Читать книгу Weihnachten? Um Gottes Willen! - Klaus Grammel - Страница 6
Ich werde ein Buch schreiben
ОглавлениеIch werde in meinem Buch davon erzählen, wie es früher war, nehme ich mir vor. Sonst kann man nicht verstehen, wo wir heute mit dem Fest stehen. Aber was heißt früher? Wieweit muss ich zurückgehen? Seit wann wird Weihnachten gefeiert?
Das, was für unsere heutige Zeit Weihnachten ausmacht, ist ja im Großen und Ganzen erst im 19. Jahrhundert entstanden. Der Weihnachtsbaum – gewiss, 1539 wird er das erste Mal erwähnt, in Straßburg. Aber zu seiner großen, inzwischen weltweiten Bedeutung kam er doch erst in der Goethezeit und danach, also im 19. Jahrhundert. Ebenso der Weihnachtsmann. Und die große Rolle, die die Familie bei diesem Fest spielt. Und natürlich, das Schenken und auch das Singen. Das alles gibt es doch erst seit sagen wir etwa 250 Jahren.
In dieser Zeit ist der Einfluss der Kirche mehr und mehr zurückgegangen. Im neunzehnten Jahrhundert war zwar der Besuch des Weihnachtsgottesdienstes noch weitgehend üblich, der Hauptakzent des Festes lag aber schon auf der Familie. Dorthin hatte sich das Fest mehr und mehr zurückgezogen. Es wurde zu einem familiären, ja privaten Fest. Erst nach dem Kirchgang fing Weihnachten so richtig an. Dann brachte das Christkind die Geschenke oder sogar der Weihnachtsmann höchstpersönlich.
Aber davor, als es dieses alles, was unsre Zeit heute für wesentlich hält, noch gar nicht gab, gab es doch auch schon Weihnachten!
Mit Luther wurde diese Entwicklung möglich. Er begann damit, Kinder zu Weihnachten zu beschenken. Daraus ist dann die Sitte entstanden, dass sich auch Erwachsene etwas schenken. Inzwischen ist daraus eine Geschenkorgie geworden. Mit Luther bekam die Feier in der Familie eine Bedeutung. Aber nicht, wie es heute der Fall ist, die alleinige. Für Luther war die kirchliche Verkündigung noch zentral. Gott wurde Mensch in dem Kind im Stall. Und weil dieses die Liebe in Person ist, erkennen wir an ihm, dass wir von der Liebe leben und für die Liebe leben sollen. Also sollte man die Kinder zu Weihnachten beschenken.
Aber vor Luther gab es doch auch schon Weihnachten!
Im zwölften Jahrhundert taucht zum ersten Mal der Begriff „ze wihen nath … zur geweihten Nacht“ auf. Es hatte Jahrhunderte gedauert, ehe das Fest aus dem gottesdienstlichen Kalender ins Leben der einfachen Leute gewandert war und dort allmählich vorchristliches Gedankengut durchtränkt und manchmal auch verdrängt hatte.
Die zwölf Rauch- oder Raunächte von der Sonnenwende bis zum 6. Januar galten als besonders heilige, das heißt, auch gefährliche Nächte. In ihnen, so sagte man, treiben Geister, Dämonen, Hexen … ihre „wilde Jagd“ durch die Lüfte, angeführt vom Gott Odin.
Man stellt ihnen am besten etwas Essbares vor die Tür und verhält sich ganz unauffällig. Vor allem soll man nicht arbeiten, erst recht keine Wäsche waschen. Das weiße auf der Leine aufgehängte Tuch könnte zum Leichentuch werden.
In der Nacht zum 6. Januar wurde dann das ganze Haus ausgeräuchert. Der Qualm von verbrennenden Mistelzweigen, Beifuß oder anderen geeigneten Pflanzen treibt das Böse aus, so versprach man es sich von dieser Aktion. Das klappte aber nur, wenn man entgegen dem Uhrzeiger durch die Räume ging.
Unter dem Einfluss der Kirche sollte man diese Zeit zur Besinnung nutzen, nicht nur sein Haus, sondern auch sein Leben aufzuräumen. Und zum Ausräuchern war Weihrauch in Priesterhand sicherlich auch wirkungsvoller.
