Читать книгу Kleines Gulasch in St. Pölten - Klaus Nüchtern - Страница 10

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Tanzhals sucht Nackendoktor

Meine zwei Feinde im Fitnesscenter

Wenn der Chefredakteur das Zimmer betritt und ich den Bürosessel in Bewegung setze, um Sichtkontakt herzustellen, ohne den Kopf wenden zu müssen, weiß der Chefredakteur, dass a) sein Stellvertreter einen steifen Hals hat und b) es wieder einmal Zeit für den nachdenklich stimmenden Vortrag zum Thema „Artgerechte Unterbringung in Büros“ wird, der mich einerseits zur Selbstermächtigung in Sachen Neuordnung des Mobiliars ermuntern möchte, mich andererseits mit väterlichem Wohlwollen in der Gruppe der Haltungsgeschädigten begrüßt. Dabei tu ich ja was! Bereits seit Wochen besuche ich ein calvinistisches Fitnessstudio, in dem ärmellose T-Shirts ebenso verboten sind wie Hosen ohne Hosenbeine. Stattdessen gibt es einen riesigen Maschinenpark voller stählerner Ungetüme, in die man sich einspannt, um unter großen Qualen Muskeln zu trainieren, von deren Existenz man bis vor kurzem noch nichts ahnte. Meine ganz persönlichen Feinde sind zwei Maschinen, die auf den charmanten Namen F1 respektive F2 hören und sich den Bauchmuskeln widmen. Das sind jene Muskeln, die angeblich unter dem Bauch beheimatet sind. Seit wenigen Wochen besitze ich sogar Seitenbauchmuskeln, die irgendwo über jenen Knochen liegen, zwischen denen bei jungen Leuten das Nabelpiercing liegt und die ich Beckenschaufelausläufer taufen möchte. Der einzige Zweck der Seitenbauchmuskeln besteht vermutlich darin, den beweglichen Teil von F1 in halbkreisförmiger Bewegung von Position 0 auf Position 13 und retour zu bewegen: zwei Minuten auf halblinker, zwei Minuten auf halbrechter Position. Ich mutmaße, dass die anderen Menschen, die dieses Fitnessstudio ganz offensichtlich auch nur deswegen aufsuchen, weil sie in zehn oder zwanzig Jahren noch „aufrecht“ gehen, schmerzfrei sitzen oder ein Gurkenglas aufschrauben können wollen, ähnlich schlimme Feinde haben wie ich. Übermäßige Solidarität kommt dennoch nicht auf. Stattdessen kontrolliere ich ihre Gewichtseinstellungen und verachte alle jene, die weniger Kilos beugen und biegen, stemmen und stoßen müssen als ich.

Chef checkt Nottermin beim Nackendoktor

Zu den schönsten unter den leider und zu Unrecht in den Ruf des Infantilen und Verschmockten geratenen Partyspielen gehört neben Flaschendrehen und Apfeltauchen noch Tiere-Zuordnen. Es geht dabei darum, dass einzelne Personen von allen anderen Partygästen aufgrund physiognomischer oder wesensmäßiger Ähnlichkeiten bestimmten Tieren zugeordnet werden. Ich zum Beispiel werde in der Regel von allen eindeutig als Ratte identifiziert (physiognomisch). Dagegen habe ich nichts einzuwenden, bin ich doch ein Freund dieses kleinen, alerten Globalisierungsgewinners. Würde man mich allerdings nach dem vergangenen Wochenende nach meinem animalischen Analogon befragen, würde ich antworten: „Nicht-Eule.“ In gewissem Sinne trifft das auch auf die Ratte zu, die von der Eule ja durchaus qua Verspeisen negiert wird; mich hingegen finde ich durch den bekannt wendigen Kopf der Eule aufs Bitterste parodiert, da ich derzeit an einer unhübschen Genickstarre laboriere und mich seit Freitag intensiv mit der Frage „Gibt es eine schmerzfreie Liegeposition?“ beschäftigt habe. Die Antwort lautet eindeutig: „Nein!“ Zwar besitzt mein schlafender Körper die erstaunliche Fähigkeit, wie ein Scheit Holz stundenlang in derselben Position zu verharren, aber auch das bewirkt schmerzhafte Verspannungen, die die ohnedies stark verminderte Mobilität noch weiter einschränken. Und das mir, einem Menschen, der dem Drang, unkontrolliert um den Hamsterkäfig herumzu„tanzen“ oder der Tochter die winzigen Schnapsgläschen vom Tablett zu fegen (Her Royal Hamstress ist leider schwere Gintrinkerin), nur allzu gerne nachgibt. Wie schon die diversen Weltkriege hat mein Chef auch meine pathologische Versteifung im Zervikalbereich schon vor Jahren vorhergesehen und warnend auf mich eingeredet. Freundlicherweise hat er sich die Anmerkung, dass er es immer schon kommen sehen habe, verkniffen und mir stattdessen einen Nottermin beim Nackendoktor gecheckt. Von ihm werden Wunderdinge erzählt. Er heißt Dr. Malus. Ich bin der Letzte, der zu Namenswitzen aufgelegt wäre.

