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1 Süßholz – Die Wurzel des Schmetterlingsblütlers

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Lakritz – wie vertraut dieses Wort in unseren Ohren auch klingen mag, sein fremder Ursprung lässt sich nicht verleugnen. Hierfür ist die geschlechtsspezifische Zuordnung ein deutliches Indiz, denn Lakritz kann sowohl männlich als auch neutral sein (der oder das Lakritz) oder weiblich mit der entsprechenden Endung – die Lakritze. Über die Herkunft verrät der Blick ins Wörterbuch mehr. Demnach ist die Bezeichnung ›Lakritz‹ im ursprünglichen Sinn nicht auf seine Anwendung oder seinen Genuss zurückzuführen, sondern auf seinen Rohstoff – die Süßholzwurzel. Die dazugehörige Pflanze wird erstmals im hippokratischen Corpus als ›Süßwurzel‹ mit einer Wortzusammenfügung aus den Wörtern ›glykýs‹ = süß und ›rhiza‹ = Wurzel erwähnt. Das griechische Wort ›Glycyrrhiza‹ ist auch die Vorlage für die botanische Bezeichnung, die seit Dioskurides (1. Jh. n. Chr.) verwendet wird. Damit ist bereits der Name mit der stärksten Charaktereigenschaft der Wurzel verbunden, dem süßen Geschmack. Auch die Bezeichnung ›Lakritz‹ geht auf dieses Glycyrrhiza zurück und ist demnach nichts anderes als eine Abwandlung der griechischen Benennung für die Süßholzwurzel.

Angefangen hat die sprachliche Entwicklung des Wortes zu dem bekannten Lakritz durch eine Angleichung der Schreibweise von Glycyrrhiza. Über Glicoriza, Glycyridia, Gliquiricia führte sie in die spätlateinische Form ›Liquiritia‹. Diese Form setzte sich im 6. Jahrhundert n. Chr. durch und wurde in den Arzneibüchern weit über das 14. Jahrhundert hinaus beibehalten. Durch eine Konsonantenveränderung bzw. Konsonantenverschiebung aus der lateinischen Schreibweise ›Liquiritia‹ lassen sich ab dem Mittelalter dann Umformungen in den verschiedenen europäischen Sprachen verfolgen. Die kürzeste Form, Lykriz, benannte der 1244 verstorbene dänische Canonicus Henrik Harperstreng.1 Ab dem 14. Jahrhundert heißt es in Italien Liquirizia, Liquerizia, Rigritia oder Regolizia. In Frankreich ist es Legorizia, Leglisse, Réquelice, Récolice, Récalisse und schließlich Réglisse, verwandt mit dem spanischen Regaliz. In England entsteht aus ›Liquiritia‹ das englische Liquorice, aber auch Lyquericia, Lycorys und Lacris.

Im deutschen Sprachgebrauch verdeutlicht eine Aufzählung anhand des Glossarium Latino-Germanicum2, dass sich die Bezeichnung von Liq’ricz (1260), gefolgt von Liqueratis und Lacterie sowie Laquerisse in Vokabularien des 13./14. Jahrhunderts noch eindeutig auf ›Liquiritia‹ oder eine andere lateinische Abwandlung beziehen. Daneben bereichern die deutsche Sprache noch Versuche, dem fremden Wort einen zusätzlichen Sinn zu geben. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts beginnt ein Prozess der Eindeutschung des lateinischen Wortes, und es heißt Leckeritz (1394), Lekeitze (1399) und Leckervitz. Dies sind unverkennbare Anklänge an ›lecken‹, ›lecker‹ oder ›Leckerei‹, wobei solche Wörter zu jener Zeit noch den Unterton eines ›ungehörigen Verhaltens‹ beinhalten, der darin heute nicht mehr erkennbar ist.