Das erste Singen der Gemeinde konnte man etwa um 1200 herum hören. Bisher hatte nur der Priester gesungen. Sogenannte Leisen, in Deutsch gesungen, entwickelten sich. Die Bezeichnung ist vom Kyrie eleison abgeleitet.
Aus dem Schaukeln von Kinderkrippen entwickelte sich der Brauch des Kindelwiegens. Mädchen ziehen, während sie singen, an einem Band und bringen dadurch ein Babyschaukelbett in sanftes Schwingen. Das Lied „Josef, lieber Josef mein, hilf mir wiegen mein Kindelein …“ hat in diesem Brauch seinen Ursprung.
Im 13. Jahrhundert fing es mit den Krippenspielen an. Mit lebenden Personen und Tieren wurde die Weihnachtsgeschichte nachgestellt, woraus sich ein Spielen ergab. Die Hirten im Stall und die Weisen aus dem Morgenland begegneten sich.
In der Bibel begegnen sie uns so getrennt wie der Pinguin vom Südpol und der Eisbär vom Nordpol. Diese treffen sich erst im Zoo, so wie die Hirten und die Weisen sich nun in einer gespielten Weihnachtsgeschichte begegneten.
Die Weisen waren bereits zu den Heiligen drei Königen geworden und hatten seit dem 6. Jahrhundert auch schon ihre Namen: Kaspar, Melchior und Balthasar.
Ohne Franz von Assisi gäbe es das Krippenspiel nicht. Am 25. Dezember 1223 hatte er im Wald von Greccio begonnen, mit lebendigen Menschen, Ochsen und Eseln und Heu und Stroh der Gemeinde sichtbar vor Augen zu führen, dass Gott uns in Niedrigkeit und Armut begegnet. Zugleich wollte er aber auch zeigen, wie reich wir durch Gottes Zuwendung beschenkt worden sind und uns unsres Lebens freuen dürfen. Die Kinder sollen sich richtig satt futtern, hat er gemeint, keiner soll zu kurz kommen, selbst „die Wände sollen Fleisch essen.“
Weil nicht jede Gemeinde ein großes weihnachtliches Krippenspiel auf die Beine stellen konnte, kamen bald geschnitzte Krippen auf, meistens bemalt, ein Ersatz sozusagen.
Aber vor dieser mittelalterlichen Zeit, da war doch auch schon Weihnachten!
Ja, aber lediglich als Festtag im kirchlichen Kalender, mit seinem speziellen Inhalt und entsprechender liturgischer Ausprägung, aber ohne ein besonderes für das Volk interessantes Profil. Ostern und an vielen Orten Marienfeste waren wichtiger. Für das Weihnachtsfest brauchte man nur Jesus Christus, ohne den es kein Christentum geben würde, seine Geburt, durch die Gott Mensch wurde. Mensch freilich, nicht ganz so, wie wir Menschen sind. Seine Zeugung vollzog sich anders als bei uns Normalsterblichen. Es bedurfte dazu keines männlichen Spermiums mit Y-Chromosomen, das in die Eizelle eindrang. Aber davon wussten die antiken Geschichtenerzähler auch noch nichts. Für die Bevölkerung war an Weihnachten wichtig, dass nach der Messe oder Mette, wie man mancherorts auch sagte, endlich wieder nach Wochen des Fastens gegessen werden durfte. Am liebsten eine Mettensau, wenn man sie sich denn leisten konnte.
Dieses Weihnachten, als Geburt des auf der Erde erschienenen Gottes, der das Licht in unsere finstere Welt gebracht hat, war im vierten Jahrhundert entstanden. Für den 25. Dezember 354 ist es zum ersten Mal in Rom belegt. Ab 381 wurde das Fest allgemeingültig. Denn in diesem Jahr wurde die Absicht von Kaiser Theodosius zum verbindlichen Beschluss, das Christentum zur Staatsreligion zu erklären. Der 25. Dezember gilt seitdem als Geburtstag Jesu. Verpflichtend für jeden ohne Ausnahme wurde er, als Kaiser Justinian über hundert Jahre später diesen Tag zum gesetzlichen Feiertag erklärte.
