Читать книгу Sternenmädchen funkeln ewig - Kristin Pluskota - Страница 4

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Das Eiscafe befindet sich an einer viel befahrenen Kreuzung. Ich setze mich ans Fenster und bestelle einen Erdbeerbecher mit einen extra Portion Sahne, das habe ich mir jetzt verdient.

Ich hoffe, meine Mutter ist nicht all zu wütend auf mich. Vielleicht kann Carla meine Entscheidung einfach akzeptieren. Die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Während ich auf das Eis und meine Eltern warte, beobachte ich die Leute, die am Cafe vorbei gehen.

Eine Mutter mit ihrem Kind. Sie ist genervt und zieht ihre Tochter an der Hand hinter sich her.

„Du hattest schon ein Eis, irgendwann ist mal gut. Wir fahren jetzt nach Hause, ich werde deinem Vater erzählen, wie böse du heute warst.“

Das Mädchen fängt an zu schreien, aber die Mutter setzt ihre Tochter unbeeindruckt ins Auto und fährt davon.

Ich war als Kind auch sehr anstrengend beim Einkaufen, Carla war immer froh, wenn Ben zu Hause war und sie mich nicht mitnehmen musste. Ist vielleicht auch ein bisschen verständlich, ich habe mich mal im Einkaufladen auf den Boden geworfen, weil ich nicht das bekommen hatte, was ich wollte. Meine Mutter hat mich gepackt, sie ließ den Einkaufswagen voller Lebensmittel stehen und ist mit mir nach Hause gefahren. Carla war so wütend auf mich, wie die Frau auf der Straße mit ihrem Kind.

Ich beobachte ein Pärchen, ich schätze mein Alter, sie schlendert Händchen haltend über die Straße. Das Paar betritt das Eiscafe, er bestellt vier Kugeln im Becher und sie nimmt zwei Plastiklöffel mit.

Verliebt teilen sie sich die vier Kugeln, das Pärchen füttert sich gegenseitig. Es ist schon ein bisschen komisch, dass zu beobachten. Meine Mutter würde sagen, jetzt ist dieses Pärchen noch frisch verliebt, warte ein paar Monate und sie freuen sich über getrennte Becher. Ich muss lachen.

Als die Ärzte das erste Mal bei mir Leukämie feststellten, wurde ich im Krankenhaus unterrichtet, zur Schule konnte ich wegen meinem geschwächten Immunsystem nicht gehen. Wir waren zwischen drei bis vier Kindern unterschiedlichen Alters. Es war schon eine Umstellung zurück in die Schule mit fünfundzwanzig Kindern in einer Klasse zu gehen. Ich war geheilt, meine Mutter wollte so schnell es geht einen normalen Alltag für mich erschaffen. Die erste Zeit war sehr schwierig. Deine Mitschüler gucken dich mit traurigen Augen an, sie behandeln dich wie ein rohes Ei, für sie war ich noch immer krank. Leider hat keiner Lust seine kostbare Zeit mit einem rohen Ei zu verbringen. Bis ich Max kennen lernte, er war ein Jahrgang über mir. Ich stand alleine auf dem Schulhof, ein paar Jungs spielten in einer Ecke Fußball. Ich habe ihn nicht kommen hören, vielleicht hätte ich mich noch ducken können. Der Fußball traf mich am Hinterkopf und ich ging zu Boden. Als ich wieder zu mir kam, blickten mich zwei tief blaue Augen an. Eine Stimme drang in mein Unterbewusstsein, sie sagte, dass ich eine riesige Beule am Kopf hätte und fragte, ob es sehr wehtun würde, wenn er darauf herumdrückt. Erst da fühlte ich den Schmerz, ich zuckte zusammen. Der Junge der so viel Spaß hatte, meine Beule zu berühren, drehte sich zu den Anderen um und teilte ihnen mit, dass sie weiterspielen könnten, es würde mir gut gehen. Ich versuchte aufzustehen was mir leider auf Anhieb nicht gelang. Meine Beine waren sehr wacklig und bevor ich erneut zu Boden fiel, klammerte ich mich an Maxs Arm fest. Ich hätte ihn beinahe mitgerissen.

Diese ganze Sache war mir unglaublich peinlich, noch heute werde ich rot nur bei dem Gedanken daran.

Max guckte mich erschrocken an, mir fehlten noch immer die Worte, ich grinste ihn nur verlegen an. Er fragte, ob ich beim Aufprall meine Zunge verschluckt hätte. Ich schüttelte den Kopf und aus meinem Mund kamen ganz leise die Worte, es tut mir Leid. Max fing laut an zu lachen und sagte zu mir, wenn ich wieder klar denken und sprechen könnte, soll ich mich melden. Max grinste mich an und spielte mit den anderen Jungs weiter Fußball.

