Читать книгу Sportstadtmord. Ein Hamburg-Krimi. Tatort Steilshoop - Klaus Struck - Страница 9
ОглавлениеLagebesprechung Mordkommission Hamburg, Dienstagmorgen
„Wo bleibt der Kollege Krieger? Hat er heute auch noch frei?“ Kriminalrat Schönfelder, ihr aller Chef, der die Morgenbesprechung leitete, sprach in die Runde der bereits anwesenden Beamten. Zuerst sagte keiner etwas, dann antwortete Schrenk, der dienstälteste Hauptkommissar und Teamleiter: „Er wird schon noch kommen, sonst hätte er sich bereits entschuldigt. Aber wir können ruhig schon anfangen.“
Schönfelder ärgerte sich über jede Respektlosigkeit, wozu für ihn auch Zuspätkommen gehörte, versuchte aber, sich nichts anmerken zu lassen. „Wie ist der Ermittlungsstand in Sachen Regen? Schrenk, Meiersson? Was habt ihr bisher?“
Schrenk ging nach vorne an das neu angeschaffte Smartboard und blendete einige Fotos von dem Tatort sowie von dem Toten ein. Mit einem Marker schrieb er die Namen der ihnen bekannten Personen mit entsprechenden Kommentaren an die Schreibwand:
Regen | Opfer → Abteilungsleiter Integrationsmanagement allseits beliebt? |
Koch | hat den Toten gefunden und uns benachrichtigt → nicht zu Zeugenbefragung erschienen! |
Martin | Facility-Manager → verwaltet Penthouse |
Günther | Geschäftsführerin → hilfsbereit |
Schiering | Regens engste Mitarbeiterin → Zusammenbruch nach Todesnachricht |
Bastrunck | Betriebsratsvorsitzender → kennt Regen gut, hat aber auch Vorbehalte |
Als er gerade den Ermittlungsstand genauer erklären wollte, kam Oberkommissar Krieger in den Raum. Er bemühte sich, leise hereinzuschleichen, trotzdem blickten alle zu ihm hin. Mit einem gemurmelten „’Tschuldigung“ setzte er sich auf den ersten freien Stuhl nahe der Tür, strich seinen Pony zurecht – seitdem ihm einmal jemand eine gewisse Ähnlichkeit mit Robert Redford nachgesagt hatte, pflegte er diesen besonders – und starrte angespannt auf das Smartboard.
„Hast noch nichts versäumt“, sagte Schrenk einlenkend, um dann fortzufahren: „Also, folgenden gesicherten Ermittlungsstand haben wir – René, bitte korrigiere mich, wenn du es anders siehst:
Der Tote war seit 12 Jahren bei dem Bildungsträger angestellt, seit 4 Jahren Abteilungsleiter. Vorher an der Bundeswehrhochschule in Jenfeld. Scheinbar überall beliebt und als Vorgesetzter geachtet. Er hat im letzten halben Jahr mehrfach das Penthouse gemietet; immer für, wie er es nannte, ‚IM-come-together‘-Meetings. Gemäß der Geschäftsführerin Frau Günther ist dies nicht ungewöhnlich, sogar erwünscht. Andere Abteilungsleiter machen so etwas außerhalb in einem Hotel oder einer Tagungsstätte und verursachen dadurch entsprechende Kosten.
