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V. Das römische Zwischenspiel

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Am 12. März 370 erließ Kaiser Valentinian I. in seiner Residenz in Trier ein Hochschulgesetz für die Stadt Rom und sandte es an den Stadtpräfekten Olybrius, der aus einer christlichen Adelsfamilie stammte. Das Gesetz war in der steifen, verschachtelten Diktion gehalten, die in der spätantiken Kanzleisprache üblich war:1

„Alle, die in die Hauptstadt zum Studium kommen, müssen zunächst beim Vorstand der Steuerbehörde das Schreiben ihrer Provinzstatthalter vorlegen, die ihnen die Reiseerlaubnis erteilt haben, damit ihr Herkunftsort, Geburtsstand und der erforderliche Leumund verbucht werden. Zweitens haben sie sofort bei ihrer Anmeldung anzugeben, welche Fächer sie in erster Linie studieren wollen. Drittens muss die Steuerbehörde sorgfältig ihre Quartiere inspizieren, ob sie sich dem Studium widmen, das sie angegeben haben. Dieselbe Steuerbehörde soll nachdrücklich darauf achten, dass die einzelnen sich in den Unterrichtsstunden so benehmen, wie es sich gehört, sie, die wissen müssen, dass sie einen schimpflichen und unehrenhaften Ruf zu meiden haben sowie Verbindungen, die, wie wir meinen, nicht weit weg von Gesetzwidrigkeiten sind. Ferner sollen sie nicht dauernd Schauspiele besuchen oder zu Gelagen gehen, die zur Unzeit stattfinden. Schließlich verleihen wir auch die Disziplinargewalt, sodass, wenn sich einer nicht so in der Hauptstadt aufführt, wie es die Würde der Freien Künste erfordert, er öffentlich ausgepeitscht, sofort auf ein Schiff verfrachtet und aus der Stadt geworfen wird, um sich auf den Heimweg zu machen. Denjenigen aber, die sich fleißig ihren Studien widmen, erlauben wir, in Rom bis zu ihrem 20. Lebensjahr zu bleiben. Wer jedoch nach dieser Zeit willentlich versäumt zurückzugehen, soll von der Präfektur belangt werden und noch schandbarer zurückkehren. Damit aber diese Bestimmungen nicht allzu nachlässig befolgt werden, soll Euer Ehren die Steuerbehörde ermahnen, dass sie Monat für Monat die Ankömmlinge so wie diejenigen, die je nach Jahreszeit nach Africa oder in die anderen Provinzen zurückzuschicken sind, in Listen verzeichnet, diejenigen ausgenommen, die Verpflichtungen in Berufsverbänden haben. Ähnliche Listen müssen auch jährlich an unsere hochlöblichen kaiserlichen Büros geschickt werden, damit wir beurteilen können, ob und wann einzelne aufgrund ihrer verdienstvollen und erfolgreich beendeten Studien uns zu Diensten sein können.“

Es war ein strenges Reglement, das Kaiser Valentinian für die Studenten in Rom festlegte. Die Stadt hatte zwar längst ihre ehrwürdige Stellung als das politische Zentrum des Reiches verloren. Aber in dessen Westhälfte war sie immer noch die bedeutendste Universitätsstadt. Eltern, die ihren Sohn dorthin schickten, sollten wissen, dass er die bestmögliche Ausbildung bekam, wenn er sie denn bekommen wollte. Rom, die Stadt der Bildung, durfte ihren Ruf nicht durch ein leichtlebiges Studentenvölkchen ruinieren. Das war die eine Absicht, die der Kaiser mit drakonischen Strafen zu erreichen suchte. Doch er dachte nicht nur an die Eltern und die künftige Schicht gebildeter Provinzialen. Wichtiger war ihm sein Ziel, das er im Schlusssatz ansprach: Aus den tüchtigsten römischen Studenten, die ein straffes, vierjähriges Studium zwischen dem sechzehnten und zwanzigsten Lebensjahr absolviert hatten, wollte er sich seine hohen Beamten auswählen. Eine Karriere im Kaiserdienst war verlockend genug, um sich während des Studiums anzustrengen. Die Reichsverwaltung sollte in den Händen einer Elite liegen, die dank ihrer gleichen Ausbildung und ihres in Rom gewachsenen Corpsgeistes einen hohen einheitlichen Standard garantieren würde.


Augustinus kommt in Ostia an.