Bevor noch irgendwas passieren konnte verschwand ich im Klassenzimmer. Die nächsten Tage blieb ich in den Pausen im Klassenzimmer sitzen. Ich wollte nicht noch einmal das Gespräch des ganzen Schulhofs werden.

Eine Woche später machte ich mich nach der Schule auf den Heimweg. Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter, dann diese wunderschöne Stimme in meinem Ohr die fragte, wie es meinem Kopf geht und ob ich meine Stimme wieder gefunden habe. Ich nickte und ganz überraschend sprudelten die Wörter aus meinem Mund. Seitdem verbrachten wir viel Zeit miteinander. Ich genoss die Zeit mit ihm. In den Jahren im Krankenhaus habe ich viel verpasst, das holte ich mit Max alles nach. Meine Eltern waren über diese Verbindung nicht sehr glücklich. Zum Schluss unserer Beziehung war ich abhängig von ihm, was Max sagte, machte oder wollte, ich hielt zu ihm. Ich gab mein Leben, meine Freizeit für ihn auf, habe zu Hause auf seine Anrufe gewartet, traute mich alleine nicht mehr vor die Tür. Meine Eltern konnten nur stumm zu schauen. Carla stand mit Tränen in den Augen vor mir, trotzdem habe ich nicht auf sie gehört, als sie mir sagte, ich würde mein Leben für jemanden verschwenden der es nicht wert sei. Eine Freundin schaffte es, mir mit Bildern von Max und einem anderen Mädchen die Augen zu öffnen, wie die Beiden sich leidenschaftlich küssen. Ich stellte Max zur Rede, er hat es noch nicht einmal abgestritten, er grinste mir dabei sogar ins Gesicht. Auch wenn es vielleicht kitschig ist hätte ich mir mit meiner ersten großen Liebe wie dieses Pärchen einen Eisbecher geteilt.

Durch die Scheibe des Cafes kann ich einen Mann mit Handy am Ohr beobachten wie er über die Straße rennt ohne nach rechts oder links zu gucken. Er übersieht ein herankommendes Motor-grad, der Fahrer hupt und kann in letzter Sekunde ausweichen. Der Mann hebt verärgert den Arm und telefoniert weiter. Unglaublich, es hätte nicht viel gefehlt und er wäre überfahren worden. Anstatt sich zu bedanken, beschwert sich dieser Mann noch.

Eine junge Familie betritt das Cafe, die zwei Kinder suchen sich aufgeregt ihr Eis aus.

„Jeder darf sich eine Kugel aussuchen.“

Die Kinderaugen strahlen beim Anblick dieser großen Auswahl.

Wie unterschiedlich die Menschen sind.

Erst jetzt fällt mir auf, dass auch ich beobachtet werde. Eine ältere Dame am Nachbartisch sieht zu mir rüber.

„Ich komme jeden Freitag hierher und schaue den Leuten zu, wie sie gestresst durch die Straßen laufen oder sie sich einmal Zeit für ein Eis nehmen.“

Sie grinst mich an.

„Wartest du auf jemanden?“

„Ja, auf meine Eltern. Es dauert sicher noch eine Weile, bis sie mich hier abholen.“

„Möchtest du dich solange zu mir setzen?“

Ohne lange nachzudenken, setze ich mich an ihren Tisch. Die Frau hat eine tolle Ausstrahlung, ich fühle mich sofort wohl in ihrer Nähe. Es ist sehr vertraut, ein schönes Gefühl.

„Du bist nicht von hier oder?“

Ich schüttle den Kopf.

„Nein, wir sind hier nur zu Besuch.“

Die Frau guckt mich weiter fragend an.

„Wir waren im Krankenhaus. Meine Eltern müssen noch mit dem Arzt sprechen, ich bin schon vorgegangen.“

„Ja, dass kann ich verstehen. Ich mag auch keine Krankenhäuser. Möchtest du noch etwas trinken? Ich lade dich ein.“

Obwohl ich nicht über meinen eigentlichen Aufenthalt in der Stadt reden möchte, war ich jetzt auf viele Fragen vorbereitet. Doch die Frau grinst mich nur an und nickt mir zu. Als würde sie sagen, ich habe es verstanden, wir müssen nicht darüber reden.

„Ja, ein Wasser wäre super. Dankeschön.“

Die Frau grinst und bestellt bei der Kellnerin zwei Gläser.

„Schau dir den Mann an.“

Sie zeigt auf einen älteren Herrn.

