Читать книгу Ein Seemann erzählt von seiner Seefahrt in zwei deutschen Staaten - Herausgeber: Jürgen Ruszkowski - Knut Freiwald - Страница 8

Matrosenlehrling bei der DSR - Fracht- und Lehrschiff „THEODOR KÖRNER”

Оглавление

Matrosenlehrling bei der DSR


Fracht- und Lehrschiff „THEODOR KÖRNER”


Nach Abschluss der Schule fieberte ich meinem ersten Einsatz als Matrosenlehrling entgegen. Endlich war es soweit, ich sollte am 31. August 1966 auf dem Fracht- und Lehrschiff „THEODOR KÖRNER” anmustern.

Im Voraus erhielt ich das für meine Tätigkeit als Matrosenlehrling notwendige Seefahrtsbuch mit Sichtvermerk.



Dies war von der Deutschen Seereederei bei den entsprechenden Sicherheitsorganen und Behörden beantragt worden. Bei diesem Verfahren war ich außen vor und hatte keinerlei Einflussmöglichkeiten. Die Voraussetzungen für den Erhalt des Seefahrtsbuches / Sichtvermerkes waren mir damals unbekannt.


Endlich war es so weit. Die Reederei hatte zum Anmustern auch die Eltern eingeladen, damit sie sich ein Bild machen konnten, wo ihre Sprösslinge jetzt für ein Jahr zu Hause sein werden. Meine Mutter hatte für den Anreisetag mit Hilfe eines Bekannten, der im Rostocker Hafen arbeitete, in deren Wohnlager Rostock-Gehlsdorf eine Unterkunft besorgt. Nach mühseliger Anreise per Bahn trafen wir am späten Abend des 30. August 1966 dann in Rostock ein und fuhren mit der Straßenbahn, die damals noch nach Gehlsdorf fuhr. Viel zu sehen von meinem zukünftigen Heimathafen bekam ich wegen der Dunkelheit nicht. Trotz der Aufregung habe ich doch recht gut schlafen können, da der Tag lang und anstrengend war. Am nächsten Morgen ging es dann mit dem Linienbus zum Hafen. Erstmalig sah ich nun den Hafen. Die Piers waren alle belegt mit für mich großen Frachtern. Mein Schiff die „THEODOR KÖRNER“ lag im A-Becken vertäut. Welch ein Anblick!


Die „THOEODOR KÖRNER“ war ein damals schon älteres Fracht- und Passagierschiff, welches unter anderem während des II. Weltkrieges als Truppentransporter im Einsatz war. Die Reederei hatte es angekauft und für den Zweck Ausbildungsschiff entsprechend umbauen lassen. Die Besatzung bestand aus der Stammbesatzung, zwei Brigaden Lehrlinge aus dem 2. Lehrjahr und aus den neuen Lehrlingen des nächsten Ausbildungsjahres. Das Schiff sollte nun für ein Jahr meine neue Heimat werden. Da an diesem Tage die neuen Lehrlinge anmusterten, war ein recht hektischer Betrieb.

Meine Mutter und ich wurden an der Gangway in Empfang genommen. Nachdem geklärt war, welcher Brigade und welchem Lehrbootsmann ich zugeteilt war, wurden wir in meine zukünftige Kammer geführt. Meine Kammer war die Kammer 4 D-Deck Steuerbord-Seite. An jeder Kammer war ein Schild angebracht mit den Namen der Kammerinsassen. Welch eine Überraschung als ich auf der Liste auch den Namen meines Freundes Kanne aus Schlieben fand. Wir waren nicht nur derselben Kammer zugeteilt, sondern arbeiteten auch in der gleichen Brigade. Mit Kanne hatte ich in den letzten Jahren immer in Schlieben während der Ferien gearbeitet, um etwas Geld zu verdienen. Es war meist eine Truppe von zukünftigen Schulabgängern, welche im örtlichen Landbaukombinat halfen, Kabelschächte auszuheben oder andere einfache Arbeiten verrichteten. Dabei war auch Kanne. Er erzählte mir, dass er einen Lehrvertrag als Schlosserlehrling habe, während ich ihm stolz berichtete, dass ich einen Lehrvertrag als Matrosenlehrling bei der Deutschen Seerederei Rostock hätte. Er war damals sehr interessiert und sagte, er wollte eigentlich auch immer Matrose werden. Ich hatte ihn schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und nun traf ich ihn erneut. Als Erstes berichtete er mir, dass er sich auch noch in Rostock bei der Reederei beworben hatte und angenommen worden war. Daraufhin hatte er seinen Lehrvertrag als Schlosserlehrling gekündigt und wartete nun ebenfalls auf seinen ersten Einsatz auf einem unserer damaligen Lehrschiffe „THEODOR KÖRNER“, „HEINRICH HEINE“ oder „J. G. FICHTE“.


