Читать книгу Aufschrei ländlicher Krankenhäuser in Deutschland - Klaus Emmerich - Страница 3
1) Kliniksterben und Corona-Lockdown – der große Widerspruch
ОглавлениеEin schauriges Szenario, das sich im Dezember 2020 in Deutschland abspielt:
- Die Corona-Infektionsrate steigt auf über 30.000 pro Tag.
- Krankenhäuser rufen den Notstand aus (vgl. Kap. 4.1).
- Der zweite Lockdown 2020 wird beschlossen.
Trotzdem schließen im Jahr 2020 Krankenhäuser, die im Frühjahr teilweise noch Covid-behandelnde Krankenhäuser waren (Beispiel Bayern: Krankenhäuser in Vohenstrauß, Waldsassen, Fürth in Bayern).
Was im Jahr 2020 in Deutschland passiert, kann als einer der größten Skandale Deutschlands bezeichnet werden. Das Land steht still. Das Leben der Bevölkerung ist gefährdet. Menschen begeben sich in die Isolation, weil eventuell die klinischen Behandlungskapazitäten in Deutschland nicht ausreichen könnten. Aber trotzdem geschieht das Unfassbare:
- Krankenhäuser in Deutschland schließen im bedrängten Corona-Jahr 2020.
- Der Schließungsprozess beschleunigt sich sogar.
- Und als Spitze des Eisbergs gibt es im Jahr 2020 Gesundheitsberater und Institute, die
dieses Krankenhaussterben institutionalisieren wollen. Sie streben eine ganz neue
Kliniklandschaft an, und das gegen den mehrheitlichen Willen der Bevölkerung
(vgl. Kap 4.2).
Das Erschütternde: Diese Zerschlagung interessiert in der Landes- und Bundespolitik, aber auch in der Presse, scheinbar niemanden!
- Das rüttelt an den Grundfundamenten der deutschen Demokratie.
- Das stellt die Solidargemeinschaft in Frage, in der bisher jeder Bürger Anspruch auf eine
ausreichende klinische Versorgung hatte.
- Das ist eine beispiellose Zerstörung der Daseinsvorsorge.
- Dem klinischen Personal, den „Corona-Helden“, wird die Existenzgrundlage entzogen.
Dieser Eruptionsprozess ist beispiellos in einem der reichsten Länder der Welt. Ökonomie vor flächendeckender klinischer Gesundheitsvorsorge, Partikularinteressen vor dem Gemeinwohl der Bevölkerung – dies wird das vorliegende Fachbuch auf erschütternde offen legen.
Während die Menschen darum bangen, ob sie an Corona erkranken, und ob sie im Falle einer Erkrankung ausreichende Hilfe erfahren, wird die Zerschlagung einer gut funktionierende Kliniklandschaft aus überwiegenden wirtschaftlichen Interessen vorbereitet.
Dass es in Deutschland seit den 90-er Jahren ein Kliniksterben gibt, wurde in der Literatur hinreichend erörtert. Die Gründe dafür, die Auswirkungen und auch die Methoden zur Förderung des Kliniksterbens sind ebenfalls hinreichend erläutert. *1)
Als Beleg mögen lediglich die aktualisierten Statistiken des Zeitraums 1991 bis 2019 dienen:
2019: 1.914 Krankenhäuser
1991: 2.411 Krankenhäuser
- 497 Krankenhäuser = - 21,6%
2019: 494 255 Klinikbetten
1991: 665.565 Klinikbetten
-171 310 Klinikbetten = - 25,7%
Es wäre hilfreich, wenn es während der Corona-Pandemie noch eine Klinikausstattung des Jahres 1991 in Deutschland gäbe!
Die Gesamtentwicklung 1991 bis 2019:
Krankenhäuser | Klinikbetten | |
1991 | 2 411 | 665 565 |
1992 | 2 381 | 646 995 |
1993 | 2 354 | 628 658 |
1994 | 2 337 | 618 176 |
1995 | 2 325 | 609 123 |
1996 | 2 269 | 593 743 |
1997 | 2 258 | 580 425 |
1998 | 2 263 | 571 629 |
1999 | 2 252 | 565 268 |
2000 | 2 242 | 559 651 |
2001 | 2 240 | 552 680 |
2002 | 2 221 | 547 284 |
2003 | 2 197 | 541 901 |
2004 | 2 166 | 531 333 |
2005 | 2 139 | 523 824 |
2006 | 2 104 | 510 767 |
2007 | 2 087 | 506 954 |
2008 | 2 083 | 503 360 |
2009 | 2 084 | 503 341 |
2010 | 2 064 | 502 749 |
2011 | 2 045 | 502 029 |
2012 | 2 017 | 501 475 |
2013 | 1 996 | 500 671 |
2014 | 1 980 | 500 680 |
2015 | 1 956 | 499 351 |
2016 | 1 951 | 498 718 |
2017 | 1 942 | 497 182 |
2018 | 1 925 | 498 192 |
2019 | 1 914 | 494 255 |
Tab. 1: Kliniken und Klinikbetten 1991-2019 *2)
Abb. 1: Krankenhäuser 1991 bis 2019
Abb. 2: Klinikbetten 1991 bis 2019
Die Gründe, …
- eine systematische Unterfinanzierung
- und der systematische Entzug bestimmter Leistungsangebote,
bei kleinen Krankenhäusern wurden hinreichend in der unter Fußnote *1) angegebenen Literatur dargelegt. Sie sind nicht Gegenstand dieses Fachbuchs.
