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Kapitel 2
ОглавлениеEs war eine schäbige Gegend. Sie erschien mir genauso schäbig, wie der Grund, aus dem ich hier war.
Der Hauseingang bot etwas Schutz gegen den Nieselregen. Ich lehnte an einer Mauer und beobachtete die Fenster in dem Haus gegenüber.
Harrys Wohnung, um genau zu sein.
Ich hatte schon viele Nächte in der Kälte gestanden und als Privatdetektiv alles Mögliche beobachtet was man sich nur vorstellen konnte. Aber heute Nacht war alles irgendwie dunkler, grauer und nasser als sonst. Ich wollte nicht hier sein. Aber irgendwie fühlte es sich so an, als wäre ich es einem alten Freund schuldig. Der alten Zeiten wegen, wenn man so will.
Nichts tat sich. Alles lag in bleiernem Grau. Ab und zu fuhr ein Auto vorbei und ich trat etwas weiter zurück in den Hauseingang.
Ich zündete mir eine Zigarette an und beobachtete eine Katze, die mit einer Maus zwischen den Zähnen über die Straße lief und hinter Mülltonnen verschwand.
Ich stellte mir die Frage, ob ich in dieser Geschichte die Katze, oder die Maus war.
Der Unterschied zwischen Katzen und Privatdetektiven ist, dass Katzen immer Katzen sind, aber ich war mal Jäger und mal Gejagter.
Das Schlimmste an diesen Jobs war das ewige Warten. Ich glaube, ich habe mein halbes Leben irgendwo gestanden und auf irgendetwas oder irgendjemanden gewartet.
Und ich war nicht einmal sicher, ob ich mir heute überhaupt wünschte, dass jemand kam.
Ich wusste, wenn nicht Harry, so würde mit Sicherheit die Polizei bald auftauchen.
Und ich wollte ihn, verdammt noch einmal, vor ihnen sprechen. Denn irgendetwas an diesem Fall passte nicht zusammen. Ich hatte keine Anhaltspunkte, weder für noch gegen Harry. Aber mein Bauch sagte mir ganz deutlich, dass er in irgendetwas hineingeraten war, aus dem er jetzt alleine nicht mehr herauskam. Und in was er steckte, dass wollte ich mir von dem Einzigen erklären lassen, der dazu wahrscheinlich in der Lage war. Vielleicht war Harry schuldig, vielleicht auch nicht. Ich wollte es wissen.
Ich warf meine Zigarette auf den nassen Boden vor mir und trat sie aus. Mit leichten Schritten überquerte ich die Straße und ging in das gegenüber liegende Treppenhaus hinein.
Es roch nach Pisse und Katzen. - Kein Licht. Ich vermied es das Treppengeländer zu berühren.
Ein paar Minuten und hundert Treppenstufen später stand ich vor Harrys Tür. Sie sah so aus, wie er heute Abend, dreckig und abgenutzt.
Ich griff in den Mantel und zog meine 45er heraus. Mit dem Daumen entsicherte ich die Waffe.
Jetzt war noch Zeit umzudrehen und zu gehen. Ich würde morgen vor der Polizei meine Aussage machen und der Fall wäre für mich erledigt gewesen.
Doch schon in der nächsten Sekunde spürte ich den Türknauf in meiner Hand und wie ich ihn mit leichtem Druck nach links drehte.
Ein leiser Klick war zu hören und die Tür sprang einen Spalt weit auf. Ich verharrte mit erhobener Pistole und horchte in die Wohnung hinein.
Nichts zu hören.
Drinnen war es so ruhig wie ich es erwartet hatte.
Langsam, und bemüht keine Geräusche zu machen, schob ich die Tür weiter auf und betrat die Wohnung.
Durch die Fenster zur Straße fiel etwas Licht. Ich schloss die Tür hinter mir und schaute mich um.
Es stank nach alten offenen Flaschen, Feuchtigkeit und vergammeltem Essen.
Mein Blick richtete sich auf das Bett, das auf der, den Fenstern gegenüberliegenden Seite des Zimmers stand.
Die Fenster waren noch nicht dreckig genug und die Straßenlampen tauchten das Zimmer gnädig in ein gelbes Zwielicht.
Minutenlang verharrte ich bewegungslos im Türrahmen und beobachtete die reglose Gestalt auf der Matratze.
An der Wand über dem Bett hing eine billige, leicht verblichene Kopie von Van Goghs Sonnenblumen. Es schien mir, als wäre das Bild nach Hause gekommen.