Weitere Abwandlungen führen am Beginn des 15. Jahrhunderts zu Lackerisse oder Lackaricie (1420), Liquiricium – Ligiricze und Liquericium – Lichcricz (1421), bis 1429 zum ersten Mal Lacritz und Leckeritz erwähnt werden. Schließlich verfestigt sich der Sprachgebrauch mit dem Aufkommen des Buchdrucks, und ›Lakritze‹ setzt sich gegenüber den anderen Bezeichnungen durch. Doch noch lange hielten sich im Sprachschatz solch kuriose Abwandlungen wie die Kölner Variante Klaritz anstelle von Lakritz (1555).3

Darüber hinaus sind auch viele Varianten in der deutschen Mundart überliefert, die keinen direkten Bezug zu dem lateinischen Liquiritia haben. Wie eine Karte von 1932 zeigt4, gehören hierzu die Bezeichnungen ›Bärendreck‹, ›Bärenschiß‹ und ›Bärenzucker‹, die sich südlich der Mosel bis in die nördlichen Alpenländer durchgesetzt haben. Sie waren in Apotheken als arzneiliche Bezeichnung ebenso bekannt wie der Ausdruck ›Christensaft‹.5 Hervorzuheben sind auch die nördlichen Varianten ›Tropp‹, ›Schwarztropp‹ und ›Süßtröppel‹, die sich an die niederländische Bezeichnung ›Drop van zoethout‹ (der Tropfen von Süßholz) anlehnen und auf den Herstellungsprozess verweisen, bei dem der Saft ausgedrückt wird und abtröpfelt.6 An die Endform des aufgekochten Süßholzsaftes erinnern dann die Bezeichnungen ›Klitsch‹, ›Litsch‹, ›Kalitsch‹ und ›Kulitsch‹. Es sind Synonyme für Brei, Mus, Schleim und Kleister, die im niederrheinischen Sprachraum das Lakritz beschreiben. Besondere Erwähnung soll noch der Name ›Teufelsdreck‹ finden, der in zwei Eifeler Dörfern verwendet wurde.


Abb. 1 Mundartkarte mit Bezeichnungen für Lakritz (1932).

Alle diese Nomina beziehen sich auf den getrockneten Süßholzsaft – den Succus-Liquiritiae – und alle daraus hergestellten Produkte, d. h. ›naturreines‹ oder ›echtes‹ Lakritz als Brot (Blocklakritz), Stangen, Pastillen und Pulver oder dem ›unechten Weichlakritz‹ in Form von Konfekt und Dragées. Diesem ›unechten‹ Lakritz werden außer dem Succus noch Mehl, Zucker und andere Stoffe zugefügt.

Den Rohstoff für Lakritz, die Pflanze und ihre Wurzeln, hat in einprägsamer Form der französische Apotheker Louis Hariot (1817-1900) in seiner Abhandlung über die 64 nützlichsten Pflanzen beschrieben.7 Sie sei schwierig, eigenwillig und besitzergreifend, sie vagabundiere und sei umtriebig, so Louis Hariot. Der Enzyklopädist Johann Georg Krünitz (1728-1796) warnte ebenfalls vor der ungemeinen Vermehrung der Glycyrrhiza. Weshalb sie nur an solchen Plätzen anzupflanzen sei, wo sie einigermaßen beschränkt würde, und sich nicht zu weit in den Beeten ausbreiten könne. Er empfahl deshalb die Aussaat in einem eigens eingerichteten Behälter, wie er in dem Herzoglichen Garten zu Weimar stand.8

Mehr verraten die Beschreibungen in der botanischen und medizinischen Fachliteratur.9 Die Glycyrrhiza ist eine Staudenpflanze aus der Familie der Hülsenfrüchtler (Leguminosa) und zählt hier zu der Unterfamilie der Schmetterlingsblütler (Fabaceae oder Papilionaceae). Die frühesten schriftlichen Überlieferungen stammen aus Mesopotamien. Hier wächst das Süßholz zwischen den Flussläufen des Tigris und Euphrat, dem Land, das als Garten Eden bezeichnet wird. Schließlich verweist sein lieblicher Geschmack auf diesen paradiesischen Ursprung. Die Pflanze ist aber auch in anderen Regionen der Welt zu finden. Ihre natürlichen Populationen sind auf der nördlichen Halbkugel zwischen dem 35. und 45. Breitengrad verbreitet. Von Europa über Asien nach Amerika zieht sich hier ein Band, das die Erde wie einen Gürtel umschließt.