Der Tatablauf konnte wie folgt rekonstruiert werden: Im Penthouse, also im 4. Stock des Internat-Nebengebäudes, wurde im Morgengrauen das Opfer über die Brüstung des Balkons gestoßen oder geworfen. Einen Kampf auf dem Balkon hat es scheinbar nicht gegeben. Er war auf jeden Fall mindestens bereits bewusstlos, als er fiel. Wer im Penthouse dabei war, konnte noch nicht ermittelt werden. Es wurden jedoch Spuren von mehreren Personen gefunden, mindestens von vier. An dem Toten wurde noch vor unserem Eintreffen einiges verändert. Dazu müsst ihr euch nur die Fotos ansehen. Er liegt wie aufgebahrt, Schuhe vertauscht angezogen. Derjenige, der das gemacht hat, ist jedoch sehr umsichtig vorgegangen und hat keine Spuren hinterlassen. Hat wahrscheinlich einen Schutzanzug getragen.“
Schrenk hielt kurz inne und schaute in die Gesichter seiner Kollegen. Dann fuhr er fort: „Nun zu den Befragungen. Es konnte bisher nur ein kleiner Teil der Umschüler und auch der Belegschaft befragt werden. Irgendwie scheint der Montag dort so etwas wie ein Feiertag zu sein. Diverse Leute hatten ihren freien Tag, ihren ‚Heimfahrt-Rückreisetag‘ oder waren einfach nicht da. Ich hab’ das natürlich hinterfragt, aber gemäß der Geschäftsführerin haben alle eine 37- Stunden-Woche und Anwesenheitspflicht. Einige Abteilungsleiter hätten jedoch mit ihren Teams zeitweilige Sonderabsprachen getroffen, abhängig vom Auslastungsgrad. Na ja, sei’s drum. Also müssen wir heute verstärkt ran. Insgesamt war es bisher wie immer: Die, die viel reden, haben meistens nichts zu sagen und der, der uns angerufen hat und mir als der vielversprechendste Zeuge erschien, ist gestern und heute nicht zur Vorladung ins Präsidium gekommen. Nur die Geschäftsführerin hat bei mir einen guten Eindruck hinterlassen, sehr kooperativ. Hat uns in jeder Weise geholfen. Ich gehe davon aus, dass Benno uns auch noch unterstützen wird. René! Gibt’s von deiner Seite noch etwas hinzuzufügen?“
Schrenk gab bewusst seinem neuen Kollegen die Möglichkeit, sich zu profilieren, was dieser auch nutzte, denn er hatte noch einiges beizutragen.
„Ja also, in der Penthouse-Wohnung wurde nicht nur gearbeitet. So etwas wie Flipcharts oder Metaplantafeln oder Leinwand und Beamer haben wir da nicht gefunden. Stattdessen gab es eine gut ausgestattete Küche und einen großen Esstisch im Wohnbereich, 8fach Geschirr und ein komplettes Sortiment an Trinkgläsern. Der Geschirrspüler war frisch durchgelaufen und enthielt neben Frühstücksgeschirr hauptsächlich Gläser und Schälchen – steht alles detailliert im Bericht. Im CD-Player lag noch Entspannungsmusik von Kitaro. Leergut gab es nicht, auch keinen Müll. Den hatte man wohl noch mitgenommen oder bereits vor dem Mord entsorgt. Hier spielt die Aussage des Herrn Koch eine wesentliche Rolle, aber dem scheinen wir nicht den nötigen Respekt eingeflößt zu haben.
Der Betriebsrat, Herr Bastrunck, hat sich als Einziger etwas detaillierter zu Regen geäußert und einen Zusammenhang zu dessen außerbetrieblichen Aktivitäten in Erwägung gezogen. Außerdem soll es schon vorher einige mysteriöse Vorfälle im Institut gegeben haben. Ich kann mir in diesem Umfeld eigentlich nur eine Beziehungstat vorstellen. Regen ist verheiratet und lebt in einem gutbürgerlichen Umfeld in einem Dorf nahe Maschen. Die Kinder sind bereits aus dem Haus. Seine Frau steht noch unter Schock und konnte bisher nicht befragt werden.“ René Meiersson überlegte kurz und fügte dann noch hinzu: „Wichtig scheint mir jetzt die Befragung seiner Mitarbeiter. Auch die ‚Außerbetrieblichen Aktivitäten‘ müssen wir genauer beleuchten. Ansonsten wüsste ich nicht, warum man in so einer Firma morden sollte. Wie ihr wisst, haben wir es in 92 Prozent solcher Fälle mit einer Beziehungstat zu tun.“
„Was wissen wir von den Besuchern des Penthouse? Irgendjemand muss doch wissen, mit wem der Regen dort war. Was sagt denn dieser Herr Martin?“ Schönfelder war mit dem Ergebnis nicht zufrieden.