Aber die Zeiten hatten sich im im Frühjahr 2020 geändert. Corona schien die Stimmung zunächst zu Gunsten der deutschen Krankenhäuser zu ändern:
„Heil zur Corona-Krise"Einige Krankenhäuser kaputtgespart"
Alles muss sich rechnen: Das Gesundheitswesen ist marktwirtschaftlich organisiert. Arbeitsminister Heil kritisiert, dieses Modell komme nun an seine Grenzen. Er fordert, der Staat müsse mehr Verantwortung übernehmen.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat für die Zeit nach der Corona-Krise eine Überprüfung des deutschen Gesundheitssystems gefordert. "Wir müssen einfach darauf reagieren, dass Gesundheit kein rein marktwirtschaftliches Gut sein kann", sagte der SPD-Politiker der "Rheinischen Post". Zwar müssten die Kommunen über die Trägerstruktur von Krankenhäusern entscheiden. Grundsätzlich gelte aber, dass es eine staatliche Gewährleistungsverantwortung gebe.
Mehr Geld für Gesundheit und Pflege? Heil verlangte, der öffentliche Bereich müsse gestärkt werden. "Einige Krankenhäuser sind kaputtgespart worden." Es müsse darüber gesprochen werden, "ob wir nicht dauerhaft mehr für Gesundheit und Pflege ausgeben müssen". Die Gesellschaft müsse auch begreifen, dass Pfleger und auch Verkäuferinnen - die "jetzigen Helden des Alltags" - besser bezahlt werden müssten.
Für die Hochphase der Corona-Krise lehnte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Heil eine Diskussion über den Vorstoß von Parteichefin Saskia Esken zu einer Vermögensabgabe für Reiche ab. "Jetzt geht es erst mal darum, die Schutzpakete umzusetzen, die wir gerade erst beschlossen haben.
Über den Lastenausgleich werde nach der Krise zu reden sein. Auch hier sei Solidarität gefragt. Denn es werde hohe wirtschaftliche Verluste geben, Unternehmen würden Gewinn- und Umsatzeinbrüche, Beschäftigte Lohneinbußen und der Staat weniger Ressourcen haben, warnte Heil.“" *3)
„Söder: Gesundheitssystem muss nach Corona reformiert werden
Nach den Erfahrungen aus der Corona-Krise hält CSU-Chef Markus Söder eine grundlegende Reform des deutschen Gesundheitswesens für unverzichtbar. Zwar glaube er, dass das deutsche Gesundheitssystem viel besser vorbereitet war als viele andere in der Welt. "Aber wir müssen nun noch einen deutlichen Zahn zulegen", sagte der bayerische Ministerpräsident in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur in München.
Deutschland brauche eine Notfall-Versorgung, wenn es um Medikamente, Material und Produktionskapazitäten im eigenen Land gehe sowie eine bessere Bezahlung im gesamten Medizinsektor, betonte Söder. "Dazu gehört auch eine bessere Krankenhausfinanzierung, um für Notfälle und Intensivmedizin besser ausgestattet zu werden."
Söder zeigte sich zuversichtlich, dass sogar noch in der laufenden Legislaturperiode eine solch große Gesundheitsreform zu schaffen sei: "Wenn Sie sehen, was in den vergangenen Wochen alles geschafft wurde, lässt sich das sicherlich umsetzen." Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) denke auch darüber nach. "Er hat meine volle Unterstützung. Wir von der CSU werden das auch begleiten und voranbringen." *4)
„Wir haben bisher über 30% Intensivbetten ausgebaut, bis zum Sommer müssen es 50% sein, die wir dann mehr an Betten haben.
Wir müssen auch die kommunalen Krankenhäuser, das darf ich an der Stelle sagen, die haben großartige Arbeit geleistet, die haben die Hauptlast zu tragen gehabt, die müssen wir unterstützen.