Die begrenzte, natürliche Population ist einerseits mit dem gemäßigten Klima erklärbar. Obwohl die Glycyrrhiza bei Temperaturen bis zu -15° C überleben kann, ist sie frostempfindlich und bevorzugt Temperaturen zwischen 3 und 28° C. Andererseits benötigt die Pflanze einen besonderen Boden. Natürliche Standorte sind entweder ausgesprochen trockene Stellen, in Gebüschen oder zwischen Zwergsträuchern, sowie Sand- und Lehmböden. Dabei handelt es sich meist um Alluvionen (lat. alluvio = ›Anschwemmung‹), also Schwemmböden, bei denen Partikel aus Gestein und Schlamm durch die Strömung eines Gewässers mitgerissen und an strömungsärmeren Stellen wie zum Beispiel den Mündungsdeltas von Flüssen abgelagert werden. Solche Böden sind durch einen hohen Anteil an organischen Verbindungen sehr nährstoffreich.

Heute werden bis zu 30 Arten der Pflanze unterschieden. Der schwedische Botaniker Carl von Linné (1707-1778) führte in seinem Werk ›Species Plantarum‹ drei Arten auf: Glycyrrhiza glabra L., Glycyrrhiza echinata L. und Glycyrrhiza hirsuta L.10 Als Heilkraut und Geschmacksverstärker, wie auch für die Süßwarenherstellung sind insbesondere die Wurzeln der Glycyrrhiza glabra von Bedeutung. Die Pflanze ist von Südeuropa bis Mittelasien verbreitet und wechselt ihr äußeres Erscheinungsbild je nach Standort. Allgemein handelt es sich dabei um einen mehrjährigen Strauch mit einer durchschnittlichen Lebensdauer von 15 Jahren. Er erreicht eine Höhe von 1-1,5 m, kann aber auch bis zu 2 m hoch werden. Die Pflanze hat einen rauen Stängel, an dem große, unpaarig gefiederte, breitelliptische und stachelspitzige Laubblätter sitzen. An deren Unterseite befinden sich punktierte Stellen mit harzig-klebrigen Drüsen. Ihre Blüten sind bläulich bis hellviolett und bilden Trauben. Die Früchte bestehen aus glatten Hülsen mit drei bis sechs Samenkörnern. Während der obere Pflanzenteil nicht nur Unkraut und Brennmaterial abgibt, sondern sich auch vorzüglich zum Füttern an Milchkühe eignet und Schweine süchtig macht11, ist für die Verarbeitung zum Lakritz der unterirdische Part maßgeblich. Die Wurzel der Glycyrrhiza glabra ist eine Pfahlwurzel, die bis zu 1 m in die Erde dringt und manchmal eine Stärke von 3 cm aufweist. Sie hat weitverzweigte Ausläufer (Stolonen), die innen gelb gefärbt sind und bis zu acht Meter lang werden.


Abb. 2 Glycyrrhiza glabra L. (ca. 1860)

Durch die Entwicklung einer eigenen Pfahlwurzel können sich die Ausläufer auch verselbstständigen. Auf diese Weise beherrschen die Mutterpflanze und die Austriebe der Stolonen über viele Quadratmeter den Boden, sodass nur schwer zu unterscheiden ist, ob es sich bei den jährlich erneuernden oberirdischen Trieben um die Mutterpflanze, eigene oder von anderen Exemplaren stammende Tochterpflanzen handelt. Wegen ihres ungehinderten Wachstums ist sie in vielen Regionen auch ein lästiges Unkraut, das zum Feuern verwendet wird.

