Читать книгу Die Kraft des Weiblichen - Kristina Marita Rumpel - Страница 8
ОглавлениеIn welcher Welt wollen wir leben?
Wir leben in einer Zeit, in der Verdrängtes mit Macht an die Oberfläche drängt. Die weltweiten Krisen wie Umweltzerstörung, Klimawandel, Terror, Armut, Hunger, Epidemien sind so existenziell, dass die altbewährten Strategien der Schönung, Verdrängung oder sogar gewaltsamen Unterdrückung nicht mehr greifen. Sie verschärfen die Probleme nur. Das gilt in allen Bereichen, im Privaten ebenso wie auf dem gesellschaftlichen oder politischen Parkett. Gleichzeitig hat die Zeit der großen Umbrüche begonnen. Wortreich und doch seltsam inhaltsleer werden Konzepte vorgestellt und diskutiert, die mangels ganzheitlicher Betrachtung – auch durch die fehlende Einbindung der eigenen Person und des großen Ganzen – das Leben in seiner Essenz nicht abbilden und daher an der Lebenswirklichkeit vorbeigehen. In diesen Erklärungsansätzen zeigt sich das alte, unverbundene Denken, das der Zeitqualität des Umbruchs und der Neuausrichtung nicht gerecht wird.
Die weibliche Kraft fordert, Gegensätze zu integrieren, statt in Gegensätzen zu denken.
Getrenntsein als Grundschmerz unserer Zeit
Wir müssen keine Visionäre sein, um zu erkennen, dass eine neue Ära bevorsteht, ja bereits begonnen hat. Wir sind dabei, eine neue Integrationsfähigkeit auszubilden, die uns erlaubt, das Gemeinsame in der Vielfalt zu erkennen und die trennenden Aspekte, die allein unserem Denken entspringen, hinter uns zu lassen. Durch ein gleichzeitiges Denken von Gegensätzen statt des Verharrens in Gegensätzen erreichen wir eine höhere Ebene des Bewusstseins und Miteinanders. Wir verstehen langsam, dass sich die Dinge nicht mehr getrennt voneinander betrachten lassen. Alles ist eingebunden in einen Kontext, hat eine Vergangenheit und Zukunft und ist kein losgelöstes Ereignis. Was sich so schlicht anhört, ist für viele eine echte Herausforderung. Bisher waren wir gewohnt und haben uns darauf trainiert, alles in seine Einzelteile zu zerlegen, um es besser untersuchen, begreifen und auch auf Distanz halten zu können. Für alles gibt es ein Mittel, ein Rezept, einen Knopf. Doch das Wesentliche und Substanzielle bleibt dabei oft auf der Strecke, denn das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile. Schmerzlich müssen wir erfahren, dass Spaltung nicht zum Kern, sondern immer weiter davon wegführt. Immer gibt es noch ein weiteres Teilchen, sowohl im Kleinsten wie auch im Größten. Das Leben ist ein Paradoxon.
Spaltung führt nicht zum Kern, sondern immer weiter vom Ursprung weg.
Ohne Integration der Einzelteile und Rückbindung zum gemeinsamen Ursprung führt das unendliche Aufteilen und Trennen in sein Gegenteil: Statt Ordnung entsteht Chaos. Vor uns liegen dann unverbundene Teile. Die Bruchstellen schmerzen; brandgefährliche neue Probleme können ausgelöst werden. Die Wunden heilen nicht, weil die Trennung wider die Natur ist. Egal, wie viel wir erdenken, konstruieren, verschieben oder erklären, wir müssen anerkennen, dass auch wir Menschen Teil einer größeren Ordnung sind. Dass wir Teil des natürlichen Lebens sind, das auf dem Prinzip der Verschmelzung und Verbindung beruht. Auch die Zeit kann den tiefsten Schmerz in uns nicht heilen, nämlich unsere Abspaltung und Abkehr von der Natur. Letzteres ist eine direkte Folge der Abgrenzung des Männlichen vom Weiblichen, wie wir später sehen werden. Die Sehnsucht der Menschen, wieder heil und ganz zu sein, sich rückzubinden an die Natur, führt zu ebenso schlichten wie wahrhaftigen Erkenntnissen, befördert die Geheimnisse des Lebens und hilft uns, sich an das uralte Weisheitswissen der Menschheit zu erinnern. Die zementierten Glaubenssätze der Jahrhunderte reißen allmählich ein – zum Vorschein kommt die weibliche Kraft, die alles Leben und jede Zelle in uns durchspült. Sie ist es, die dieser Tage mit Macht ins Bewusstsein der Menschen und an die Oberfläche drängt. Sie offenbart: Angesichts der Gewalt in der Welt ist ein Umschwung nötig.