J. G. FICHTE“

Es war schon ein großer Zufall oder die Vorsehung, dass wir beide uns hier auf der „THEODOR KÖRNER“ wieder trafen. So hatte ich gleich von Anfang an einen Bekannten und fühlte mich nicht so fremd. Daraus entwickelte sich eine tiefe Freundschaft. Ich hatte einen Kumpel gefunden, auf den stets Verlass war. Wir sollten fast 10 Jahre gemeinsam zur See fahren. Erst nach dem Studium, dann als 4. Nautischer Offizier, trennten sich unsere Wege. Noch heute halten wir Kontakt.

Meine Mutter konnte einen Eindruck vom Schiff mit nach Hause nehmen, und es nahte der Augenblick des Abschieds. Ich werde nie ihre letzten Worte beim Abschied vergessen. „Junge“, sagte sie, „du rauchst nicht, du trinkst nicht und mit Mädchen hast du wahrscheinlich auch noch nichts gehabt, mal sehen wie du wieder kommst.“ Na, in diesen Dingen änderte sich schon etwas im Laufe der Zeit. Wir waren jung und voller Tatendrang und wollten etwas erleben. Letztendlich war ich froh, als meine Mutter sich auf den Nachhauseweg machte, da mein Interesse doch schon auf das Schiff gerichtet war.

Da ich einer der Ersten war, der von den neuen Lehrlingen an Bord kam, wurde ich sofort zum Dienst eingeteilt. Die ersten 8 bis10 Lehrlinge wurden dazu verdonnert, erst einmal für die Mittagsmahlzeit des nächsten Tages Kartoffeln zu schälen. Wenn man bedenkt, die Besatzung bestand, wenn ich mich recht erinnere, wohl aus gut 160 Besatzungsmitgliedern, so kann sich jeder vorstellen, welche Arbeit uns bevorstand. Es waren 3 ½ riesige Töpfe mit geschälten Kartoffeln zu füllen. Unser Glück war es, dass die Kartoffellast gerade frisch aufgefüllt wurde, und wir begannen natürlich zuerst alle großen daraus auszuwählen, nicht ahnend, dass die Reise noch lange dauern würde und wir irgendwann an die kleinen Kartoffeln ran mussten. Kartoffelschälen war eine beliebte Strafabkommandierung unserer Lehrbootsleute für Vergehen jeglicher Art. Nachdem alle neuen Lehrlinge angereist waren, erfolgte die erste generelle Einweisung, danach das Fassen der Dienstkleidung. Dazu ging es in geschlossenen Gruppen zum VEB Schiffsversorgung, Abteilung Kleiderkammer.

Uniform tragen war Pflicht während der Ausbildung.


Der Autor Knut Freiwald 1966


Ein anderer Lehrling in Uniform



Das Ausbildungsteam bestand aus dem leitenden Ausbildungsoffizier und seinen Ausbildungsoffizieren, welchen der theoretische Unterricht in den allgemeinbildenden Fächern oblag. Dazu kamen ein Lehroberbootsmann und seine Lehrbootsleute, welche die praktische seemännische Ausbildung verantworteten. Für die theoretische Ausbildung hatten wir unter Deck unsere Klassenräume. Die praktische Ausbildung erfolgte unter Aufsicht der Lehrbootsleute an Deck, eingebunden in den normalen Arbeitsdienstplan des 1. Offiziers (auch Chief Mate genannt). Die „THEODOR KÖRNER“ war zu diesem Zweck mit verschiedenartigen Ladesystemen, Luken-Abdeckungen, Rettungsbooten etc. ausgerüstet, so dass eine gute praktische Ausbildung gewährleistet war. Die Brigaden erhielten im Wechsel eine Woche Theorie- und dann eine Woche Praxisunterricht. Der Praxisunterricht enthielt auch den Dienst auf der Brücke.

