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Drei Säulen der bewaffneten SS – SS-»Leibstandarte«, SS-»Verfügungstruppe«, SS-»Totenkopf«-Standarten
Оглавление»Würden wir keine Blutopfer bringen und würden wir nicht an der Front kämpfen, hätten wir die moralische Verpflichtung verloren, in der Heimat auf Menschen, die sich drücken und feige sind, zu schießen. Dafür ist die Verfügungstruppe da.«
Rede Himmlers vor SS-Gruppenführern in München am 8. November 193833
Wenige Wochen nach der spektakulären Blutnacht des 30. Juni erneuerte Hitler seine alte Zusage an die Generalität: Die Reichswehr sei der einzige Waffenträger der Nation. Im Gegenzug akzeptierte die Reichswehrführung die Existenz einer bewaffneten Parteitruppe. Ein auf Hitlers Vorgaben beruhender Erlass von Reichswehrminister von Blomberg, datiert auf den 24. September 1934, versuchte die neue Frontlinie zwischen Heer und SS abzustecken. Demnach sollte die Allgemeine SS grundsätzlich unbewaffnet bleiben. Als Ausnahme nannte das Papier die Berliner SS-»Leibstandarte«, drei neu einzurichtende SS-Junkerschulen – von denen aber bis Kriegsbeginn nur zwei den Ausbildungsbetrieb aufnahmen – sowie die Politischen Bereitschaften, die sich inzwischen in Hamburg, Arolsen, Ellwangen und München formierten. Diese nach dem 30. Juni 1934 rasch auf Bataillonsstärke anwachsenden Verbände bezeichnete der Blomberg-Erlass erstmals gesamthaft als »SS-Verfügungstruppe«. Neben seinen drei Schützenstürmen durfte jeder dieser Sturmbanne durch einen Maschinengewehr- sowie einen Kradschützensturm verstärkt werden. Anders als die Berliner Leibstandarte sollten sie jedoch vorerst nicht zu Regimentern (Standarten) zusammengefasst werden. Deutlich erkennbar war das Bestreben der Generale, die neue bewaffnete Macht numerisch sowie organisatorisch zu begrenzen und sie zugleich dauerhaft zu kontrollieren. Hinsichtlich Besoldung und Dienstrecht stellte der Blomberg-Erlass die Angehörigen der SS-»Leibstandarte« und der SS-»Verfügungstruppe« den Soldaten der Reichswehr gleich, mit Blick auf die bereits geplante Einführung der allgemeinen Wehrpflicht sollte der Dienst in beiden Formationen der bewaffneten SS zukünftig als Wehrdienst gelten. Es durften jedoch nur Freiwillige rekrutiert und keine offizielle Werbung betrieben werden. Die Dienstzeit betrug bei den Mannschaften vier, bei Unterführern zwölf und bei den Offizieren sogar 25 Jahre. Außer der Leibstandarte und den sechs Sturmbannern gestattete die Reichswehr der SS-»Verfügungstruppe«, eine berittene Nachrichtenabteilung in noch festzulegender Stärke aufzustellen.
Mit einem eigenen Erlass bestätigte Hitler am 2. Februar 1935 noch einmal die Vereinbarung und konzedierte darin Himmler lediglich den Aufbau einer zusätzlichen SS-Pionierabteilung.34 Den Wunsch seines Paladins, aus der bewaffneten SS so bald wie möglich eine Division zu bilden und sie sogar mit schweren Waffen auszurüsten, wies der Diktator ausdrücklich ab. Dies sollte nach Hitlers Willen erst im Alarmierungs-oder Kriegsfall geschehen, wobei die zukünftige SS-Division aber weiterhin der Reichswehr unterstellt bleiben würde.35
Der Kompromiss war ein Musterbeispiel für Hitlers immer wieder mit Erfolg praktiziertes Machtkalkül der Schaffung von Reibungspunkten zwischen den ihm unterstehenden Paladinen und Sachwaltern. Die Führung der Reichswehr konnte sich immerhin einreden, die Kontrolle über die neue bewaffnete SS erhalten zu haben. Ihre Offiziere erhielten auch das Recht, regelmäßig den militärischen Ausbildungsstand der Truppe zu inspizieren. Zugleich aber band die offengehaltene Perspektive einer bei Bedarf zu bildenden SS-Division die Generalität an Hitler und machte sie von seinem Wohlwollen abhängig.