Von der Glycyrrhiza glabra werden verschiedene Varietäten beschrieben, die sich je nach Standort unterscheiden. Die beiden wichtigsten Varietäten der Glycyrrhiza glabra sind ›typica‹ und ›glandulifera‹, benannt nach den Botanikern Eduard von Regel (1815-1892) und Ferdinand Gottfried Herder (1820-1896). Ihre Handelsbezeichnung ist das ›spanische‹ und das ›russische‹ Süßholz (Radix Liquiritiae hispanicae und Radix Liquiritiae russicae). Zu deren Unterscheidung werden von beiden Sorten Wurzelstöcke auf Wasser gesetzt. Die russische leichte Wurzel schwimmt auf dem Wasser, während die spanische sinkt.

Die Varietät typica ist in den europäischen Mittelmeerländern Italien (Kalabrien, Sizilien), Südfrankreich und Spanien, aber auch in Griechenland (Kreta) und Dalmatien beheimatet. Darüber hinaus kommt sie in Kleinasien (Türkei, Syrien) und am Schwarzen Meer (Krim) vor, und es gibt Populationen im Kaukasus (Turkmenistan), am Kaspischen Meer auf russischer und iranischer Seite und in Afghanistan.

Die Varietät glandulifera unterscheidet sich von der Hauptform durch die zahlreichen Drüsen an den Blättern und die langen Hülsen. Auch die Anzahl der Samen variiert. Darüber hinaus ist die geringe Entwicklung der Wurzelausläufer charakteristisch für diese Varietät. Dafür treibt die Pflanze dicke Stammwurzeln, die einen Durchmesser von 10 cm haben können.

In den westlichen Mittelmeerländern kommt die Varietät glandulifera nicht vor. Sie wächst aber in Kleinasien und Mesopotamien (Türkei, Syrien, Iran, Irak) und der Krim auch neben der Varietät typica. Darüber hinaus erstreckt sich ihre Population von Ungarn und Galizien über die Wolgagebiete, den Ural, Südsibirien, Kaukasus und Transkaukasien (Armenien, Dagestan, Georgien, Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan) bis in die Mongolei und macht erst vor der chinesischen Mauer im Nordwesten Chinas halt.

Eine weitere Varietät der Glycyrrhiza glabra ist die ›Uralensis‹. Sie wird auch als eigene Art eingestuft – die Glycyrrhiza uralensis Fisch. – benannt nach dem deutschen Direktor des Naturhistorischen Kabinetts in Moskau, Gotthelf Fischer von Waldheim (1771-1853). Die ›Uralensis‹, eine ausdauernde Pflanze mit einem feinbehaarten Stängel, ist von kleinem Wuchs und kann nur bis zu 1 m hoch werden. Schon ihre Bezeichnung deutet auf die starke Population entlang des Ural hin. Im Handel als ›chinesisches Süßholz‹ tituliert, ist die Uralensis aber auch im Altai, der Mongolei, Tibet und in den nordöstlichen Provinzen Chinas, zum Beispiel der Mandschurei und in Südsibirien, Kirgistan und Turkmenistan beheimatet.

Daneben zählen noch die Varietäten pallida und violacea Boiss., deren Namensgeber der Schweizer Botaniker Edmond Boissier (1810-1885) war, zu der Glycyrrhiza glabra. Diese Pflanzen sind beide im Iran und Irak heimisch und wachsen im Delta von Euphrat und Tigris, d. h. im früheren Babylonien und Assyrien (Mesopotamien).

Die von Carl von Linné benannte eigene Art Glycyrrhiza echinata L. wächst ebenfalls in Südosteuropa, Kleinasien und im Kaukasus. Die Pflanze wurde auch in Deutschland und Italien (Apulien) eingeführt und als Gewürz genutzt. Sie ist zwar gleich gebaut wie die Glycyrrhiza glabra, doch gibt es erhebliche Unterschiede.

