Читать книгу Der Koffer meiner Frau - Klaus Werner Hennig - Страница 3

Der Koffer meiner Frau

Оглавление

Schuld an allem war meine Frau. Ich wollte kein Grundstück verkaufen.

„Meine Großmutter hat immer gesagt, ob Krieg, Inflation oder Revolution, nichts ist wertbeständiger denn Grund und Boden!“

„Aber Esszimmermöbel aus Kirschbaumholz“, belatscherte mich meine Frau, „überdauern die Zeiten ebenso!“

„Wozu ein Esszimmer, frage ich dich, wo du eh abnehmen möchtest?“

Nicht auszuhalten! Unentwegt sammelte sie Prospekte, stapelte Kataloge, stürmte Möbelhäuser, prüfte Sonderrabatte, lernte den Zollstock handhaben.

Drei Wochen später: Termin beim Notar mit dem Makler.

Am Abend vor der Reise bekam ich Herzrasen und sehr hohen Blutdruck. Meine Frau entschied, wir fahren Bahn!

„Aber“, wandte ich ein, „wir sind zwanzig Jahre nicht Bahn gefahren.“

Dienstreisen – stets mit dem Auto. In die Stadt – nur mit dem Auto. Einkaufen – alles im Auto. In den Urlaub – immer im Auto. Und auf einmal mit der Bahn. Meine Frau blieb eisern.

Ein Parkplatz am S-Bahnhof ist reine Glücksache. Links die Tasche, rechts den Koffer. Meine Frau half mir tragen. So stolperten wir die Treppe zum Bahnsteig hinauf. In zwei Minuten würde die S-Bahn einfahren, aber wir hatten keine Fahrkarten. Ich rannte die Treppe wieder hinunter. Nichts. Wo früher der Fahrkartenschalter war, befand sich ein Blumenladen. Ein Bahnhof ohne Fahrkartenschalter? Ich befragte die Blumenfrau. Die Vietnamesin lächelte sanft: „Oben auf Bahnsteig das Automat, bitte schön.“ Ich kaufte eine Rose. Meine Frau strahlte. „Die Fahr­scheine?“ Da fuhr der Zug ein. Meine Frau schnappte den Koffer. Ich hielt sie zurück. „Die Strafen für Schwarzfahren sind immens!“ Der Zug fuhr ohne uns.

Automaten gab es gleich mehrere für Getränke, Zigaretten, Süßwaren. Aber wir verspürten keinen Durst, sind Nichtraucher und zuckerkrank.

„Der da dort könnte es sein!“ Volltreffer! Nun dürfte nichts mehr schiefgehen. Schließlich surfe ich Internet. Meinen Sohn befrage ich nicht mehr, der stichelt immer gleich: aber Opa! Frechheit, er hat überhaupt keine Kinder.

Ein Gewirr von Informationen: Einteilung in Zonen. Wozu schon wieder Zonen? Die nächste S-Bahn kommt bestimmt. Nur welchen Knopf drücken? Meine Frau, examinierte Krankenschwester, probierte es. Auch diese S-Bahn fuhr ohne uns. Es kamen Kinder. Sollten wir die fragen, wie man heutzutage Fahrkarten löst?

Tapfer nahm ich Koffer und Tasche, keuchte zurück zum Auto. Meine Frau hinter mir fluchte: „Wenn ich das vor vierzig Jahren gewusst hätte!“ Wir rasten zum Ostbahnhof, brausten durch die Unterführung, fanden das Plätzchen frei, auf dem ich gewöhnlich, während meine Frau einkauft, gebührenfrei parke.

Mein Gedächtnis ist fotografisch. Indes, wo ich einst nach Saßnitz Fahrkarten löste, drängen sich heute Geschäfte: Back-Shop, Buchbasar, Schlüpferstube; Nagelstudio, Käseglocke, Thai-Imbiss; Strumpf­-Boutique, Wurstmaxe, Schuhsalon; Zeitungs-Center, Suppentopf, Solarium; Hypo-Bank, Quelle-Versand, Dönerstand. Wie in einem Warenhaus.

Auffallend eine Warteschlange, da könnte der Fahrkartenschalter sein! Automaten ließ ich links liegen. Verflucht, verraten und verlassen, eine banale Postfiliale, Fahrkarten nirgendwo. Mein Blutdruck kletterte.

„In zehn Minuten der Intercity“, barmte meine Frau und wies auf die elektronische Anzeige für Abfahrt und Ankunft. Wie auf einem Flughafen. Was tun?

„Entschuldigung“, fragte ich das Fräulein am Computer hinter der Theke einer Auskunftei. „Wo finde ich den Fahrkartenschalter?“

„Hier, Sie stehen davor, mein Herr, unmittelbar.“ Sie lächelte, als ob ich debil wäre. „Wohin reisen wir?“

„Nach Erfurt, Intercity, zwei Personen, Fensterplätze!“

Flink tippte sie ein, nannte den Preis. Ich war angenehm über­rascht. Da ergänzte sie: „In vier Wochen fahren, jetzt buchen!“

„In vier Wochen?“ – „Wann bitte wünschen Sie?“ – „Na gleich!“

„Da haben wir aber Glück! Zwei Plätze, allerdings kosten die!“ – „Ich glaubte, letzte Minute sei billiger?“

Wir fuhren bequem, verhökerten das Grundstück so günstig, dass meine Frau sich ein gewagtes Schuhwerk zulegte. Sie behielt es gleich an. Am Ostbahnhof hüpfte sie freudig erregt, den Kopf voller Designermöbel, auf den Bahnsteig. Sie knickte, es knackte! Ich hätte sie geschubst, zischte sie, den Absatz in der Hand.