Es hätte keinen besseren Platz dafür geben können! Es war wie ein unerfüllter Wunsch einer vergangenen, besseren Zeit.
„Du hast dich nicht weit genug verkrochen Harry“, dachte ich.
Langsam steckte ich meine Kanone zurück ins Halfter und ging auf das Bett zu.
Meine Augen hefteten sich auf die dort liegende Person, während ich eine Lucky Strike aus der Schachtel nahm und sie mir zwischen die Lippen steckte. Ich riss ein Streichholz an und entzündete die Zigarette. Meine Hand mit dem Streichholz sank tiefer und beleuchtete das Gesicht.
Harry wie erwartet, wer sonst?
Auf dem Bauch liegend, das Gesicht seitlich gedreht, lag er auf dem Bett und schlief.
Speichel tropfte aus seinem geöffneten Mundwinkel.
Ich sog den Rauch meiner Zigarette tief ein und blies ihn an die Decke des Zimmers.
Es stieg Wut, gepaart mit Traurigkeit in mir hoch.
Am liebsten hätte ich diesen Drecksbastard durch den Raum geprügelt, aber in Anbetracht seines Zustands erschien mir dieser Wunsch wenig sinnvoll.
Ich merkte, wie sich meine anfängliche Wut je länger ich auf ihn herabschaute, in Mitleid umwandelte. Was wusste ich schon was passiert war, oder was ihn hier hatte letztlich enden lassen.
Wie oft stand ich selbst schon vor einem Absturz. Wer weiß, vielleicht hatte ich einfach immer nur etwas mehr Glück.
Es gibt Kinder, die kommen ohne Schutzengel auf die Welt. Und bei einigen, bleibt es das ganze Leben so.
Ich griff zu einer kleinen Drahtlampe an der Wand und schaltete das Licht an.
Es schien mir, als würde das Licht erst richtig die Trostlosigkeit dieses Raumes freilegen.
In dieser Umgebung musste ein Mann verzweifeln. In dieser Umgebung musste jeder verzweifeln!
Aber trotzdem alledem, ich traute Harry durchaus zu, dass er sich jeden Tag bis zur Bewusstlosigkeit besoff, sich beschiss und bepisste, oder sogar eine Lady vergewaltigte. - Das war eine Sache, aber ein Mord war eine ganz andere!
Ich ging hinüber zu einer kleinen Abseite, in der sich ein überfülltes Waschbecken und ein Kochherd befand.
Zwischen all den Küchenresten und leeren Flaschen entdeckte ich ein halbwegs sauberes Glas.
Ich nahm es, füllte es mit Wasser und ging zurück ans Bett.
Eine kurze Sekunde Zögern, dann goss ich es Harry mit einem Schwung ins Gesicht.
Er zuckte zusammen und fing an, während er prustete, sich mit der linken Hand über das Gesicht zu wischen. Langsam, ohne dabei seinen weiteren Körper zu bewegen, erhob er ganz langsam seinen Kopf. Die Augen waren nur zwei glasige Schlitze, die ein erbärmliches Leben bescheinigten.
Ich stellte das Glas zur Seite und griff ihn an seinen Hemdkragen, um ihn daran von der Matratze hochzuziehen.
„Komm hoch du blöder Idiot!“ zischte ich und setzte ihn aufs Bett.
Von alle dem nahm er mit taumelndem Kopf nicht viel wahr.
„Harry!“ rief ich und schlug ihn ins Gesicht „Harry wach auf verdammt!“
Er glotzte mich an.
„Gib mir was zu trinken,“ röchelte er mir mit seinem Stinkatem entgegen.
Ich packte ihn fester.
„Das Einzige was du kriegst, ist was in die Fresse!“
Sein Kopf schlackerte von einer Seite auf die andere, während ich ihn schüttelte.
„Hör auf!“ rief er und befreite sich mit einer Armbewegung aus meinem Griff.
Er schaute mich an, und plötzlich schien es, als würde sein restlicher Verstand anfangen zu arbeiten.
„Was willst du von mir?“ lallte er.
Ich setzte mich neben ihn auf das Bett.
„Komm Harry, rede mit mir. Jetzt ist noch Zeit, bevor die Bullen kommen. Du weißt, wie die sind. - Lass mich versuchen dir zu helfen.“
Er glotzte mich verständnislos an.