Schrenk schaute kurz in seine Notizen, bevor er antwortete: „Herr Martin scheint mächtig unter Druck zu stehen, tut so, als müsste er durch Mieteinnahmen die Bilanz der AFA retten. Berichtete total stolz, dass er den Leerstand auf dem Gelände von 46 Prozent auf 13 Prozent reduziert habe. Sogar durch langfristige Mietverträge mit solventen Organisationen. Auch die Sporteinrichtungen wurden durch sein Engagement teilvermietet. Ich fragte ihn, ob dass denn nicht bewirke, dass sie bei steigenden Anmeldungen zu wenig Räumlichkeiten hätten. Darauf lachte er laut los und fragte mich, wovon ich nachts träumte. Seiner Meinung nach werde es nie wieder zu einer mehr als 50 prozentigen Auslastung des Internats kommen. Dafür würde schon die Politik sorgen. Zu Herrn Regen meinte er, ich habe es mir wörtlich aufgeschrieben: ‚Regen hat alles korrekt beantragt und abgerechnet.‘ Einmal im Monat habe er die Räume über die AFA gebucht, die anderen Male privat abgerechnet. Immer für das Wochenende, von Freitag, 17 Uhr, bis Sonntag, 14 Uhr. Inklusive Endreinigung hat er jeweils 240 Euro abgedrückt. Seit acht Monaten geht das so. Ich wüsste nicht, wie ich meiner Frau erklären sollte, dass ich nicht nur am Wochenende immer arbeiten müsse, sondern dabei auch noch mindestens 240 Euro verbraten würde. Herr Martin hat angeblich keine Ahnung und auch keine Idee, was da dann immer abgelaufen sei.“
„Wie geht es denn jetzt weiter?“, wollte Schönfelder von Schrenk wissen.
„Na ja, die Befragungen der restlichen Mitarbeiter und Teilnehmer im Umfeld Regen können wir ja wohl hoffentlich heute fortsetzen und bis auf einige wenige, die krank sind, abschließen. Außerdem müssen wir Koch noch einmal in die Zange nehmen. In seiner ersten Aussage gibt es Widersprüche. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass derjenige, der ein Verbrechen meldet, auch daran beteiligt war. Ich werde zusehen, dass ich heute endlich Regens Frau befragen kann. Auch den Betriebsrat müssen wir noch einmal interviewen. Da sollte Benno mitkommen. Zu zweit findet man leichter den richtigen Draht.“
***
Bei der AFA angekommen, standen die Kommissare Schrenk und Krieger erst einmal vor dem verschlossenen Betriebsratsbüro. Herr Bastrunk war vermutlich im Unterricht. So etwas wie ein Schulsekretariat gab es hier nicht, nur Abteilungen mit Abteilungsleitern und deren Sekretariate. Wie in jeder Firma. Der Kommissar rief daraufhin Frau Günther an. Ihre Sekretärin wollte ihn jedoch nicht verbinden, da die Chefin sich in einem Meeting befand. Er fragte höflich, ob sie wüsste, wo Herr Bastrunk unterrichten würde, was sie mit einem kurzen „Nein, woher sollte ich?“ quittierte. Schrenk legte ohne Verabschiedung auf und murmelte nur: „Komm Benno, die knöpfen wir uns jetzt sofort vor.“
Benno Krieger war von Schrenks Verhalten etwas irritiert, denn normalerweise war der sehr geduldig, hatte immer ‚die Ruhe weg‘. Jetzt ging er zielstrebig auf das Verwaltungsgebäude zu, um dort mit dem Fahrstuhl in den 6. Stock zu fahren. Er wollte sich jedoch nicht im Vorzimmer von Frau Günther melden, wie es groß auf dem Schild an ihrer Tür stand, sondern die ‚verbotene‘ Tür benutzen. Die war jedoch leider abgeschlossen. So mussten sie doch im Vorzimmer vorstellig werden.
Eine Dame, so um die 40, saß vor ihrem PC-Monitor und las einen Text auf dem Bildschirm. Schrenk ging forsch auf sie zu, zeigte seinen Ausweis und sagte leise und verdächtig ruhig: „Wir haben telefoniert, ist sie da drin?“
„Sie waren das, der gefragt hat, ob ich wüsste, wo Herr Bastrunk unterrichten würde. Ich habe doch mit dem Unterricht gar nichts zu tun. Wer gerade wo unterrichtet, wissen doch nur die Teamleiter. Warum haben Sie denn nicht gesagt, dass Sie von der Polizei sind?“ Eigentlich ist sie ja ganz höflich, dachte Schrenk, wiederholte aber nur noch einmal seine Frage: „Ist sie da drin?“
„Sie können da jetzt nicht rein. Geben Sie mir Ihre Handy-Nummer, dann rufe ich Sie an, wenn sie Zeit hat.“
Krieger verfolgte das Schauspiel etwas irritiert, denn er konnte sich nicht erklären, warum Schrenk so sauer war. Der wiederum ging ohne eine weitere Äußerung zur Chefzimmertür, und riss sie auf. Das „Halt“ von der Sekretärin beachtete er nicht.