Eingesetzt war die „THEODOR KÖRNER“ im Liniendienst Europa – Cuba – Mexiko ­– Europa.


THEODOR KÖRNER“

Als Häfen wurden angelaufen von Rostock ausgehend Antwerpen – London – Vera Cruz – Tampico – Havanna und diverse kleine Häfen auf Kuba, um jeweils Zucker in Säcken, Rum in Fässern oder anderes Stückgut zu laden. Danach ging es meistens direkt zurück nach Rostock. Für uns Neulinge eine Traumreise.

Nachdem die Lade- und Löscharbeiten abgeschlossen waren, wurde das Schiff zum Auslaufen klar gemacht.

Es war eine spezielle Ehrung und Gruß der „THEODOR KÖRNER“ an den jeweiligen Hafen, dass zum An- und Ablegen Breitseite gepfiffen wurde. Dazu trat die Lehrlingsbesatzung inklusive Lehrkörper in Uniform an der jeweiligen Landseite an, und es spielte der bordeigene Spielmannzug.


Der bordeigene Spielmannszug

Es war schon ein feierlicher und erhebender Augenblick, wie das Schiff unter Trommel- und Fanfarenklängen in den Hafen einlief verließ oder ihn wieder verließ. Auch ein erhebender Anblick in diesem Fall für die Urlauber, die das Auslaufen immer von der Mole Warnemünde verfolgten.

Es sollten drei Monate vergehen, ehe wir wieder im Heimathafen ankamen. Das Schiff wurde damals vom bekannten und verdienstvollen Kapitän Herbert Schickedanz geführt. Kapitän Schickedanz war schon über Sechzig und von altem Schrot und Korn. Bürstenhaarschnitt, straffes Auftreten, wie ein Abbild der Offiziere der ehemaligen kaiserlichen Marine. Immer wenn er eine Ansprache hielt, benutze er ein Monokel, so etwas habe ich im Nachhinein nie wieder gesehen. Wir hatten alle großen Respekt vor ihm und sein großer Kammerrundgang am Monatsende war stets gefürchtet. Das Schiff fuhr auslaufend Rostock durch das Kattegat und Skagerrak, denn der Nord-Ostsee- Kanal war für uns tabu. Es sollte jegliches Risiko einer möglichen Republikflucht von Besatzungsmitgliedern vermieden werden. Diese Angst vor möglichen Republikfluchten hatte über Jahrzehnte hinweg eine Flut von Maßnahmen und Vorschriften zur Folge, sowohl vonseiten der Reederei als auch von den entsprechenden verantwortlichen Sicherheitsorganen. Dies machte es im Nachhinein immer schwieriger, überhaupt noch in den Besitz eines Seefahrtsbuches zu kommen. Dies war Voraussetzung für den Beruf des Seemanns.

Als die „THEODOR KÖRNER“ den Ausgang des Skagerrak erreicht hatte, erwartete uns dort, als wir Skagen umrundet hatten, eine stürmische nordwestliche See mit Windstärke 6-7. Die Folge war, dass das Schiff heftig mit Stampfen und Rollen anfing. Resultat war, der größte Teil der neuen Lehrlinge wurde seekrank. Jeder, der es schon mal erlebt hat, weiß wie krankmachend der Tribut an Neptun ist. In unserem D-Deck hatten wir eine Toilette mit fünf Einzeltoiletten, den sogenannten Fünfzylinder. Bei dem Andrang und den Massen von Toilettenpapier, die verwendet wurden, waren ruckzuck alle fünf Toiletten verstopft. Also mussten einige Lehrlinge ran zum Reinigen. Leider war auch ich unter den Ausgewählten und musste nun versuchen, mit langen übergestülpten Gummihandschuhen diese Toiletten zu reinigen. Das ging dann abwechselnd so, kotzen, reinigen, kotzen, reinigen. So zahlte ich fleißig meinen Tribut an den Meeresgott. Das war meine zweite Arbeitshandlung als Matrosenlehrling. Unser Politoffizier ging währenddessen durch alle Kammern der Lehrlinge und spendete väterlichen Trost. Danach begann die normale Ausbildung. Je nach Diensteinteilung Theorie oder Praxis.