„Macht nichts!“, tröstete ich, wedelte mit dem Kassenzettel, massierte den Fuß, hob den Koffer auf die Bank, nahm die alten Schuhe heraus und legte die Stöckeltrittchen hinein. Schweigend gingen wir zum Auto. Glückstreffer, der Wagen nicht gestohlen, die Reifen nicht zerstochen, die Rückspiegel nicht zerbrochen, der Lack nicht zerkratzt, die Scheiben nicht besudelt, unterm Wischerblatt kein Strafzettel, lediglich der Speiseplan eines Fressschuppens! Gut gelaunt warf ich erst die Tasche in den Kofferraum, dann den Koffer. Den Koffer? Der Koffer meiner Frau lag auf der Bank auf Bahnsteig B! Bingo!

Aufschrei meiner Frau: „Du elendige Schlafmütze, du!“ Die Pillen, die neuen Schuhe und was noch alles sich in dem Koffer befände, und wer ich wirklich wäre, benannte sie, mit dem Fuß stampfend, laut und deutlich!

„Aber es ist dein Koffer, Teddybär!“, verteidigte ich mich.

Trotzdem, zum Bahnhof trottelte ich. Ein Hubschrauber kreiste merkwürdig niedrig. Es wimmelte derartig von Polizisten, als gelte es, eine Demo gegen neuerliche Fahrpreiserhöhungen zu verhindern. Oder marschierten Rechtsextremisten? Ich schlängelte mich an der Postenkette vorbei, werde gefilmt. Am Bahnsteig B ist kein Hochkommen. Der Treppenaufgang scheint regelrecht verbarrikadiert, womöglich vermint zu sein. Ich stürze zum Bahnsteig A, blicke hinüber. Tatsächlich, auf der Bank der Koffer meiner Frau, umlagert von Gestalten, die vermummt wie Kosmonauten mit gläsernen Hauben im gehörigen Abstand verharren. Ein Spezialist robbt sich zur Bank, lauscht mit einem Gerät an dem Koffer. Ich höre förmlich die Weckuhr meiner Großmutter ticken, ohne die meine Frau nie einschlafen kann. Der Idiot legt einen Sprengsatz.

„Halt!“, schreie ich so laut ich kann, „das ist der Koffer meiner Frau!“ Aber das hört keine Sau. Sie verständigen sich über Funk. Ich gestikuliere wie wild. Kurz entschlossen haste ich über die Gleise zum Bahnsteig B. Da hechtet sich ein athletischer Typ voll auf mich, will mich zu Boden reißen. Ich ducke mich seitwärts. Da klatscht der Froschmann bäuchlings auf den Bahnsteig und schlittert über die Kante. Alles starrt, die Waffe im Anschlag, zu mir. Ich schnappe den Koffer, da dröhnt das Kommando: „Volle Deckung!“ Die Uniformierten liegen flach vor mir auf dem Boden. Ich flitze zur Treppe, werde umzingelt. Handschellen klicken.

„Verhaftet!“, schnarrt eiskalt die Stimme. – „Seid ihr verrückt?“, krächze ich wütend. „Oder dreht ihr einen Film?“

„Ich drehe gleich durch! Objekt sichern!“ – „Das ist der Koffer meiner Frau!“, schreie ich aus Leibeskräften in der Hoffnung, dass mich andere Fahrgäste hören, zu Hilfe eilen, mir beistehen, sich mit mir empören, aber keiner kommt. Der Koffer wird mir entrissen.

„Haben Sie nie vom elften September gehört?“ – „Heute ist der elfte November!“, stelle ich richtig und schaue zur Uhr. „Elf-Uhr-elf, zufällig“, grinse ich argwillig.

„Werden Sie nicht frech! Alles geschieht auch zu Ihrer Sicherheit!“

„Dann nehmen Sie mir die Handschellen ab!“

Der Einsatzleiter entspannt sich, notiert meine Personendaten, lässt Fingerabdrücke nehmen.

„Eigentlich brauche ich Ihre Speichelprobe“, fordert er keck.

„Kein Problem!“ sage ich wütend und spucke ihm vor die Füße in den Dreck.

„Beherrschen Sie sich gefälligst, ich habe meine Vorschriften! Öffnen Sie den Koffer!“

Verschämt zeige ich die Wäsche meiner Frau, die Weckuhr meiner Großmutter. Alles wird fotografiert. Scharenweise ziehen die Einsatzkräfte ab. Der Hubschrauber dreht bei.

„Sie haben die öffentliche Ordnung gestört, unsere Sicherheit gefährdet. Da kommt ein Bußgeld auf Sie zu, das sich gewaschen und gekämmt hat!“

Im Auto schnauzte meine Frau: „Wo hast du dich wieder rumgetrieben?“. Ich schilderte, am Rande eines Infarktes, alles haar­klein, aber sie fauchte entnervt, das sei die dämlichste Geschichte, die ich je erfunden hätte.

Das Schreiben des Polizeipräsidenten ließ sie erblassen. Fortan raten wir jedem, mit der Bahn ohne Koffer zu reisen.

Notfalls klage ich bis vor das Bundesverfassungsgericht, teilte ich dem Polizeipräsidenten in meinem Einspruch mit. Begründung: Schuld war nämlich meine Frau, ich wollte mein Grundstück nicht veräußern!

Das Präsidium antwortete schlicht: Die Argumentation hat die Behörde überzeugt. Der Einsatz wird als Übung zur Terrorbekämpfung eingestuft.

Wohlweislich verheimlichte ich den Schrieb vor meiner Frau.

Dem Polizeipräsidenten sei gedankt, das Geld für das Grundstück blieb auf der Bank.

Gut verzinst übrigens.

Der Koffer meiner Frau

Подняться наверх