Die Wurzel ist weder gelb noch süß und treibt keine Ausläufer. Die stacheligen Dornen der Hülsenfrucht gaben ihr auch den passenden Namen – die Dornige.12


Abb. 3 Glycyrrhiza glabra L. und Glycyrrhiza echinata L. (1924)

Auf dem amerikanischen Kontinent wächst eine weitere Art, die hier kurz beschrieben werden soll. Die Glycyrrhiza lepidota Nutt., für die der englische Zoologe Thomas Nuttall (1785-1859) Pate stand, wächst in wilden Populationen im Südwesten von Kanada und in Mexiko. Außerdem gibt es vereinzelte Populationen von Ontario bis Washington, in Texas und Missouri. ›Lepidota‹ wurde von den Ureinwohnern Amerikas als Heilkraut genutzt. Zum Beispiel kurierten die Teton-Dakota-Indianer mit den Blättern die Wunden auf den Rücken der Pferde aus. Darüber hinaus war die Wurzel ein Mittel gegen Zahnschmerzen und Fieber, sie konnte insbesondere bei Kindern hohes Fieber eindämmen. Süßholztee wurde außerdem von Frauen bei Fieber im Kindbett angewendet und um die Plazenta abzustoßen. Zum Verzehr wird die Glycyrrhiza lepidota geröstet und zeigt hier eine Geschmacksähnlichkeit mit der süßen Kartoffel. Darüber hinaus wird sie als Gewürzkraut und für Tees verwendet oder die jungen Triebe werden roh gegessen. Für den pharmazeutischen Markt und die Süßwarenindustrie ist diese Wurzel allerdings unerheblich. Sie gilt pharmakologisch als Verfälschung, wie alle nicht süß schmeckenden Glycyrrhiza-Arten.13

Dagegen wurde die Hauptwurzel Glycyrrhiza glabra gerade aufgrund des hohen Bedarfs für den Arzneimittelschatz auch in einigen Regionen der Welt angebaut. Im nördlichen Teil Europas war es vor allem in England (Surrey und Yorkshire), Deutschland (Thüringen und Franken (Bamberg)) und Österreich (Znajm und Auspitz (heute in Tschechien Znojmo und Hustopeče)), in denen diese Variante wuchs. Der Anbau machte auch vor der ›neuen‹ Welt nicht halt. In Neuseeland und Australien bestehen seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Süßholzkulturen, und heute finden sich auch Anbauflächen in Brasilien, Kalifornien und Südafrika.

Bei einem Anbau ist eine Vermehrung durch die Samen allerdings ausgeschlossen, da die kultivierte Pflanze selten blüht und sich dadurch nur wenige oder keine Samen bilden. Vielmehr setzt hierzu der Süßholzbauer die Stecklinge in einem Meter Reihenabstand in etwa 30 bis 40 Zentimeter tiefe Gräben aus. In den ersten Jahren pflanzt er die Ausläufer auch in Mischkulturen zwischen Kartoffeln und Kohl (England), Weizen, Erbsen und Mais (Kalabrien/Italien), oder Spinat, blauem Kohl, Salat, Zwiebeln, Spargel und Merrettich (Bamberg) an. Traditionell ist die Pflanzung zwischen Weinstöcken, wodurch dem Wein ein holzig-süßliches Aroma verliehen wird.

