Читать книгу Sportstadtmord. Ein Hamburg-Krimi. Tatort Steilshoop - Klaus Struck - Страница 10

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Lagebesprechung mit Nachwehen

Schrenk hatte wieder seine obligatorische, allseits berühmtberüchtigte Aufstellung auf das Smartboard übertragen. Er begann mit einer allgemeinen Einschätzung der AFA-Mitarbeiter: Die Geschäftsleitung und die Abteilungsleiter mauerten, wussten angeblich von nichts und hatten auch nichts gehört. Gruppenleiter waren unsicher, schienen nichts sagen zu wollen oder zu dürfen und wussten nur von allgemeinen Gerüchten. Dozenten und Angestellte äußerten sich offener, wobei auch hier einige scheinbar nichts gewusst oder gehört haben – oft Einzelgängertypen. Andere wurden konkreter. Bei den Wochenendtreffen waren von der AFA scheinbar nur Regens direkte Mitarbeiter dabei. Die Anlässe für die Treffen hatte Schrenk nach Brisanz und Glaubwürdigkeit der Aussagen sowie zeitlichem Ablauf sortiert. Es begann mit den offiziellen Mitarbeiterschulungen. Hierzu lagen 12 Teilnehmeraussagen vor, zu denen er keine Anmerkungen hatte. Die folgenden lockeren, sogenannten ‚After-Work-Workshops‘ mit Gruppenspielen und dem ausgiebigem Genuss von alkoholischen Getränken sind gemäß Teilnehmeraussagen zumindest einmal aus dem Ruder gelaufen. Er hatte hierzu den Begriff ‚Komasaufen‘ zitiert. Bei den Skatturnieren handelte es sich scheinbar wieder um seriöse Veranstaltungen, dies galt auch für die erste Pokerrunde. Danach wurde es spekulativ, denn zu den angeblichen Pokerrunden mit Kiezgrößen und leichten Mädchen hatten sie ebenso wenig Zeugenaussagen wie zu den Computer-Strategiespiel-Sessions und den Militär-Strategie-Diskussionsrunden. Alles nur Hörensagen.

„Einiges davon ist wohl erklärungsbedürftig“, begann Schrenk seinen Vortrag, „denn eigentlich kann man nur den Aussagen der Leute trauen, die dabei gewesen sind. Trotzdem sollten wir auch die Aussagen gemäß Hörensagen beachten, da diese unabhängig voneinander mehrfach geäußert wurden. Hinzu kommt die Beobachtung eines Dozenten, der an einem Sonnabend eine Gruppe von Leuten auf dem Gelände gesehen hat, die garantiert nicht hier hingehörten. Es handelte sich seiner Meinung nach um fünf Zuhälter mit ihren ‚Bräuten‘. Sie kamen teils mit Harleys, teils mit amerikanischen Protzkisten. Er hat jedoch eindeutig gesehen, wie Regen sie auf den Parkplatz eingewiesen und begrüßt hat. Das passt doch zu Position fünf.

Die offiziellen Veranstaltungen hat es dreimal gegeben, jedoch nur einmal von Freitag bis Sonntag. Sonst immer nur freitags. Die Namen der Teilnehmer entnehmen Sie bitte dem Protokoll.

Die Treffen des lockeren Beisammenseins fanden auch immer freitags statt. Einige Teilnehmer schliefen jedoch danach im Penthouse ihren Rausch aus. Auch hierzu finden Sie Namen im Protokoll.

Skatturniere hat es zweimal gegeben. Sie liefen jeweils über zwei Tage – Sonnabend und Sonntag. Daran sollen sowohl Martin sowie Klinger teilgenommen haben. Klinger hat sogar einen Schinken gewonnen. Was ist daran so geheimnisvoll, dass er das nicht gleich erzählt hat?

An der ersten Pokerrunde hat neben Martin auch Herr Heimholdt aus Regens Abteilung teilgenommen. Die Gerüchte über diese Veranstaltung gehen weit über Berichte der beiden Teilnehmer hinaus. Laut der Aussage Heimholdts betrug der Mindesteinsatz 20 Euro. Heimholdt berichtete weiter, dass sie zu Spielbeginn von Regen jeweils Jetons im Wert von 50 Euro erhalten hätten. Nur hiermit durfte gespielt werden. Am Ende gab es jedoch Bargeld für eingelöste Jetons. Woher der Einsatz kam, blieb das Geheimnis von Regen. Heimholdt hat alles verspielt, Martin hat 80 Euro rausgekriegt. Angeblich hat einer, den die beiden nicht kannten, der von allen nur ‚Addi‘ genannt wurde, alle anderen abgezockt und ist mit über 300 Euro rausspaziert. Eine weitere derartige Runde hat es danach scheinbar nicht gegeben.

Die Ankunft der ‚Zuhältertypen‘ zur Pokerrunde haben außer diesem einen neuen Mitarbeiter nur Internatsbewohner mitbekommen. Kein Angestellter und auch kein Sicherheitsdienst – angeblich. Da fassen wir aber noch einmal nach. Die Autos und Harleys haben aber viele gesehen, und zwar mindestens an zwei Wochenenden. Einer hat die Autos sehr genau beschrieben: Fabrikat, Farbe, Besonderheiten. Damit müssten unsere Leute aus dem Milieu etwas anfangen können.

Die Aussagen zu den letzten Punkten sind sehr diffus. Diese Computerspiel-Sessions waren wohl nicht ohne Beteiligung der IT möglich. Den Administrator knöpfen wir uns noch einmal vor. Die Strategiegeschichten kommen von einem ehemaligen Mitarbeiter, der schon im Vorruhestand ist, aber trotzdem immer noch die Sportmöglichkeiten der AFA nutzt. Man muss sich das einmal vorstellen: die haben ’ne Squashhalle, ein Schwimmbad, Tennisplatz, Sauna und was weiß ich nicht noch alles und da lassen es sich die Ehemaligen gut gehen. Dieser Frührentner kannte Regen noch aus seiner aktiven Zeit und er meinte, sie hätten schon damals einen Verein gehabt, in dem ehemalige Soldaten sich an historischen Schlachten hochgezogen hätten und stundenlang über das ‚was wäre wenn‘ diskutierten. Kollege Meiersson, was habe ich noch vergessen?“