Bizarr & wohltuend: Oktopus im Nacken

Der Verdacht lag ja schon längst nahe, aber jetzt muss es als wissenschaftlich abgesichert gelten: Man fährt am besten, wenn man sein Leben als Marionette verbringt. Zur Erlangung einer korrekten und möglichst schmerzfreien Körperhaltung, so erklärte mir mein Heilgymnastiker, ist es hilfreich, wenn man sich vorstellt, an einem Faden zu hängen. Ein akutes Cervicalsyndrom (CVS) ist überhaupt prächtig dazu angetan, einen mit jenen existenzialphilosophischen Happen zu versorgen, die milde Alltagsentgleisungen (Sieg des falschen Fußballvereins, Triumph der falschen Musik, Erfolg der falschen Partei, Erwerb der falschen Apfelsorte) leichter erträglich machen. Schlafen und dann auch wieder aufstehen können ist ja auch schon mal was sehr Feines! Ein prächtiges System medizinischer Versorgung, dessen Erhalt vom Erfolg der richtigen Parteien abhängt, sorgt zudem dafür, dass sich gut ausgebildete Menschen mit wunderbaren Fähigkeiten um meinen Stütz- und Bewegungsapparat kümmern. Hochgewachsene Frauen in schwarzen Schlauchkleidern erfreuen mein Auge (auch wenn es schmerzt, den Blick nach oben zu richten), andere unfassbar freundliche Frauen holen mir ungezuckerten Gratiskaffee. Man pappt mir einen elektrischen Oktopus an den Nacken, was mich in der Folge zum Tragen hochkragiger Kleidungsstücke nötigt, da die Spuren dieser Behandlung so aussehen, als würde ich mich für Innovationen auf dem Hundehalsbandsektor interessieren und mich gerne in Hobbykellern mit verspiegelten Decken aufhalten. Hernach kommen dann Menschen mit beachtlicher Armmuskulatur und kneten an meinen Muskeln herum, die zwar nicht vorhanden, dafür aber bretthart und voller Astlöcher sind. Schuld daran ist die Überidentifikation mit meiner Schreibtischplatte. Mein Masseur rät zum Berufswechsel oder einer dreimonatigen Auszeit, ein Vorschlag, den ich umgehend an meinen Chef weiterleite. Dieser versetzt sich spontan in meine Lage und bekommt sofort einen betonharten Nacken. Ich verschreibe ihm einen Berufswechsel und borge ihm meinen Comfort-Cool-Pack mit blauem Nackenkühlgel.

Zero Tolerance for Stammkundenverarsche

Ich weiß, dass es Kulturen voller Langmut, Weisheit und zotteliger Rinderrassen gibt, die den Shopping-Samstag gering achten und vertane Zeit nicht kennen. Warten zum Beispiel finden die super, weil es für sie gar nicht warten bedeutet, sondern von Gott geschenkte Zeit oder so. Ich gehöre dieser Kultur aber leider nun mal definitiv nicht an und habe mich auch dazu entschlossen, entsprechenden Culture-Switch-Awareness-Classes, wie sie in jeder besseren Volkshochschule angeboten werden, fernzubleiben. Und Warten finde ich total scheiße. Was ich in letzter Zeit so zusammenwarten musste! Es begann in dem supergut organisierten Rückenbegradigungsinstitut, in dem ich es leider verabsäumte, meine Präsenz bei der zentralen Koordinationsstelle anzuzeigen, weswegen ich dann eine Dreiviertelstunde sinnlos herumsaß und darauf wartete, endlich aufgerufen zu werden, um vom Doktor persönlich zusammengeklappt und wieder aufgefaltet zu werden, was die Wirbelsäule lustig krachen und die Wirbel an ihre angestammten Plätze hüpfen macht. Wertvolle Friseurtermine wurden mittlerweile versäumt. Das war aber alles nichts gegen das Herumstehen an der Haltestelle Arbeitergasse am Freitag, dem 25.10., zwischen 9.50 und 10.15 Uhr. Ich bin treuer Jahresnetzkartenabonnent, habe der gottverdammten Stadtregierung die absolute Mehrheit verschafft und ergo absolut null Verständnis dafür, an einer der wichtigsten Straßenbahnhaltestellen Wiens 25 Minuten (!) lang warten zu müssen, ohne dass innert der ersten zehn Minuten irgendein livrierter Clown der Verkehrsbetriebe antanzte, um mich sanft beim Musikhören zu unterbrechen und mit aufwendigen Erklärungen, Entschuldigungen und Entschädigungsfahrten in einer jener von Champagnerströmen und spärlich bekleideten jungen Damen durchtosten Stretch-Limos zu versorgen, in denen die sauberen Herren Spitzenbeamten der Verkehrsbetriebe ihre orgiastischen Spritzfahrten nach Bratislava zu absolvieren pflegen. So nicht! Nicht mit mir!! Zero Tolerance for Stammkundenverarsche!!! Das nächste Mal können sich die selber wählen!!!!