Aus Sicht der Reichswehr war zwar mit dem 30. Juni ein zunehmend gefährlicherer Konkurrent in Gestalt der Röhm’schen SA beseitigt worden, doch dürfte es selbst den überzeugten Nationalsozialisten Blomberg und Reichenau im Berliner Bendlerblock kaum entgangen sein, dass der so bieder wirkende Himmler der einzige Gewinner der Blutnacht war. Nur drei Wochen nach der Ausschaltung Röhms hob Hitler die bisherige Unterstellung der SS unter die SA auf und erklärte Himmlers in nur vier Jahren auf 250.000 Mitglieder angewachsene SS zur eigenständigen Organisation innerhalb der NSDAP. Sie war dem »Führer« damit direkt unterstellt. Auch wenn sich Himmler, der Sohn eines autoritären Münchener Gymnasialdirektors, studierter Agrarökonom und verhinderter Weltkriegssoldat, durch die Reichswehrführung vorerst noch in seinen militärischen Ambitionen gebremst sah, so war es ihm doch immerhin gelungen, im Blomberg-Erlass die Perspektive einer zukünftigen Erweiterung aufrechtzuerhalten. Durch die Zusicherung einer Verstärkung der politischen Polizei im Bedarfsfall um 25.000 SS-Männer hatte er sich zudem eine Hintertür offengelassen, um bei günstiger Lage mit diesem Reservoir eine Vergrößerung seiner bewaffneten Truppe zu betreiben. Auch die auf insgesamt 500 Lehrgangsteilnehmer ausgelegten Junkerschulen, die zukünftig in Bad Tölz und Braunschweig dem Nachwuchs der SS das militärische Handwerkszeug als Zugführer vermitteln sollten, verrieten Himmlers strategisches Ziel, seine bewaffnete SS einmal weit über den jetzt bewilligten Umfang hinaus zu vergrößern.36 Der erste achtmonatige Junkerlehrgang hatte bereits am 1. April 1934 in Bad Tölz mit 83 Teilnehmern begonnen.
Für Außenstehende kaum erfassbar hatte sich der Reichsführer-SS bereits über die SS-»Verfügungstruppe« hinaus ein zukünftiges militärisches Potenzial erschlossen, indem er Theodor Eicke, den Kommandanten von Dachau, mit der Organisation aller Konzentrationslager im Reich beauftragte. Der kaltblütige Mörder Röhms sollte sich dabei als durchsetzungsstarker Organisator bewähren, der nicht einmal davor zurückschreckte, sich gelegentlich mit Reinhard Heydrich, der gefährlichsten Gestalt der NS-Hierarchie, anzulegen. In einer bizarren Mischung aus pathologischem Hass gegen alle Regimegegner, Sadismus und notorischer Rücksichtslosigkeit selbst gegenüber Parteigenossen baute Eicke in kürzester Zeit eines der schlimmsten Terrorsysteme des 20. Jahrhunderts auf. Aus den provisorischen Lagern, die oft noch von der SA betrieben worden waren, bildete er zunächst sieben und bis zur Annektierung Österreichs vier große Lager für etwa 9000 Gefangene. Im März 1936 war seine Truppe aus Schlägern und Sadisten schon auf 3500 Mann angewachsen, die Eicke jetzt in drei Standarten organisierte und in Dachau (SS-Standarte »Oberbayern«), in Weimar (SS-Standarte »Thüringen«) sowie in Sachsenhausen (SS-Standarte »Brandenburg«) stationierte.
Auch der Personalbestand von SS-»Leibstandarte« und SS-»Verfügungstruppe« (VT) entwickelte sich sehr dynamisch. Bis Ende 1938 verdreifachte er sich von anfangs knapp 4000 auf mehr als 14.000 Mann. Der Andrang der Freiwilligen war groß. Der Wunsch, einer neuen militärischen Elite anzugehören, war ebenso mächtig wie die Anziehungskraft der schneidigen schwarzen Uniform. Himmler konnte sogar die Einstellungsvoraussetzungen verschärfen und die Mindestgröße der Bewerber auf 1,74 Meter erhöhen. Für die SS-»Leibstandarte« galt sogar ein Maß von 1,80 Meter als Aufnahmegrenze.37 Brillenträger hatten keine Chance. Das äußere Erscheinungsbild und der sogenannte Ariernachweis waren ausschlaggebend, Schulbildung und soziale Klasse spielten dagegen kaum eine Rolle und wurden von Himmler sogar demonstrativ in ihrer Bedeutung heruntergespielt.38