„Na ja, ich habe hauptsächlich die Bewohner des Internats und einige Mitarbeiter befragt. Hier ist besonders zu erwähnen, dass die exotischen Teilnehmer der Pokerrunden fast allen Internatsbewohnern aufgefallen sind. Der Chef des Sicherheitsdienstes, ein Holger Spieß, hat ausgesagt, dass Regen den Besuch dieser Leute angekündigt habe und alles seine Ordnung hätte, das heißt, der Sicherheitsdienst hat die also doch bemerkt. Wir konnten auch die Zeiten rekonstruieren. Die Motorräder haben die Sicherheitsleute gut beschrieben und ein Internatsbewohner hat sogar ein Foto mit seinem Handy gemacht. Es ist ein auffälliges Trike, ein Dreirad, vorn wie ein Motorrad und hinten mit Sitzbank zwischen den zwei Hinterrädern. Das Nummernschild ist leider nicht drauf, aber das Ding ist so speziell, da finden wir den Besitzer schnell. Die Autos hat der neue Dozent, Herr Bauske, am besten beschrieben. Sowohl die Marken als auch die Besonderheiten. Auch hier dürfte es nicht schwierig sein, die Besitzer zu finden.“

An dieser Stelle wurde Meiersson von Krieger unterbrochen: „Wie heißt der neue Dozent? Bauske? Doch nicht etwa Fred Bauske?“

Meiersson guckte in seine Aufzeichnungen. „Ja, so heißt er, kennen Sie den? Hat der bereits eine Akte bei uns?“

„Wir hatten gerade vor einem Jahr mit einem Fred Bauske zu tun, aber das muss ein anderer sein. Der arbeitete als Ingenieur im Außendienst bei einem Automobilzulieferer. Wobei, der Name dürfte nicht so häufig sein. Alter: Anfang 40, so’n südländischer Typ.“ Meiersson nickte: „Das passt. Hat der was auf dem Kerbholz, ist der gewalttätig oder so?“

„Nee, aber den würde ich gerne noch einmal sprechen. Das ist aber eine andere Geschichte, hat mit diesem Fall wahrscheinlich nichts zu tun.“ Krieger schaute zu Schrenk. „Was meinst du Heinz, eigentlich war der ganz umgänglich, wenn er es ist.“

„Ja, ist schon spannend. Da kann man mal sehen, wie klein die Welt ist, gestern noch als Ingenieur in Polen, heute bei der AFA. Aber die alten Geschichten haben höchstwahrscheinlich nichts mit den Vorfällen hier zu tun.“ Heinz Schrenk übernahm wieder die Moderation: „Benno, was hast du über Regen in Erfahrung bringen können?“

Benno Krieger blickte noch kurz in seinen Notizblock, bevor er anfing: „Ich habe seine Frau zu Hause in Glüsingen, das liegt bei Seevetal, besucht. Sie haben dort ein großes Haus mit Swimmingpool. Alles auf dem Grundstück ihrer Eltern. Die Frau ist ziemlich fertig, stand ordentlich unter Beruhigungsmitteln. Ihre Kinder waren auch da, obwohl beide schon vor längerer Zeit ausgezogen sind. Sie hat nur Gutes über ihren Mann erzählt, er hätte keine Feinde gehabt, höchstens Neider. Namen, außer den seiner Sekretärin, hat sie nicht erwähnt. Für seine Wochenendarbeit hatte sie eine erstaunliche Erklärung: Er baue sich eine neue Existenz auf. Er gehe davon aus, dass die AFA über kurz oder lang in die Insolvenz gehen und alle arbeitslos werden würden. Er hatte bereits knapp ein Jahr nebenbei eine eigene Firma. Ein Firmenschild hängt auch an der Tür seines Privathauses. Er bietet Unternehmensberatung und Seminare an. Seine Hauptthemen sind Hilfe bei der Unternehmensentwicklung und gewaltfreie Kommunikation ohne Schimpfwörter. Hat er das wirklich an den Wochenenden in dem Penthouse praktiziert? Seine Kinder wussten auch nur Gutes über ihn zu berichten. Seine Tochter brachte noch den Namen seiner früheren Sekretärin ins Gespräch. Seitdem er die nicht mehr habe, sei er in Hinblick auf seine Arbeit bei der AFA nicht mehr so positiv gestimmt gewesen, habe wohl zusehends mehr Stress bekommen. Die frühere Sekretärin hatte er über 10 Jahre, die sollten wir befragen. Von der Neuen hielt er nicht so viel, die verstand ihn nie auf Anhieb. Die Adressen der Damen habe ich inzwischen, hab’ sie aber noch nicht aufsuchen können. Auf Nachfrage, ob es Streit in der Familie, im Freundes- und Bekanntenkreis oder auf der AFA gegeben hätte, kam ein eindeutiges Nein von allen Dreien.“

Schrenk und Schönfelder fassten noch einmal den aktuellen Stand zusammen und legten dann die Aufgaben für die Kollegen fest. Beim Auseinandergehen wartete Krieger, bis alle den Raum verlassen hatten, und ging dann auf Schrenk zu. „Du, Heinz, ich brauche noch einmal deinen Rat in einer privaten Angelegenheit, hast du gleich Zeit oder wollen wir uns nach Feierabend auf ein Bier verabreden?“

Schrenk staunte nicht schlecht. So förmlich hatte er Krieger schon lange nicht mehr erlebt. Aus seiner Sicht würde er sie beide seit ihrem letzten großen Fall zwar fast als Freunde bezeichnen, aber ihr Privatleben ließen sie bisher außen vor. „Wenn du mich so fragst, dann bin ich viel zu neugierig, um bis heute Abend zu warten. Komm lass uns in mein Büro gehen.“

In Schrenks Büro angekommen fing Krieger erst einmal an, sich ausgiebig für den Diensttausch zu bedanken. „Du weißt gar nicht, wie wichtig das für mich war“, betonte er mehrfach.