Das Essen an Bord war immer ausreichend und gut. Die Lehrlinge mussten sich selbst bedienen. Dazu wurde von jeder Brigade wöchentlich für den Tisch der Brigade ein Backschafter bestimmt. Für die Lehrbootsleute wurde ein Lehrling aus dem 1. Lehrjahr jeweils für eine Woche abkommandiert. An Getränken gab es pro Lehrling täglich zwei Flaschen alkoholfreie Getränke, ansonsten stand immer Tee zum Trinken zur Verfügung. Nur zu Feiertagen erhielten wir mal zwei Flaschen Bier oder ein Glas Bowle.

Der Tagesablauf war ähnlich wie beim Militär. Morgens um sechs wurde Reise, Reise gepfiffen. Es folgten waschen, Zähne putzen, Kammer-Reinschiff, fertigmachen zum Frühstück.

Um 8 Uhr dann Morgenappell mit Verteilung des täglichen Dienstes. Bei diesem Morgenappell fand auch immer eine Zeug-Musterung statt. Das heißt, es wurde die persönliche Ausrüstung geprüft und ob jeder sauber und ordentlich zum Appell angetreten war. Des weiteren wurden Teile der persönliche Dienstwäsche überprüft, ob richtig gewaschen, gebügelt, die Schuhe ordentlich geputzt (den Steg dabei nicht vergessen!) etc. Das Dilemma war, für uns Lehrlinge existierten keine Waschmaschinen, es musste also alles per Hand und mit Schrubber gewaschen werden. Hatte das Antreten zum Morgenappell nicht den Vorstellungen unseres Leitenden Ausbildungsoffiziers entsprochen, wurde nachexerziert, solange bis es klappte. Dabei erinnere ich mich noch gut an die Stimme unseres Lehroberbootsmannes, welcher die Meldung an den Leitenden Ausbildungsoffizier gab, dass alle zum Morgenappell angetreten seien. Diese Stimme war von mittschiffs bis zur Back zu hören.

Danach erfolgte die Arbeit, unterbrochen von einer Mittagspause, und am Nachmittag wurde die Ausbildung fortgesetzt. Um 17.30 h war Abendbrot. Danach Freizeit, die unter anderem zum Lernen genutzt werden sollte. Wir lernten hier sowohl die Theorie und die Praxis des Berufes eines Matrosen von der Pike auf. Die Ausbildung war ausgezeichnet, denn die Absolventen der „THEODOR KÖRNER“ hatten einen guten Ruf in der Flotte. Besonders auf die seemännischen Arbeiten wurde großer Wert gelegt. Die Seemannsknoten und Spleiße, die ich dort lernte, kann ich heute noch.

Wir mussten sie im Schlaf beherrschen. Zum theoretischen Unterricht gehörte wie überall an den Schulen der DDR der Staatsbürgerkundeunterricht dazu. Hier wurde noch zusätzlich sozialistische Betriebswirtschaft gelehrt. Hinzu kam natürlich der Englischunterricht. Hier hatte ich einen großen Nachteil, da ich an meiner alten Schule nicht am Englischunterricht teilnehmen konnte. Englisch war damals in der DDR ein außerschulisches Extrafach und wurde nach dem offiziellen Unterricht gegeben. Da ich aber immer auf meinem Schulbus angewiesen war, konnte ich daran nicht teilnehmen. Der Unterricht an Bord begann also auf der Basis des Abschlusses der 10. Klasse, der mir und auch anderen total fehlte. So hatte ich die ganze Zeit während meiner Lehrzeit und auch später große Schwierigkeiten mit der englischen Sprache. Besonders bei meiner Fahrzeit nach der Wende sollte es sich negativ bemerkbar machen. Ansonsten war ich sowohl in der Theorie und in der Praxis wieder ein guter Lehrling. Der Dienst war nicht immer einfach, auch teilweise hart, wenn ich da noch an das Pullen in Vera Cruz oder Havanna denke.


