Читать книгу Ein Seemann erzählt von seiner Seefahrt in zwei deutschen Staaten - Herausgeber: Jürgen Ruszkowski - Knut Freiwald - Страница 7
Herkunft, Kindheit, Jugend
ОглавлениеHerkunft, Kindheit, Jugend
Geboren 1950 in Schlieben, einer kleinen Stadt in der Lausitz im heutigen Bundesland Brandenburg.
Der sogenannten erste Arbeiter- und Bauern-Staat Deutschlands, die DDR existierte noch nicht einmal ein halbes Jahr, sollte aber dann Einfluss nehmen auf meine Entwicklung und mein Leben bis zu seinem Zusammenbruch im November 1989.
Meine Oma sagte immer, ich gehe mit dem halben Jahrhundert.
Schlieben ist eine über tausendjährige kleine reizvolle Stadt in der Lausitz, gelegen am ehemaligen Handelsweg nach Leipzig, heute Bundesstraße 87. Das Stadtbild wird geprägt vom Marktplatz mit seiner sehr schönen Backsteinkirche.
Dort wurde ich nach dem damaligen Brauch getauft. Der sozialistische Arbeiter- und- Bauern-Staat hatte andere Sorgen, als sich mit der Kirche zu beschäftigen. Dies sollte erst später ein Thema für Staat und Regierung werden. Der Lange Berg mit seinem wunderschönen alten Baumbestand und der Kirchturm sind schon von weiten zu sehen, wenn man sich Schlieben nähert. Dort befindet sich der Friedhof und zu damaliger Zeit ein Ausfluglokal mit Kegelbahn sowie der Fußballplatz. Weiterhin ein Turm zum Gedenken an die Gefallenen der Weltkriege, von wo aus man eine schöne Aussicht auf die Umgebung von Schlieben hat. Nicht zu vergessen die Steigemühle mit einem kleinen Teich, der zum Baden genutzt wurde und bei den Anglern sehr beliebt war und noch heute ist. Auf dem Langen Berg findet auch jedes Jahr das Pfingstsingen statt, welches eine lange Tradition hat. Die terrassenförmigen Flächen vor dem Gedenkturm wurden genutzt bei Festlichkeiten der Stadt. Eine Besonderheit der Stadt Schlieben sind noch ihre Weinkeller. Das sind künstlich in den Langen Berg getriebene Keller, die früher zum Lagern von Wein und Vorräten aller Art genutzt wurden. Einmal im Jahr werden einige davon als Weinkeller während des Moienmarktes (ein altes traditionelles Marktfest) geöffnet, das jeweils in der ersten Juliwoche des Jahres stattfindet.
Meine Ausführungen über Schlieben sind deshalb etwas länger, weil ich dort oft meine Schulferien bei meiner Oma, Tante und Onkel verbrachte. Diese hatten neben meiner Mutter einen maßgeblichen Einfluss auf meine Entwicklung und Erziehung. Ein tiefer Einschnitt in meiner Kindheit war der Tod meines Vaters im Jahre 1962. Meine Eltern waren inzwischen nach Buchhain, einem kleinen Dorf ca.10 km entfernt von Schlieben, verzogen. Wir wohnten dort zuletzt in einer Molkerei, in der mein Vater als Buchhalter beschäftigt war. Meine Mutter arbeitete als Leiterin des örtlichen Kindergartens. Die Molkerei lag zwischen Buchhain und Nexdorf direkt am Rande der Wälder. Für uns Kinder, meinem Bruder und meiner Schwester war es ein ideales Umfeld zum Spielen. Unsere Wohnung war für damalige Zeiten riesengroß und schon mit fließendem Wasser, Bad und Innentoilette sowie teilweiser Zentralheizung ausgerüstet, was nicht gerade üblich war. Später wurde sie aber geteilt, so dass noch ein Mieter dort wohnte. Der Tod meines Vaters veränderte radikal die Lebenssituation unserer Familie. Mein Vater nahm sich das Leben, meine Mutter erzählte mir später, er sagte am Morgen noch Tschüss, was er sonst nie getan hat. Man fand ihn dann später im nahegelegenen Wald. Für uns Kinder war es unfassbar und wir konnten nicht verstehen warum. Meine Mutter musste von heute auf morgen allein mit drei Kindern klarkommen. Es folgte eine schwere Zeit für sie, um uns drei Kinder durchzubringen. Die Molkerei wurde später still gelegt, und damit war Schluss mit fließend Wasser und Zentralheizung. Das Wasser mussten wir fortan mühsam direkt vom Brunnen holen, der im nahen Wald lag, was besonders im Winter beschwerlich war. Bis zur 7. Klasse besuchte ich die Grundschule in Buchhain.
