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1) Kliniksterben und Corona-Lockdown – der große Widerspruch

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Ein schauriges Szenario, das sich im Dezember 2020 in Deutschland abspielt:

- Die Corona-Infektionsrate steigt auf über 30.000 pro Tag.

- Krankenhäuser rufen den Notstand aus (vgl. Kap. 4.1).

- Der zweite Lockdown 2020 wird beschlossen.

Trotzdem schließen im Jahr 2020 Krankenhäuser, die im Frühjahr teilweise noch Covid-behandelnde Krankenhäuser waren (Beispiel Bayern: Krankenhäuser in Vohenstrauß, Waldsassen, Fürth in Bayern).

Was im Jahr 2020 in Deutschland passiert, kann als einer der größten Skandale Deutschlands bezeichnet werden. Das Land steht still. Das Leben der Bevölkerung ist gefährdet. Menschen begeben sich in die Isolation, weil eventuell die klinischen Behandlungskapazitäten in Deutschland nicht ausreichen könnten. Aber trotzdem geschieht das Unfassbare:

- Krankenhäuser in Deutschland schließen im bedrängten Corona-Jahr 2020.

- Der Schließungsprozess beschleunigt sich sogar.

- Und als Spitze des Eisbergs gibt es im Jahr 2020 Gesundheitsberater und Institute, die

dieses Krankenhaussterben institutionalisieren wollen. Sie streben eine ganz neue

Kliniklandschaft an, und das gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung

(vgl. Kap 4.2).

Das Erschütternde: Diese Zerschlagung interessiert in der Landes- und Bundespolitik, aber auch in der Presse, scheinbar niemanden!

- Das rüttelt an den Grundfundamenten der deutschen Demokratie.

- Das stellt die Solidargemeinschaft in Frage, in der bisher jeder Bürger Anspruch auf eine

ausreichende klinische Versorgung hatte.

- Das ist eine beispiellose Zerstörung der Daseinsvorsorge.

- Dem klinischen Personal, den „Corona-Helden“, wird die Existenzgrundlage entzogen.

Dieser Eruptionsprozess ist beispiellos in einem der reichsten Länder der Welt. Ökonomie vor flächendeckender klinischer Gesundheitsvorsorge, Partikularinteressen vor dem Gemeinwohl der Bevölkerung – dies wird das vorliegende Fachbuch auf erschütternde offen legen.

Während die Menschen darum bangen, ob sie an Corona erkranken, und ob sie im Falle einer Erkrankung ausreichende Hilfe erfahren, wird die Zerschlagung einer gut funktionierende Kliniklandschaft aus überwiegenden wirtschaftlichen Interessen vorbereitet.

Dass es in Deutschland seit den 90-er Jahren ein Kliniksterben gibt, wurde in der Literatur hinreichend erörtert. Die Gründe dafür, die Auswirkungen und auch die Methoden zur Förderung des Kliniksterbens sind ebenfalls hinreichend erläutert. *1)

Als Beleg mögen lediglich die aktualisierten Statistiken des Zeitraums 1991 bis 2019 dienen:

2019: 1.914 Krankenhäuser

1991: 2.411 Krankenhäuser

- 497 Krankenhäuser = - 21,6%

2019: 494 255 Klinikbetten

1991: 665.565 Klinikbetten

-171 310 Klinikbetten = - 25,7%

Es wäre hilfreich, wenn es während der Corona-Pandemie noch eine Klinikausstattung des Jahres 1991 in Deutschland gäbe!

Die Gesamtentwicklung 1991 bis 2019:

KrankenhäuserKlinikbetten
19912 411665 565
19922 381646 995
19932 354628 658
19942 337618 176
19952 325609 123
19962 269593 743
19972 258580 425
19982 263571 629
19992 252565 268
20002 242559 651
20012 240552 680
20022 221547 284
20032 197541 901
20042 166531 333
20052 139523 824
20062 104510 767
20072 087506 954
20082 083503 360
20092 084503 341
20102 064502 749
20112 045502 029
20122 017501 475
20131 996500 671
20141 980500 680
20151 956499 351
20161 951498 718
20171 942497 182
20181 925498 192
20191 914494 255

Tab. 1: Kliniken und Klinikbetten 1991-2019 *2)


Abb. 1: Krankenhäuser 1991 bis 2019


Abb. 2: Klinikbetten 1991 bis 2019

Die Gründe, …

- eine systematische Unterfinanzierung

- und der systematische Entzug bestimmter Leistungsangebote,

bei kleinen Krankenhäusern wurden hinreichend in der unter Fußnote *1) angegebenen Literatur dargelegt. Sie sind nicht Gegenstand dieses Fachbuchs.