In der Besprechungsecke saß Frau Günther mit fünf Herren. Alle blickten verstört zur Tür. Frau Günther hatte sich aber, noch bevor Schrenk etwas sagte, gefangen, stand auf und ging auf ihn zu. „Herr Hauptkommissar, ist etwas passiert, dass Sie hier so eindringen müssen?“
„Äh, ja, nein, nicht direkt, aber ich habe das Gefühl, dass Ihre Mitarbeiter den Ernst der Lage nicht richtig erkennen. Noch sind hier alle verdächtig und wenn ich um Informationen bitte, erwarte ich umgehende Antworten.“
„Aber Herr Schrenk, das wissen wir doch.“ Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand, schaute ihm dabei tief in die Augen. „Wenn irgendetwas oder irgendjemand nicht so funktioniert, wie Sie es erwarten, können Sie natürlich immer zu mir kommen und ich werde für eine Lösung sorgen. Aber ist es denn so schlimm, wenn Sie sich über meine Sekretärin anmelden? Ein bisschen Höflichkeit hat doch noch nie geschadet.“
„Ja … aber, ich bräuchte dringend eine Information.“ Schrenk wirkte, als hätte man aus einem prall gefüllten Luftballon über einen Nadelstich die Luft abgelassen.
Sie überlegte kurz und sprach dann zu den Herren in der Besprechungsecke: „Eine kurze Pause kann nicht schaden, ich bin gleich wieder bei Ihnen.“ Zu Schrenk sagte sie: „Können meine Abteilungsleiter mithören oder wollen sie beide mich separat in die Zange nehmen?“
„So war das nicht gemeint, aber wir würden unsere Fragen erst einmal lieber mit Ihnen allein erörtern. Wir brauchen höchstens 15 Minuten.“
„Das muss dann wohl sein“, antwortete sie und fuhr an die Männerrunde gewandt fort. „Machen Sie schon einmal weiter, ich bin gleich wieder da.“ Schrenk fiel auf, dass Frau Günther heute elegant geschäftsmäßig gekleidet war: Hosenanzug mit eng geschnittenem Blazer, der zwar keine tiefen Einblicke gestattete, jedoch genug erahnen ließ. Sie ging, gefolgt von den Kommissaren durch die noch immer offenstehende Tür in ihr Vorzimmer und bat ihre Sekretärin, nachdem die Tür geschlossen war, ihnen einen frischen Kaffee und ein paar Kekse zu besorgen. „So, meine Herren, wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte sie.
„Als Erstes geht es um einige Vorfälle der letzten Wochen, die anscheinend etwas mit Herrn Regen zu tun hatten. Keiner der Befragten wollte sich konkret äußern, aber fast alle machten irgendwelche Andeutungen. Was wissen Sie darüber?“
Sie überlegte kurz, setzte sich auf den Schreibtischstuhl ihrer Assistentin und erzählte von den Ereignissen mit den Schmierereien, dabei sah sie abwechselnd von Schrenk zu Krieger.
„Und was war das mit der lauten Musik?“
„Ach das. Das haben wir damit gar nicht in einen Zusammenhang gebracht, auch nicht das mit den K.o.-Tropfen.“
Schrenk und Krieger guckten sich an: „Von K.o.-Tropfen haben wir noch nichts gehört, bitte erzählen Sie“, sagte Schrenk.
„Na ja, vor gut einer Woche sind zwei Teilnehmer mit K.o.-Tropfen betäubt worden. Denen ist aber nichts passiert. Wir hielten das alles für einen bösen Streich eines Teilnehmers, sahen jedoch keine unmittelbare Gefahr für uns und wollten erst einmal abwarten. Wir haben alles protokolliert und fotografiert. Ich kann Ihnen eine Zusammenstellung mailen.“
„Bitte! Warum haben Sie davon nicht sofort berichtet?“ Schrenk wurde schon wieder lauter. „Ich würde gerne die Gelegenheit nutzen und hierzu auch die Meinung Ihrer Abteilungsleiter hören.“
„Gut, dann lassen Sie uns das Gespräch nebenan weiterführen.“ Ihr war es scheinbar ganz recht, aus der Schusslinie zu kommen, denn sie ging sofort auf die Verbindungstür zu.