Knut als Schuljunge
Dies bedeutete die erste Zeit, bei jedem Wetter zu Fuß beziehungsweise mit dem Fahrrad die zwei Kilometer zur Schule zu bewältigen, bis endlich dann später ein Schulbus eingesetzt wurde. In der Schule war ich immer ein guter Schüler, mein alter Lehrer sagte stets, ich könnte ein sehr guter sein, wenn ich mich endlich mal richtig bemühen und anstrengen würde. Dieser Lehrer weckte auch mein Interesse für das Fach Chemie. Dieses Fach wurde mein Lieblingsfach, und ich hatte bis zum Abitur immer ein „Sehr gut“ im Zeugnis zu stehen. Im Fach Chemie nahm ich dann auch später recht erfolgreich an den damals üblichen Chemieolympiaden teil. Wer weiß, wäre ich nicht Seemann geworden, hätte ich wohl etwas mit Chemie gelernt und studiert. Nur das Fach Deutsch, insbesondere die Rechtschreibung und Grammatik bereitete mir schon damals doch erhebliche Schwierigkeiten. Wie sagte man so schön, „mir und mich kenne ich nicht“, die örtliche Umgangssprache hatte mich sehr geprägt. Denn Jahre später, nun als Erwachsener und im Deutsch etwas geläutert, sträubten sich mir immer meine Haare, wenn meine Mutter zu Besuch war und sie in ihrer Umgangssprache zu erzählen begann. Sie konnte ja nichts dafür, sprach nur den Dialekt unserer Gegend. Die mangelhafte Rechtschreibung kostete mich später manch gute Zensur, da meine Arbeiten in der Regel deshalb eine Note runter gesetzt wurden. Vom Verhalten her war ich nicht gerade ein Engel. Sowie im Dorf etwas los war, ich war immer dabei und bereitete so meiner Mutter manchen Kummer. Doch Mutter war damals nicht zögerlich in ihrer Erziehung, da gab es oft etwas mit dem Teppichausklopfer oder Handfeger. In der heutigen Zeit undenkbar, dies würde heutzutage glatt unter die Rubrik Kindesmisshandlung fallen. Im Nachhinein muss ich aber sagen, geschadet hat es nicht, im Gegenteil, so lernte ich als Kind Grenzen meines Handelns kennen und zu akzeptieren. Nach dem Abschluss der 7. Klasse musste ich, um die mittlere Reife zu erreichen, die Schule wechseln.
Natürlich war ich auch Mitglied der „Jungen Pioniere“ geworden und trug stolz wie alle Kinder das blaue Halstuch. Ich wuchs in diesem Staat auf, und der staatliche Einfluss war überall. Wo sollte ich was anderes kennenlernen, wer sollte mir etwas über Demokratie und Freiheit erzählen? Als Kind hätte ich es sowieso noch nicht verstanden. Heute gehen die Kinder in die Waldorfschule, werden Pfadfinder oder gehen wieder zu den kirchlichen Veranstaltungen.
Die Erziehung der Kinder ist vorrangig eine Aufgabe der Eltern, aber auch der Staat trägt bei der Orientierung und Erziehung der Kinder und Jugendlichen eine große Verantwortung. Uns Kindern und den Menschen in der ehemaligen DDR wurden täglich die Vorzüge des sozialistischen Systems verkündet, so dass viele, zumindest damals in den Anfangsjahren doch noch daran glaubten, dass der Sozialismus der bessere Weg sei.
