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funkeln ewig
Kristin Pluskota
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Leukämie, mein Todesurteil. Wie schrecklich, dass die Menschen erst aus ihrem Alltag erwachen, wenn es zu spät ist.
Wir, meine Mutter Carla, mein Vater Ben und ich haben lange gehofft, dass diese Anzeichen nicht stimmen, aber die Krankheit ist zurück. Es geht wieder von vorne los.
Ich höre noch die Stimmen der Ärzte in meinem Ohr, wie sie mir vor fünf Jahren erklärten, dass ich gesund sei, das Leben genießen könnte und ich mir keine Sorgen mehr machen brauch, die schlechte Zeit wäre überstanden!
Die Ärzte hätten sich sicher auch anders ausdrucken können, aber so habe ich es wenigstens verstanden.
Doch nun zerplatzt erneut der Traum eines gesunden Kindes für meine Eltern.
Warum ich? Warum trifft es mich zum zweiten Mal? Habe ich einen Fehler gemacht? Fragen die mir keiner beantworten kann.
Ein Arzt sagte mal zu mir, du bist krank, weil nur du die Kraft hast es durchzustehen. Damals hatte er Recht, heute sieht das leider anders aus.
Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit. Da war noch dieses Gefühl von Leichtigkeit in mir. Meine Mutter kaufte mir wunderschöne Kleider für den Kindergarten. Ich habe diese rosa, roten Dinger gehasst. Obwohl es nicht die Kleider waren, die mich so störten, es waren wohl eher die schrecklichen Strumpfhosen. Ein Kleid bedeutete auch immer eine Strumpfhose. Meine Beine waren und sind noch heute nicht für diese Dinger gemacht. Sie rutschen mir von der Hüfte oder die Naht des Stoffes sitzt auf den Zehen und drückt im Schuh. Deshalb gibt es von mir auch nicht ein vernünftiges Foto aus der Kindergartenzeit.
Meine Eltern haben, weil sie es lustig fanden, ein Foto aufgehängt auf dem ich mein Kleid hochziehe, um meine Strumpfhose zu richten. An diesem Tag hatte ich eine rote Unterhose mit grünen Punkten an, dass weiß ich noch, weil diese Unter-lose auf dem Foto verewigt wurde.
Trotzdem war es eine schöne Zeit, ich habe lieber mit den Jungs im Dreck gespielt, als mit den Mädchen gemalt. Meinen ersten Kuss mit Bauchkribbeln, aber ohne Zunge bekam ich hinterm Klettergerüst. Er hieß Dave und war wirklich sehr süß. Unsere Beziehung endete nach diesem einen Kuss, wir wurden von unserer Kindergärtnerin erwischt. Meine Mutter war erschrocken, mein Vater stolz als sie von meiner Erkundung des anderen Geschlechts hörten.
In der Schule ging Dave in meine Parallelklasse, aber er war nicht mehr so süß, Dave mutierte zu einem Idioten.
Die ersten zwei Jahre in der Schule haben mir sehr viel Spaß gemacht. Ich lernte neue Freunde kennen.
Wenn ich in meiner Freizeit nicht im Stall mit den Pferden kuschelte, war ich mit den Mädchen aus meiner Klasse verabredet. Wir teilten alles miteinander.
Als ich die Schule wegen meiner Krankheit verlassen musste, kamen die Mädchen mich noch drei- oder viermal im Krankenhaus besuchen, dann habe ich sie nie wieder gesehen. Zuerst war ich wütend, dann traurig, war ich nicht schon genug bestraft?!
Ein Junge auf meiner Station im Krankenhaus erklärte mir, es würde nicht an mir liegen, die Mädchen sind einfach blöd und sie wären nicht einen Gedanke wert.
Er hieß Andreas und war zwölf Jahre alt. Im vierten Lebensjahr wurde bei ihm ein Tumor im Gehirn festgestellt. Seitdem operierten die Ärzte Andreas immer und immer wieder ohne großen Erfolg. Nach jeder Operation wartete ich neben seinem Bett auf sein erwachen. Er öffnete die Augen und sagte dann jedes Mal, er hätte riesigen Hunger. Ich reichte ihm dann immer einen Schokoladenpudding.
Andreas hielt meine Hand bei jeder Untersuchung. Er war mein bester Freund, wir erzählten uns alles.
Ein Jahr später verlor Andreas den Kampf gegen den Krebs.