„Meine Herren, die beiden Kommissare haben einige Fragen, die wir vielleicht am besten gemeinsam beantworten können. Bitte sagen Sie alles, wirklich alles, was Sie wissen, auch wenn es für uns unangenehm werden könnte.“
Schrenk fragte noch einmal nach den Vorfällen der letzten Wochen. Einer meinte, dass überall Regen darin vorkam, sei damals noch niemandem aufgefallen. Sie hielten es einfach nur für Terror. Ein anderer fragte, ohne eine Antwort zu erwarten, ob die Sache mit den K.o.-Tropfen auch damit zusammenhing. Die laute Musik bezog sich ja eigentlich auf den ehemaligen amerikanischen Präsidentschaftskandidaten Ronald Reagen, auch wenn es sich wie ‚Sonne statt Regen‘ anhörte. Einer sagte, er habe mit dem Kollegen Regen darüber gesprochen und der hätte das Ganze auch als Dumme-Jungen-Streich abgetan und nicht auf sich bezogen.
„So kommen wir nicht weiter“, sagte Schrenk etwas unwirsch, „wenn jetzt auch keiner von Ihnen weiß, was Regen da jedes Wochenende in der Penthouse-Wohnung gemacht hat, dann werden wir sie alle noch einmal zu Hause besuchen und befragen. Ich bin sicher, ihre Frauen wissen Genaueres, denn mit denen werden Sie darüber gesprochen haben.“
Bevor jemand antwortete, mischte Krieger sich ein: „Um einfach zu beginnen, beantworten Sie bitte einer nach dem anderen die folgende Frage mit Ja oder Nein: Waren Sie an einem der letzten Wochenenden während des letzten halben Jahres mit Regen in der Penthouse-Wohnung?
Keiner sagte etwas.
Frau Günther war etwas irritiert, meinte jedoch, sich einschalten zu müssen. „Sie müssen nicht antworten, wir können auch unseren Rechtsanwalt hinzuziehen. Vielleicht sollten wir das in jedem Fall tun.“ Ihre ausgestrahlte Sicherheit war inzwischen verflogen.
„Ich kann die Frage natürlich mit Nein beantworten“, begann jetzt der an der Ecke sitzende Herr, „aber da Sie uns hier scheinbar in ein Kreuzverhör nehmen wollen, sollten wir meines Erachtens doch unseren Rechtsbeistand, Herrn Dr. Treuler, hinzuziehen. Wer weiß, was uns alles noch bevorsteht. Für mich sieht es so aus, als wollten Sie uns da irgendwie mit reinziehen.“
„Vielen Dank für Ihre Antwort“, Krieger machte weiter auf die freundliche Art, „aber Sie können mir glauben, niemand wird irgendwo reingezogen. Wir wollen nur Licht in den Fall bringen. Das ist doch unsere Aufgabe. Vielleicht stellen Sie sich erst einmal alle vor, damit wir wissen, mit wem wir es zu tun haben, wer Sie sind und welche Abteilung Sie leiten.“
„Mein Name ist Jörg Heimholdt, ich habe kommissarisch die Aufgaben von Herrn Regen übernommen: Eingliederungsmanagement.“ Er ließ sich aber nicht ablenken. „Trotzdem, Frau Günther, ich bin der Meinung, wir sollten Herrn Treuler hinzu bitten.“
Frau Günther blieb unschlüssig.
„Und wie ist Ihr Name und Ihre Aufgabe?“, sprach Krieger jetzt den Nebenmann von Herrn Heimholdt direkt an.
Der antwortete brav: „Wirtlig, Leitung kaufmännische Ausbildung.“
Krieger wollte die Stimmung weiter beruhigen, erinnerte deshalb nicht an die Frage, sondern blickte zum Nächsten in der Runde.
„Riebesehl, technische Ausbildung. Auch ich bin der Meinung, wir sollten Treuler hinzuziehen, Frau Günther.“
Frau Günther ging an ihr Tischtelefon auf dem Schreibtisch, denn von dort konnte sie alle Abteilungsleiter einfacher über Kurzwahltasten anwählen. Jetzt warteten alle auf sie, auch Krieger wollte die Stimmung nicht wieder aufheizen.