Aber davor? Hat es da nicht auch schon ein Weihnachtsfest gegeben?
Bei den Christen nicht. Sie wurden vom Staat noch verfolgt und zogen sich bei Pogromen in ihre oft unterirdischen Verstecke zurück.
Aber bei den Römern.
Sie feierten am 25. Dezember die Geburt eines göttlichen Kindes, eines Knabens namens Mithras, der Licht in die Welt bringen sollte. Mit seiner Strahlenkrone auf dem Kopf galt er als unbesiegter und wohl auch unbesiegbarer Sonnengott. Ein Vatergott schickte ihn auf die Erde, um den Stier, Symbol des Bösen, zu töten. Er wurde in einer Felsengrotte geboren, von einer Jungfrau; deshalb nannte man ihn auch den Felsgeborenen. Hirten waren Zeugen der Geburt. Die geschah am längsten und dunkelsten Tag des Jahres, am 25. Dezember.
Wer zur Kultgemeinde gehören wollte, musste Wasser-, Feuer- und andre Mutproben bestehen. Getauft wurde man mit Stierblut. Hierarchische Weihegrade luden zur Karriere ein. Sein heiliger Tag war der Sonntag. Mithras selbst reichte vor seinem Tod zwölf seiner Anhänger ein letztes Abendmahl, Brot und Wein.
Es wurde erzählt, dass aus dem Schwanz des getöteten Stieres Reben und Getreide gewachsen sind. Nach seinem Tod erlebte Mithras seine Auferstehung.
Der ursprünglich in Persien beheimatete Gott Mithras wurde in der Kaiserzeit rasch im ganzen Römischen Reich bekannt, vor allem durch Legionäre, die vielfach diesem typischen Männergeheimkult beitraten. Seinen Höhepunkt erreichte der Kult um 200, nachdem Kaiser Commodus (180 – 192) sich ihm angeschlossen hatte.
Die Verbindung zu dem einheimischen altrömischen Sonnengott Sol wurde immer enger. Letztlich waren beide eins, zumindest in der Wahrnehmung der meisten. Mithras hieß bald ganz offiziell SOL INVICTUS MITHRAS.
Ich frage mich: Warum wissen die Menschen in den Gemeinden das nicht? Es würde ihnen sehr bekannt vorkommen.
Weil die Sonne mit ihrer Macht und ihrem Glanz sich herrlich als Symbol für Herrschaft eignet, war mit der Verehrung des Sonnengottes sehr schnell auch die Verehrung des jeweils herrschenden römischen Kaisers mitgemeint.
Mit welchem Argument sollte man dieses römische Kaisersonnenkultfest nicht ein Weihnachtsfest nennen, kein christliches, aber ein römisches?
Es wurde 219 durch den römischen Kaiser Elagabal angeordnet. Nach dessen Ermordung wurde es 274 durch Kaiser Aurelian erneut und nun endgültig etabliert.
Als 381 n. Chr. der römische Kaiser Theodosius eben dieses längst schon vorhandene Sonnengottfest zum Christusfest erklärte, dürfte im Empfinden so mancher römischer Bürger der Unterschied zu vorher gar nicht so groß gewesen sein. Was hatte sich denn schon groß geändert? Kaum mehr als der Name.
Und davor? Gab es da auch schon ein Weihnachten?
Ich denke ja. Denn es gab Feiern zur Wintersonnenwende im Dezember, wie verständlicherweise auch zur Sommersonnenwende im Juni. Tausende von Kultstätten für solche Feiern sind bekannt.
Goseck in Sachsen-Anhalt, etwa 5000 Jahre vor Christus entstanden, ist der älteste Sonnenkultort auf europäischem Boden, Stonehenge in Südengland wohl der bekannteste.
Wenn Menschen in der kalten, dunklen, längsten Nacht im Dezember der Kälte und Finsternis, ganz wörtlich und auch im übertragenden Sinne, ebenso wie ihre Hoffnung auf Wärme und Helligkeit, entgegensetzten und sich so Mut machten zum Leben – darf man das nicht eine geweihte Nacht nennen, eine Weihnacht?