Unterstützen heißt, sie müssen auch besser bezahlt werden. Wir müssen für das kommunale Krankenhaus nicht nur Rettungsschirme etablieren, die es gab, sondern auch die künftige Finanzierung auf bessere Grundlagen stellen und (dies wird) eine Aufgabe der Bundespolitik sein.“ *5)
Es gab im Frühjahr also berechtigte Hoffnung, dass wichtige Bundes- und Landespolitiker angesichts begrenzter Klinikkapazitäten eine Kehrtwende in der deutschen Krankenhauspolitik vom Kliniksterben zur Sicherung der Klinikstandorte einleiten würden.
Leider hielt diese Hoffnung nicht lange an:
- Mitten in der Corona-Krise verschärfen sich Debatten um eine neue Kliniklandschaft mit
deutlich weniger Krankenhäusern, leise und von der Bevölkerung kaum wahrgenommen.
- Mitteln in der Corona-Krise steigt die Anzahl der Klinikschließungen.
Dazu mehr im nächsten Kapitel.
So außergewöhnlich die Corona-Pandemie ist, so außergewöhnlich die Lage deutscher Krankenhäuser in dieser ungewissen Zeit, so einzigartig sind auch die Voraussetzungen dieses Fachbuchs.
Es muss – in einer sich täglich verändernden Lage – der richtigen Zeitpunkt für ein entschiedenes und beherztes Engagement gegen Kliniksterben gefunden werden.
Dadurch bildet es eine Momentaufnahme in einer extrem dynamischen Situation ab. Das Fachbuch wird zwangsläufig bereits zum Zeitpunkt der Herausgabe historisch sein und nach Beendigung der Corona-Pandemie rasch seine Aktualität verlieren.
Denn dann stehen andere Corona-Themen an: Die Wiederbelebung der Wirtschaft, die Beseitigung der Kollateralschäden aus der Cornona-Pandemie, die Fragestellung, wie die EU-Länder und Bundesländer mit der Corona-resultierenden riesigen Neuverschuldung umgehen.
Dann wird sich vielleicht auch mancher Politiker ungern an die vollumfänglichen uneingeschränkten Finanzzusagen gegenüber den Krankenhäusern erinnern wollen, die im Frühjahr abgegeben wurden. Denn das Geld wird 2021 überall gebraucht: für Großunternehmen, für Kleinunternehmen, für Künstler, Gastronomen, Kurzarbeiter, Krankenhäuser, …
*1) Zur Diskussion zum Kliniksterben vgl. Klaus Emmerich, 2020, Klinische Fallpauschalenabrechnung und ihre Grenzen - Droht ein Kliniksterben in der Corona-Krise?, Berlin, neopubli GmbH, https://www.epubli.de//shop/buch/Klinische-Fallpauschalenabrechnung-und-ihre-Grenzen-Klaus-Emmerich-9783752956177/99289?, Klaus Emmerich, 2020, Bundesweites Bündnis gegen Kliniksterben - Erfolgsaussichten in und nach der Corona-Pandemie, Berlin, neopubli GmbH, https://www.epubli.de//shop/buch/Bundesweites-B%C3%Bcndnis-gegen-Kliniksterben-Klaus-Emmerich-9783752950403/98711?utm_medium=email&utm_source=transactional&utm_campaign=Systemmail_PublishedSuccessfully, Dipl. Kaufmann Klaus Emmerich (Autor), 2019, Diskussion um Qualität und Schließung ländlicher Krankenhäuser, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/498994, Dipl. Kaufmann Klaus Emmerich, 2015, Kliniksterben in ländlichen Regionen Deutschlands, Ursachen – Herausforderungen – gesundheitspolitische Folgen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/308555
*2) vgl. für die Jahre 1991 bis 2018: Dstatis, Statistisches Bundesamt 2020, Grunddaten der Krankenhäuser - Fachserie 12 Reihe 6.1.1 – 2018, Wiesbaden, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Publikationen/Downloads-Krankenhaeuser/grunddaten-krankenhaeuser-2120611187004.pdf?__blob=publicationFile
vgl. für das Jahr 2019: Dstatis, Statistisches Bundesamt 2020, Krankenhäuser 2019 nach Trägern und Bundesländern, Wiesbaden, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Krankenhaeuser/Tabellen/eckzahlen-krankenhaeuser.html
*3) Tagesschau.de, 2020, Heil zur Corona-Krise "Einige Krankenhäuser kaputtgespart", Hamburg https://www.tagesschau.de/inland/coronavirus-heil-krankenhaeuser-101.html
*4) Süddeutsche Zeitung, 2020, Söder: Gesundheitssystem muss nach Corona reformiert werden, München, Süddeutsche Zeitung GmbH, https://www.sueddeutsche.de/politik/regierung-muenchen-soeder-gesundheitssystem-muss-nach-corona-reformiert-werden-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200409-99-649042
*5) Bayerischer Ministerpräsident Markus Söder, CSU-Parteitag 20.05.2020 Handmitschrift