Das kultivierte Süßholz benötigt eine reichliche Düngung mit Jauche und Stallmist. Eine ausreichende Wasserversorgung und regelmäßiges Hacken sind weitere Faktoren, die bereits nach 3-4 Jahren eine erste Ernte ermöglichen. Bei Wildwuchs kann bereits nach 1-2 Jahren geerntet werden. Sichtbares Zeichen für die Reife ist die stark verkorkte Wurzel. Die Rinde lässt sich dann auch nicht mehr von der Hand abschälen. Das Alter wird durch das Brechen der Wurzel festgestellt, eine zitronengelbe Farbe verrät die junge Wurzel, die alte Wurzel ist dunkelgelb bis schwarz. Wegen ihrer gelben Farbe wird das Süßholz von der indogenen Bevölkerung Kanadas auch ›Kfwa‹ (ranzig, fettig) genannt und mit ranzigem Speck assoziiert. Nach einer Erzählung graben sich Mäuse in die Erde, um die Wurzel anzunagen. »Diese sind ranzig, diese sind gelb«, auf diese Weise höre man die Mäuse unter der Erde knabbern.14

Beim ersten Biss in eine frisch geerntete Wurzel der Glycyrrhiza füllt nicht die herbe Süße der Lakritze, sondern das unverwechselbare Aroma knackiger Kaiserschoten den Gaumen. Erst während des Trocknens entwickelt sich dann der Geschmack zu jener Eigentümlichkeit, die eine 50fache Wirkung von reiner Saccharose (Rüben- und Rohrzucker) hat.

In Europa erfolgt die Ernte vom Spätherbst bis zum Frühjahr, bevor der neue Austrieb beginnt. In dieser Zeit hat der Strauch sein Laub verloren, und es kommt bis zur nächsten Regenperiode zu einem Wachstumsstopp. Bei der Ernte wird mit der Hacke oder dem Pflug der Boden umgepflügt und die Wurzel mit der Egge eingesammelt. Hierzu sind zwei Varianten überliefert. Zum einen bleibt die Hauptpfahlwurzel stehen, und es kommen nur die Ausläufer zur Ernte. Die Erntehelfer schneiden die Stolonen mit dem Messer ab und ziehen sie mit der Hand aus der Erde heraus. Zum anderen sammeln die Helfer die ganzen Wurzeln mit den Ausläufern ein, schichten sie auf Haufen und lagern sie über Nacht. Anschließend werden die Ausläufer und Wurzeln gewaschen, geputzt und meist durch oberflächliches Abschaben von den Nebenwurzeln befreit. Flinke Arbeiterhände zerteilen dann die Wurzelstöcke in 10 cm lange Stücke, um sie in einer Mischung aus Sand und Erde über den Winter zu lagern, und im Frühjahr wieder einzupflanzen. Währenddessen kommen die Ausläufer entweder roh in den Handel oder werden zum Süßholzextrakt weiterverarbeitet. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbrachten die Felder mit wildwachsenden Pflanzen einen durchschnittlichen Ernteertrag von 1000 kg Süßholz pro Hektar. Der Ertrag bei Süßholzkulturen lag sogar bei 5000 kg pro Hektar.


Abb. 4 Säubern und sortieren der frischgeernteten Wurzel (ca. 1900-1910)

Der erste Schritt vor der Weiterverarbeitung der angeschnittenen geernteten Wurzelausläufer ist der Trockenprozess an der Sonne oder in eigens eingerichteten Trockenräumen, um eine Schimmelbildung zu vermeiden. Nach der Trocknung werden die Ausläufer gewaschen, zerschnitten, in einer Mühle zerquetscht und anschließend mit Wasser ausgekocht. Der Kochprozess setzt auch die Kohlenstoffe frei, die dem Lakritz seine schwarzbraun bis schwarze Farbe verleihen. Anschließend wird der Sud ausgepresst, bis die Süßholzmasse vollkommen ausgelaugt ist. Nach dem einfachen Verfahren dampfen die Arbeiter den gewonnenen Saft in Kesseln unter fortwährendem Umrühren ein. Der Sud kann auch mehrmals durchgefiltert und aufgekocht werden, bevor er zur Lakritz-Masse reduziert wird. Darüber hinaus wird der Lakritz-Masse heute durch das Vakuumverfahren die Feuchtigkeit entzogen. Allgemein erhält man aus fünf Teilen frischer Wurzel einen Teil fertiger Ware – den Lakritz-Extrakt ›Succus Liquiritiae‹.