„Nun komm endlich zur Sache!“, unterbrach ihn Schrenk. „Wenn du so rumdruckst, dann willst du doch bestimmt noch mehr.“

„Nein, ich will keinen weiteren Gefallen, nur einen Rat.“ Er machte eine Pause, aber Schrenk sagte nichts, sondern wartete darauf, dass er sich endlich äußerte. „Heinz, wie war das, als du und deine Frau damals zusammengezogen seid? Wusstet ihr da schon, dass ihr heiraten und Kinder haben wolltet?“

„Häh? Was wird’n das jetzt für ein Gespräch?“ Mit allem hatte Schrenk gerechnet, aber nicht mit so etwas. „Wir sollten doch in die Kneipe gehen. Weißt du, wie lange das her ist?“, fragte Schrenk. „Über 15 Jahre.“ Nach kurzem Kopfschütteln ergänzte er: „Das hat sich alles irgendwie so ergeben. Erst bin ich bei ihr eingezogen. Wir waren sowieso immer in ihrer Wohnung, die war größer, praktischer und aufgeräumter als meine. Dann hat sie ihren Job verloren. Wir haben unter anderem wegen der Beamten-Verheirateten Zulagen geheiratet. Das waren fast 400 Mark. Na ja, und Kinder wollten wir beide. Sie hat die Pille weggelassen und dann hat’s auch gleich geklappt. Was willst du mir mit der Frage sagen? Du bist doch noch mit Gabi zusammen, oder habe ich was verpasst?“

„Doch, doch, alles bestens. Wir waren am Wochenende bei ihren Eltern und Großeltern. Opa hatte Geburtstag, wurde 91. Ich wurde in die Familie eingeführt. Na ja, das musste wohl irgendwann einmal sein. Ihre Eltern sind gewöhnungsbedürftig, aber die Oma ist ein Schatz, meinte jedoch, ich wäre zu alt für ihre Gabi. Wenn irgendwann unsere Kinder in die Schule kämen, würde man mich für den Großvater halten. Als ich ihr sagte, ich wäre nur neun Jahre älter als ihre Enkelin, sagte sie: Wenn ihr nicht mehr so lange wartet, würde es vielleicht noch gehen. Alle haben gelacht, besonders Gabi.“

„Und was willst du mir nun damit sagen?“ Schrenk war solche Gespräche nicht gewohnt.

„Was würdest du sagen, wenn ich mit Gabi zusammenziehen würde? Wir sind ja jetzt fast ein halbes Jahr ein Paar.“

Heinz Schrenk wunderte sich über Benno. So etwas fragt man, wenn man um die 20 ist oder nach dem dritten Bier. Aber nicht bei normalem Verstand. „Benno, das musst du doch selbst wissen, das ist doch kein so großes Risiko. Wenn’s nicht klappt, zieht man eben wieder auseinander. Du willst mir doch ganz was anderes sagen, hab’ ich recht?“

„Scheiße, ja, ich sollte es eigentlich noch für mich behalten, aber ich muss es loswerden.“

Diese Vertrautheit von Benno war Schrenk unheimlich. Sicher, Benno war schon bei seinem Kollegen zu Hause gewesen, kannte auch dessen Familie, aber dicke Freunde, die sich alles anvertrauen? „Komm’ Benno, lass’ es raus, aber ohne Theater: Du weißt nicht, ob du ihr ’nen Antrag machen sollst – stimmt’s?“

„Nee …, ich werde Vater, sie ist schwanger, im zweiten Monat.“

Schrenk reagierte spontan und umarmte seinen Kollegen. „Das ist doch klasse! Ich freue mich für euch. Das muss aber gefeiert werden.“

Benno freute sich über Schrenks Reaktion, war sich selbst aber gar nicht so sicher. „Gabi sagt, ich soll das auf gar keinen Fall erzählen, frühestens zum Ende des dritten Monats. Aber das kann man doch nicht ganz allein mit sich herumschleppen. Du meinst also, ich soll mein freies Junggesellenleben aufgeben und demnächst Windeln wechseln?“

„Ach komm, hör auf. Kinder sind das Größte auf der Welt. Mir tun alle Menschen leid, die keine Kinder haben. Du gehst stark auf die 40 zu, es wird höchste Zeit. Gabis Oma hat recht. Wollt ihr denn vorher noch heiraten? Das lohnt sich für uns Beamte“, Heinz kam langsam in Fahrt und grinste, „Mann, da sehe ich ja schon zwei große Feiern auf uns zukommen.“

„Erzähl das bloß niemandem! Das ist ein absolutes Geheimnis und über Heirat haben wir noch nicht direkt gesprochen.“

„Das kann ja der Beginn einer richtigen Bullendynastie werden. Gabi hat doch auch noch eine große Karriere bei uns vor sich. Wie gefällt es ihr eigentlich in der neuen Abteilung, bei den Netzfahndern?“

Benno antwortete nicht sofort; er war immer noch bei seinem Thema. „Bisher wohl ziemlich gut, obwohl sie ja mehr auf Lehrgängen als am Arbeitsplatz ist. Für mich wäre das nichts, den ganzen Tag am Computer hocken.“

„Ich fand das auch nicht nachvollziehbar, dass sie nicht bei uns geblieben ist. Sie war doch voll akzeptiert und integriert. Hat ’ne super Arbeit gemacht.“ Schrenk meinte es ehrlich. „Um ihr Niveau zu erreichen, muss Meiersson sich noch ganz schön anstrengen. Ihm fehlt noch Gabis Eigeninitiative und ihr Riecher.“

„Aber ihre Argumente sind ja auch verständlich: Mit dem Lebenspartner in derselben Abteilung, womöglich gemeinsam an einem Fall arbeiten? Dann hätte man nie Feierabend, würde zu Hause weitermachen. Und sie würde wahrscheinlich immer in meinem Schatten stehen und als meine kleine Freundin gelten. Man wäre Tag und Nacht zusammen. Stell dir das einmal mit deiner Frau vor. Erst recht, wenn man Streit hat oder sich trennen will, wie soll das denn gehen? Ich glaube, sie hat das absolut richtig gemacht. In der neuen Abteilung, die dem BKA angegliedert ist, fangen fast alle gleichberechtigt als Social-Net-Fahnder an. Offiziell nennen sie sich SNCI, was ausgeschrieben in Neudeutsch ‚Social Network Crime Investigation‘ heißt. Hier wird die Ermittlungsarbeit der Zukunft gemacht. Fahndungsaufrufe und Ermittlungen über Facebook und Co., mitlesen bei Twitter. Wenn die Leute weiterhin so blöd sind und da alles reinstellen und posten, was sie gerade gemacht haben, dann wirst du mit deinen Ermittlungen ‚per Telefon und Turnschuh‘ bald das Nachsehen haben.“ Krieger liebte seine Gabi nicht nur, sondern er war auch von ihren Fähigkeiten und ihrer Kompetenz überzeugt. Schrenk hatte Gabi als Kommissarsanwärterin bei gemeinsamen Ermittlungsarbeiten ebenfalls kennen und schätzen gelernt.