„Hallo Herr Dr. Treuler, hier Günther, wir brauchen Sie hier in meinem Büro“, sie legte nicht sofort auf, scheinbar hatte ihr Gesprächspartner noch Fragen. Nach kurzem Zuhören ergänzte sie: „Nein, bitte sofort, die Polizei ist hier.“ Jetzt sprach sie wieder in die Runde: „Machen Sie bitte weiter mit der Vorstellung.“
Nun stellten sich auch Herr Dr. Freilich, begleitende Dienste wie Psychologen, Ärzte, Sport sowie Herr Klinger, der Verantwortliche für Personal, IT, Einkauf und Haus und Hof, vor.
Krieger ließ keine Pause entstehen: „Vielen Dank die Herren, jetzt würde ich gern auf meine einfache Frage zurückkommen: Ja oder nein, Herr Klinger, wie ist es mit Ihnen?“
„Natürlich nein.
„Halt, stopp!“, fuhr Herr Riebesehl dazwischen, „ohne Dr. Treuler wird hier nichts beantwortet. Wofür haben wir ihn denn sonst geholt.“ Er guckte Klinger strafend an, der daraufhin einen roten Kopf bekam.
„Wie Sie wollen“, antwortete Krieger, „aber das Vertrauensverhältnis wird dadurch nicht gerade gefördert. Von Frau Günther sind wir eine andere Zusammenarbeit gewohnt. Na ja, Sie müssen wissen, was Sie wollen. Wir können Sie auch einzeln ins Präsidium vorladen oder zu Hause besuchen.“
„Mit der Drohung fördern Sie auch nicht gerade das Vertrauensverhältnis.“ Klinger wollte sich wieder rehabilitieren, worauf nun Schrenk antwortete: „Nun lassen Sie uns hier doch nicht Kindergarten spielen. Wir sind doch alle gestandene, erwachsene Menschen und haben ein gemeinsames Ziel: Wir wollen den Tod Ihres Kollegen aufklären und den Mörder überführen und bestrafen. Wenn Sie sich besser dabei fühlen, können wir Ihnen unsere Fragen auch schriftlich geben und Sie können schriftlich antworten. Dadurch würde sich das Ganze jedoch nur unnötig in die Länge ziehen. Frau Günther, wie sehen Sie die Sache, sollten wir Ihre Mitarbeiter lieber einzeln im Präsidium verhören?“
„Wie Sie Ihre Arbeit machen, müssen Sie wissen“, und an ihre Abteilungsleiter gewandt fuhr sie fort: „Ich fordere Sie jedoch auf, alle Fragen schnellstmöglich und eindeutig zu beantworten. Wir haben doch alle nichts zu verbergen.“
Schrenk war zufrieden, seine Taktik war aufgegangen. Die Herren waren sich jedoch nicht einig. In dem Moment ging die Tür auf und ein älterer, unscheinbarer Herr in braunem Cordanzug betrat den Raum.
„Schön, dass Sie so schnell kommen konnten“, begrüßte ihn die Geschäftsführerin. „Die Herren Kommissare wollen unsere Abteilungsleiter verhören. Dabei drängte sich uns die Frage auf, ob Ihre Anwesenheit dabei nicht von Vorteil wäre.“
„Moment“, fiel ihr Schrenk ins Wort, „von Verhör kann keine Rede sein. Wir haben nur ein paar Fragen. Wie der Herr Anwalt sicher weiß, sieht ein Verhör anders aus, beginnt mit einer Rechtsbelehrung und setzt andere Rahmenbedingungen voraus. Das Verhör behalten wir uns fürs Präsidium vor. Hier geht es nur um eine simple Befragung.“
„Dagegen gibt es nichts zu sagen“, antwortete der Anwalt. „Ich empfehle jedoch jedem, im Zweifelsfalle die Antwort zu verweigern. Auch wenn es noch so harmlos wirkt, kann alles Gesagte gegen einen verwendet werden.“
„Hier geht es zum Beispiel um so eine einfache und nur mit Ja oder Nein zu beantwortende Frage wie: Waren Sie im letzten halben Jahr an einem Wochenendtag mit Herrn Regen in der Penthouse-Wohnung? Diese Frage hätte ich gerne von jedem der Herren einzeln beantwortet!“ Schrenks Ton wurde wieder ungeduldiger.
„Ich hab doch schon Nein gesagt“, begann wieder Herr Klinger, der inzwischen im Gesicht überall rote, hektische Flecken bekommen hatte, „und dies gilt für alle meine Kollegen.“
„Jeder einzeln, Herr Riebesehl?“ Schrenk wollte das jetzt zu Ende bringen.