Unausgesprochen, aber naheliegend war Valentinians Annahme, mit seinem Gesetz werde er zugleich die besten Professoren aus den Provinzen für diese Aufgabe gewinnen. Wer schon nicht von der altehrwürdigen Metropole angezogen wurde, die unter den Städten des Reiches immer noch den ersten Rang einnahm, den würde die Arbeitsmoral bildungsbeflissener Studenten locken, die vom Kaiser gefördert und von der Stadtverwaltung überwacht wurde. Ihn würden keine Rabauken aus Africa ärgern, denen Valentinian namentlich und vor den anderen Provinzialen die Relegation androhte, weil sie nicht nur die größte auswärtige Studentengruppe bildeten, sondern auch für ihr freches Benehmen berüchtigt waren.

Zu denen, die Augustinus zuredeten, nach Rom zu gehen, dürfte insbesondere sein Freund Alypius gehört haben, der sich bereits in der alten Hauptstadt befand.2 Es scheint, als habe der Rechtsstudent in einem Brief sogar als Lockmittel das Hochschulgesetz zitiert, das Valentinian dreizehn Jahre zuvor erlassen hatte, und der zögernde Ältere habe dadurch den letzten Anstoß erhalten: „Denn ich erfuhr, dass die jungen Leute dort ruhiger studierten und durch strengere Zucht und Ordnung daran gehindert wurden, allenthalben dreist in den Unterricht eines Lehrers einzubrechen, den sie gar nicht hatten, und dass sie nicht zugelassen wurden, wenn der es ihnen nicht erlaubte.“3

Hohe Erwartungen nahm Augustinus von Karthago mit, obwohl er nicht genau wusste, wie sich seine Lehrtätigkeit anlassen werde. Nach der Ankunft wurde er jedoch erst einmal schwer krank. Er sei dem Tod nahe gewesen, schrieb er später. Zum Glück gab es in Rom eine manichäische Untergrundgemeinde, und einer ihrer „Hörer“, der reiche Römer Constantius, nahm ihn in sein Haus auf, wo er sich auskurieren konnte.4 Eine Trostlektüre während der Krankheit waren ausgerechnet neuplatonische Schriften über die Skepsis, mit denen er sich schon in Karthago befasst und dabei eine gewisse Distanz zur manichäischen Lehre gewonnen hatte. Kaum genesen versuchte er erfolglos, die Skepsis seinem Gastgeber zu vermitteln. Ihrem freundlichen Verkehr tat das keinen Abbruch, und so mochte man in der manichäischen Gemeinde auch nicht an einen endgültigen Bruch glauben.5

Da er keine städtische Professur hatte, begann Augustinus nach der Genesung eifrig, Studenten zu werben und in seiner Wohnung zu unterrichten. In Karthago hatte er auch so begonnen. Vielleicht rührte Alypius die Trommel für ihn, oder der römische ‚Großordinarius‘ Hierius gab ihm einige Schüler ab, um sich für das Buch „Über das Schöne und Angemessene“ zu bedanken, das ihm der Verfasser geschickt hatte. Wenn ja, zeigte er ihm damit, dass er die Konkurrenz des jungen Kollegen nicht fürchtete. Die wenigen Hörer zu Beginn waren von dem Professor aus Africa so beeindruckt, dass sich sein Ruf verbreitete und die Zahl der Studenten zunahm. Ihr Benehmen war tatsächlich besser als das ihrer Kommilitonen in Karthago. Valentinians Verordnung vom Jahr 370 tat ihre Wirkung. Das war die erfreuliche Seite. Die unerfreuliche Seite merkte Augustinus kurze Zeit später. Sie hätte der Kaiser gewiss in seinem Gesetz ausdrücklich unterbunden, wenn sie ihm damals schon zu Ohren gekommen wäre: Um am Ende eines Studienabschnitts das Honorar nicht bezahlen zu müssen, taten sich die Studenten zusammen und wechselten vorher geschlossen zu einem anderen Lehrer. Diese Unverschämtheit hatte Augustinus in Karthago nie erlebt. Den angestellten und von der Stadt bezahlten Professor hätte ein solches Verhalten in Karthago auch weniger getroffen. Aber dem ‚Privatdozenten‘ ging das schäbige Benehmen seiner römischen Hörer an die Existenz. Noch in der Erinnerung musste der Bischof Augustinus an sich halten und sich seine seelsorgerliche Aufgabe, die Menschen zu bessern, ins Gedächtnis rufen, um den ‚Zechprellern‘ ihre „schmutzige Gewinnsucht“ zu verzeihen.6