Havanna

Bei brütender tropischer Sonne in voller Montur wurde dort die Ausbildung zum Rettungsbootsmann absolviert. Und dann unsere Kammer, sie war für acht Lehrlinge ausgelegt. Jeder hatte seine Koje, einen Spind und eine Backskiste für die Sachen, die zusätzlich als Sitzgelegenheit am Kammertisch diente. Als weiterer Aufenthaltsort standen uns noch unsere Messe und die Klassenräume zur Verfügung sowie einige Bereiche an Deck. Keine Klimaanlage, wie heute üblich, nur zwei kleine Bullaugen und ein Entlüftungsrohr zum Oberdeck, in das bei schwerem Wetter das Wasser rein lief. Morgens konnte man teilweise die Bettwäsche auswringen und aus der Luft Würfel schneiden. Kammerabnahme war jeden Tag morgens und vor dem Schlafengehen, um 21 Uhr wurde Ruhe im Schiff gepfiffen, um 22 Uhr musste das Licht ausgeschaltet werden. An den Wochenenden wurde die Kammer von den Lehrbootsleuten abgenommen. Einmal am Monatsende fand der stets gefürchtete große Kammerrundgang unter der Leitung des Kapitäns statt. Unsere Lehrbootsleute hatten viel Erfahrung, uns immer wieder zu beweisen, dass die Kammer noch nicht sauber war.

Gut in Erinnerung ist mir noch unser erster Anlauf in London. Wir lagen dicht bei der Tower Bridge im West Indian Dock, heute ein beliebter aber teurer Wohn- und Bürostandort. Alle waren aufgeregt und fieberten dem ersten Landgang entgegen. Zuvor musste die Kammer beim Lehrbootsmann abgemeldet werden. Wir waren jedenfalls nicht in der Lage, an diesem ersten Tag in London unsere Kammer zur Zufriedenheit unseres Lehrbootsmannes abzumelden. Erstaunlich, wo er immer wieder den Staub fand. Aber mit der Zeit lernten wir alle Stellen kennen. So kamen wir erst am zweiten Tag in den Genuss eines Landganges. Wir konnten viel von London kennenlernen, da die Liegezeiten damals doch recht lang waren. Piccadilly, Buckingham Palast, Britisches Admiralitätsmuseum und den Teeklipper Cutty Sark, sogar den Nullmeridian in Greenwich bekamen wir zu sehen. Nie wieder während meiner langen Seefahrtzeit habe ich so viel Sehenswertes, soviel von Land und Leuten kennengelernt wie während dieser Zeit auf dem Lehrschiff „THEODOR KÖRNER“. Meist scheiterte es später an den Faktoren Zeit und Geld. Landgang war stets nur in Gruppen erlaubt.


Lehrlings-Brigade Deck

Jede Brigade hatte am Sonnabend beim Großreinschiff noch eine zusätzliche Reinschiff-Station. Meine Brigade hatte großes Glück dabei, wir mussten das Hospital und das Büro des Oberzahlmeisters reinigen und diese auch direkt beim Schiffarzt und Oberzahlmeister abmelden. Wir waren meistens früh fertig und bekamen oft noch etwas als Belohnung zugesteckt. Übel dran waren die, die Betriebsgänge zu reinigen hatten, sie waren arme Teufel und die Letzten, die fertig wurden. Aber es gibt auch viele schöne Erinnerungen. Während der Überfahrt nach Mexiko und Cuba wurde teilweise am Wochenende Dienst und Unterricht getätigt. So konnten wir Stunden vorarbeiten, die dann zu Bade- und Bootsausflügen in den herrlich gelegenen Buchten der kleinen kubanischen Zuckerhäfen genutzt wurden. Damals konnte noch nach Seesternen, Muscheln und Korallen getaucht werden. Das Schiff stank manchmal tagelang nach unserer präparierten Beute. Dies ist ja heute alles verboten. Unser Kapitän nutzte seine Bekanntheit in diesem Fahrtgebiet und organisierte für seine Jungs wann immer möglich schöne Fahrten in das Landesinnere von Mexiko und Cuba, so dass wir doch viel von Land und Leuten kennenlernten.

Die Liegezeiten der Schiffe waren im Gegensatz zu heute teilweise sehr lang. Ansonsten gingen wir auch so fleißig an Land, um baden zu gehen oder nur um was Neues kennenzulernen. Havanna war ja damals noch eine sehr schöne Stadt, so kurz nach dem Sieg von Fidel Castro. Der Verfall setzte erst später ein. Leider wurde auch hier der gleiche Fehler gemacht, wie in der ehemaligen DDR, dass man sich nicht um den Erhalt der historischen Stadtviertel und Häuser kümmerte. Heute beginnt man insbesondere die Altstadt wieder zu restaurieren. Schwierig gestaltete sich nur jedes Mal nach dem Landgang die Rückkehr an Bord, da jeder am wachsamen Auge des diensthabenden Lehrbootsmannes an der Gangway vorbei musste. Da doch hier und da schon mal ein Bier oder Bacardi getrunken wurde, blieben Vorkommnisse nicht aus, die streng geahndet wurden.