„Bullen?“
Ich stand auf und ging zum Fenster.
„Harry, wir haben nicht mehr viel Zeit bis sie hier auftauchen!“
Ich warf einen Blick hinter den Lappen, der einmal eine Gardine gewesen ist, hinaus auf die Straße. Es war alles ruhig. Vielleicht wusste Pinky nicht einmal die Adresse von Harry, fiel mir ein. Das konnte mir nur recht sein, so blieb uns etwas mehr Zeit. Verlassen wollte ich mich darauf allerdings nicht.
„Also was ist, spuck`s schon aus!“ forderte ich ihn auf und drehte mich wieder um.
Harry rappelte sich langsam hoch und stützte sich jetzt auf den kleinen Tisch, der zwischen uns stand.
„Kannst du mir mal erzählen was überhaupt los ist! - Du tauchst hier nach einem Jahr bei mir auf und quatschst wirres Zeug. - Hast du Probleme mit den Blauen?“
Unbeholfen fingerte er sich eine Zigarette aus der Schachtel und zündete sie an.
Ich machte einen Schritt auf ihn zu und schlug ihm meine Faust mitten ins Gesicht. Die Zigarette flog im hohen Bogen auf den Fußboden und er rückwärts zurück auf das Bett.
Mit einem Satz war ich über ihm.
„Du willst mir also erzählen, du weißt nichts von Rita, von dem Kleid, der Tombola und allem was heute Abend passiert ist!?“ rief ich wütend.
Er schaute mich verängstigt an und wischte sich etwas Blut aus dem Mundwinkel.
Ich stellte mich wieder auf, holte ein Taschentuch heraus und warf es ihm hin.
„Hier nimm das“, sagte ich knapp.
Er betupfte sich seinen Mund und fuhr mit der Zunge über die aufgesprungene Lippe.
„Was ist denn mit Rita?“ kam es zögernd durch das Taschentuch.
„Ich weiß nicht was es ist Harry, aber ich habe das Gefühl, dass du mich tatsächlich verarschen willst.“
„Natürlich will ich dich nicht verarschen, Floyd. Das weißt du doch, wir sind Freunde“, behauptete er. „Was ist mit Rita?“
Ich betrachtete dieses Häufchen Elend auf dem Bett. War es möglich das er so gut schauspielerte oder war er nur verdammt clever und versuchte auf diese Art seine Haut zu retten?
„Was weißt du noch von gestern Abend?“ fragte ich ihn, nicht ohne Hoffnung, vielleicht doch eine Lücke in seinen Erzählungen zu finden.
„Ich war besoffen!“ erwiderte er betont mit großer Geste.
„Daran führt kein Weg vorbei Harry. - Also, was weißt du noch?“
Er fing an, sich wie ein Aal zu winden.
„Nichts Floyd, ich weiß einfach nichts mehr, - glaub mir!“
„Was ist mit Rita?“ blieb ich hart. „Was weißt du von Rita?“
Er kam mit dem Kopf hoch und hielt mir das blutige Taschentuch entgegen.
„Rita, Rita!“ rief er. „Was willst du immer mit Rita, verdammte Scheiße!?“
Ich packte ihn wieder am Handgelenk und zog ihn dichter heran.
„Das will ich dir sagen du Scheißkerl. - Ich will, dass du dich daran erinnerst, wie du sie letzte Nacht totgemacht hast!“
Harry zuckte zurück und saß jetzt aufrecht, mit weit aufgerissenen Augen auf dem Bett. Er drückte sich das Taschentuch vor den Mund.
„Rita ist tot?“ brachte er nach einer Weile heraus.
„Allerdings! Und so wie es aussieht hast du ihr das Licht ausgeknipst.“
Ich ging wieder ans Fenster und beobachtete die Straße.
Harry saß grübelnd auf dem Bett. Plötzlich sprang er auf und kam auf mich zu. Mit einer kurzen Bewegung griff ich zur Waffe, ließ sie aber noch stecken. Das Gefühl des Stahls in meiner Hand gab mir Ruhe.
Kurz vor mir blieb er hechelnd stehen. Seine gehetzten Augen wanderten haltlos hin und her.
„Aber Floyd, ich habe sie bestimmt nicht umgebracht! - Ich kann mich an nichts erinnern!“
Ich schaute ihn durchdringend an.