Weiblichkeit als Wegweiser in eine Zeit der Verbundenheit
Die Faszination für das Weibliche entspringt aus unserem Innersten. Lange war die weibliche Kraft verdeckt vom Ballast der Jahrtausende. Doch sie war nie weg, sondern hat nur geruht, um wie nach einem langen Winterschlaf mit Macht ins Leben zurückzukommen. Sie neu zu ergründen, darin liegt ein großer Schatz für Frauen wie Männer und der Weg in eine neue Zeit des Miteinanders. Die weibliche Kraft wiederzufinden heißt, sich ganz persönlich auf eine Abenteuerreise einzulassen, an deren Ende sich der Suchende selbst in einem neuen Licht wahrnimmt und das Leben mit anderen Augen sieht. Nichts weniger als die Neugeburt der Menschheit hält sie bereit. Ihr auf die Spur zu kommen heißt gleichsam, sich selbst neu zu entdecken. Das gilt für beide Geschlechter, denn sie fördert ein lang vergessenes Verständnis von weiblich und männlich zutage, das es uns ermöglicht, das volle menschliche Potenzial auszuschöpfen. Ein unendliches Kraftreservoir, aus dem wir Menschen schöpfen können – zur Selbsterkenntnis, zur persönlichen und spirituellen Entwicklung und Gestaltung einer Welt, in der Frau und Mann wieder verbundene, das heißt aus ihrer Mitte heraus und im Leben verwurzelte Entscheidungen treffen können, die dem Wohle aller dienen. Frieden, Daseinsfreude und die Liebe zum Leben entwickeln sich auf diesem Fundament. Wer sich mit der weiblichen Kraft in Frau und Mann beschäftigt, dem eröffnet sich ein Leben im Einklang mit dem eigenen Wesen, der Natur und den universellen Gesetzen und er kommt in den Flow des Lebens.
Dies ist nicht nur ein persönlicher Gewinn, sondern geht bei Weitem über die persönliche Dimension hinaus. Angebunden an die weibliche Kraftquelle und frei von Stereotypen, erweitert sich der Blick auf weibliche und männliche Qualitäten als elementare tief greifende Lebensqualitäten wie Mitgefühl, Kreativität, Intuition oder Akzeptanz, Mut und Klarheit. Angesichts der weltweiten Krisen kommen wir nicht umhin, die Frage nach männlich und weiblich neu zu stellen. Bevor wir nicht geklärt haben, wie genau männliche und weibliche Energien in uns und in der Welt wirken und wie wir diese positiv leben können, bevor diese Kräfte nicht benannt sind, sind ein friedliches Miteinander und die Lösung der drängenden Probleme der Menschheit in weiter Ferne.
Die Wiederentdeckung der weiblichen Kraft in Frau und Mann versöhnt die Geschlechter. Ohne sie ist ein Frieden in der Welt nicht möglich.
Das Leben bejahen im Denken, Fühlen und Handeln
Die Beschäftigung mit der weiblichen Kraft führt auch zur Frage, wie wir in Zukunft leben beziehungsweise welchen Stellenwert wir dem Natürlichen, dem Nichtkontrollierbaren, dem Urweiblichen in unserer Gesellschaft einräumen wollen. Dabei geht es nicht um eine Vorherrschaft des Weiblichen, sondern um den heilvollen Ausgleich beider Kräfte. Um eine Balance der männlichen wie der weiblichen Lebensenergien, die gemeinsam in jedem Menschen wirken und damit geschlechtsunabhängig und uns allen gemein sind, zu erreichen, sodass wir wieder zu einem ganzheitlichen Verständnis von Mensch, Natur und Kosmos und damit zu einem klaren Ja zum Leben und den seit Urzeiten geltenden heiligen Prinzipien des Lebens finden können. Heilig versteht sich losgelöst von religiösen Vorstellungen und bezieht sich allein auf eine lebensbejahende und lebensförderliche Weise im Denken, Fühlen und Handeln.
Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Freiheit und ein Loblied auf das Leben in seiner Vollkommenheit. Das Leben zu verbessern ist unnötig. Es ist bereits vollkommen. Vielmehr geht es darum, das Leben als Wunder wieder wahrzunehmen. Es wurde geschrieben aus Liebe zur Wahrhaftigkeit und aus dem Wunsch, Leben wieder zu heiligen, also mit jeder Faser des Fühlens, Denkens und Wollens lebensbejahend erfahren zu können. Wer das Leben jenseits seiner Teilaspekte verstehen möchte, dem hilft eine Bewusstheit für die großen Bögen des Lebens, aber vor allem auch eine Zusammenschau vergessen geglaubten Wissens.
Von Frau zu Frau wird das Leben seit Anbeginn der Zeit weitergegeben. Das gilt im Großen wie im Kleinen: Niemand wäre hier, wenn er nicht von einer Frau geboren worden wäre. Wir alle entstammen dem weiblichen Schoß und haben zehn Monate im Inneren, als Teil des weiblichen Körpers verbracht. Wenn auch die Geschichte der Frau mit viel Leid verbunden war und teilweise noch immer ist, so geht es in diesem Buch zu keinem Zeitpunkt darum, Schuldige zu suchen oder anzuklagen, sondern um das genaue Gegenteil: hinzuschauen, um den Schmerz, der noch in so vielen Frauen wie Männern begraben ist und ihre Seelen auffrisst, in Mitgefühl statt Mitleid zu wandeln und ziehen zu lassen. Zu erwachen aus dem kollektiven Albtraum und vereint wahrhaft lebendig das Leben zu feiern.
Die Menschheitsgeschichte kann als Geschichte der Frauen erzählt werden. Sie ist eine Geschichte der weiblichen Kraft.
Eine Rückblende mit heilsamer Absicht zielt nicht auf eine vollständige oder lückenlose Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern darauf, alte Verwicklungen zu lösen und im Herzen für die Liebe frei zu werden. Ich möchte das verhedderte Knäuel an Irrungen und Wirrungen im persönlichen wie im übergeordneten Rahmen aufwickeln, denn alles hängt mit allem zusammen. Alle Stränge sind letztlich ein Faden, der von Anfang bis Ende in die Ewigkeit und zurück führt. Aus dieser Position und Perspektive kann sich die Geschichte der Menschheit vor unserem inneren Auge neu entwickeln. Wir können wieder klar sehen und das Wesentliche verstehen. Nur mit einer klaren Ausrichtung und indem wir uns an den Ursprung zurückbegeben, an den uns die weibliche Kraft führt, lassen sich die Wolken und Schleier vertreiben. Für freie Frauen und selbstbewusste Männer ist die Zeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts reif, beherzt und furchtlos, neugierig und vertrauensvoll hinter den Vorhang zu blicken.
Sich der weiblichen Kraft zuzuwenden, heißt, am Weltbild zu rütteln.
Das Rütteln am Weltbild macht vielen Menschen Angst. Manche wehren sich mit allen Mitteln der Ablehnung dagegen. Doch wir schauen hier und heute hin. Und was wir aktuell beobachten können, ist ein Leben, das kopfsteht. Die lebensverachtenden Praktiken der sogenannten zivilisierten Welt demaskieren sich als eine direkte Folge der menschlichen Entwurzelung und des gottgleichen Heraustretens aus der natürlichen Ordnung. Betroffen sind wir auch als einzelne Individuen, etwa durch die steigende Orientierungslosigkeit im Leben oder durch unsere Unsicherheit im Umgang mit Fragen zu den Geschlechterverhältnissen und zur Religion in der Welt sowie unsere Unfähigkeit, bedingungslos zu lieben. Das ist kein individuelles Versagen, also kein Platz für Schuldgefühle, sondern eine kollektive Verwicklung, die sich über die Jahrtausende verselbstständigt hat, bis wir uns in uns selbst verrannt und verloren haben. Wenn wir achtsam mit uns sind, können wir den Schmerz darüber und die mehrfachen Verdrehungen im Fühlen, Denken und Handeln innerlich sogar spüren.