Aber die Zeiten hatten sich im im Frühjahr 2020 geändert. Corona schien die Stimmung zunächst zu Gunsten der deutschen Krankenhäuser zu ändern:

Heil zur Corona-Krise"Einige Krankenhäuser kaputtgespart"

Alles muss sich rechnen: Das Gesundheitswesen ist marktwirtschaftlich organisiert. Arbeitsminister Heil kritisiert, dieses Modell komme nun an seine Grenzen. Er fordert, der Staat müsse mehr Verantwortung übernehmen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat für die Zeit nach der Corona-Krise eine Überprüfung des deutschen Gesundheitssystems gefordert. "Wir müssen einfach darauf reagieren, dass Gesundheit kein rein marktwirtschaftliches Gut sein kann", sagte der SPD-Politiker der "Rheinischen Post". Zwar müssten die Kommunen über die Trägerstruktur von Krankenhäusern entscheiden. Grundsätzlich gelte aber, dass es eine staatliche Gewährleistungsverantwortung gebe.

Mehr Geld für Gesundheit und Pflege? Heil verlangte, der öffentliche Bereich müsse gestärkt werden. "Einige Krankenhäuser sind kaputtgespart worden." Es müsse darüber gesprochen werden, "ob wir nicht dauerhaft mehr für Gesundheit und Pflege ausgeben müssen". Die Gesellschaft müsse auch begreifen, dass Pfleger und auch Verkäuferinnen - die "jetzigen Helden des Alltags" - besser bezahlt werden müssten.

Für die Hochphase der Corona-Krise lehnte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Heil eine Diskussion über den Vorstoß von Parteichefin Saskia Esken zu einer Vermögensabgabe für Reiche ab. "Jetzt geht es erst mal darum, die Schutzpakete umzusetzen, die wir gerade erst beschlossen haben.

Über den Lastenausgleich werde nach der Krise zu reden sein. Auch hier sei Solidarität gefragt. Denn es werde hohe wirtschaftliche Verluste geben, Unternehmen würden Gewinn- und Umsatzeinbrüche, Beschäftigte Lohneinbußen und der Staat weniger Ressourcen haben, warnte Heil.“" *3)

Söder: Gesundheitssystem muss nach Corona reformiert werden

Nach den Erfahrungen aus der Corona-Krise hält CSU-Chef Markus Söder eine grundlegende Reform des deutschen Gesundheitswesens für unverzichtbar. Zwar glaube er, dass das deutsche Gesundheitssystem viel besser vorbereitet war als viele andere in der Welt. "Aber wir müssen nun noch einen deutlichen Zahn zulegen", sagte der bayerische Ministerpräsident in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in München.

Deutschland brauche eine Notfall-Versorgung, wenn es um Medikamente, Material und Produktionskapazitäten im eigenen Land gehe sowie eine bessere Bezahlung im gesamten Medizinsektor, betonte Söder. "Dazu gehört auch eine bessere Krankenhausfinanzierung, um für Notfälle und Intensivmedizin besser ausgestattet zu werden."

Söder zeigte sich zuversichtlich, dass sogar noch in der laufenden Legislaturperiode eine solch große Gesundheitsreform zu schaffen sei: "Wenn Sie sehen, was in den vergangenen Wochen alles geschafft wurde, lässt sich das sicherlich umsetzen." Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) denke auch darüber nach. "Er hat meine volle Unterstützung. Wir von der CSU werden das auch begleiten und voranbringen." *4)

Wir haben bisher über 30% Intensivbetten ausgebaut, bis zum Sommer müssen es 50% sein, die wir dann mehr an Betten haben.

Wir müssen auch die kommunalen Krankenhäuser, das darf ich an der Stelle sagen, die haben großartige Arbeit geleistet, die haben die Hauptlast zu tragen gehabt, die müssen wir unterstützen.

Unterstützen heißt, sie müssen auch besser bezahlt werden. Wir müssen für das kommunale Krankenhaus nicht nur Rettungsschirme etablieren, die es gab, sondern auch die künftige Finanzierung auf bessere Grundlagen stellen und (dies wird) eine Aufgabe der Bundespolitik sein.“ *5)

Es gab im Frühjahr also berechtigte Hoffnung, dass wichtige Bundes- und Landespolitiker angesichts begrenzter Klinikkapazitäten eine Kehrtwende in der deutschen Krankenhauspolitik vom Kliniksterben zur Sicherung der Klinikstandorte einleiten würden.