„Jeden Freitag zur selben Zeit kauft der Mann einen Eisbecher.“

Mit dem Becher in der Hand verlässt der Herr das Cafe. Er überquert die Straße und geht auf eine Bank zu. Eine ältere Dame nimmt ihm den Eisbecher ab. Mit einem Kuss auf seine Wange bedankt sie sich bei ihm.

„Die Beiden sind seit 50 Jahren verheiratet. Heutzutage unvorstellbar, dass eine Liebe so lange für einen Menschen besteht und sie sogar noch von Tag zu Tag wächst.

Schau dir die Menschen an, wie sie über die Straße rennen, mit ihrem Handy telefonieren, keiner nimmt den Anderen wahr. Dabei kann nur ein kleiner Augenblick, ein nettes Wort das Leben so viel schöner machen. Jeder legt seine Prioritäten fest, Geld, Macht, Liebe. Aber wenn dir gesagt wird, du hast nicht mehr lange zu leben, ist das alles nebensächlich.

Wenn jemand Hilfe benötigt, bin ich zur Stelle. Aber man darf nicht vergessen, jeder lebt nur einmal. Nicht falsch verstehen, ich helfe sehr gerne. Doch, seine eigenen Pläne, darf man niemals aus den Augen verlieren. Irgendwann steht man vor der Himmelstür und wird gefragt, was man mit seinem Leben so angefangen hat, ob man seine Talente genutzt hat? Man aber nur antworten kann: Nee, kannst du wieder haben, hab ich nicht gebraucht, vielleicht kann jemand etwas besseres damit anfangen. Du hast viele zweite Chancen, doch der Tod ist endgültig! Ich habe eine Liste geschrieben, auf der ich festhalte, was ich auf jeden Fall noch alles machen möchte. Eigentlich verrückt, dass man dafür eine Liste braucht, aber einen Haken hinter eine erledigte Aufgabe zu machen, ist ein unglaubliches Gefühl. Es stehen noch viele Abenteuer auf meiner Liste, ich hoffe nur, die Uhr läuft nicht gegen mich!

Schau dir die Beiden auf ihrer Bank an, da siehst du was wirklich zählt! Zeit, um Augenblicke, wie diese zu erleben und immer wieder zu genießen!“

Ich beobachte das ältere Paar, sie teilen sich den Eisbecher. Es ist schön zu sehen, sie leben den Augenblick.

„Das sind besondere Menschen, ich habe die Beiden nach ihrer Lösung für lange Liebe gefragt. Sie haben gelacht und mir gesagt, leben und leben lassen. Jeder für sich und doch gemeinsam.“

Ich zucke zusammen, meine Mutter geht oder läuft wohl eher am Fenster des Cafes vorbei. Sie sieht wütend aus. Mein Vater eilt ihr nach. Als Carla die Tür erreicht, hat sie mich auch schon entdeckt. Sie stürzt auf den Tisch zu.

„Was denkst du dir dabei? Du kannst doch nicht einfach gehen!“

„Mama, es tut mir leid. Lass uns bitte in Ruhe reden.“

Doch meine Mutter ist nicht zu stoppen.

„Wir werden nicht reden, du kommst jetzt mit!“

Ben mischt sich ins Gespräch.

„Carla, es reicht jetzt! Lia komm, wir fahren nach Hause!“

Ich habe meinen Vater noch nie so erlebt. Meine Mutter wohl auch nicht, sie guckt ihn erschrocken an. Ich stehe auf und drehe mich zur Frau am Tisch um.

„Ich wünsche ihnen noch einen schönen Tag.“

Sie nickt mir zu.

„Vergiss nie, es ist dein Leben, es sind deine Augenblicke, deine Momente.“

Carla hat das Cafe vor uns verlassen. Ben nimmt meine Hand, wir folgen ihr vor die Tür. Bis wir im Auto sitzen, sagt keiner ein Wort.

Meine Mutter fängt an zu weinen. Mein Vater legt seine Hand zur Beruhigung auf ihr Bein.

„Ich kann das nicht verstehen, wir können doch nicht einfach nach Hause fahren, ich werde nicht aufgeben.“

„Mama, ich liebe dich und bin dir unendlich dankbar für Alles! Aber bitte akzeptiere meine Entscheidung, keine Krankenhäuser mehr. Es ist mein Leben! Ich möchte die Momente genießen, egal wie lange sie sein werden!“

„Wir werden dich bei dieser Entscheidung unterstützen und jetzt fahren wir nach Hause!“ Ben unterstützt mich noch immer, Carla sagt kein Wort mehr, ich höre sie nur leise weinen. Ich weiß, für meine Mutter zerbricht die Hoffnung einer gesunden Tochter, aber sie muss meine Entscheidung akzeptieren!

Sternenmädchen funkeln ewig

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