Читать книгу Ich bringe mich um! - Klaus Kamphausen - Страница 7

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Das treffende Wort

Selbstmord.

Freitod.

Suizid.

Selbsttötung.

Das in der Umgangssprache immer noch geläufigste und meistgebrauchte Wort ist „Selbstmord“. Während im Mittelalter noch von „Selbst-Entleibung“ gesprochen wurde, taucht der Begriff „Selbstmord“ das erste Mal zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf. Die erste schriftliche Aufzeichnung des Wortes „Selbstmord“ ist 1643 bei dem Theologen Johann Conrad Dannhauer belegt. Vermutlich geht das Wort auf Martin Luthers Formulierung aus dem Jahr 1527 zurück: „sein selbs mörder“ (seiner selbst Mörder).

Aber schon der Kirchenvater Aurelius Augustinus nennt in seinem Werk „De civitate Dei“, „Vom Gottesstaat“, im 4. Jahrhundert den Selbstmord („morte voluntaria“) einen Mord.

Ein Mord ist ein Kapitalverbrechen. Meist eine Tat aus Heimtücke oder niedriger Gesinnung. Der Gebrauch des Wortes „Selbstmord“ rückt den Menschen, der sich das Leben genommen hat, automatisch in die Nähe des Verbrechers. Er hat etwas Verbotenes getan. Er hat ein Verbrechen begangen. An sich. An anderen. Er hat sich selbst und andere mit dieser Tat bestraft. Das Wort „Selbstmord“ bringt so eine extrem negative Bewertung und Verurteilung mit sich, selbst wenn diese von dem Menschen, der das Wort benutzt, nicht beabsichtigt ist.

Der zweite Grund, den Begriff „Selbstmord“ abzulehnen, ist einfach vom Verständnis der Sprache zu erklären. Zu einem Mord gehören immer mindestens zwei Personen: der Mörder, also der Täter, und sein Opfer. Wenn sich aber ein Mensch umbringt, ist nur eine Person beteiligt. Diese ist zugleich Täter und Opfer. Diese eine Person fasst den Entschluss, sie führt den Tod durch eigene Hand oder Handlung herbei und erleidet ihn.

Das Wort „Freitod“ geht auf Friedrich Nietzsches Werk „Also sprach Zarathustra“ (1884) zurück. In der „Rede vom freien Tode“ heißt es:

„Viele sterben zu spät, und einige sterben zu früh. Noch klingt fremd die Lehre: ,stirb zur rechten Zeit!‘ (…)

Wichtig nehmen Alle das Sterben: aber noch ist der Tod kein Fest. Noch erlernten die Menschen nicht, wie man die schönsten Feste weiht.

Den vollbringenden Tod zeige ich euch, der den Lebenden ein Stachel und ein Gelöbnis wird.

Seinen Tod stirbt der Vollbringende, siegreich, umringt von Hoffenden und Gelobenden.

Also sollte man sterben lernen; und es sollte kein Fest geben, wo ein solcher Sterbender nicht der Lebenden Schwüre weihte! (…)

Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will.

Und wann werde ich wollen? – Wer ein Ziel hat und einen Erben, der will den Tod zur rechten Zeit für Ziel und Erben.“1

Der Gebrauch des Wortes „Freitod“ beinhaltet eine freie Entscheidung des Handelnden. Ob diese Freiheit bei verzweifelten, depressiven, schwer kranken Menschen wirklich gegeben ist, bleibt bis heute Streitpunkt. Durch die Vermeidung des Wortes „Freitod“ soll dieser Diskussion nicht vorweggegriffen werden.

Das Wort „Suizid“ vom Lateinischen „sui caedere“, „sich töten“, ist ein neutraler, meist von der Wissenschaft und der Medizin genutzter Begriff. Er ist klinisch, kühl, ohne Anklang an Leben oder Tod, ohne Ahnung für diese einmalige und gewaltige Tat.

„Selbsttötung“ ist die mehr oder weniger eingedeutschte Version des Begriffs „Suizid“. Mit dem Wort „Selbsttötung“ lässt sich (nach Meinung des Autors) das Thema möglichst vorurteilsfrei, wertfrei, objektiv und neutral beschreiben. Es beinhaltet das „Selbst“ und die „Tötung“. Zum eindeutigen Verständnis sei hinzugefügt: Wenn von „Selbsttötung“ die Rede ist, dann ist sie natürlich im Sinne einer nicht von einer dritten Person erzwungenen Selbsttötung gemeint.

Verbale Konstruktionen sind oft noch treffender als die oben angeführten Substantive. Sie transportieren das aktive Handeln der Person deutlicher und unmittelbarer.

Zwei Ausnahmen sind jedoch die Formulierungen „Hand an sich legen“ und „sich das Leben nehmen“. Beide Redewendungen sind extrem verharmlosend. Wie oft legt jeder Mensch am Tag Hand an sich, wenn er sich die Hände wäscht, wenn er sich kratzt, wenn er sich die Nase putzt, wenn er sich durch die Haare fährt. Hand an sich legen ist eine alltägliche, harmlose, oft nützliche Tätigkeit. Das Gleiche gilt für das Verb „nehmen“. Ich nehme mir einen Kaffee, einen Apfel, eine Zeitung …

Keine dieser beiden Formulierungen trifft das, wovon in diesem Buch die Rede sein soll.

Der Titel dieses Buches verharmlost nicht.

„Ich bringe mich um!“ ist eine Aussage, die jeden auf der Stelle erbeben, erschrecken, erzittern lässt. Die niemanden unberührt lässt. Die vier Worte treffen wie ein schwerer Schlag. Sie tragen die Energie, die Gewalt, das Zerstörerische, das Unumkehrbare, das Endgültige, das Einmalige, das Folgenreiche, aber auch die Verzweiflung, die Ausweglosigkeit, die Unverständlichkeit, das Menschliche und das Unmenschliche der Selbsttötung.

Vielleicht auch die Erlösung?

Ich bringe mich um!

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