Leider hielt diese Hoffnung nicht lange an:

- Mitten in der Corona-Krise verschärfen sich Debatten um eine neue Kliniklandschaft mit

deutlich weniger Krankenhäusern, leise und von der Bevölkerung kaum wahrgenommen.

- Mitteln in der Corona-Krise steigt die Anzahl der Klinikschließungen.

Dazu mehr im nächsten Kapitel.

So außergewöhnlich die Corona-Pandemie ist, so außergewöhnlich die Lage deutscher Krankenhäuser in dieser ungewissen Zeit, so einzigartig sind auch die Voraussetzungen dieses Fachbuchs.

Es muss – in einer sich täglich verändernden Lage – der richtigen Zeitpunkt für ein entschiedenes und beherztes Engagement gegen Kliniksterben gefunden werden.

Dadurch bildet es eine Momentaufnahme in einer extrem dynamischen Situation ab. Das Fachbuch wird zwangsläufig bereits zum Zeitpunkt der Herausgabe historisch sein und nach Beendigung der Corona-Pandemie rasch seine Aktualität verlieren.

Denn dann stehen andere Corona-Themen an: Die Wiederbelebung der Wirtschaft, die Beseitigung der Kollateralschäden aus der Cornona-Pandemie, die Fragestellung, wie die EU-Länder und Bundesländer mit der Corona-resultierenden riesigen Neuverschuldung umgehen.

Dann wird sich vielleicht auch mancher Politiker ungern an die vollumfänglichen uneingeschränkten Finanzzusagen gegenüber den Krankenhäusern erinnern wollen, die im Frühjahr abgegeben wurden. Denn das Geld wird 2021 überall gebraucht: für Großunternehmen, für Kleinunternehmen, für Künstler, Gastronomen, Kurzarbeiter, Krankenhäuser, …

*1) Zur Diskussion zum Kliniksterben vgl. Klaus Emmerich, 2020, Klinische Fallpauschalenabrechnung und ihre Grenzen - Droht ein Kliniksterben in der Corona-Krise?, Berlin, neopubli GmbH, https://www.epubli.de//shop/buch/Klinische-Fallpauschalenabrechnung-und-ihre-Grenzen-Klaus-Emmerich-9783752956177/99289?, Klaus Emmerich, 2020, Bundesweites Bündnis gegen Kliniksterben - Erfolgsaussichten in und nach der Corona-Pandemie, Berlin, neopubli GmbH, https://www.epubli.de//shop/buch/Bundesweites-B%C3%Bcndnis-gegen-Kliniksterben-Klaus-Emmerich-9783752950403/98711?utm_medium=email&utm_source=transactional&utm_campaign=Systemmail_PublishedSuccessfully, Dipl. Kaufmann Klaus Emmerich (Autor), 2019, Diskussion um Qualität und Schließung ländlicher Krankenhäuser, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498994, Dipl. Kaufmann Klaus Emmerich, 2015, Kliniksterben in ländlichen Regionen Deutschlands, Ursachen – Herausforderungen – gesundheitspolitische Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308555

*2) vgl. für die Jahre 1991 bis 2018: Dstatis, Statistisches Bundesamt 2020, Grunddaten der Krankenhäuser - Fachserie 12 Reihe 6.1.1 – 2018, Wiesbaden, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/grunddaten-krankenhaeuser-2120611187004.pdf?__blob=publicationFile

vgl. für das Jahr 2019: Dstatis, Statistisches Bundesamt 2020, Krankenhäuser 2019 nach Trägern und Bundesländern, Wiesbaden, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabellen/eckzahlen-krankenhaeuser.html

*3) Tagesschau.de, 2020, Heil zur Corona-Krise "Einige Krankenhäuser kaputtgespart", Hamburg https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-heil-krankenhaeuser-101.html

*4) Süddeutsche Zeitung, 2020, Söder: Gesundheitssystem muss nach Corona reformiert werden, München, Süddeutsche Zeitung GmbH, https://www.sueddeutsche.de/politik/regierung-muenchen-soeder-gesundheitssystem-muss-nach-corona-reformiert-werden-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200409-99-649042

*5) Bayerischer Ministerpräsident Markus Söder, CSU-Parteitag 20.05.2020 Handmitschrift

Aufschrei ländlicher Krankenhäuser in Deutschland

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