Aus dem Succus lassen sich die schwarzen Lakritz-Blöcke bzw. -Brote (5 kg schwere Quaderblöcke), Stangen oder Pastillen formen. Nach dem Trocknen auf hölzernen Platten werden die Blöcke und Stangen in Lorbeer eingewickelt, um Bruch und Feuchtigkeit zu vermeiden. Die Pastillen kommen in Dosen in den Handel.

Die Qualität des Succus lässt sich besonders gut an den Lakritz-Stangen überprüfen. Sie besitzen je nach Sorte verschiedene Durchmesser und verschiedene Längen (1-2,5 cm dick und 11-20 cm lang), sind schwarz, außen glatt und in der Wärme biegsam. Vollständig ausgetrocknet, lassen sie sich leicht zerbrechen. Die Bruchflächen sind dann muschelig, glänzend schwarz und zeigen einzelne Luftblasen.

Während die Stangen und Pastillen direkt als Endprodukt verzehrt werden, sind die Lakritz-Blöcke der Ausgangsstoff für die Süßwarenherstellung. Sie finden aber auch in der Tabak- und Pharmaindustrie ihre Verwendung. Blocklakritz hat etwa folgende Zusammensetzung: 18 % Wasser, 18 % Glycyrrhizin, 11 % Sacharide, 28 % Gummi und Stärke, 20 % Farb- und andere Extraktstoffe und 5 % Asche.15

Um das süße Weichlakritz herzustellen, werden diese harten, schwarzen Blöcke aus Süßholzsaft in heißem Wasser aufgelöst und anschließend mit den verschiedenen Zutaten vermischt. Dazu gehören Zucker (Saccharose, Invertzucker oder Rohrzuckermelasse), Mehl oder Stärke (Glucosesirup), Bindemittel (Gummiarabikum, Gelatine usw.), sowie geruchs- und geschmacksgebende Aromastoffe. Bei der Herstellung spielen noch die Temperatur der Verarbeitung (70-80° C bzw. 100-120° C), die Trocknungszeit und die Feuchtigkeit der Lakritz-Masse eine Rolle.16

Ein Unterscheidungsmerkmal zwischen der naturreinen, harten Lakritze und dem Weichlakritz ist der Glycyrrhizin-Gehalt, dem wichtigsten Inhalts- und Wirkstoff der Süßholzwurzel. Der Gycyrrhizin-Gehalt schwankt je nach Herkunft der unbearbeiteten Wurzel zwischen 6 und 25 %. Er liegt bei vakuumbearbeiteten Präparaten mit 20-25 % deutlich höher gegenüber einer Behandlung durch das Auskochen mit 10-15 %.

Bei naturreiner Lakritze beträgt der Gehalt an Glycyrrhizin also mindestens 6 %. Diese Form kann naturrein belassen oder aber mit Gummiarabikum, Stärke und Glucose angereichert und mit Minze, Anis, Veilchen und anderen Geschmacksnoten aromatisiert werden. Bei Weichlakritz beträgt der Glycyrrhizin-Gehalt mindestens 1 %. Darüber hinaus gibt es auch Süßigkeiten mit Lakritze, in denen der Süßholzsaft nur für den Geschmack verwendet wird.

Demnach ist der Inhalt nicht immer identisch mit dem, was die Verpackung verspricht. So wurde früher der reine Lakritzensaft in betrügerischer Absicht durch die Extrakte von Quecken, Löwenzahn, Zichorien, Schwefeleisen oder Tonerde verfälscht, oder das Süßholzpulver mit Mehl, pulverisierten Olivenkernen oder Curcuma versetzt. Abgesehen von diesen Eskapaden einiger gewinnsüchtiger Unternehmer war es weit verbreitet, den Succus mit Kirsch-, Pflaumen- und Aprikosenmus einzudicken, bevor daraus das süße Konfekt entstand.

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