Der rasante Aufwuchs seiner bewaffneten SS bedeutete durchaus keinen Bruch der im Herbst 1934 getroffenen Vereinbarung mit der Reichswehr. Er resultierte vielmehr aus der Tatsache, dass der im Blomberg-Erlass der SS eingeräumte personelle Spielraum überhaupt erst ausgeschöpft werden musste. So bestand die spätere SS-Standarte »Deutschland« Mitte 1934 aus einem etwa 500 Mann starken Sturmbann in den Mauern der einstigen württembergischen Unteroffizierschule in Ellwangen. Ihr Kommandeur war der ehemalige Reichswehrhauptmann Felix Steiner. Der Weltkriegsoffizier sollte einer der prägenden Figuren der zukünftigen Waffen-SS werden und bis Kriegsende zum SS-Obergruppenführer und Armeeoberbefehlshaber aufsteigen. Geprägt durch seine Erfahrungen als Leutnant an der Westfront, wo gegen Ende des Krieges hochbewegliche Stoßtrupps eine immer wichtigere Rolle gespielt hatten, war der Ostpreuße Steiner ein glühender Verfechter des Gefechts kleiner Kampfgruppen. Sie sollten sich schnell und gut getarnt auf dem Gefechtsfeld bewegen und damit für die schweren Waffen des Gegners kaum fassbar sein. Zusammengestellt aus den besten Soldaten aller Verbände und besonders für den Nahkampf mit Handgranate, Maschinenpistole und Spaten ausgebildet, verkörperten die Angehörigen der SS-»Verfügungstruppe« nach den Vorstellungen Steiners einen neuen elitären Soldatentypus. Die traditionellen Ausbildungsmethoden der Reichswehr lehnte Steiner als alte Zöpfe ab. Den verhassten Kasernenhofdrill ersetzten täglicher Sport und häufige Geländedienste. Zum Teil kam es aber auch zu skurrilen Experimenten. So etwa übernahm der gesamte Sturmbann eine besondere Form des Marschierens, das sogenannte Schefflern, das seinen Namen dem gleichnamigen Sportlehrer und SS-Hauptsturmführer Wilhelm Scheffler verdankte und später sogar zur olympischen Disziplin avancierte. Tatsächlich ließen sich durch diese Form des Gehens bei Vergleichswettbewerben mit Heeresverbänden spektakuläre Erfolge erzielen, doch Steiner erkannte schon bald die Untauglichkeit dieser Methode für militärische Zwecke und ließ sie nach einiger Zeit wieder vom Dienstplan verschwinden.39
Die beiden anderen Sturmbanne der späteren SS-Standarte »Deutschland« formierten sich erst im Winter 1934/35 in München und Dachau. Der Dachauer Verband bildete eine Besonderheit. Er bestand anfangs zum großen Teil aus Österreichern, die nach dem gescheiterten Putsch gegen die Regierung »Dollfuß« nach Deutschland geflohen waren. Nur die Offiziere waren Reichsdeutsche. Da seine Angehörigen durch ihre Flucht und den illegalen Grenzübertritt staatenlos geworden waren, wurde dieser Sturmbann anfangs als »SS-Legion« oder als »Hilfswerk Österreich« bezeichnet.40
Ein Bericht des Bayerischen Wehrkreiskommandos, das Offiziere zur Inspektion in beide Sturmbanne geschickt hatte, zog im Juli 1935 eine gemischte Bilanz. So sei Steiners Bataillon zwar inzwischen personell auf vollen Stand gebracht. Doch die Ausrüstung mit Waffen und Gerät lasse noch zu wünschen übrig und ermögliche derzeit noch keine mobile Verwendung. Auch habe bisher noch keine Gefechtsausbildung im Zug- und Kompanierahmen stattgefunden. Der Ausbildungsstand des Dachauer Sturmbanns sei sogar noch geringer. »Im Gesamten ist festzustellen, dass ein gewisses strammes äußeres Bild (gesteigert durch sehr guten Ersatz von ausgesuchten Größenmaßen und gute Bekleidung) nicht täuschen darf über Mangel an Gründlichkeit und Erfahrung.«41
Auch in Norddeutschland hatten sich erst im Januar 1936 in den Standorten Hamburg, Arolsen und Soltau drei bewaffnete Sturmbanne mit Unterstützungstruppen gebildet.
Als Himmler am 1. Oktober 1936 befahl, alle sechs Sturmbanne der SS-»Verfügungstruppe« nun doch zu zwei SS-Standarten mit den Bezeichnungen »Germania« und »Deutschland« zusammenzufassen, akzeptierte die damals in voller Aufrüstung befindliche Wehrmacht diesen ihr nicht dramatisch erscheinenden Verstoß gegen den Blomberg-Erlass. Auch an der zeitgleichen Einrichtung einer neuen Inspektion der SS-»Verfügungstruppe« nahm die Generalität keinen Anstoß, da der nunmehr rasche Aufwuchs des Heeres Himmlers Truppe ohnehin zu marginalisieren schien.42 Kommandeur der »Germania« in Hamburg wurde SS-Standartenführer Karl Maria Demelhuber, ein damals 40-jähriger Bayer, der nach dem Weltkrieg und seiner Zeit als Freikorpssoldat in der bayerischen Polizei Karriere gemacht hatte und erst 1935 zur SS gekommen war. Den Befehl über die SS-Standarte »Deutschland«, die in der neuen Kaserne in München-Freimann untergebracht wurde, übernahm der reformfreudige SS-Standartenführer Felix Steiner.