„Ist ja alles richtig, aber ich hätte sie auch gern bei uns gesehen. Wie wollt ihr das machen, wenn das Baby da ist? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Gabi plötzlich nur noch Hausfrau und Mutter ist. Ihre Eltern scheinen ja nicht die optimale Besetzung als Babysitter zu sein.“

Benno antwortete ganz ernst: „Du hast eine Fähigkeit, immer sofort die offene Wunde zu finden. Da gibt es bereits klare Ansagen: Gabi nimmt nur die zwei Monate Mutterschutz und dann soll ich 12 Monate Babypause machen. Ich wäre ja schon Oberkommissar, sie aber noch nicht. Würde sie ein Jahr zu Hause bleiben, wäre es für sie vorbei mit der schnellen Karriere.“

Heinz Schrenk guckte mit großen Augen in Bennos Gesicht und konnte nicht glauben, was er gerade gehört hatte. Er stellte sich gerade seinen Macho-Kollegen mit Kinderwagen auf dem Spielplatz zwischen vielen jungen Müttern vor, die über Geburtswehen, Abstillen und Ähnliches diskutierten. Er konnte nicht mehr an sich halten und prustete los. „Ha, ha, ha …, hast du dich denn schon beim Schwangerschaftsvorbereitungskurs angemeldet? Und denk dran, wenn die Wehen einsetzen, immer schön hecheln, schön die Schmerzen überatmen.“

„Du Arsch!“ Benno war sauer. „Ich dachte, mit dir könnte ich darüber reden. Hätte ich bloß nichts gesagt.“

„Benno, komm, nimm’s mir nicht krumm, aber ich hab’ mir gerade vorgestellt, wie du als einziger Mann auf dem Spielplatz zwischen den ganzen Hausmuttchens sitzt. Gabi hat aber vollkommen recht. Du hast hier wahrscheinlich alles erreicht, kriegst noch deine Zulagen für jedes Dienstjahr, aber viel mehr ist in absehbarer Zeit nicht drin. Gabi hat noch alles vor sich und so wie sie bei uns eingeschlagen ist, könnte ich mir für sie noch eine steile Karriere vorstellen. Von den Dienstzeiten her ist die Lösung auch besser. Gabi hat eine geregelte Arbeitszeit, kann sogar teilweise von zu Hause aus arbeiten. Unser Schichtdienst ist doch eigentlich für die Familie ’ne Katastrophe. Ich habe von meinen Kindern, als sie klein waren, kaum etwas mitbekommen. Plötzlich waren sie in der Schule. Trotzdem möchte ich gerade nicht in deiner Haut stecken. Du musst dein Leben auf jeden Fall komplett umstellen. Aber glaube mir, es lohnt sich. Oder willst du bis 60, bis zur Pension, nur Bulle sein und dann in ein Loch fallen? Ohne Aufgaben?“

„Ach Scheiße, es muss doch noch eine Lösung dazwischen geben? Nur eins ist klar: Oma und Opa kommen auf keinen Fall infrage. Gibt es nicht bei uns ’ne Krippe?“

„Keine Ahnung. Starte doch eine Behörden-Ini: Krippe fürs Präsidium!“ Heinz fing schon wieder an zu lachen und konnte sich kaum wieder einkriegen.

„Nun hör aber auf damit. Mit dir kann man aber auch nichts ernsthaft besprechen. Du musst unbedingt die Klappe halten. Das darf keiner erfahren, ist das klar? Wenn das rumgeht, kann es nur von dir kommen. Nach dieser Erfahrung sage ich es garantiert niemandem mehr.“

„Entschuldige bitte, aber ich schwöre es dir, ich schweige wie ein Grab“, antwortete Schrenk und schien wieder ganz ernst. Als Benno sich beim Hinausgehen jedoch noch einmal umdrehte, sah er, wie Heinz mit angewinkelten Armen und vorgestreckten Händen dastand und den Körper leicht hin und her bewegte. So als hätte er ein Baby auf dem Arm.

Obwohl Benno seinem Kollegen in diesem Moment am liebsten einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasst hätte, wusste er instinktiv, dass Schrenks Reaktion für ihn die beste Hilfe war. Ihm war jetzt eindeutig klar: Er musste sich entscheiden und für klare Verhältnisse sorgen. Da er Gabi und Gabi das Kind wollte, so wie er ja eigentlich auch, gab es für ihn nur eine Variante: Er würde heute noch einen Ring kaufen und ihr einen Heiratsantrag machen.

***

Als die ermittelnden Beamten am Mittwochmorgen in Steilshoop bei der AFA eintrafen, wurden sie vom Blaulicht und den Sirenen ihrer Kollegen von der Feuerwehr überrascht. Nach kurzer Diskussion an der Absperrung ließ man sie zum Einsatzleiter durch. Es hatte in den frühen Morgenstunden im Betriebsratsbüro einen Brand gegeben, der jedoch frühzeitig vom Sicherheitsdienst bemerkt wurde. Ein Löschzug der Wache Bramfeld reichte aus, um das Feuer zu ersticken und ein Übergreifen der Flammen auf die Nebenräume zu verhindern. Der Wasserschaden war größer als die durch den Brand verursachten Schäden. Trotzdem stank in dem Gebäude alles nach Rauch.

Es konnte bereits jetzt eindeutig Brandstiftung nachgewiesen werden. Die Tür hatte man aufgehebelt, der Rauchmelder wurde deaktiviert. Der Brandherd war eindeutig auf einem Schreibtisch an einem Laptop erkennbar. Mit großer Wahrscheinlichkeit hatte man den Computer mit einem Brandbeschleuniger übergossen und entzündet. Die Feuerwehrleute hatten bewusst nichts weggeräumt, um die kriminaltechnische Untersuchung nicht zu behindern. Für Krieger und Schrenk war der Fall sofort klar: Da sollte der Laptop des Betriebsrats Neumer, auf dem sich die gesammelten Informationen zu den Penthousebesuchen befanden, vernichtet werden.

Krieger griff sich den Kollegen von der KTU, der sich gerade seinen weißen Schutzanzug übergezogen hatte und zur Tat schreiten wollte. „Was meinen Sie, kann man von der Festplatte noch etwas auslesen?“ Dabei zeigte er auf den Klumpen Kunststoff, unter dem sich die Reste des Laptops verbargen.