„Nein.“ Mehr sagte der nicht.
„Herr Wirtlig?“
„Was sollte ich da? Nein.“
„Herr Freilich?“
„Ich war irgendwann mal mit ihm da, aber nicht am Wochenende.“
„Herr Heimholdt?“
„Nein.“
„Herr Treuler, Sie dürfen bei der Gelegenheit auch gleich antworten.“
„Ich hatte mit Regen nichts zu tun.“
„Heißt das Nein?“ Schrenk kannte die Spielchen.
„Ja, ich meine, nein, ich war nicht da.“
„Frau Günther, wie sieht es mit Ihnen aus?“
„Ich habe einmal an einem IM-come-together-Meeting teilgenommen, oder besser, es an einem Freitagnachmittag eröffnet und war dann an dem Sonntag noch einmal dabei. Wann das war, weiß nur mein Terminkalender.“
„Immerhin etwas, das Datum brauchen wir aber.“ Schrenk schaute zu Krieger, der nur kurz die Augen verdrehte. „Frau Günther, Sie sehen, es ist nicht einfach. Wir werden Sie alle noch einmal einzeln befragen. Bitte haben Sie dann Ihren Terminkalender dabei. Wir werden wissen wollen, was Sie an den Wochenenden des letzten halben Jahres gemacht haben und in welcher Form Sie mit Herrn Regen zusammengearbeitet haben.“
„Eine Frage habe ich noch“, schaltete sich noch einmal Krieger ein. „Hat jemand von Ihnen eine Ahnung, was Herr Regen an den Wochenenden in der Penthouse-Wohnung veranstaltet hat? Es werden mit Sicherheit nicht nur diese IM-Meetings gewesen sein. Herr Klinger, Herr Riebesehl, Herr Heimholdt. So etwas spricht sich doch herum.“
„Wieso sprechen Sie mich schon wieder an?“ Klingers rote Flecken traten erneut hervor. „Ich habe keine Ahnung, was er da gemacht hat. Ich habe sonntags was anderes zu tun.“
„Und die anderen?“
„Keine Ahnung, nein, wir wissen nichts“ war die einhellige Aussage.
„Okay, Heinz“, sagte Benno Krieger zu seinem Kollegen, „es hat keinen Zweck mit diesen Herren. Die wollen nicht. Für wie blöd halten die uns eigentlich? In jeder anderen Firma würde es tausend Gerüchte geben. Aber nicht in der AFA. Wir werden kooperativere Mitarbeiter finden. Frau Günther, ist Ihr Betriebsrat über ein Mobiltelefon erreichbar?“
„Unser Betriebsratsvorsitzender hat natürlich genau so ein Smartphone wie ich und sollte auch immer erreichbar sein. Seine Durchwahl ist 1150.“
„Vielen Dank, Sie alle hören von uns.“ Damit verließen die Kommissare den Raum.
„Ich bin sicher, die wissen genau, was da gelaufen ist. Aber du wirst sehen, die kriegen wir schon noch.“ Jetzt war Krieger auch leicht angesäuert.
Inzwischen standen sie wieder vor dem Betriebsratsbüro. Die Tür war geöffnet und sie wurden von einer Sekretärin begrüßt: Herr Bastrunk sei nebenan, sie könnten ihn besuchen. Auch hier gab es eine Besprechungsecke, jedoch dekoriert mit Ver.di-Postern. Wieder saßen die beiden Polizeibeamten, diesmal dem Betriebsratsvorsitzenden gegenüber und berichteten ihm von dem Gespräch mit den Abteilungsleitern. Sie endeten mit der Aussage: „Wir hoffen, Sie sind ein wenig kooperativer“. Damit übergab Schrenk das Wort an Herrn Bastrunk, der sofort antwortete: „Das verstehe ich wirklich nicht, dass die so mauern. Wie viele andere auch habe ich diverse Gerüchte über die Wochenendtreffen gehört. Habe aber immer abgewehrt und klargestellt, dass ich nichts davon wissen wollte.“
„Nun werden Sie bitte etwas konkreter. Was hat man denn so gesagt?“
„Na ja, es fielen so Begriffe wie ‚Lasterhöhle‘, ‚Spielcasino‘, ‚Zockerbude‘, ‚Veteranentreffen‘. Oder auch ‚die toben sich da mal so richtig aus‘. Ich habe aber nie von jemandem gehört, der wirklich dabei war oder der sagen konnte, was dort konkret abging.“
„Wer könnte denn mehr darüber wissen? Wir werden zwar alle Ihre Kollegen befragen, aber je eher wir Einzelheiten kennen, desto schneller können wir gezielt vorgehen und müssen nicht jeden verdächtigen.“ Schrenks Erfahrung und Gefühl sagte ihm, dass man mit diesem Mann offen reden konnte.