Sorgen machte Augustinus auch sein jugendlicher Freund Alypius. Nach dem Rhetorikunterricht in Karthago studierte er in Rom fleißig die Rechte, als ihn ein unglückliches Erlebnis zurückwarf. Hatte ihn der Zufall in Augustinus’ Hörsaal von seiner Leidenschaft für Wagenrennen im Zirkus geheilt, so war es wieder ein Zufall, der ihn in eine noch bedenklichere Leidenschaft stürzte: Eines Tages begegnete er nach dem Essen einigen Freunden und Mitstudenten, die auf dem Weg zu einem Gladiatorenkampf im Amphitheater waren. Sie zwangen ihn mitzukommen, und er, der seine Schwäche kannte, setzte sich mit geschlossenen Augen auf einen der noch freien Plätze; seinen Körper könnten sie zwingen, nicht aber seinen Geist und seine Augen, sagte er zu seinen Begleitern. Als jedoch die Zuschauermassen während eines Kampfes plötzlich aufschrien, schlug er neugierig die Lider auf und sah fasziniert auf das Blut, das in der Arena floss. In diesem Augenblick war es um ihn geschehen, und als er mit seinen Kommilitonen das Theater verließ, war er zu einem noch größeren Aficionado geworden als sie und blieb es. Wieviel Geld, Zeit und Energie das Alypius kostete, sagte Augustinus nicht. Er schloss jedoch mit dem tröstlichen Ausblick, sein Freund sei später geheilt worden.7

Alypius brachte dennoch seine juristische Ausbildung so erfolgreich zu Ende, dass ihn der Vorsteher der Steuerbehörde für Italien zum assessor berief, zum rechtskundigen Beisitzer in Prozessen. Seinen Namen nannte Augustinus nicht.8 Ein Fall unter seinem Vorsitz erregte besonders Aufsehen: Wahrscheinlich wegen Steuerhinterziehung war ein hohes Mitglied des römischen Senats angeklagt worden. Dank seiner Verbindungen hoffte der mächtige Mann, ungeschoren davonzukommen, und möglicherweise wäre der Richter eingeknickt. Doch das Rechtsgefühl des frischgebackenen Juristen Alypius sträubte sich. Vielleicht berief er sich auch auf das Gesetz, mit dem Kaiser Valentinian ein halbes Jahr nach der Hochschulverordnung von 370 dem Stadtpräfekten Olybrius befahl, Korruption und ungesetzliche Absprachen im Prozesswesen zu unterbinden.9 Alypius ließ sich weder durch Bestechungsversuche erweichen noch durch die Drohung, er möge sich den einflussreichen Prozessgegner nicht zum Feind machen. Der wurde am Ende verurteilt, aber der feige Vorsteher verschanzte sich in der Urteilsbegründung hinter dem ablehnenden Votum seines Beisitzers. Für Alypius wäre ein Freispruch Anlass gewesen, sein Amt niederzulegen. Den Ruf der Gesetzestreue wollte er auch danach nicht aufs Spiel setzen: Fast hätte ihn sein Wissensdurst dazu getrieben, Gerichtsgebühren zu verwenden, um sich Bücher zu kaufen. Doch er beherrschte sich.10 Seine Unnachgiebigkeit im Prozess musste er allerdings büßen: Kein Richter gab ihm mehr eine Assessorenstelle, und kein Privatmann suchte ihn auf, um sich juristischen Rat zu holen oder sich von ihm vor Gericht verteidigen zu lassen. Gewiss rächte sich der Senator auf die Weise für seine Niederlage.11


Augustinus unterrichtet Rhetorik in Rom; Ankunft einer Gesandtschaft aus Mailand.

Augustinus’ Studenten mochten sich diebisch freuen, dass sie den Africaner mit seinem merkwürdigen Akzent hereingelegt hatten.12 Ihm nachsagen, er sei ein schlechter Lehrer gewesen, konnten sie ehrlicherweise nicht. Aber ob ihre Meinung je zu denen dringen würde, die in Rom über die Festanstellung eines bezahlten Rhetoriklehrers entschieden? Vorläufig blieb dem Geprellten nur übrig, im kommenden Winterhalbjahr 384/85 erneut Privatstunden anzubieten und seine Hörer im Voraus zu bitten, ihn dieses Mal nicht übers Ohr zu hauen. Sich über Wasser zu halten vermochte er nur, weil ihn sein reicher und großzügiger Hauswirt Constantius unterstützte. Er dürfte es auch gewesen sein, der seinen Gast eines Tages auf eine Chance aufmerksam machte, die zu dessen großer Lebenswende führen sollte. Zu erhoffen blieb allerdings im Augenblick nur eine berufliche Wende. Vielleicht sprach der strenge Manichäer Constantius dem Skeptiker Augustinus gegenüber sogar von der „Vorsehung Gottes des Vaters“, auf die sich einst auch Mani für seine Sendung berufen hatte.13