„Eher nicht“, war seine Antwort, „aber man hat schon Pferde kotzen sehen, direkt vor der Apotheke. Das dauert aber ein paar Tage, bevor wir es genau wissen.“

„Ihr würdet euch einen Orden verdienen, wenn es schnell ginge und ihr etwas Brauchbares finden würdet.“

Der KTU-Kollege sagte nichts dazu, schüttelte nur den Kopf und begann, die Reste des Laptops zu fotografieren und dann in eine Box zu verfrachten, dabei murmelte er: „Wartet doch auf den Brandbericht.“

„Jetzt brauchen wir diesen Charly Neumer. Hoffentlich hat der ein gutes Gedächtnis.“ Schrenk holte sein Handy heraus und wollte dessen Betriebsratskollegen Bastrunk anrufen, der jedoch in dem Moment vom Parkplatz kam. Sie gaben sich die Hand und Bastrunk sagte nur: „Scheiße, was soll das denn? Das hat uns gerade noch gefehlt.“

„Da wollte wohl jemand Beweise vernichten“, bemerkte Krieger salopp. „Haben Sie Ihren Kollegen schon gesehen oder angerufen?“

„Er hat mich heute Morgen von hier aus angerufen, ist jetzt auf dem Weg nach Hause, weil er da einiges vom Laptop auf CDs oder USB-Sticks übertragen hatte. Das will er holen.“

„Sehr gut. Wohnt er weit weg?“, wollte Krieger wissen.

„Nein, in Eppendorf, er müsste gleich wieder hier sein. Ich werde ihn anrufen, damit er direkt zum Raum, äh, wo sitzen Sie?“

„Im Gebäude 3a, Raum 12“, antwortete der Kommissar.

„Ich muss jetzt doch noch einmal in unser Büro. Ich will sehen, was man noch retten kann.“ Mit diesen Worten verabschiedete sich der Betriebsratsvorsitzende von den Polizisten. Vor dem rußgeschwärzten Raum wurde er jedoch von einem anderen Polizisten gestoppt. Der Raum war noch nicht wieder freigegeben. So zog er sich in einen Arbeitsraum zurück und rief noch einmal seinen Betriebsratskollegen Neumer an, um sich mit diesem erst einmal abzusprechen, wie weit sie auch gegenüber der Polizei in Personalangelegenheiten zur Verschwiegenheit verpflichtet wären.

***

Als Schrenk und Krieger gerade gemeinsam ihre Liste offener Fragen durchgingen, um das weitere Vorgehen festzulegen, klopfte es an der Tür ihrer provisorischen AFA-Außenstelle – man hatte dort ein Pappschild mit der Aufschrift ‚Polizei-Ermittlungsbüro‘ angebracht. Auf das „Herein“ betrat eine beiden bekannte Person den Raum, die ihnen vor einiger Zeit schlaflose Nächte bereitet hatte.

„Ich habe es mir fast gedacht, dass ich einen von Ihnen hier wiedersehen werde, aber sogar beide? Es fehlt nur noch ihre junge, energische Kollegin.“ Mit diesen Worten ging der Besucher grinsend auf die Kommissare zu und streckte ihnen die Hand entgegen.

„Das ist doch unglaublich, tatsächlich der Herr Bauske, der uns so viel Ärger bereitet hat!“, antwortete Krieger. „Sie wollen doch nicht schon wieder unseren Fall durcheinanderwirbeln? Was hat Sie denn in die AFA verschlagen?“

„Ach, das ist eine lange Geschichte, die Sie wahrscheinlich gar nicht hören wollen. Nur so viel: Ich bin hier seit Kurzem als Dozent angestellt und bilde Qualitätsfachleute aus. Eins habe ich mir jedoch nach meinen ganzen Dummheiten damals vorgenommen: Wenn ich jemals wieder mit der Polizei zu tun habe, dann werde ich von Anfang an alles erzählen, was ich weiß. Ich hätte jedoch nicht gedacht, dass sich so schnell wieder so eine Situation ergibt.“

Sie schüttelten sich ausgiebig die Hände. Ein Außenstehender hätte sie für drei alte Freunde halten können. Schrenk war die Vertrautheit gar nicht recht. „Wir haben Ihren Namen ja bereits in dem Protokoll unseres Kollegen gelesen, wollten aber gar nicht glauben, dass Sie es tatsächlich sind. Ihre Beobachtungen an dem Sonnabend mit diesen Zuhältertypen und die Fahrzeugbeschreibungen haben uns sehr geholfen, aber trotzdem hätten wir gern gewusst, was Sie dort zu suchen hatten.“

„Na ja, ich bin hier wie gesagt seit August als Dozent und Ausbilder beschäftigt, wollte eigentlich nur meiner Frau einmal zeigen, wo ich jetzt arbeite. Man erzählt ja doch öfters abends Dinge von der Arbeit. Wenn man schon einmal die Gebäude gesehen hat, kann man sich alles viel besser vorstellen.“ Bauske guckte Schrenk an und versuchte in seinem Gesicht zu lesen, ob die Antwort ausreichte. Da Schrenk nicht reagierte, fuhr er fort: „Da mich Autos schon immer interessieren, besonders ältere Ami-Schlitten, hab ich mir die genauer angesehen und würde sie auch wiedererkennen. Ich will Ihnen aber auf gar keinen Fall ins Handwerk pfuschen.“

„Sie haben auch die Leute gesehen, die dort ankamen? Aber bitte setzen Sie sich und erzählen Sie uns, wie das Ganze ablief.“ Jetzt war es für Schrenk eine ganz normale Befragung.

„Meine Frau und ich befanden uns am Ende des Parkhauses, als zuerst eine Harley, ich meine, es war eine Fat-boy-bobber mit Low-Rider-Lenker, an uns vorbei blubberte und ich mich natürlich umdrehte. Dann folgte die Corvette und das Buick Cabrio. Das war ein Sechssitzer, vorn mit durchgehender Sitzbank, offen, und außer dem männlichen Fahrer voller Mädels. In dem dritten Auto, dem Camaro, saßen zwei Typen und als Letztes kam das Trike mit einem Typen und hinten drauf eine Frau. Wir waren ja nicht die Einzigen auf dem Gelände, jeder blieb stehen und schaute denen nach. Ich konnte von meinem Standort aus genau sehen, wie die Gruppe auf den reservierten Parkplatz rechts vor dem Haupteingang fuhr und dort großzügig über mehrere Parkstreifen ihre Fahrzeuge abstellte. Regen wartete schon dort. Er telefonierte, hat sie wohl eingewiesen. Den Harley-Typen und einen aus dem Camaro hat er umarmt, so wie sich in den Kreisen wohl Kumpels begrüßen. Den anderen hat er nur die Hand gegeben. Dann sind sie im Nebeneingang von Haus 2 verschwunden. Ich habe mir den Buick und die Harley etwas genauer angesehen, aber meine Frau fand das total bescheuert. Deshalb sind wir schnell weitergegangen. Ich sah aber noch, wie mindestens zwei Leute mit ihren Handys Fotos gemacht haben.“

Schrenk holte das Foto, das sie bereits bekommen hatten, aus seiner Mappe, und zeigte es ihm.