Dass Himmler den ehemaligen Generalmajor der Reichswehr, Paul Hausser, zum Chef der neuen Inspektion der SS-»Verfügungstruppe« ernannte, dokumentiert einen gewissen Lernprozess. Ganz auf militärische Professionalität wollte der Visionär eines zukünftigen »nordischen Ordens des guten Blutes« nun doch nicht verzichten. Auch ein nach rassischen Gesichtspunkten ausgesuchtes Personal schien nicht automatisch gute Soldaten zu ergeben. Der 1880 in Brandenburg an der Havel als Sohn eines preußischen Offiziers geborene Hausser war Zögling der Hauptkadettenanstalt in Lichterfelde gewesen und hatte im Weltkrieg als Generalstabsoffizier auch in Frontkommandos gedient. Nach seiner Zeit im Grenzschutz »Ost« war Hausser im Rang eines Hauptmanns in die Reichswehr übernommen worden und nach einer respektablen Karriere als Regimentskommandeur und Infanterieführer in Magdeburg 1932 bei Erreichen der regulären Altersgrenze mit dem Charakter eines Generalleutnants aus dem Dienst ausgeschieden. Über Stahlhelm und SA war der General im Ruhestand im November 1934 schließlich zu Himmlers SS gekommen. Da sich seine Hoffnungen auf eine Wiederaufnahme in die Reichswehr nicht erfüllt hatten, musste Hausser mit der für ihn kaum befriedigenden Aufgabe vorliebnehmen, die zweite SS-Junkerschule in Braunschweig aufzubauen und zunächst als Kommandeur zu leiten. Auch die zweite Position dürfte kaum nach seinem Geschmack gewesen sein. Als neuer Inspekteur der SS-»Verfügungstruppe« besaß Hausser keine unmittelbare Befehlsgewalt über ihre zwei Standarten, und sein Stab bestand nur aus einem Dutzend Offizieren. Genaue Vorgaben für seine Dienststellung gab es offenbar nicht, was der General jedoch mit Gleichmut hinzunehmen schien. Im Rückblick meinte er, niemand habe ihm gesagt, was aus diesen Verbänden werden sollte, und er habe auch nicht danach gefragt, sondern sich einfach darauf konzentriert, den »Laden in Ordnung zu bringen« und die Regimenter richtig auszubauen.43
Wiederholt geriet Hausser, der nur den Dienstgrad eines SS-Brigadeführers besaß, in seiner Rolle als Inspekteur mit dem ranghöheren Dietrich aneinander. Der glaubte sich bei seinen Extratouren durch Himmler und den »Führer« gedeckt und setzte sich gewöhnlich über Haussers Anweisungen, sofern sie ihm nicht passten, schlicht hinweg. Der Streit zwischen dem früheren bayerischen Vizefeldwebel und dem vormaligen preußischen General eskalierte im Mai 1938, als nach der Annektierung Österreichs auch Dietrichs SS-»Leibstandarte« wie die beiden anderen Standarten der SS-»Verfügungstruppe« jeweils einen Sturmbann zum Aufbau der sich in Wien, Graz und Klagenfurt bildenden dritten SS-Standarte »Der Führer« abstellen sollte. Hausser musste sogar mit seinem Rücktritt drohen, um Himmler zu veranlassen, Dietrichs fortgesetzte Eigenmächtigkeiten endlich zu beenden. Das gelang zwar nie ganz, aber immerhin gab der Kommandeur der SS-»Leibstandarte« in der Frage der Abstellung schließlich nach. Am 15. Mai 1938 verabschiedete Dietrich das befohlene Kontingent von 450 Männern nach Graz, wo sie das Stammpersonal des II. Sturmbanns der neuen SS-Standarte bilden sollten. Obersturmbannführer Georg Keppler, bisher Führer des I. Sturmbanns in der Standarte »Deutschland«, avancierte zum Kommandeur der österreichischen Standarte, die bis Ende 1938 auf knapp 2500 Mann anwuchs.
Wie nah der Preuße Hausser den weltanschaulichen Grundsätzen der SS gestanden hat, ist nicht klar. Für die ideologische Schulung der Truppe, für Himmler ein ständiges Anliegen, war nicht seine Inspektion zuständig, sondern das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt. Hausser brauchte hier keine Farbe zu bekennen. In einem Schreiben an Himmler empfahl der General im März 1943 allerdings die Rückversetzung eines sonst gut bewährten Heeresoffiziers, da dieser den Grundsätzen und Zielen der SS fremd geblieben sei.44 Hausser zögerte allerdings nicht, sich vor seine Leute zu stellen, wenn diese, wie im Fall des Taktiklehrers an der Braunschweiger Junkerschule, Friedemann Goetze, von Vertretern der Partei aus politischen Motiven angegriffen wurden.45 Goetze wurde noch Kommandeur der Schule und schied 1939 altersbedingt aus dem Dienst.
