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Einleitung

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„Auch zu schreiben versuchte er und pflegte deswegen Wachstafel und Büchlein im Bett unter dem Kopfkissen bei sich zu führen, um in müßigen Stunden seine Hand an das Nachmachen von Buchstaben zu gewöhnen. Doch hatte er mit seinem verkehrten und zu spät angefangenen Bemühen wenig Erfolg.“ So berichtet Einhard, der Biograph Karls des Großen, über den Kaiser. War der große Herrscher also ungebildet, ein Analphabet – nach heutigem Verständnis müsste man das annehmen. Dieser Eindruck wäre aber völlig falsch, denn Einhard schreibt weiter: „Es genügte ihm jedoch nicht an seiner Muttersprache, sondern er widmete sich auch der Erlernung fremder Sprachen. Darunter brachte er es im Lateinischen so weit, dass er es wie seine Muttersprache redete, das Griechische aber konnte er besser verstehen als selber sprechen.“ Also nach unserem Verständnis doch ein hochgebildeter Mann, der aber nicht das Schreiben beherrschte. Das war nun keineswegs ungewöhnlich in einer Zeit, in der Schreiben eine aufwendige Kunst darstellte, die fast nur von Mönchen und Klerikern beherrscht wurde. Das spiegelt sich noch im englischen Wort clerk für „Büroschreiber“, „Sekretär“, das auf lateinisch clericus zurückgeht. Clericus konnte geradezu zum Beinamen für schreibkundige Laien werden, so auch für den englischen König Heinrich I. (1100–1135), den beauclerc. Wenn andererseits ein italienischer Zeitgenosse Kaiser Konrad II. (1024–1039) als idiota bezeichnet, so wollte er ihn nicht in unserem Sinne als „Idioten“ schmähen, sondern nur als schriftlosen Laien charakterisieren.

Schreiben war ein mühseliges Geschäft, wie so manche Notiz am Rand mittelalterlicher Handschriften bezeugt, wie z.B. „Wie haarig ist doch dieses Pergament“ (wenn beim Gerben der Tierhaut ein paar Borsten stehen geblieben waren und die Feder sich darin verfing und die Tinte kleckste). Oder ein Schreiber klagte: „Wer nicht schreiben kann, glaubt nicht, dass es eine Arbeit ist: Die Finger schreiben, der ganze Körper leidet.“ Und wenn dann die oft mehrere Monate dauernde Abschrift eines größeren Textes zum Abschluss kam, war die Freude des Kopisten verständlich, wie sie etwa der Schlusseintrag einer karolingischen Handschrift zum Ausdruck bringt: „Wie den Seemann der langersehnte Anblick des vertrauten Gestades nach mühevoller Reise aufheitert, so jubelt auch der von Erschöpfung überwältigte Schreiber, der das ungeduldig erwartete Ende seines Buches nahen sieht. Wer nicht schreiben kann, schätzt die Mühen des Abschreibens gering ein; wer diese Arbeit aber einmal unternommen hat, weiß, wie hart sie ist.“ Aber Schreiben war eben verdienstvolles, gottgefälliges Tun, wie immer wieder in den Quellen betont wird. So erzählt der Kirchengeschichtsschreiber Ordericus Vitalis (12. Jahrhundert), ein recht sündiger Mönch habe seine Seele durch fleißige Schreibarbeit retten können, weil Gott jede Sünde mit einem geschriebenen Buchstaben aufrechne und in seinem Fall gerade ein Buchstabe übrig geblieben sei.


Buchschreiber auf Totenbett. (Miniatur, Kloster Prüfening, um 1160)

Im Gegensatz zum Lesen gehörte Schreibfähigkeit damals nicht zum Bildungskanon des Adels oder gar des Königs. Wir fragen also zunächst nach dem Wandel des Bildungsbegriffs. Im Sprachgebrauch der mittelalterlichen Überlieferung ist der am häufigsten dafür gebrauchte Begriff litteratus mit seinem Gegenbegriff illitteratus, was wir üblicherweise mit „gebildet“ bzw. „ungebildet“ übersetzen. Das kann aber leicht zu einem Missverständnis führen, wenn wir dabei unbesehen von unseren heutigen Maßstäben einer allgemeinen Bildung, gar einer humanistischen oder wissenschaftlichen Bildung ausgehen. Denn, gemäß der etymologischen Herleitung von littera = „Buchstabe“, bezeichnet litteratus zumeist nur einen buchstabenkundigen, also schreib- und lesefähigen Menschen, was wir heute von jedem Schulkind erwarten. Dieses Mindestmaß aber fehlte bis zum späteren Mittelalter fast allen Laien, auch in den höchsten Gesellschaftsschichten. Aber da fast die gesamte schriftliche Überlieferung des Abendlandes – zumindest bis ins 12. Jahrhundert – in lateinischer Sprache geschrieben war, konnte man Lesen und Schreiben überhaupt nur in Latein lernen. Wer also Worte und Sätze der Volkssprache aufschreiben wollte, war dazu nur befähigt, wenn er vorher lateinisch schreiben und lesen gelernt hatte. „Das Wort littera kann daher geradezu die lateinische Sprache meinen, denn sie allein war die Schreibsprache“ (Herbert Grundmann).

Aber auch ohne Schreibfähigkeit, ja sogar ohne Lesevermögen konnte man eine gewisse Bildung erwerben. Gerade die volkssprachigen Überlieferungen in Dichtung, Geschichte und Sage lebten zunächst durch mündliche Weitergabe fort. Das enorme Gedächtnispotenzial in der oralen Kultur des Mittelalters kann kaum überschätzt werden, wenn es auch dem modernen Zeitgenossen, der alles aufschreibt und nachschlägt oder googelt, kaum noch nachvollziehbar erscheint. Grundmann hat daher vorgeschlagen, die mittelalterlichen Begriffe litteratus und illitteratus weniger als verschiedene Bildungsgrade, sondern vielmehr als „verschiedene Bildungsweisen, ja Bildungswelten, die zugleich mit- und nebeneinander bestehen“, zu verstehen. Zum besseren Verständnis weist er auf unser Verhältnis zur Musik und zur Notenschrift hin: „Auch der musikalische ‚Laie‘ kann eine Partitur zumeist nicht lesen – unsere Allgemeinbildung fordert nicht diese Fähigkeit –, er muß sie sich hörbar vortragen lassen von Musikern wie der mittelalterliche Laie sich Bücher vorlesen oder Dichtungen vortragen ließ von Klerikern, ohne sie selbst lesen zu können.“

Insgesamt also ganz andere Verhältnisse als in der römischen Antike mit ihrem ausgeprägten Schul- und Bildungswesen – was davon in der Übergangszeit von der Spätantike ins Frühmittelalter noch erhalten blieb, ist zunächst zu fragen.

Mönche, Schreiber und Gelehrte

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