Während der Schulferien und zu allen Feiertagen sowie an vielen Wochenenden fuhr ich mit dem Fahrrad zu Besuch zu meiner Oma Minna, der Mutter meines Vaters, sowie Tante und Onkel, die weiterhin in Schlieben lebten. Ich hatte dort schon Freunde gefunden und der Lange Berg war ein vorzüglicher Spielplatz. Tante und Onkel hatten ihre Wohnung auf dem gleichen Flur wie Oma, sie teilten sich die Wohnung und hatten keine Kinder. Meine Oma war trotz ihrer Einfachheit sehr gebildet, und alle zusammen hatten einen wesentlichen Einfluss auf meine Erziehung. Ich sehe Oma heute noch vor mir, mit ihrem grauen Dutt, immer sauber akkurat gekleidet, die Wohnung blitzblank. Mein Gästebett befand sich in ihrer Vorratskammer (ohne Ofen / Heizung) und im Herbst / Winter war ich vom herrlichen Duft der dort eingelagerter Äpfel und Birnen umgeben. Aus Omas Stube hörte ich ihr Chronometer leise die Stunden schlagen. Hier bei ihr lernte ich gutes Benehmen und das Erfüllen kleiner Pflichten, so musste ich stets Kohle, Holz und Wasser hochtragen. Ihre Wohnung hatte keinen Wasseranschluss, und die Toilette war, wie damals noch häufig üblich, auf dem Hof. In ihrem großen Garten, den sie zusammen mit meiner Tante und Onkel bewirtschaftete, war auch immer etwas für mich zu tun, worauf meine spätere Abneigung für Gartenarbeit beruhte. Der Gerechtigkeit halber muss aber gesagt werden, die Liebe zur Gartenarbeit kommt nach meiner Meinung etwas später mit dem Alter, zumindest bei mir war es so. Heute beschäftige ich mich gerne in unserem Garten. Das sollte aber nicht in Muss oder Stress ausarten. Nur zu damaliger Zeit konnte ich mich nicht dafür begeistern, und ich führte sie immer recht unlustig aus. Oma vertrat aber stets die Meinung, wer etwas essen möchte sollte auch etwas dafür tun, gebratene Tauben fallen nicht vom Himmel. In den Sommerferien war der Gang zum Friedhof Pflicht. Sie pflegte das Grab meines Opas und hatte noch fünf oder sechs Gräber in Pflege, um ihre kleine Rente aufzubessern. Meine Aufgabe war dabei, ihr das Wasser zum Gießen heranzutragen. So lernte ich bei ihr das Andenken der Verstorbenen zu ehren. Später dann habe ich bei meinen Kindern versucht dies weiterzugeben. Meine Tante und mein Onkel bezogen bald eine sehr schöne neue 2 ½ Zimmer-AWG-Wohnung. Sie hatten dafür lange die damals notwendigen AWG-Stunden abgearbeitet, um endlich Anspruch auf eine eigene Wohnung zu haben, so dass ich fortan das Kinderzimmer bei meiner Tante und Onkel in Beschlag nahm, zumal sie schon im Besitz eines Fernsehgerätes waren. Da beide am Tage arbeiteten, war ich tagsüber unter Omas Fittichen und hatte mich am Abend bis spätesten 18.30 Uhr bei meiner Tante und Onkel einzufinden. Um diese Zeit wurde jeden Tag warm zu Abend gegessen. Die Arbeit danach wurde gerecht aufgeteilt. Einer wusch ab, der Andere trocknete ab und der Dritte stellte das Geschirr weg. Diese Arbeitsteilung wurde auch am Wochenende beibehalten. Stand große Wäsche an, so hatten mein Onkel und ich die Aufgabe die Wohnung zu säubern, Staubsaugen, Wischen, Putzen, also die üblichen Hausarbeiten, während meine Tante in der Waschküche war. Es wurde damals noch alles per Hand gewaschen, Waschmaschinen kamen erst später auf den Markt und waren nicht sofort für alle erschwinglich. Wir beide, mein Onkel und ich setzten unseren ganzen Ehrgeiz ein, alles perfekt zu säubern, um nicht den Unmut der Tante zu erregen. Dieser Fimmel für Hausarbeiten verfolgt mich noch bis zum heutigen Tag. Letztendlich sollten diese Arbeiten mir aber später auf dem Lehrschiff als Matrosenlehrling sehr zugute kommen.