Aus verständlichen Gründen hat der zuletzt zum Generaloberst der Waffen-SS aufgestiegene Hausser nach dem Krieg seinen Gegensatz zu Himmler weit überzeichnet. Dessen Ideen von der Bildung einer »rassischen Elite« tat er später als bloße Hirngespinste ab. Er denke eben nur wie ein General, soll der Reichsführer ihm im Gegenzug des Öfteren vorgeworfen haben. Am glaubwürdigsten erscheint noch die Kritik des preußischen Offiziers an Himmlers politischer Rhetorik. Sie sei theatralisch, schwülstig und impulsiv gewesen.46 Den antisemitischen Kurs des Reichsführers-SS und die scharfe Verfolgung Andersdenkender durch Sicherheitsdienst und Gestapo wird Hausser allerdings, wie sämtliche Größen des Dritten Reiches, in groben Umrissen gekannt und insgeheim sogar gebilligt haben. In wenigstens einem Fall berührten die Ungeheuerlichkeiten des Regimes seinen Dienstbereich unmittelbar. Der II. Sturmbann der SS-Standarte »Deutschland« war in Dachau immerhin in unmittelbarer Nähe zum dortigen Konzentrationslager stationiert, und während des Krieges sollte es sogar zu einer regelmäßigen Personalergänzung der Waffen-SS aus Eickes Totenkopfverbänden kommen. Hausser will das erst nach dem Krieg erfahren haben, was absolut unglaubwürdig erscheint.47 Gewiss dürfte sich in der Truppe auch rasch herumgesprochen haben, dass an den antijüdischen Pogromen im November 1938 in Wien Angehörige der dortigen SS-Verfügungstruppe beteiligt waren und dass sich der Kommandeur des Wiener Sturmbanns, »SS-Obersturmbannführer Wilhelm Bittrich, in der vornehmen Wiener Villa des inzwischen »reichsflüchtigen« jüdischen Generaldirektors Dr. Benno Schwoner einquartiert hatte. Proteste oder gar Disziplinarmaßnahmen seitens Haussers Inspektion sind nicht überliefert. Der pingelige Reichsführer-SS drängte lediglich darauf, dass das kostbare Mobiliar des Wiener Industriellen zugunsten der Reichskasse versteigert werden musste.48
Tatsache war, dass sich Hausser in kritischen Lagen seinen militärischen Sachverstand bewahrte. So brachte er, wie bereits erwähnt, nur zwei Wochen nach dem Untergang der 6. Armee – im Gegensatz etwa zu den Heeresoffizieren Manstein und Paulus – den Schneid zu mutigen operativen Entscheidungen selbst gegen Hitlers ausdrücklichen Willen auf. Als Kommandeur des neuen SS-Panzerkorps räumte Hausser am 15. Februar 1943 die vor ihrer Einkesselung stehende Stadt Charkow in der Ukraine. Er ignorierte damit einen klaren Führerbefehl, rettete aber seine Truppe.
In der Truppenausbildung schwor der hoch aufgeschossene General auf preußische Grundsätze und versuchte die Vorschriften der Reichswehr auch gegen Steiners Kritik und Dietrichs notorische Indolenz durchzusetzen. Tatsächlich gab es sichtbare Erfolge, auch wenn Himmlers stolze Verkündung auf einer SS-Gruppenführerbesprechung in München im November 1937, dass die SS-»Verfügungstruppe« nach den Maßstäben der heutigen Wehrmacht kriegsverwendungsfähig sei, etwas vollmundig klang. Vor allem Dietrichs Leibgardisten wiesen immer noch erhebliche Ausbildungsmängel auf und wurden selbst innerhalb der SS noch lange als »Asphaltsoldaten« verspottet.
Die Finanzierung der SS-»Verfügungstruppe« war seit dem Blomberg-Erlass von 1934 erstmals auf eine solide Basis gestellt. Die notwendigen Gelder sollten zukünftig aus dem Etat des Reichsinnenministeriums kommen und wurden für das Haushaltsjahr 1935/36 auf immerhin 50 Millionen Reichsmark festgesetzt. Bewaffnung und Ausrüstung der Politischen Bereitschaften verbesserten sich damit spürbar gegenüber der chaotischen Anfangszeit, als etwa der im württembergischen Ellwangen stationierte Sturmbann noch mit Waffen aus dem Ersten Weltkrieg üben musste und bei fast allen Lieferanten im Standort hoch verschuldet war.49 Seit 1937 trugen auch die Angehörigen der SS-»Leibstandarte« und der SS-»Verfügungstruppe« im Ausbildungsdienst die feldgraue Uniform des Heeres, behielten aber auf Himmlers ausdrücklichen Befehl ihre SS-Dienstgradabzeichen.50