So absolvierten wir erfolgreich unsere erste Rundreise. Ein Erlebnis prägte sich mir aber besonders nachhaltig ein. Auf der Rück- oder Hinreise liefen wir einmal Casablanca in Marokko an, um dort Stückgut zu laden und zu löschen. Ich werde nie vergessen, wie sich morgens vor Schichtbeginn um den Vormann der Hafenarbeiter eine Traube von 40 - 50 Hafenarbeitern drängelte, alle wollten arbeiten, aber er brauchte nur etwa die Hälfte von denen, die sich um Arbeit bemühten. So zeigte er nur immer: „Dich, dich nehme ich für diese Schicht.“ Der Rest ging betroffen und mit sorgenvollen Gesichtern nach Hause, da sie für diesen Tag keinen Verdienst hatten, um ihre Familien zu versorgen. Dies hat sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt, ein bleibendes und prägendes Erlebnis. Mit Arbeitslosigkeit wurden wir ja erst nach der Wende konfrontiert. Wir lebten zwar einfach und ohne Luxus in der DDR, aber ohne Existenzsorgen. Inzwischen hatte ich auch schon die andere Seite mit all ihrem Überfluss und Luxus in Antwerpen, London und den mexikanischen Häfen kennengelernt. Das Gefälle zwischen Reich und Arm war zum Teil erschreckend. Im Gegensatz dazu hatte bei uns jeder Arbeit, konnte sich kleiden, hatte ausreichend zu essen und ein Dach über den Kopf. Zwar alles auf einfachem und niedrigen Niveau zur damaligen Zeit, aber eben für alle. Jeder konnte zur Schule gehen, die medizinische Versorgung war für jeden gesichert. Dies sind Errungenschaften, die man erst zu würdigen und zu schätzen weiß, wenn man einmal die Möglichkeit hatte, einen Blick in die Elendsviertel dieser Welt (die es ja auch heute noch gibt) zu werfen.

In Rostock wieder angekommen, wollte natürlich jeder nach Hause fahren. Verständlich, dass dies nicht für alle möglich war. Unsere Brigade musste jedenfalls an Bord verbleiben. Das Schiff wurde neu ausgerüstet. Zu damaliger Zeit war es üblich von Rostock aus alles mitzunehmen. Nur Gemüse und Obst konnte unterwegs hinzugekauft werden, um so dem Staat wertvolle Devisen zu sparen. So kann jeder sich vorstellen, welche Mengen an Proviant, Getränken und Ausrüstung an Bord neu verstaut werden mussten. Zuerst musste das Leergut der letzten Reise von Bord. Es wurde damals schon davon nichts über Bord geworfen. SERO lässt grüßen. Alles wurde der Wiederverwendung zugeführt. Ein anderer Teil war in den Wachdienst und in den Lade- und Löschbetrieb integriert. Damit hatten wir als Lehrlinge während der Liegezeit in Rostock voll zu tun. Theoretischer Unterricht wurde nicht abgehalten. An den Abenden hatten wir dann endlich frei und konnten nun losziehen, um Rostock kennenzulernen. Erinnern kann ich mich noch, dass wir zum ersten Landgang voller Stolz unsere Uniformen angezogen haben. Dies war leider keine gute Idee, da wir doch unsere ersten Bierchen im Glauben, nun endlich erwachsen zu sein, konsumierten und dies nicht gewohnt waren, wurden wir auch recht laut in den Gaststätten. Dies missfiel verständlicherweise den anderen Gästen, und da wir in Uniform waren, hieß es sofort: „Schaut euch die Herren Matrosenlehrlinge von der Seereederei an.“ Wir sind jedenfalls niemals wieder in Uniform an Land gegangen. Auch später zu Hause habe ich es immer vermieden, weil es dort erst recht auffiel. So mussten wir also die zweite Reise absolvieren, bis wir endlich mit unserem Heimaturlaub an der Reihe waren. Obwohl ich gerne zur See fuhr, wurde der Urlaub nach manchmal monatelangem Einsatz herbeigesehnt. Aber war man dann zu Hause, sollte er auch nicht zu lange dauern, man wollte wieder los. Empfangen wurden wir immer mit großem Hallo. Jeder wollte wissen: „Na wie war es, wie sieht es draußen aus?“ Wir wurden darum beneidet, dass wir die Welt kennenlernen konnten. Schnell mussten mein Kumpel und ich, wir waren immer beide zusammen in Urlaub gefahren, aber feststellen, dass das Interesse an unseren Erzählungen nicht von langer Dauer war, da keiner eine Vorstellung von unserer Arbeit und von den Häfen und Ländern hatte, von denen wir erzählten. Bald wurde wieder von ihren Problemen gesprochen, wo jeder mitreden konnte. Diese Erfahrung wiederholte sich bei jedem Urlaub und ist auch eigentlich heute noch gültig. Es wurde nun in jedem Urlaub zum Ritual, dass immer, wenn ich die Nase voll hatte und mal wieder über die Seefahrt erzählen wollte, ich mit dem Fahrrad nach Schieben fuhr zu meinem Kumpel Kanne. Dabei besuchte ich wieder Oma, Tante und Onkel und blieb ein paar Tage. Oma wartete später schon immer auf meinen Besuch und hatte extra ein paar Arbeiten, die nur ich ausführen konnte, parat. Begrüßt wurde ich mit: „ Ach Junge, gerade habe ich an dich gedacht“; und sie freute sich immer sehr. Ich war wohl ihr liebstes Enkelkind. Genau so ging es bei meiner Tante und meinem Onkel, denen ich fast wie der eigene Sohn geworden war. Leider verstarb mein Onkel im Jahre 1968. Der Verlust traf mich damals schwer, denn er war mir inzwischen ein Vaterersatz geworden.