Die Abende verbrachten wir zusammen. Fernsehen durfte ich nur bestimmte Sendungen, wie „Willi Schwabes Rumpelkammer“. Da kam sogar meine Oma immer extra rüber. Dann die großen ARD-Eurovision-Sendungen vom Westfernsehen und natürlich die Sportsendungen. Westfernsehen wurde geschaut, egal ob Vater Staat es verteufelte oder nicht. Wir machten auch viele Ratespiele, so kannte ich damals zum Beispiel so gut wie alle Hauptstädte der Welt. Ich lernte Doppelkopf, Rommee, Mühle und Dame, Halma und später Skat kennen. Ich finde, das warn sinnvolle Beschäftigungen. Ach ja, das Essen: Meine Oma war eine phantastische Köchin alter Schule, sie hatte früher noch bei Herrschaften in Berlin gekocht, wobei meine Tante ihr in nichts nachstand. So hatte ich an jedem Sonntag die Wahl, wo ich zum Mittagessen ging. Meine Oma kannte meine Abneigung gegenüber allem, was mit Schaf zusammenhing und gekocht wurde. Eines Sonntags hatte ich mal wieder die Auswahl, Schnitzel mit Blumenkohl bei der Tante, oder Rehbraten bei der Oma. Da Rehbraten in dieser Zeit etwas Besonderes war, zog ich guten Mutes natürlich zur Oma, um dort den Rehbraten zu genießen. Es hat auch wie immer sehr gut geschmeckt, und ich hatte mächtig zugelangt, da ich zu der Zeit ein tüchtiger Esser war. Nach dem Essen fragte Oma dann scheinheilig. „Na mein Junge hat es dir geschmeckt?“ Ich sagte: „Ja“. „Was meinst du wohl, was du gegessen hast?“, fragte sie. Ich: „Natürlich Rehbraten.“ „Ach was“; sagte sie, „das war eine Lammkeule!“ Au Backe, ich hatte nichts davon gemerkt dank ihrer vorzüglichen Kochkünste. Da kann jeder mal wieder sehen: Einbildung kann auch eine Bildung sein.
Oma, Tante und Onkel waren sehr an meinen schulischen Leistungen interessiert. Nachdem ich mein Zeugnis nach Erhalt zuerst meiner Mutter gezeigt hatte, wurde es beim nächsten Besuch in Schlieben begutachtet. Ihre Kritik nahm ich mir immer sehr zu Herzen. Während der Schulzeit war ich ja zu Hause und versuchte nach dem Tode meines Vaters meiner Mutter so viel wie möglich zu helfen. Mein Bruder ging schon mit 15 Jahre arbeiten, um meine Mutter finanziell zu unterstützen. In den Sommermonaten gingen wir auch oft in den nahen Wald, um Pilze zu sammeln, die anschließend verkauft wurden, um die Haushaltskasse aufzubessern.
Für die 8. -10. Klasse musste ich nun in die nächste Stadt nach Doberlug-Kirchhain, um dort die Allgemeine Polytechnische Oberschule zu besuchen. Die Umstellung fiel mir recht schwer. Eine neue Umgebung, fremde Mitschüler, mit meinem Selbstvertrauen war es damals nicht weit her. Viele aus meiner neuen Klasse kamen, wie man so sagt, aus gutem Hause, dem Mittelstand dieser Stadt. Deren Eltern waren meist Selbstständige, also durchaus für damalige Zeiten vermögend. Dazwischen nun ich, ein Nichts, ich konnte zum Beispiel nicht jeden Tag andere Sachen zur Schule anziehen, dieser Unterschied fiel mir als Erstes auf. Die einzige Chance, die ich hatte, war, mit schulischen Leistungen auf mich aufmerksam zu machen. So wurde aus mir ein strebsamer Schüler, der nicht zuletzt immer als positives Beispiel herhalten musste. In der 8. Klasse wurden die „Jungen Pioniere“ in die „FDJ“ (sozialistische Jugendorganisation „Freie Deutsche Jugend“) aufgenommen. So wurde also auch ich Mitglied der FDJ. Ich sah es als selbstverständlichen und logischen Schritt an. Damit ging meine Kindheit zu Ende. Alles in allem, trotz aller Einfachheit und ohne Luxus, verbrachte ich eine wunderschöne Kindheit auf dem Lande und denke mit Dankbarkeit zurück.