Himmlers Motive zur Aufstellung einer Nebenarmee waren von Anfang an vielschichtig. Offiziell sollte seine neue Verfügungstruppe in der Lage sein, als »Staatsschutz« jederzeit gewaltsam gegen mögliche innere Feinde vorzugehen. Der 30. Juni 1934 hatte die Blaupause für diese Option geliefert. Noch fühlte sich das Regime nicht fest genug im Sattel, und die Möglichkeit, sogar einmal gegen Teile der deutschen Bevölkerung bewaffnet vorgehen zu müssen, hatte Himmler ebenso wie Hitler nie ausgeschlossen. Es könne einmal Unruhen geben, argwöhnte der längst zum Krieg entschlossene Diktator im März 1938 zu Dietrich, »dann würde brutal von dieser Truppe zugeschlagen«.51 Das Trauma vom November 1918 saß tief. Einen zweiten »Dolchstoß« des Volkes sollte es nicht geben. Andere Parteigrößen aber mussten sich inzwischen die Frage stellen, ob sich Himmlers Truppen tatsächlich unter allen Umständen für ihren »Führer« in die Bresche werfen würden. Der Reichsführer, der seit 1936 schon die gesamte deutsche Polizei unter seiner Kontrolle hatte, stand unter dem Verdacht, sich ein eigenes Imperium innerhalb des Regimes aufbauen zu wollen, um Letzteres im geeigneten Moment wie eine brüchige Schale abzuwerfen. Himmlers biedere und pedantische Art, sein oft belächelter Hang zu esoterischen Lehren konnten Eingeweihte kaum über seine unglaubliche Geschmeidigkeit in Verhandlungen und seinen gewaltigen politischen Ehrgeiz hinwegtäuschen. Selbst Angehörige des Widerstandes wie der Legationsrat Ulrich von Hassell spekulierten seit der deutlichen Kriegswende von 1942/43 auf einen Seitenwechsel der SS, und tatsächlich hat es im August 1943 durch den ehemaligen preußischen Finanzminister Johannes Popitz einen direkten Kontakt zu Himmler gegeben, der angeblich nicht ungünstig verlaufen ist.52
Die Reichswehr wiederum mochte sich zunächst mit einer Aufgabenteilung zufriedengeben, nach der Himmlers bewaffnete Kräfte nur für den Einsatz im Inneren vorgesehen waren, während das Heer weiterhin den »äußeren Schild des Reiches« bildete. Doch die Skepsis, dass die im Entstehen begriffene SS-»Verfügungstruppe« der Kern einer zukünftigen nationalsozialistischen Armee sei, die einmal weitaus gefährlicher sein könnte als Röhms SA es je gewesen war, blieb weiterhin wach. Generaloberst von Fritsch sah in der bewaffneten SS sogar einen »lebendigen Misstrauensbeweis gegen das Heer«. Seine Inspekteure mussten übereinstimmend feststellen, dass sich die SS-»Verfügungstruppe« in geradezu bewusstem Gegensatz zum Heer entwickle.53 Wozu überhaupt benötigte die SS zwei Junkerschulen mit einer Gesamtkapazität von jährlich 500 Absolventen, wenn doch schon zwei Dutzend militärisch ausgebildete Abgänger als Führungskader für die bewaffnete SS vollkommen ausreichten? Anstoß erregte aufseiten der Militärs auch Himmlers Weisung, dass nur Bewerber, die schon in der Reichswehr gedient hatten, und vor allem auch Reserveoffiziere in die Verfügungstruppe aufzunehmen seien.54 Damit drohten im Mobilisierungsfall diese wertvollen Reservisten für das Heer verloren zu gehen. Eine Denkschrift aus dem Reichswehrministerium warnte schon im Oktober 1934 davor, dass Himmlers gegenwärtige Loyalitätsbekundungen gegenüber dem Heer keinesfalls die Gefahr einer zukünftigen Bewaffnung der gesamten SS ausschließen würden.55 Den von Himmler gewünschten Austausch von Offizieren mit der SS-»Verfügungstruppe« lehnte die Heeresleitung daher ab, und das Wehrkreiskommando VII in München unterbrach im Oktober 1934 erst einmal auch jede weitere Ausbildung von SS-Führungspersonal bei der Truppe.56
Doch gegen die einmal getroffene Entscheidung der Reichswehrführung, prinzipiell eine bewaffnete SS-Truppe zuzulassen, konnte auch das Heer nicht auf Dauer opponieren. Es wurde allerdings recht schnell deutlich, dass Himmler eine konsistente Strategie der Massenbewaffnung seiner Organisation gar nicht zu verfolgen schien. Im Kern hielt er sich getreulich an alle Vereinbarungen mit der Wehrmacht. Auch Himmlers 1938 kurzzeitig verfolgter Plan, aus der SS-»Verfügungstruppe« eine Fallschirmjägertruppe zu bilden, sprach eher für eine gewisse Flexibilität seiner militärpolitischen Zielsetzungen. Das abenteuerlich klingende Projekt scheiterte allerdings bald am Veto Görings.57
Hitler wiederum war lange ein strikter Gegner einer Ausweitung der SS-»Verfügungstruppe« über den erreichten Stand hinaus. Selbst nachdem der kritische Generaloberst von Fritsch durch eine dilettantische Intrige Heydrichs gestürzt worden war, erklärte der Diktator in einem Gespräch mit Dietrich in Wien im März 1938, dass mit der Aufstellung der vierten SS-Standarte »Der Führer« der Aufbau der Verfügungstruppe beendet sei. Er wolle diese »Elite« unbedingt klein halten, denn sonst sei es keine »Elite« mehr.58
In einem neuerlichen Erlass bekräftigte Hitler am 17. August desselben Jahres, dass SS-»Leibstandarte« und SS-»Verfügungstruppe« weder ein Teil der Wehrmacht noch der Polizei seien, sondern ausschließlich zu seiner persönlichen Verfügung stünden und zur Lösung von »Sonderaufgaben« vorgesehen seien. Nach der brutalen Logik des Regimes aber musste sich das neue Staatsschutzkorps zuvor unbedingt an der Seite der Heeresverbände in den zukünftigen Kriegen bewähren. Himmler brachte es im November 1938 ganz unverblümt in einer Rede vor seinen SS-Gruppenführern zum Ausdruck: »Würden wir keine Blutopfer bringen und würden wir nicht an der Front kämpfen, hätten wir die moralische Verpflichtung verloren, in der Heimat auf Menschen, die sich drücken und feige sind, zu schießen. Dafür ist die Verfügungstruppe da.«59
