könnte es gut sein.«

»Wer?«

»Der Mann in der Mulde. Es kann gut der Mann sein, den wir gesehen haben. Es war merkwürdig, dass er einfach liegen blieb, als das Wetter umschlug.«

»Er hat geschlafen.«

»Das wissen wir doch nicht. Er sah so merkwürdig aus.«

»Jetzt hör aber auf! Du hast ihn doch kaum gesehen.«

»Du findest also nicht, dass wir anrufen sollten?«

»Nichts da. Das bringt uns nur Ärger und Unannehmlichkeiten ein. Und warum sollte das ausgerechnet dieser Mann gewesen sein?«

»Ich weiß es nicht, ich habe einfach das Gefühl, dass er es ist.«

»Du hast eine lebhafte Fantasie.«

Lones Freund drückte sich weit weniger diplomatisch aus, als sie ihm ihre Theorie unterbreitete. Sie hatte im besten Hotel der Stadt einen Sommerjob als Zimmermädchen.

»Du hast sie doch nicht mehr alle!«, stellte er fest. »Du bist total verrückt. Du hast zu viele Krimis gesehen.«

»Ja, das kann schon sein, aber möglich ist es doch, oder? Mir kommt es merkwürdig vor, dass er eins der teuersten Zimmer mit Bad und Balkon und allem gemietet hat und dann am nächsten Tag anruft und sagt, dass er ein paar Tage wegbleibt und dass wir alles stehen lassen sollen. Ich finde das schon ein bisschen mysteriös.«

»Ich finde es noch mysteriöser, wenn ein Toter anruft.«

»Nee, du verstehst auch gar nichts. Natürlich hat er nicht angerufen. Nicht wirklich. Das war der Mörder.«

»Genau wie ich gesagt habe, du bist verrückt.«

»Du meinst nicht, dass ich Jønsson anrufen sollte?«

»Nee, das wäre dann doch zu verrückt.«

In den Sand gesetzt - Skandinavien-Krimi

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