„Ja, das ist das Trike und im Hintergrund sieht man auch noch den Camaro. Aber es muss noch mehr Fotos geben. Da war noch so’n langhaariger Typ, der hat wie blöde fotografiert, jede Kleinigkeit.“

Schrenk schaute Krieger an: „Das könnte Koch sein, der hat lange Haare.“ An Bauske gewandt fragte er: „Kennen Sie Herrn Koch? Der gehört wohl zur Abteilung Haus und Hof, hat schulterlange, dunkle Haare?“

„Ich kenne noch nicht so viele Kollegen hier. Einen Koch mit langen Haaren auf jeden Fall nicht. Wir sprechen uns auch meist mit Vornamen an.“

„Würden Sie oder Ihre Frau die Personen wiedererkennen?“, fragte Krieger jetzt.

„Das ist schwierig. Der Trike-Fahrer hatte so ein Seeräubertuch um den Kopf gewickelt. Die Frauen waren alle blond. Einer der Typen hatte eine braune, lederne Fransenweste an. Mehr fällt mir so spontan nicht ein.“

„Hätten Sie jetzt Zeit mit einem von uns ins Präsidium zu fahren und dort Fotos anzuschauen? Könnte Ihre Frau auch mitkommen?“ Schrenk wollte keine Zeit verlieren.

„Wenn meine Frau auch mit soll, und das ist wahrscheinlich sinnvoll, denn die hat garantiert auf andere Sachen geachtet als ich, dann müssen wir das heute am späten Nachmittag machen. Wo sollen wir uns melden?“

„Sie kennen die Räumlichkeiten im Präsidium ja bereits. Melden Sie sich bitte bei dem Kollegen Meiersson, der geht mit Ihnen dann zu den Milieuspezis.“ Schrenk überlegte, was er jetzt noch fragen könnte, aber es fiel ihm nichts ein. „Auf jeden Fall schon einmal vielen Dank. Und falls Ihnen noch etwas einfällt: Sie kennen das ja.“ Er überreichte ihm noch seine Karte.

„Es hat mich irgendwie gefreut“, verabschiedete sich Fred Bauske und verließ den Raum.

„Weißt du, Heinz“, sagte Krieger nach kurzem Grübeln, „eigentlich würde ich zu gerne wissen, was dem Bauske nach seiner Eskapade bei uns letztes Jahr so alles passierte und wieso er jetzt wieder mit seiner Frau zusammen ist. Seine Arbeit bei dem Automobilzulieferer hat er wohl verloren. Freiwillig gibt man doch so einen Job nicht auf. Wenn ich das Gabi erzähle, muss ich seine Geschichte auf jeden Fall herausbekommen. Sie fand es nämlich sehr romantisch, wie er so verzweifelt um seine große, abhandengekommene, exotische Liebe kämpfte.“

„Kümmere du dich mal um deine große Liebe“, erwiderte Schrenk. „Gibt es da eigentlich etwas Neues?“

Krieger rang mit sich. Eigentlich wollte er niemandem, insbesondere Schrenk, noch etwas Privates erzählen. Aber andererseits musste er seine Entscheidung mit jemandem teilen und sehen, wie seine Umwelt damit umging. „Es gibt ’ne Menge Neuigkeiten, aber dir sag’ ich nichts, du verarschst mich ja nur. Ach so, ich sollte dich auch von Gabi grüßen.“

„Komm, Benno, nun erzähl schon. Ich verspreche hoch und heilig, dass ich dir nur ernst gemeinte Ratschläge geben werde und die sind von so einem lebenserfahrenen Kollegen wie mir doch unbezahlbar. Hast du denn schon Entscheidungen getroffen?“

„Jepp“, war Bennos kurze Antwort.

„Nun komm schon, mach es nicht so spannend. Doch Oma und Opa?“

„Ich zäume das Pferd nicht von hinten auf“, sagte Benno stolz und zeigte ihm seine rechte Hand. Der glänzende, schlichte Goldring, den er seit heute trug, war Heinz noch nicht aufgefallen.

„Eu eu eu, er hat sich verlobt“, Heinz konnte sich schon wieder das Lachen kaum verkneifen, „macht man das so bei euch in Eimsbüttel? Das war doch zu meiner Zeit schon altmodisch. Was hat Gabi denn dazu gesagt? Auf jeden Fall scheinbar ja. Ich gratuliere, das heißt ja wohl, dass ihr demnächst heiratet.“

„Wenn alles klargeht, gibt es nächsten Monat die Standesamtliche.“

„Und auch ’ne kirchliche Trauung? So ganz in weiß mit langer Schleppe?“

„Nein, irgendwann hört es auf. Außerdem geht das gar nicht, wir sind doch nicht in der Kirche. Mir langt der Stress so auch schon: Erst der Umzug, dann die Hochzeit, Hochzeitsreise und dann das Baby. Seit gestern hat sich für mich alles geändert, ich lebe in einer neuen Welt.“

Heinz konnte es nicht lassen, Benno zu ärgern: „Das gibt ja Feiern ohne Ende: Verlobung, Umzug mit Einweihungsfeier, Junggesellenabschied, Polterabend, Hochzeit, Geburt. Da kann man ja zum Alkoholiker werden.“

„Das vergiss mal ganz schnell. Es gibt nur eine, maximal zwei Feiern und ob du eingeladen wirst, steht noch längst nicht fest“, konterte Benno.