Voraussetzung war eine militärische Professionalisierung innerhalb der gesetzten Grenzen. Dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, General der Artillerie Wilhelm Keitel, befahl Hitler daher, die jederzeitige Einsatzbereitschaft von SS-»Leibstandarte« und SS-»Verfügungstruppe« nach innen wie nach außen durch jede Art von Unterstützung sicherzustellen.60 SS-Offiziere erhielten nun auch Zugang zu Lehrgängen des Heeres für Stabsoffiziere. Außerdem musste das Heer das benötigte Material für die Motorisierung der gesamten SS-»Verfügungstruppe« zur Verfügung stellen. So konnte die SS-Standarte »Deutschland« am 2. Oktober 1938 schon in voller Kriegsstärke an der Seite der Heeresverbände an der Besetzung des Sudetenlandes teilnehmen. Demelhubers »Germania« wurde nur einige Monate später motorisiert und rückte im März 1939 im Verband der 4. Infanterie-Division in die »Resttschechei« ein.61
Inzwischen hatte Hitler der SS-»Verfügungstruppe« auch die Erlaubnis erteilt, die Truppenübungsplätze des Heeres ohne die üblichen Sicherheitsvorkehrungen zu nutzen. Die Zeit der feucht-fröhlichen Betriebsausflüge mit militärischem Zusatzprogramm war endgültig vorbei, und selbst Dietrichs »Asphaltsoldaten« hatten sich dem Zwang zur soldatischen Professionalisierung zu beugen. Himmlers Krieger durften nun sogar Übungen mit scharfer Munition und regelrechtem Artillerieeinsatz durchführen. Die erwartbaren Verluste sollten dabei in Kauf genommen werden.62 Eine Gefechtsvorführung der SS-Standarte »Deutschland« auf dem Truppenübungsplatz Munsterlager verblüffte im Mai 1939 den Diktator und seine Begeiter. Steiners Männer überwanden in ihren neuen gefleckten Tarnjacken in raschen Sprüngen und selbst für Beobachter mit einem Scherenfernrohr kaum auszumachen, in nur 20 Minuten eine Angriffsstrecke von drei Kilometern. Dass Hitler bei der anschließenden Besprechung tatsächlich mit Steiners Grundsätzen nicht einverstanden war, wie der General nach dem Krieg schrieb,63 erscheint eher unwahrscheinlich, denn schon unmittelbar danach muss der Diktator den Befehl erteilt haben, Himmlers Truppe endlich zu einer Division zusammenzufassen.
Hitlers neuer Erlass vom 18. Mai 1939 steckte dazu den neuen Rahmen ab. Er legte Art und Umfang der Divisionstruppen fest, bestimmte, dass Haussers Inspektion zu einem Divisionsstab erweitert werden sollte, und setzte als neue Obergrenze der SS-»Verfügungstruppe« eine Stärke von 20.000 Mann fest. Im Frieden sollte auch Dietrichs Leibstandarte der neuen SS-Division angehören, doch Hitler behielt sich die Entscheidung vor, bei einer Eingliederung der Division im Kriegsfall unter das Oberkommando des Heeres seine Prätorianer wieder aus dem Verband herauszuziehen.64 Unterstützt von dem in Jüterbog stationierten Artillerie-Lehrregiment der Wehrmacht, formierte sich mit beeindruckender Schnelligkeit auf dem dortigen Truppenübungsplatz seit Juni 1939 das erste Artillerie-Regiment der SS-»Verfügungstruppe«. Das Personal des auf eine Stärke von 2000 Mann festgelegten Verbandes kam aus sämtlichen Standarten der SS-»Verfügungstruppe«, ihr erster Kommandeur, Major Peter Hansen, war eine Leihgabe des Heeres und bis dahin Führer der schweren Artillerieabteilung 50 gewesen. Mitglied der SS wurde er jedoch nicht. Zunächst sollte das neue SS-Regiment nur aus drei leichten, mit der Feldhaubitze 18 (Kaliber 10 cm) ausgestatteten Artillerieabteilungen bestehen. Zu einem späteren Zeitpunkt war die Ausstattung des Regiments mit Selbstfahrlafetten vorgesehen.
Die Schießausbildung wurde anscheinend bis Anfang August 1939 zu einem gewissen Abschluss gebracht. Voller Stolz zitiert Otto Weidinger, der letzte Kommandeur des 4. SS-Panzergrenadier-Regiments »Der Führer«, in seinem mehrbändigen Rechtfertigungswerk das Urteil des offenbar konsternierten Kommandierenden Generals des VIII. Armee-Korps, General der Infanterie Ernst Busch: Das SS-Artillerie-Regiment sei »voll feldverwendungsfähig« und man habe offenbar ein militärisches Wunder vollbracht.65 Unmittelbar nach diesem Erfolg setzte aber schon der Abtransport aller Einheiten nach Ostpreußen ein. Die Zusammenfassung aller Verbände der SS-»Verfügungstruppe« zu einer Division wurde auf die Zeit nach dem Krieg gegen Polen vertagt.