„Eben Harry, dass ist das Problem.“
„Was ist das Problem?“
„Das du dich nicht erinnern kannst.“
„Aber wieso ist das ein Problem?“
„Nun, du kannst dich zwar nicht erinnern, sie umgebracht zu haben“, erklärte ich, „aber du kannst dich genauso gut nicht daran erinnern, es nicht getan zu haben. - Und so wie die Dinge liegen, spricht alles gegen dich.“
Sein Blick wanderte auf den Boden. Eine tiefe Resignation ging von ihm aus.
„Sie ist wirklich tot?“ vergewisserte er sich noch einmal.
Ich nickte und hatte das Gefühl, dass seine Schultern noch etwas tiefer sanken.
„Aber warum sollte ich sie umbringen?“ gab er zu bedenken. „Ich mochte sie doch!“
„Vielleicht zu sehr Harry, vielleicht zu sehr.“
Ich hatte zunehmend das Gefühl, das wir hier mit unserem Gespräch wertvolle Zeit vertrödelten. Aber ich selbst war mir auch unsicher, was jetzt zu tun war.
„Du bist der Einzige, der in Frage kommt!“
Harry ging zu seiner kleinen Kochnische und kramte zwischen dreckigem Geschirr. Plötzlich hatte er eine Whiskyflasche in der Hand, setzte sie an und soff.
„Hey hör auf!“ rief ich und ging auf ihn zu.
„Ich sage dir, ich habe sie nicht getötet, glaub mir doch!“ keifte er.
Ich riss ihm die Flasche aus der Hand und schüttete den Inhalt unter seinem entsetzten Blicken in den Ausguss.
Harry sackte auf die Knie und schlug die Hände vor das Gesicht. Gedämpftes, leises Wimmern war zu hören.
Ich holte meine Zigaretten aus der Tasche und zündete zwei an. Eine davon reichte ich Harry.
„Hier nimm, und hör auf zu jammern!“
Er griff danach und sog den Rauch gierig ein. Mit zitternden Händen hielt er die Zigarette zwischen seinen Fingern.
Ich ging wieder zum Fenster zurück.
Harry schlug sich mit der flachen Hand mehrmals gegen die Stirn.
„Wenn ich mich bloß erinnern könnte! Aber ich habe doch...“
Mitten im Satz hörte er auf zu sprechen und starrte in meine Richtung.
„Warum schaust du immer aus dem Fenster?“ fragte er mit leiser, ahnungsvoller Stimme. „Auf wen wartest du?“
Im nächsten Augenblick war er aufgesprungen und lief, so gut er eben konnte, zur Tür. Ich war schneller und stand schon vor ihm, als er dort ankam.
Er ruderte wild mit seinen Armen.
„Du hast mich verpfiffen und wartest jetzt das sie mich abholen, du Bastard!“ keuchte er und versuchte an mir vorbeizukommen.
„Rede keinen Blödsinn!“ schnauzte ich ihn an. „Aber selbst die Polizei kann eins und eins zusammenzählen. Und um in dieser Sache auf dich zu kommen, braucht es noch viel weniger.“
Es schien mir, als mache sich eine gewisse Ernüchterung in ihm breit.
„Verdammte Scheiße! Wie komm ich da bloß wieder raus?“ Und leise, fast flüsternd fügte er hinzu „Ich glaube ich habe großen Mist gebaut, Floyd.“
Ich griff unter seine Achsel.
„Pass auf Harry“, sagte ich und zog ihn etwas heran, „was wir jetzt brauchen ist etwas Zeit. Aber hier kannst du nicht bleiben, dann hätten sie dich in einer halben Stunde.“
„Ja Floyd, du hast recht,“ erwiderte er hilflos.
„Ich kenne da jemanden, der hat ein kleines Hotel. Da werden wir dich erst einmal für ein paar Tage unterbringen. Da suchen dich die Cops nicht.“
„Wer weiß, wer sonst noch hinter mir her ist,“ klagte er.
Ich schaute ihn hart an.
„Wenn das so ist, dann solltest du es mir jetzt mal langsam erzählen, du blöder Hund!“
Er zuckte nur mit den Schultern, und seine Augen begannen wieder etwas zu glänzen.
„Du bist ein echter Freund Floyd,“ stammelte er. „Komm lass uns los!“
Er wollte sich an mir vorbeidrücken.
„Ich sag dir eins Harry, wenn sich herausstellt, dass du es doch warst, schleppe ich dich höchst persönlich zur Polizei!“
„Ist schon klar Floyd, ist schon klar.“