Lehrmeister für bedingungslose Liebe auf der Welt sind die Kinder. Sie lieben ihre Eltern auch trotz Verletzungen. Aus diesem Grund segnete Jesus Christus die Kinder und sagte über sie: »Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.« (Mk 10,14) Doch statt ihnen für ihr Sosein dankbar zu sein und uns mit ihnen in Liebe und Vertrauen zu üben, erziehen und verbiegen wir sie, damit sie in unser Weltbild passen. So vergeben wir eine Chance für inneres Wachstum und beschweren dadurch die nächste Generation. In immer mehr Menschen keimt die Sehnsucht nach einer lebenswerteren Welt, in der jeder nach seiner Fasson glücklich und zufrieden werden kann. Viele suchen im Außen, doch der Kern liegt in unserem Inneren. Ein Schlüssel dorthin ist der Zugang über die eigene Weiblichkeit beziehungsweise Männlichkeit. Diese Qualitäten des Lebens positiv zu leben, ist die Basis für einen heilsamen Wandel.
Das Leben ist heilig, da es in seinem Ursprung nach lebensbejahend und nicht zerstörerisch ist. Wäre es auf Zerstörung angelegt, würde es sich selbst zuwiderhandeln, sich kannibalisieren statt mehren. Das Leben ist immer für, nie gegen sich. Was sich ändert, ist seine Gestalt, nicht sein Gehalt.
Das Rad der Transformation
Das Buch soll ein Beitrag sein, die eigene Unmündigkeit hinter sich zu lassen, sich zu verorten und Verantwortung zu übernehmen. Die Zeiten der kultivierten Opferrolle, in denen wir die Schuld auf andere, auf die Natur, auf die Umstände, auf die Zwänge geschoben haben, sind vorbei. Alles hat eine Ursache in unserem Verhalten, diese gilt es anzuerkennen und die Störfelder um uns wieder zu Kraftfeldern des Lebens zu wandeln. Noch hetzen die meisten im selbst gebauten Irrgarten menschlicher Verstrickungen hin und her; reden sich schwindelig an der Komplexität des Lebens oder berauschen sich – etwa in Talkshows vor Millionenpublikum – an sich selbst. Die moderne Welt reibt uns auf durch die gleichzeitige Über- und Unterforderung: Einerseits überfordern wir uns, weil wir falsche Erwartungen an uns selbst sowie das Leben haben und die Selbstoptimierungsfalle befeuern. Andererseits unterfordern wir uns permanent, was das Aufspüren von Sinnzusammenhängen sowie das Erkennen und Ausprobieren der Möglichkeit, Schöpfer/in des eigenen Lebens zu werden, angeht. So vergeuden wir Zeit und Energie und versäumen im Labyrinth des Lebens, den Geheimnissen nachzugehen.
Haben wir etwa schon kapituliert und aufgegeben, das Leben im Kern zu erfahren? Dabei ist das Wesentliche stets einfach: Im Ursprung gibt es nur ein klares Ja zum Leben. Diese Klarheit ist heilsam. Ein Problem zu lösen heißt, seine Ursache kennen. Das Wort deutet es schon an: Es geht dabei um nichts weniger als um die Beschäftigung mit dem Urgrund, also der männlichen und weiblichen Kräfte in der Welt, aus deren Verschmelzung neues Leben entsteht. Es ist dies keine abstrakte Überlegung, sondern eine Reise zum Mittelpunkt der Welt, die den Mensch in seiner Gesamtheit fordert, die unser Verständnis von Frau und Mann ins Wanken bringt.
Das macht uns Menschen – Frauen wie Männern – Angst. Doch da müssen wir hindurch, wenn wir dem Zusammenleben eine neue Ausrichtung und der Menschheit eine Zukunft geben wollen. Herrscht an diesem Punkt Klarheit, gehen wir jetzt direkt zur Sache, in medias res, und öffnen der weiblichen Kraft das Feld.
Wunder der Schöpfung
Am Anbeginn allen Seins
gebar die Ewige Mutter
den Himmel und all die Sterne.
In ihrem heiligen fruchtbaren Schoß
wuchs auch die Erde.
Möge die Große Mutter,
die die Schöpfung tanzt,
die uns mit ihrer heiligen Liebe umarmt,
die unser Leben
mit ihrer heiligen Wahrheit entzündet,
uns segnen
und mit ihrer heilenden Kraft
in die Welt senden,
um diese mit ihrer Gerechtigkeit zu füllen.