Hitlers geheimer Erlass vom 17. August 1938 hatte auch erstmals SS-Verfügungstruppe und SS-Totenkopfverbände in einen gemeinsamen Einsatzkontext gesetzt.66 Eickes Truppe, die durch die Aufstellung der vierten SS-Totenkopfstandarte »Ostmark« inzwischen auf 8500 Mann gewachsen war, fand sich nunmehr ausdrücklich aus der Polizei herausgelöst und wie die SS-»Verfügungstruppe« dem Diktator für etwaige »Sonderaufgaben« direkt unterstellt. Dazu zählte offenbar auch die Infiltration von feindlichem Territorium. Denn noch vor Einmarsch in das Sudetenland waren zwei Sturmbanne der SS-Totenkopfstandarte »Oberbayern« Ende September 1938 auf tschechoslowakisches Gebiet vorgedrungen, um das Freikorps Henlein zu unterstützen.67 Nur ein halbes Jahr später bildete auf Himmlers Befehl der III. Sturmbann der SS-Standarte »Brandenburg« den Kern der »Heimwehr Danzig«, die sich in der freien Stadt als Untergrundformation für den bevorstehenden Krieg mit Polen bereithalten sollte.68
Die gemeinsame militärische Zukunft beider SS-Formationen spiegelt sich aber vor allem in der Bestimmung des August-Erlasses wider, dass im Kriegsfall der Personalersatz für die Verbände der SS-»Verfügungstruppe« auch aus den Stämmen der Totenkopfverbände kommen durfte. Damit schien das drängende Problem der militärischen Reserven für die Standarten der SS-»Verfügungstruppe« vorerst gelöst, denn die Stämme der Totenkopfverbände verfügten immerhin über eine Personsalreserve von 50.000 Mann, auf welche die Wehrmacht keinen Zugriff mehr besaß. Die kaum noch zu kaschierende Amalgamierung beider Säulen der bewaffneten SS, die Zusammenführung der selbst ernannten militärischen Elite des Regimes mit seinen von Theodor Eicke gedrillten Totschlägern und Folterknechten, war schon durch die gemeinsame Ausbildung beider Führerkorps an den SS-Junkerschulen in Braunschweig und Bad Tölz vorgezeichnet. Fast zehn Prozent der Absolventen beider Ausbildungsstätten kamen bereits in den Jahren 1936 und 1937 als militärisch geschultes Führungspersonal zu Eickes Totenkopfverbänden. Im Jahr darauf erhöhte sich der Anteil sogar auf 18 Prozent.69 Auch die Herauslösung des KZ-Personals für zukünftige frontnahe Verwendungen findet sich in dem Erlass vom 17. August 1938 bereits vorbereitet. Im Mobilisierungs- oder Kriegsfall sollte das Wachpersonal demnach durch ältere Angehörige der Allgemeinen SS ersetzt werden. Himmler ging im Februar 1939 sogar noch weiter und ließ, gedeckt durch die Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938, verstärkt Angehörige der Allgemeinen SS zu den Totenkopfverbänden einziehen. Zudem versuchte er auch Soldaten der SS-»Verfügungstruppe«, die inzwischen ihre vierjährige Dienstzeit beendet hatten, mit der Aussicht auf Beförderung zum Unterscharführer (Leutnant) für den Eintritt in die Totenkopfverbände zu gewinnen.70 Auf diese Weise erreichte Theodor Eickes Truppe im Sommer 1939 bereits einen Personalstand von 22.000 Mann und verfehlte damit nur knapp die im Erlass vom 18. Mai 1939 genannte Höchstgrenze von 25.000 Bewaffneten. Die Totenkopfler waren nunmehr komplett mit Karabinern sowie Maschinenpistolen ausgestattet. Außerdem verfügte Eicke inzwischen über einen Bestand von mehr als 800 leichten oder schweren Maschinengewehren.71
Blick über die SS-»Leibstandarte Adolf Hitler« zur Ehrentribüne auf dem 6. Reichsparteitag am 10. September 1934.
Ende August 1939 setzte Eicke auf Himmlers Befehl seine drei besten Totenkopfverbände (»Oberbayern«, »Brandenburg« und »Thüringen«) nach Polen in Marsch, um hinter der Front einen vorerst noch geheimen Auftrag zu erfüllen. Die Terrorherrschaft gegen Regimegegner und angeblich Minderwertige, die sie bislang in ihren Lagern ausgeübt hatten, sollten sie nunmehr auf die in Kürze zu besetzenden Gebiete in Polen ausdehnen. Ihre neuen Opfer waren Juden, Kleriker und Angehörige der polnischen Elite. Zusammen mit der SS-»Verfügungstruppe« und der SS-»Leibstandarte« hatte Himmler nunmehr 40.000 Mann unter Waffen, was einer Verzehnfachung gegenüber dem Stand von 1934 entsprach. Doch verglichen mit den 2,75 Millionen Mann des Heeres, die sich gegliedert in 102 Divisionen in der letzten Augustwoche zwischen Ostsee und Karpaten bereit machten, Hitlers ersten Krieg zu führen, erschienen ihre auf drei Armeen verstreuten Standarten kaum noch wie eine militärische Elite. Eher bildeten sie in den Augen der Heeresgenerale ein lästiges Anhängsel, das besondere und stetige Aufsicht erforderte.