„Nein, ganz im Ernst, Benno: Ich finde das gut. Das hast du absolut richtig gemacht. Alles andere wäre Rumgemurkse. Was hat Gabi denn gesagt, als du mit dem Ring kamst? Hast du das wenigstens ein bisschen feierlich gemacht?“

„Ich habe das so feierlich gemacht, dass sie gar nicht Nein sagen konnte, aber die Details behalte ich für mich. Da brauchst du gar nicht zu bohren. Das bleibt Gabis und mein Geheimnis.“

„Och Benno, komm schon, erzähl. Ich sag’s auch nicht weiter“, Heinz konnte seine Neugierde nicht verbergen. „Sonst denk’ ich mir was Blödes aus und lass’ das so langsam durchsickern.“

„Das bringst du fertig“, antwortete Benno, „aber irgendwo ist Schluss. Komm, lass uns jetzt noch einmal die Sicherheitsleute befragen. Für mich stecken die mit den Kiez-Typen und dem Regen unter einer Decke. Und auch den Koch müssen wir endlich erwischen. Wenn der sich weiter unseren Fragen entzieht, müssen wir den Staatsanwalt einschalten und ihn per Zwangsvorladung holen.“ Schrenk musste einsehen, dass er mit der Fragerei bei Benno nicht weiterkam. So zogen sie gemeinsam los, um die offenen Punkte der letzten Morgenbesprechung abzuarbeiten.

***

Als Schrenk am Donnerstagmorgen um kurz vor halb acht das Polizeipräsidium betrat, saß Thomas Koch bereits auf einer Bank im Eingangsbereich und betrachtete jede hereinkommende Person. Heinz Schrenk hätte ihn wahrscheinlich übersehen, wäre er ihm nicht mit lautem Rufen hinterhergelaufen.

„Wir haben Sie doch für 10 Uhr vorgeladen, warum sind Sie denn jetzt schon hier?“

„Ich hab’s nicht so mit Uhrzeiten. Wenn ich eine Sache morgens nicht gleich angehe, kann es leicht passieren, dass mich der Tageszyklus andere Sachen machen lässt. Deshalb bin ich lieber gleich los“, sagte er, während er die ganze Zeit Schrenks Hand schüttelte.

„Na ja, dann kommen Sie mal mit“, Schrenk überlegte, wie er den merkwürdigen Zeugen am besten bei Laune halten konnte, denn eigentlich musste er zuerst die Morgenbesprechung vorbereiten.

Sie gingen gemeinsam in Schrenks Büro, wo dieser erst einmal seinen Laptop startete, Koch einen Stuhl anbot und mit ein wenig Small Talk das Gespräch eröffnete. Auf seine Bemerkung, es wäre doch gut, wenn man für ein Treffen auch eine Uhrzeit vereinbarte, stieg Koch sofort vehement ein.

„Dazu habe ich eine andere Meinung“, begann er seinen Vortrag, „die Uhr ist ein Antriebsmechanismus, dessen Produkt Sekunden und Minuten sind. Die Zeit wird aus unserem Erlebniszusammenhang gelöst und nährt damit den Glauben an eine unabhängige Welt mathematisch messbarer Sequenzen. Die Gliederung der Zeit in eine Abfolge von Momenten ist nicht naturgegeben. Der Mensch selbst hat sie hervorgebracht, indem er mittels einer von ihm geschaffenen Maschine diese Einheiten willkürlich erfunden hat. Die Uhr, beginnend im 14. Jahrhundert hat uns zuerst zu Zeitmessern, dann zu Zeitsparern und heute schließlich zu Dienern der Zeit gemacht. Sie werden es nicht erleben, dass ich auf Uhrzeiten achte, geschweige denn eine Uhr trage.“

Schrenk wurde sofort klar, dass es mit dem Zeugen nicht einfach werden würde. Auf eine Diskussion über die Uhr wollte er sich auf keinen Fall einlassen. Aber bisher hatte er noch aus jedem etwas Brauchbares herausbekommen.

„Es hat ja jetzt geklappt. Vielen Dank, dass Sie zu uns gekommen sind …“ Bevor Schrenk weitersprechen konnte, fiel ihm sein Gegenüber ins Wort. „Ich weiß, dass ich das nicht hätte tun müssen. Solange es nicht vom Staatsanwalt kommt und keine Rechtsfolgenbelehrung dabei ist, muss ich gar nichts. Aber ich will Ihnen ja behilflich sein.“

Auch darauf ging Schrenk nicht ein. „Ich würde von Ihnen gerne wissen, ob Ihnen im Vorfeld der Ereignisse Merkwürdigkeiten im Zusammenhang mit Herrn Regen aufgefallen sind?“

„Was meinen Sie mit ‚Merkwürdigkeiten‘? Ich will Ihnen mal was sagen: Die AFA ist ein Sammelbecken von durchgeknallten Individuen. Was glauben Sie, warum man sich eine Arbeitsstelle sucht, an der Leute mit ‚Einschränkungen‘ umgeschult oder wieder in den Arbeitsprozess eingegliedert werden sollen? Man will sich doch nur beweisen, dass es noch durchgeknalltere Typen gibt, als man selbst einer ist. Sicher, ich habe auch meine Macken, aber im Vergleich zu unseren Dozenten, Managern und insbesondere unseren Psychologen bin ich ein Waisenknabe.“

Schrenk überlegte, ob er nicht einen Verhörpsychologen hinzuziehen sollte, aber dann bestand die Gefahr, dass Koch noch mehr in Fahrt kam oder gar nichts mehr sagte. Erst einmal nutzte er die bewährte Taktik, den anderen reden zu lassen und begann mit einer allgemeinen Frage: „Was war denn das Problem des Herrn Regen? Die meisten haben nur das Beste über ihn gesagt.“

„Was erwarten Sie in dem Irrenhaus? Ich sage Ihnen was: Regen war ein eitler, selbstverliebter Egomane, spielsüchtig und Frauen gegenüber absolut rücksichtslos.“

„Wie kommen Sie zu so einem harten Urteil? Haben Sie so viel mit ihm zu tun gehabt oder kennen Sie Leute, die ihm nahe standen? Gibt es Erlebnisse, die das untermauern?“

„Ich habe lange überlegt, ob ich Namen nennen soll. Ich will kein Denunziant sein. Doch warum sollten wir das Spielchen unnötig hinauszögern? Das Spiel wird sowieso nicht nach unseren Regeln gespielt. Also, ich nenne Ihnen jetzt zwei Namen: Marion Greulich macht bei uns den Navision Support und Doris Klintscheck ist Angestellte in unserem Bistro Nordwind. Zusätzlich sollten Sie sich die Vorgeschichten der leitenden Mitarbeiter und Ausbilder ansehen. Hier sage ich nur ein Stichwort: Bundeswehr.“

Schrenk hatte sich brav Notizen gemacht. „Verstehe ich Sie richtig: Die Damen belegen Ihre Aussage über sein Verhältnis zu Frauen und was soll das mit der Bundeswehr?“

„Ich bin kein Verschwörungstheoretiker, aber Sie werden sich wundern, wenn Sie sehen, wer hier alles aus dem Stall der Jenfelder Kasernen kommt.“ Koch erhob sich und lehnte sich zu Schrenk vor: „Die planen was. Und zwar von langer Hand vorbereitet. Vielleicht ist Regen zu früh vorgeprescht.“

„Womit vorgeprescht? Was meinen Sie damit?“ Schrenk wollte ihn nicht verärgern und ging auf die verrückten Theorien ein.