Zusammen mit meinem Kumpel machten wir dann immer ein paar schöne Sausen, dabei konnten wir uns endlich gegenseitig die Geschichten von der Seefahrt erzählen. Es störte uns nicht, dass wir im Laufe der Jahre so manche Geschichte gegenseitig wiederholt erzählten. Die Mutter meines Kumpels war meistens nicht gerade glücklich über mein Kommen, da Kanne in meiner Abwesenheit doch so ab und an etliche Eskapaden abgeliefert hatte. Selbstverständlich versprach ich ihr hoch und heilig, dass das, wenn ich dabei bin, nicht passieren kann. Das Resultat war nicht gerade viel besser, aber ich konnte in vielen Fällen das Ärgste verhindern, so dass wir doch den Umständen entsprechend immer einigermaßen beide vernünftig zu Hause wieder ankamen. Nicht nur Kanne, auch ich war nun wirklich kein Engel. So musste ich mal eine Nacht in der Ausnüchterungszelle in Rostock verbringen, Kanne hatte es im Gegensatz zu mir noch bis zum Dampfer geschafft. Was soll es, wir waren damals jung und dadurch, dass wir ein gutes Lehrlingsgehalt bezogen und auf See nicht viel ausgeben konnten, waren wir im Vergleich zu den Lehrlingen an Land immer gut bei Kasse. Danach während unserer Zeit, wo wir zusammen zur See fuhren und auch noch beim Studium, war es meist nun ich, der die Grenzen setzte. Resultat aus der obigen Erfahrung (eine Nacht in der Ausnüchterungszelle), so etwas sollte mir nicht noch einmal passieren. Bis auf einige wenige Ausnahmen sind wir immer zusammen nach Hause beziehungsweise an Bord gegangen.

Ende 1967 endete unsere Zeit auf dem MS „THEODOR KÖRNER“. Wir hatten die Zwischenprüfungen für das 1. Lehrjahr abgelegt und musterten im Dezember ab. Die Ausbildung wurde nun im 2. Lehrjahr, dem sogenannten Praxisjahr, auf den Produktionsschiffen, das heißt in der Flotte fortgesetzt. Brigadeweise wurden wir auf die vorhandene DSR-Flotte verteilt.

* * *

Ein Seemann erzählt von seiner Seefahrt in zwei deutschen Staaten - Herausgeber: Jürgen Ruszkowski

Подняться наверх