Nun wurde es langsam Zeit, daran zu denken: Was willst du eigentlich später für einen Beruf ergreifen. Solange ich denken kann, habe ich auf die Frage: „Was willst du mal werden?“ stets geantwortet: „Matrose und Kapitän“. Ich weiß nicht warum, dieser Wunsch kam einfach aus meinem Inneren heraus. So wie andere sagen, ich werde Schauspieler oder Arzt. Vielleicht habe ich die Ader, zur See zu fahren von meinem Vater geerbt, der während des II. Weltkrieges bei der Kriegsmarine seinen Dienst tat. Oder es waren die Urlaube mit meiner Tante und meinem Onkel in Bansin auf der schönen Insel Usedom. Dort lernte ich zum erste Mal das Meer kennen, sah die Schiffe vorbeiziehen, die Richtung Stettin unterwegs waren. Ein unvergessliches Erlebnis. Es stand fest, ich wollte unbedingt später zur See fahren. Da war guter Rat teuer, niemand aus meiner Familie oder Bekanntschaft wusste einen Weg, wie und wo es sich zu bewerben galt. Zuerst musste erkundet werden, welche Möglichkeiten es überhaupt gab zur See zu fahren. Meine Tante unterstützte intensiv meinen Berufswunsch. Sie war es auch, die den ersten Kontakt herstellte. Es gab in der damaligen DDR nur drei Möglichkeiten zur See zu fahren, bei der Volksmarine mit späteren Besuch der Offiziershochschule „Karl Liebknecht” in Stralsund, in der Fischereiflotte oder bei der Deutsche Seereederei Rostock mit dem Beruf Vollmatrose sowie späterer Besuch der Seefahrtschule Wustrow. Binnenschiffer wollte ich nicht werden. Da ich unbedingt in die große weite Welt hinaus wollte, war klar, ich musste mich bei der Deutschen Seereederei Rostock bewerben. So habe ich mich schon 1964 bei der Deutschen Seereederei Rostock beworben. Natürlich war dies viel zu früh und ich erhielt als Antwort, mich mit dem Abschlusszeugnis der 9. Klasse erneut zu bewerben. Zumindest hatte ich schon einen Teilerfolg, ich wurde vorgemerkt mit dem Hinweis weiter meine schulischen Leistungen kontinuierlich zu steigern und an der gesellschaftlichen Arbeit aktiv teilzunehmen.
Mit 14 Jahren wurden wir mit der Jugendweihe feierlich in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen. Da ich nach meiner Geburt in der Kirche von Schlieben getauft worden war, bestand meine Mutter unbedingt darauf, dass ich noch konfirmiert werde. So musste ich damals fleißig alle Konfirmandenstunden besuchen, wozu ich aber nicht gerade Lust hatte. Sie war der Meinung: „Junge, du weißt nie, welche Frau du später findest.“ Es war ja noch in den Dörfern zu damaliger Zeit weit verbreitet, kirchlich zu heiraten. Im Jahre 1965 hatte ich dann Konfirmation. Im Übrigen war ich nicht der Einzige, der diesen Weg gegangen war. Heute bin ich ihr dankbar dafür, denn inzwischen habe ich eine ganz andere Einstellung zu Glauben und Kirche. Es war wohl ein schwerer Fehler, nicht nur in der DDR, sondern im ganzen sozialistischen Lager, dass den Menschen ihr Glaube an Gott genommen werden sollte. Die Suche nach Kompromissen und die Annäherung der Staatsführung an die Kirche zum Ende der DDR sollten zu spät kommen. Atheisten und Gläubige egal welcher Glaubensrichtung hätten durchaus auch in einem sozialistischen Staat ihr Auskommen und ihre Daseinsberechtigung gehabt. Der Glaube gibt insbesondere den einfachen Menschen Halt und Kraft. Betrachtet man den Lauf der Geschichte der Menschheit, so haben eigentlich über die Jahrtausende nur die Religionen überlebt, in welcher Art auch immer. Dynastien und große Reiche sind gekommen und gegangen, aber z. B. der katholische / evangelische Glaube, der Glaube an den Propheten Mohamed, um nur einige zu nennen, haben überlebt. Obwohl alle Glaubensrichtungen vom Grunde her nur Gutes für ihre Menschen wollen, hat Glaubensfanatismus viel Leid im Laufe der Jahrhunderte über die Menschen gebracht. Nicht einmal in der heutigen Zeit ist der Mensch in der Lage, tolerant gegenüber Andersgläubigen zu sein.