Unbedankte Mühen, unerwartete Freuden

Stürme toben – in unseren Herzen und um unsere Häuser – und sorgen dafür, dass die Glastüren kaputtgehen. Man soll dann – wie ich vor Jahren an dieser Stelle schrieb („Gib den Dingen eine Chance, Mutter!“) – ein bisschen zuwarten, ob sich nicht auch so was tut. Nun habe ich am vergangenen Freitag das gesammelte Bruchgut aber doch eigenhändig und unter Absingen der Bach-Kantate „Ich will den Kreuzstab tragen“ zum Glaserer geschleppt. In Kulturen, in denen der permanente Konsum von gewalttätigen TV-Serien und olivenölbeträufeltem Mozzarella die Herzensbildung noch nicht völlig ausgerottet hat, werden Männer, die dergleichen auf sich nehmen, von Weib und Kind mit falschen, aber herzlichen Gesängen empfangen, mit Blumen bekränzt und einem gut gekühlten Fässchen schäumenden Getränks begrüßt. Hierauf erlegen Weib und Kind ein Tier der Wahl des Türenträgers und steckens ihm auf einen sich drehenden Spieß, unter dem ein lustiges Feuer züngelt. In meinem Falle blieben sogar die falschen, aber herzlichen Gesänge aus. Wo Undank ist, wächst das Schmerzhafte auch. Andere haben einen Tennisarm, ich habe eine Türschulter. Unlängst hatte ich einen Tanzhals. Allerdings konnte ich, bevor ich mir den Hals vertanzte, noch Zeuge einer Szene werden, in der Unschönes durch Schönheit geschlagen ward. Ein unangenehm biegsamer Tanzandroide tanzte eine junge Frau mit auffallend schöner Nase an, indem er sich bog, wand und auf gotteslästerliche Weise seinen Leib verrenkte. Während er so vor sich hinlimbote, bis Tänzer und Angetanzte einen rechten Winkel bildeten, erstarrte die schönnasige junge Frau in einer Rigidität, wie sie Giacometti in seiner berühmten Bronze „Die peinlich Berührte“ nicht stärker zum Ausdruck gebracht hat. Die Gelegenheit, den Tanzandroiden in die Kronjuwelen zu treten, wurde durch diese Schockstarre zwar vergeben, aber es war schon sehr schön, mitanzusehen, wie die Anstrengungen des zappeligen Kampfknackarsches just den konträren Effekt des erhofften Dahinschmelzens hatten. Da nimmt man einen Tanzhals dann doch ganz gerne in Kauf.

Zappelphilipp und Tanzmonade

Mir ist nicht klar, ob respektive was das über den Betrieb, an den mich Herzblut, protestantisches Arbeitsethos und stattliche, monatlich überwiesene Geldsummen seit Jahrzehnten binden, aussagt, aber wir hatten letzten Winter die erste Weihnachtsfeier mit Tanz. Unter der sachkundigen Anleitung der DJs Fasthuber und Stöger (ich durfte zehn Minuten lang Zeug für depressive Fortysomethings auflegen) wurden Teile der betriebseigenen Villa in einen Tanzpalast verwandelt. Interessant ist schon einmal, wer wann zu tanzen beginnt, wie viel Alkohol er/​sie davor konsumieren muss und wer partout und durch keine der auf Betriebskosten großzügig verteilten Drogen dazu zu bewegen ist, sich zu bewegen. Auch fand ich es sehr bemerkenswert, dass diese Innovation das geschlechtliche Verhalten meiner Kolleginnen und Kollegen in keiner Weise verändern konnte. Nie, nie, nie, nie findet bei unseren Weihnachtsfeiern spontaner Geschlechtsverkehr oder auch nur der Körper- und sonstige Grenzen überbrückende Austausch von Körpersäften statt. Damit will ich durchaus niemanden zu gar nichts aufgefordert haben (hausinterne E-Mails erübrigen sich), ich stelle nur fest. Meine erst wenige Monate währende Tätigkeit als MC haben mich außerdem gelehrt, dass das durchaus nicht unüblich ist. Auf meinen gemeinsam mit DJ Rubinowitz unternommenen Reisen durch Österreich muss ich mir als Eintänzer schon einen Haxen ausreißen, um die Menschen überhaupt zum Tanzen zu bewegen. Als Erstes sind meistens pseudolesbische Mädchenkreise dazu bereit, ironisch zu tanzen und unter sich zu bleiben. Später betreten dann einzelne Männer die Tanzfläche, um den Zappelphilipp zu geben. Und dann gibt es noch die Tanzmonaden: supergut aussehende Frauen, die in seliger narzisstischer Versunkenheit nur für sich und ihr Karma tanzen. Wir lernen daraus, dass Tanzen als Anbahnung geschlechtlicher Geneigtheiten weitgehend ausgedient hat. Dergleichen findet heute wohl eher im Rahmen von Fahrprüfungen, Schiffstaufen, Kindergeburtstagen und Beschneidungsfeiern statt. Interessant.

Kleines Gulasch in St. Pölten

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