Diese Kraft zum Dennoch gewannen die Menschen früher aus ihren Erfahrungen, die sie mit der realen Sonne am Himmel machten. Diese war für sie eine göttliche Macht, denn von ihr hing ihr Leben ab.
Wie anders gewinnen wir Menschen denn sonst unseren Lebensmut?
Doch immer nur aus Erfahrungen. Aus Erfahrungen, die uns tragen und Hoffnung geben. Dafür ist uns die Sonne das vielleicht wichtigste Symbol. Die Sonne geht jeden Abend unter und geht dennoch nie wirklich unter. Und selbst die langen kalten Wintertage bringen sie nicht um.
Ich mache mir das Ergebnis meiner Überlegungen klar:
Die lange, lange Geschichte des Festes im Dezember nimmt mir die Einäugigkeit, mit der man kirchlich auf das Weihnachtsfest blickt, als sei es das Fest der Geburt des Gottessohnes Jesus Christus und nichts anderes. Und erst recht nimmt es mir jede Lust, mich mit dem heutigen Weihnachtsmannweihnachten abzufinden und zu begnügen.
Jahrtausende lang existierte das Fest als Sonnenkultfest. Dann, spätestens seit 274 n. Chr. feierte man im Römischen Reich ein Kaisersonnenkultfest. Danach wurde daraus ein Christuskultfest, nachdem die Christen bis dahin die Geburt Jesu Christi überhaupt nicht gefeiert hatten.
Ohne Ostern kein Christentum, ohne Weihnachtsfest schon! Das Weihnachtsfest im Dezember ist also überhaupt keine christliche Erfindung.
Mit diesem Blick, der Jahrtausende übersieht, entdecke ich, dass das Fest in unseren Tagen seinen Charakter als Christuskultfest verliert. Damit geht wieder einmal eine lange Epoche des Festes zu Ende. Man könnte das Fest, wie es sich zurzeit weltweit etabliert, ein Weihnachtsmannkultfest nennen.
Bleibt die Frage: Was feiere ich, wenn ich Weihnachten feiere? Was ist mir ein ausreichender Grund für dieses Fest? Die Sonne? Die Familie? Die Geschenke? Oder dieser Jesus Christus? Oder was sonst? Oder ist mir das völlig egal? Hauptsache feiern?
Ich muss dieses Buch schreiben. Ich muss das alles darlegen und die Leserinnen und Leser mit dieser Frage konfrontieren: Was feierst du, wenn du Weihnachten feierst?
Mein Buch wird nichts bringen, was nicht jeder wissen kann und viele ja auch wissen, darunter nicht wenige, die es besser wissen als ich.
Mein Buch soll zur Klarheit verhelfen. Mit diesem hilflosen Herumschwimmen zwischen gar nicht mehr wirklich verstandenen Traditionsresten und Gewohnheiten will ich mich nicht abfinden.
Der Gedanke an das Buch hat sich in mir eingenistet. Ab jetzt wird kein Tag mehr vergehen, ohne dass ich nicht daran denke werde, was da alles hinein muss und wie ich das alles darstellen soll.
Ich machte so etwas wie einen ersten Probelauf und setzte kurzfristig einen Vortrag in der Gemeinde an.
„Weihnachten – was feiern wir da eigentlich?“
Heute ist Sonnabend. Morgen kann ich die Veranstaltung in den beiden Gottesdiensten ankündigen. Mit zwei, drei Leuten kann ich eine Telefonkette in Gang setzen. Die Kita werde ich persönlich informieren.
Etwa 20 Personen erschienen zu meinem Vortrag. Damit konnte ich zufrieden sein. Aus der Kita kamen zwei. Na ja.
Als Einstieg erzählte ich von meinem Besuch in Newgrange, im Sommer dieses Jahres, wo man vor fünftausend Jahren schon am Tag der Wintersonnenwende im Dezember eine geweihte Nacht erlebte und das Leben feierte.