Ziel für die noch verbleibende Schulzeit musste also ein guter Abschluss der 10. Klasse sein, um meinem Berufswunsch näher zu kommen. Die aktive gesellschaftliche Arbeit kam von allein. Auf Grund meiner guten schulischen Leistungen wurde ich zum FDJ-Sekretär meiner Klasse vorgeschlagen und auch gewählt. Diesen Posten sollte ich bis zu meinem Schulabschluss behalten.
In dieses Alter fällt auch die Zeit, wo sich jeder das erste Mal unsterblich verliebt, ausgelassen die so genannte Kinderliebe, die ich natürlich auch hatte. Ich verliebte mich ausgerechnet in ein Mädchen aus meiner Klasse. Geschmäcker sind ja verschieden, aber für mich war Karla damals das schönste Mädchen der Welt. Mir gefielen am meisten ihre blauen Augen und ihr tiefschwarzes Haar. Sie hatte indirekt und unwissentlich einen sehr großen Einfluss auf meine Entwicklung. Sie weiß davon bis heute nichts. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, kam sie für mich aus einer anderen gesellschaftlichen Schicht und dies paradoxerweise in unserer doch eigentlich klassenlosen Gesellschaft. Ihre Eltern kamen aus der begüterten Mittelschicht und hatten ein eigenes Geschäft. Dies belastete und hemmte mich doch sehr, denn wir waren dagegen im Vergleich arm wie eine Kirchenmaus. Aber so eine erste Liebe, das ist schon heftig. Jeder, der das Glück hatte es zu erleben, weiß, wovon ich spreche. Dazu muss gesagt werden, dass die damalige Jugend noch nicht so frei alles auslebte wie unsere heutigen Jugendlichen. Es war noch viel Romantik dabei, Händchen halten und so. Als unter dem Sternzeichen Fisch geborener, war ich oft ein Träumer und kein Draufgänger. Sie gehörte in der Schule zu den sehr guten Schülerinnen in meiner Klasse und stand leistungsmäßig immer vor mir. Dies spornte mich unheimlich an, um meine Leistungen in der Schule zu verbessern. So wurde sie unbewusst zum Motor und Antreiber meiner schulischen Leistungen.
Inzwischen hatte ich mich mit dem Abschlusszeugnis der 9. Klasse erneut bei der Deutschen Seereederei beworben und war angenommen worden. Dies alles ohne Beziehungen, wie heute immer vermutet wird. Meine Mutter war weder in der Partei, noch hatte sie irgendwelche großen Gönner im Hintergrund. Meine Klassenlehrerin versuchte noch meine Mutter zu überzeugen, dass ich unbedingt auf die Erweiterte Oberschule (EOS) wechseln müsste, um dort das Abitur zu machen. Aber Mutter lehnte ab, sie konnte und wollte auch nicht noch weitere zwei Jahre diese Belastungen tragen. Mir war es eigentlich recht, ich hatte meinen Lehrvertrag als Vollmatrosenlehrling in der Tasche. Weiter wusste ich, dass zum Schulbesuch an der damaligen Seefahrtschule Wustrow der Abschluss der 10. Klasse ausreichte. Das war ein großer Tag, ich konnte nun endlich Seemann werden.
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