Ich werde durch die Stimme meiner Mutter aus meinen Gedanken gerissen.
Der Arzt teilt ihnen die Ergebnisse meiner Untersuchungen in seinem Büro mit. Ich höre meine Mutter hinter der Tür weinen, schreien und flehen. Mein Vater hingegen ist still, kein Wort kommt über seine Lippen.
Ben ist ein Denker, jedes Wort, jeder Satz ist gut durchdacht. Ich habe noch nie erlebt, dass mein Vater von seinen Emotionen getragen wird.
Carla dagegen ist ein Herzmensch, erst reden, dann denken. Sie zeigt ihre Gefühle und teilt jedem ihre Bedürfnisse mit. Wahrscheinlich verstehen sich meine Eltern deshalb so gut, Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an.
Ich sitze alleine auf einem Stuhl in diesem langen Flur. Mir wird wieder bewusst, wie ich Krankenhäuser hasse. Na ja, wer nicht?! Das liegt natürlich nicht an den Schwestern oder den Pflegern, die sind großartig und erfüllen so viele Wünsche, obwohl sie so wenig Zeit haben.
Die Tatsache, dass man im Krankenhaus ist, weil es einem nicht gut geht, stellt dieses Haus in ein negatives Licht.
Doch nirgends ist der Beginn und das Ende eines Lebens so dicht beieinander.
Zu oft wurde mir von einem Arzt gesagt, ich wäre krank. Aber nicht dieses Mal, ich stehe vom Stuhl auf und gehe.
Erst auf der Straße wird mir bewusst, dass ich keine Ahnung habe in welcher Stadt wir uns befinden.
Carla hielt es für das Beste in ein Krankenhaus einer großen Stadt zu gehen. Ich denke, sie hat hier auf ein anderes Ergebnis bei der Blutentnahme gehofft. Das ist natürlich quatsch, aber meine Mutter klammert sich an jeden Strohhalm.
Ich habe endgültig genug davon, nie wieder eine Nadel im Arm spüren, nie wieder Chemotherapie, nie wieder Bestrahlung und nie, wieder in Gesichter blicken die schlechte Nachrichten verkünden müssen.
Dieser Entschluss steht für mich fest, schon bei den ersten Anzeichen, war ich mir dabei sicher. Diese Entscheidung befreit meinen Lebenswillen. Ich bin nicht unsterblich, die Zeit läuft gegen mich. Die Tage die mir noch bleiben, möchte ich genießen. Eigentlich eine schöne Erkenntnis, jetzt muss ich nur noch meine Eltern von meiner gefühlten Freiheit überzeugen.
Mein Vater würde es verstehen und akzeptieren, meine Mutter nicht.
Während der Schwangerschaft traten Komplikationen auf, ich kam sechs Wochen zu früh auf die Welt. Meiner Mutter ging es Tage nach der Geburt sehr schlecht. Sie bekam hohes Fieber, die Ärzte waren ratlos. Eine letzte Ultraschalluntersuchung brachte Klarheit. Ihre Gebärmutter hatte sich entzündet, die Ärzte konnten ihr Leben retten, doch Kinder könnte sie keine mehr bekommen.
Jedes Mal wenn uns eine schlechte Nachricht mitgeteilt wird, wünsche ich mir eine Schwester oder einen Bruder, vielleicht würde meine Mutter dann nicht so leiden.
Als die Ärzte das erste Mal bei mir Leukämie feststellten, verstand meine Mutter die Welt nicht mehr.
Dieses Wort Leukämie mochte ich noch nie, wenn mich jemand fragt, sage ich immer: „Ich habe weißes Blut, bin etwas besonderes, wie die Adligen mit ihrem blauen Blut.“ Das hört sich irgendwie schöner an.
Meine Mutter stimmte damals jeder Untersuchung, jeder Behandlung zu. Sie wollte, dass ich wieder gesund werde.
Natürlich, sie meinte es nur gut und wollte mich nicht verlieren. Manchmal wäre weniger vielleicht besser gewesen.
Es war ein langer Weg, aber durch eine Knochmarkspende konnte ich geheilt werden.