In Mailand, das Rom als Kaiserresidenz längst abgelöst hatte, war die Stelle eines städtischen Rhetoriklehrers zu besetzen. Der zuständige Sachbearbeiter in der Zentralverwaltung wandte sich an den amtierenden römischen Stadtpräfekten Symmachus mit der Bitte, einen geeigneten Kandidaten auszuwählen. Er schickte eine Bescheinigung mit, die zur kostenlosen Fahrt mit dem kaiserlichen Kurierdienst berechtigte, der sonst den hohen Beamten und dem Militär vorbehalten blieb.14 Constantius erfuhr davon. Er empfahl Augustinus, sich zu bewerben und den erforderlichen Probevortrag zu halten. Gleichzeitig ließ er seine Beziehungen zur Stadtpräfektur spielen. Augustinus erhielt eine Einladung, trug seine Rede vor und bekam die Stelle.15 Das Auswahlgremium überzeugte sich, dass der Bewerber „sowohl aufgrund seines Lebenswandels als auch seiner Beredsamkeit für die Ausbildung junger Menschen geeignet sein werde“, wie es ein Gesetz vom 11. Januar 364 verlangte.16

Der Erfolg vor dem Stadtpräfekten Symmachus war für den Rhetoriklehrer aus Africa ein Ritterschlag. Denn Quintus Aurelius Symmachus gehörte nicht nur zu den führenden Männern des römischen Senats, er war auch Mittelpunkt des literarischen Lebens in Rom, und vor allem: er war selbst ein hervorragender Redner. Als Vertreter des Senats hatte er in den Jahren 368–370 in drei Lobreden vor Kaiser Valentinian und seinem Sohn und Mitherrscher Gratian sein Talent bewiesen. Decimus Magnus Ausonius, Rhetoriklehrer aus Burdigala (Bordeaux), Erzieher des späteren Kaisers Gratian, schließlich Prätorianerpräfekt und Konsul, verglich den Redner etwas zu schmeichelhaft mit Demosthenes, Cicero und Vergil.17 Im Jahr 373/74, während Augustinus’ Studienzeit in Karthago, hatte Symmachus als Proconsul die Provinz Africa verwaltet. Wenn er seine Residenz in der Stadt verließ, mochte ihn der Student gelegentlich gesehen haben. Persönlich begegnet waren sie sich wohl kaum. Denkbar ist eher, dass der Proconsul, der in Africa ausgedehnte Ländereien besaß, gelegentlich von dem jungen Rhetorikprofessor gehört hatte, nachdem dieser von seinem späteren Amtsnachfolger Vindicianus als Sieger in einem literarischen Wettbewerb ausgezeichnet worden war. Obwohl entschiedener Verehrer der alten Götter, pflegte Symmachus auch die Verbindung zu Christen, etwa zu dem mit ihm verwandten Bischof Ambrosius von Mailand. Mit ihm kreuzte er Ende des Jahres 384 die Klinge, als er in Mailand vergeblich den jungen Kaiser Valentinian II. bat, den Altar der Göttin Victoria in der Kurie des Senats wieder aufstellen zu dürfen.18

Für Augustinus gehörte der Tag, an dem ihm der Heide Symmachus, wahrscheinlich gegen eine Reihe von Mitbewerbern, die Professorenstelle in Mailand zusprach, zu den schönsten seines bisherigen Lebens. Dennoch blieb er in den „Bekenntnissen“ vergleichsweise bescheiden und schweigsam. Dankbar verabschiedete er sich von Constantius, der später, von den Manichäern enttäuscht, sein „katholischer christlicher Bruder“ wurde.19 Sollte Symmachus den Bewerber gefragt haben, ob er Glaubensgenosse des Manichäers sei, der ihn empfohlen hatte, so wird Augustinus an die liebgewonnene akademische Skepsis gedacht und nachdrücklich mit Nein geantwortet haben. Die Frage lag nahe, weil das Triumvirat der Kaiser Gratian, Valentinian II. und Theodosius 381 und 382 den Manichäern in zwei Gesetzen strenge Beschränkungen auferlegt hatte.20 Der gewiefte Senator Symmachus war auch nicht so blind, im Redelehrer Augustinus den Helfer zu sehen, der die schwindende Zahl der Mailänder Heiden verstärken werde.

Augustinus

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