Herr Bastrunk brauchte lange, bevor er sich zu einer Antwort durchrang. „Meinen Betriebsratskollegen Charly Neumer hat das Ganze fürchterlich geärgert. Vor allem die Geheimniskrämerei darum. Ich weiß, dass er versucht hat, Näheres zu erfahren, hatte sogar bereits eine Zusammenstellung aller Daten und Informationen auf seinem Laptop erstellt und wollte Regen damit konfrontieren. Den sollten Sie befragen. Er hat jedoch dienstags seinen freien Tag. Vielleicht erreichen Sie ihn zu Hause. Haben Sie unseren Herrn Martin schon befragt? Der müsste doch auch was wissen.“
„Der hat angeblich auch keine Ahnung über das, was da gelaufen ist.“ In Schrenk verstärkte sich der Verdacht, dass hier alle etwas zu verbergen hatten, „Wenn die so weitermachen, werden wir wohl bald mit Hausdurchsuchungen kommen müssen. Inwieweit müsste Ihrer Meinung nach Frau Günther über die Vorgänge Bescheid wissen?“
„Oh, dazu sage ich nichts. Sie ist zwar viel unterwegs, aber eigentlich wussten meines Erachtens alle im Ausbildungsbereich von den Gerüchten. Charly hat genaue Daten und auch Namen. Fragen Sie ihn, er ist morgen wieder da, kommt meistens sehr früh, so gegen 7 Uhr. Hat alles auf seinem Laptop.“
„Den Laptop hat er jetzt wohl zu Hause? Dann werden wir ihn dort besuchen“, sagte Schrenk, worauf Bastrunk antwortete: „Nein, das Ding ist hier in der Dockingstation“, er zeigte auf den anderen Schreibtisch, „aber mit Stahlseil angeschlossen.“
„Na gut, dann kommen wir morgen früh wieder. Den halben Tag kann das auch noch warten. Herr Bastrunk, Sie kennen doch die meisten Ihrer Kollegen, oder?“
„Na ja, ich bin seit 22 Jahren bei der AFA, seit 14 Jahren im Betriebsrat und war parallel immer im Ausbildungsbetrieb aktiv.“
„Können wir die Mitarbeiterlisten, die wir von der Personalabteilung bekommen haben, mit Ihnen einmal durchgehen und Sie sagen uns, mit wem Regen zu tun hatte?“ Krieger hatte die Listen bereits herausgeholt und auf den Tisch gelegt.
Bastrunk kannte tatsächlich fast alle und kennzeichnete Regens Mitarbeiter und diejenigen, mit denen Regen aufgrund seiner Aufgaben zu tun hatte. Nur einen der Dozenten kannte er nicht. Diesen markierte er mit einem Fragezeichen und dem Kommentar ‚neu‘. Krieger nahm die Listen entgegen und beide Kommissare bedankten sich ehrlich. „Jetzt können wir die Befragungen gezielt fortsetzen.“ Er half ihnen noch, eine Reihenfolge der zu Befragenden aufzustellen, bevor Schrenk sich mit den Worten: „Vielen Dank, Herr Bastrunk. Wir werden uns ja wahrscheinlich schon morgen, wenn wir Ihren Kollegen befragen, wieder sehen. Dann spendieren wir ihnen einen Kaffee aus Ihrem Automaten.“ Bastrunk wehrte ab: „Das war doch wohl selbstverständlich. Dann bis morgen.“
Die beiden Kommissare suchten sich im Außengelände nahe der Stelle, an der der Tote gefunden wurde, eine Bank, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Sie wollten erst einmal die Befragungen abschließen, holten sich deshalb zur Unterstützung noch den Kollegen Meiersson und konnten damit dreigleisig vorgehen. Am Nachmittag trugen sie dann die Ergebnisse zusammen, um sie für die Präsidiumsbesprechung auszuwerten.