Eines Tages klingelte das Telefon. Carla liefen die Tränen über die Wange als sie den Hörer auflegte. Die Knochenmarkspendenkartei hatte deinen möglichen Spender für mich gefunden. Es folgten noch viele Untersuchungen, aber dann war es endlich soweit. Ich fühlte, dass mein Körper nur auf diesen Zeitpunkt gewartet hatte. Er strotzte voller Energie. Ich habe mich unglaublich schnell von dieser Krankheit erholt.
Zwei Jahre mussten vergehen bis ich meinem Spender danken konnte. Durch seine Hilfe wurde mir Zeit geschenkt. Das schönste Geschenk auf Erden. Ich lernte Tom in einem Hotel kennen. Das erste Treffen findet immer auf neutralem Boden statt. Wir fühlten uns gleich verbunden wie Geschwister. Dieses Gefühl besteht bis heute, wir telefonieren regelmäßig. Was wird Tom nur sagen wenn er hört, dass die Krankheit erneut ausgebrochen ist? Es geht wieder von vorne los.
Meine Eltern haben sich oft gestritten, ich konnte meine Mutter durch die geschlossenen Türen hören.
Eines Tages habe ich meinen Vater gefragt, warum sie so sauer sei. Er hatte mich ganz überrascht angeguckt. Ben setzte sich zu mir aufs Bett und erklärte, dass Carla schreckliche Angst hätte mich zu verlieren und mich deshalb am liebsten in Watte einpacken möchte. Er hält das aber für einen Fehler, ich sollte trotz der Krankheit wie ein normales Kind aufwachsen. Manchmal haben sie unterschiedliche Meinungen. Trotzdem lieben die Beiden mich über alles und wollen nur das Beste für mich.
Ich habe nur mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, dass ich viel zu groß sei, um verloren zu gehen.
Er fing laut an zu lachen. Meine Mutter kam ins Zimmer. Er erzählte ihr, was ich gesagt habe und auch meine Mutter fing laut an zu lachen.
Seitdem habe ich sie nie wieder schreien hören. Bis zu dem heutigen Tag, an dem der Krebs wieder in mein Leben getreten ist, nur dieses Mal bewusster.
Als neunjähriges Mädchen hatte ich eine rosarote Brille auf und auch eine andere Vorstellung von dieser Krankheit.
Ein Krebs ist eigentlich ein schönes Tier, der wird mir schon nichts antun. Ich nannte ihn übrigens Ralph, wie die Küchenschabe aus dem Film „Joes Apartment“. Er zeigt sich nicht, aber man weiß er ist da und benutzt für eine gewisse Zeit meinen Körper oder wie in dem Film die Schaben das Apartment. Bis alles verwüstet ist und sie wieder verschwinden.
Es gab aber auch Tage, an denen ich mit Ralph geschimpft habe. Jedes Mal wenn mir Blut abgenommen wurde oder ich Weihnachten im Krankenhaus verbringen musste.
Jetzt mit sechzehn Jahren und den Erfahrungen mit dieser Krankheit sehe ich vieles klarer.
Die Berührung einer Hand auf der Schulter reißt mich aus meinen Gedanken. Ich drehe mich um, mein Vater steht hinter mir, meine Mutter ist nicht zu sehen.
„Komm Lia, wir werden vom Arzt und deiner Mutter erwartet.“
Ich gucke ihn nur stumm an. Er strahlt Ruhe und Sicherheit aus, wie ein Baum der fest im Boden verwurzelt ist. So leicht wirft den keiner um.
„Papa, ich kann nicht. Ich habe genug davon, keine Untersuchungen mehr, keine Nadeln oder Tabletten. Bitte, lass mich meine restliche Zeit selber gestalten!“
Ben steht nur da, sagt kein Wort. Ich weiß nicht, ob ich mir es nur einbilde oder ob seine Augen feucht werden. Dann umarmt er mich und flüstert mir ins Ohr.
„Ich bin stolz auf dich.“
Er löst sich aus der Umarmung und drückt mir einen Geldschein in die Hand.
„Geh die Straße entlang, du kommst auf ein Eiscafe zu, bestell dir einen großen Becher. Ich hole deine Mutter.“
Bevor ich noch etwas sagen kann, ist mein Vater im Krankenhaus verschwunden. Ich blicke ihm noch einige Zeit nach, kann nicht begreifen, was gerade passiert ist. Hofft er, dass meine Mutter mich zur Vernunft bringt? Aber Ben sagte, er sei stolz auf mich. Vielleicht respektiert mein Vater diese Entscheidung und unterstützt mich.