„Na, die Geschichten im Penthouse gingen doch wohl von Regen aus.“

„Was waren denn das für Geschichten?“ Jetzt stand auch Schrenk.

„Das weiß ich doch nicht, da müssen Sie schon seine Kameraden in die Zange nehmen. So, und mehr sag’ ich nicht, mehr weiß ich nicht.“ Koch setzte sich wieder und verschränkte seine Arme vor der Brust.

„Gut, vielen Dank. In die Richtung werden wir ermitteln. Seine Vorgesetzte, Frau Günther, müsste doch mehr darüber wissen. Oder? Was meinen Sie?“

„Seien Sie mit der vorsichtig. Die ist mit allen Wassern gewaschen. Oder sind Sie gegen schmachtende Blicke und tiefe Ausschnitte immun? Sie müssen das einmal aus der Distanz beobachten, wie die die Kerle im Griff hat. Schon an der Kleidung merkt man, wen sie heute um den Finger wickeln will, Bankleute, Abteilungsleiter oder Betriebsrat. Das ist total auffällig und trotzdem funktioniert es immer wieder.“

„Danke für den Tipp. Ich habe noch eine andere Bitte: Könnten Sie uns bitte die Fotos geben, die Sie von den Fahrzeugen der Zuhältertypen gemacht haben? Die, die an dem einen Wochenende bei Regen waren.“ Schrenk pokerte und setzte auf den Überraschungseffekt. Koch sagte nichts. Sein Gesicht, das sich von Äußerung zu Äußerung immer mehr ins Rötliche verfärbte, war plötzlich kreidebleich. Dann stotterte er: „Wawawa… Was meinen Sie? Wer sagt das?“

Schrenk wurde jetzt plötzlich sehr laut und bestimmt: „Na komm, hör’n Sie auf! Dafür gibt es mindestens vier Zeugen und so leicht sind Sie ja nicht zu verwechseln. Warum haben Sie uns die Fotos nicht gleich gegeben? Falls Sie es wagen, das abzustreiten, dann habe ich ruckzuck einen Durchsuchungsbeschluss für Ihre Wohnung. Da denken Sie mal drüber nach!“ Schrenk sah ihn erst streng an, dann holte er seine Dienstwaffe aus der Schublade seines Schreibtischs und legte sie vor sich auf die Schreibtischplatte. Alles, ohne ihn aus den Augen zu lassen.

„Sie, Sie Schwein!“, war Kochs Antwort. „Das sind meine Bilder, die verkaufe ich an die Zeitung.“

„Das ist jetzt zu spät. Jetzt können Sie nur noch unser Held werden oder wir behalten Sie gleich wegen Behinderung unserer Ermittlungsarbeit hier.“ Schrenk war sich im Klaren, dass er am Rande der Legalität handelte und vielleicht einen wichtigen Zeugen vergraulte. „Wir fahren jetzt gemeinsam in die AFA und Sie händigen mir die Fotos aus.“ Dabei stand er auf, legte sich das Schulterhalfter mit der Dienstwaffe an, zog sein Jackett über und ging um seinen Schreibtisch herum auf Koch zu. „Los Mann, oder wollen Sie die harte Tour?“

Koch überlegte, stand dann langsam auf und sagte nur: „Aber Sie kommen nicht mit rein, dass das klar ist.“

„Nein, ich spiele ehrlich; nur die Bilder.“ Damit zogen beide los. Schrenk schaute noch kurz zur Assistentin hinein und bat sie, die Morgenbesprechung um zwei Stunden zu verschieben. Auf der Fahrt zur AFA sprachen sie nur wenig, kein weiteres Wort zu dem Fall. Als Zeichen des Vertrauens wartete der Kommissar im Auto, während Koch die Bilder holen sollte. Es dauerte länger als notwendig. Schrenk befürchtete schon, ihn falsch eingeschätzt zu haben. Dann kam er jedoch mit einer Plastikhülle und setzte sich wieder neben ihn ins Auto. Langsam breitete er die Bilder, eins nach dem anderen, auf seinem Schoß aus. Er hatte nicht nur die Fahrzeuge, sondern auch die Personen fotografiert.

„Herr Koch, das ist ja perfekt! Damit könnten Sie bei uns als verdeckter Ermittler anfangen.“ Schrenk hatte das als Witz gemeint, um die Situation zu entspannen, doch Koch verstand das nicht so, sondern reagierte entsetzt: „Ich werde niemals Ihre verkrampften Gesetze vertreten. Für mich gilt nur der gesunde Menschenverstand. Damit kann man alles regeln. Für Ihre teilweise noch aus der Nazizeit stammenden Gesetze werden Sie mich nicht als glühenden Verfechter gewinnen können.“

Auf den Fotos, die er zu jeweils vier Stück auf normalem A4 Papier ausgedruckt hatte, waren teilweise sogar Nummernschilder und Gesichter zu erkennen.

„Wie geht es jetzt weiter?“, wollte Koch wissen. „Ich kann doch wohl jetzt hier bleiben, oder?“

„Vorerst ja, aber es könnte sein, dass wir noch weitere Fragen haben“, antwortete Schrenk und verabschiedete sich mit Handschlag. Koch erinnerte ihn noch einmal an das Stichwort ‚Bundeswehr‘, stieg aus und verschwand schnell wieder in dem Wohnblock des Internats.

In der Morgenbesprechung konnte Schrenk bereits einige Namen und Wohnorte der Personen von den Fotos nennen, sodass Krieger bereits nach dem Mittagessen mit einigen Kollegen des Dezernats für organisierte Kriminalität sowie einem bürgernahen Beamten der Davidwache loszog, um Licht ins Dunkel zu bringen.

Sportstadtmord. Ein Hamburg-Krimi. Tatort Steilshoop

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