Читать книгу Die Kraft des Weiblichen - Kristina Marita Rumpel - Страница 9

Оглавление

Weibliche Kraft als universelle Schöpfungskraft

In medias res heißt, sich in die Mitte der Dinge zu begeben, worin wir die Quelle des Lebens, den Ursprung allen Seins, finden. Von diesem Kraftpol geht alle Bewegung aus; hier verströmt alle Energie in einem ewigen Ausatmen. Der Pol selbst bleibt dabei in Ruhe. Symbolisch wird dieser göttliche Ruhepol seit Urzeiten als Kreis mit Nabe im Mittelpunkt dargestellt. Dieses Symbol als Abbild des Göttlichen ist vielen Menschen geläufig. Doch wer erinnert sich heute noch daran, dass dieser Mittelpunkt, das Zentrum allen Seins weiblich ist?


Im Kreis ist der Mittelpunkt strukturgebend. Er steht für das Göttliche und Urweibliche.

Der vergessene Mittelpunkt des Lebens – die Zahl 13

Wer der weiblichen Kraft auf die Spur kommen möchte, befasse sich mit dem Kreis. Der Kreis ist im weiblichen Lebenskontext ein wesentliches Element der egalitären Ordnung und Verbindung untereinander. Im Kreis ist jeder gleich gut zu sehen und gleich weit vom strukturgebenden Mittelpunkt – der Quelle – entfernt. Der Kreis ist das matriarchale Gegenstück zur Hierarchie männlicher Ordnungssysteme der Über- und Unterordnung. Der Kreis wird nicht von oben, sondern vom Mittelpunkt bestimmt und gehalten. Die Beschäftigung mit dem Mittelpunkt des Kreises führt zu grundlegenden Antworten auf der Suche nach den Geheimnissen des Lebens.

Der Mittelpunkt des Kreises ist das Zentrum urweiblicher Kraft.

Der Kreismittelpunkt lässt sich durch die Zahl 13 ausdrücken. Die Zahl 13 stand daher einst im Zentrum aller Erkenntnis. Heute führt sie ein Schattendasein und macht unübersehbar, dass wir den Mittelpunkt und damit den Ursprung des Lebens vergessen haben. Wie konnte es dazu kommen? Als Unglückszahl wurde sie verunglimpft und es wurde, wie es scheint, mit Nachdruck an ihrem Rufmord gearbeitet. Wie sonst ist es zu erklären, dass in unserer rationalen Welt noch heute in manchen Flugzeugen die 13. Reihe fehlt oder der 13. Stock einfach nicht gezählt wird?

Genauso funktioniert Verdrängung; dies ist auch typisch dafür, dass eine unbestimmte Angst zurückbleibt. Die Zahl 13 wurde als Hexenzahl verunglimpft, und im Mittelalter bestand Lebensgefahr für alle, die sich der alten Bräuche und Zusammenhänge noch erinnerten. Um die positive Beschäftigung mit dem Geheimnis um die Zahl 13 zu verhindern, wurde ein Kult der Angst um diese Zahl gelegt. Ängste zu beschwören ist ein wirksames Mittel der Manipulation, um zu verhindern, dass sich jemals jemand wieder mit dem Verdrängten auseinandersetzt. Angst und Aberglaube betreffend die Zahl 13 befallen auch heute noch viele Menschen, auffällig häufig jene, die sich ansonsten jeder Esoterik oder Spiritualität verweigern. Offensichtlich wurde gründlich gearbeitet, um den Ursprung vergessen zu machen.

Die Spirale ist die treibende Kraft im Universum. Sie zu erinnern heißt, den Zwang zur Geradlinigkeit zugunsten der Lebendigkeit abzulösen.

Motor der Transformation

Gemäß altem mystischen Wissen, etwa aus der Kabbala, ist die Zahl 13 alles andere als eine Unglückszahl, sie ist eine ganz besondere Kraftzahl: Sie öffnet das Tor zum Himmel. Symbolisiert die Zahl 12 als starke Strukturzahl den Kreis, so wird ihre bindende Kraft von der Zahl 13, dem Kreismittelpunkt, aufgelöst. Nicht um Chaos zu erzeugen, sondern um neue Ebenen zu erschließen. Sie ist die Zahl der Transformation. Dank der 13 müssen wir nicht immer nur im Kreis laufen, sondern können Er-Lösung finden.

Als Erlöser verkörpert Jesus Christus die Zahl 13, da diese wiederum für Erlösung steht, weil sie den Kreis auflöst. Er ist die personifizierte Liebe, die ihm aus dem göttlichen Ursprung zufließt und die es ihm erlaubt, die Schuld hinwegzunehmen. Denn im Ursprung gibt es nichts als allumfassende Liebe, davon ist er beseelt. Es gibt Indizien, dass Jesus seine Weisheiten aus einer Geheimlehre der Priesterinnen seiner Zeit gewonnen hat. Christus bedeutet der Gesalbte – seine Salbung erfolgte durch Frauen. In ihm schloss sich der Kreis jedenfalls nicht, weil er die geltenden Dogmen seiner Zeit unhinterfragt beibehielt; vielmehr war es seine Öffnung für die uralten Lebensweisheiten, mit der er den Menschen auf eine höhere Ebene des Bewusstseins verhalf.


Jesus verkörpert die universelle Liebe und war eins mit der weiblichen Kraft.

Das Christusbewusstsein steht in engem Zusammenhang zur Zahl 13. Eins mit der göttlichen Quelle verkörpert Christus die größtmögliche Transformation in Liebe, die die Grenzen von Leben und Tod überwindet und zusammenführt. Die Kraft der Zahl 13 ist die in Raum und Zeit aufgelöste Kreisbewegung, die Dynamik einer Spirale. Die Spirale wiederum ist die Dynamik des Lebens und des Universums schlechthin. Transformation, Wandel, stetige Veränderung, das sind wesentliche Charakteristika des Lebens, die durch die Zahl 13 zum Ausdruck kommen. Wie das Weibliche steht sie für den ewigen Kreislauf des Lebens.

Integrationspunkt

Die Zahl 13 finden wir auf der Erde und auch im Universum wieder – etwa in den Mondzyklen. In manchen Jahren gibt es 13 Vollmonde. 13 Tage braucht der Mond, um zum Neumond und wieder zum Vollmond zu werden, ebenso wie der Fruchtbarkeitszyklus des weiblichen Körpers für die Heranreifung und den Abtransport einer nicht befruchteten Eizelle 13 Tage benötigt. Wird die Eizelle im Eileiter befruchtet, dann wandert sie in die Gebärmutter, um sich dort zu beheimaten. Und auch hier treffen wir wieder auf die Zahl 13! Exakt 13 Tage nach der Befruchtung der Eizelle bildet sich die Nabelschnur zwischen Embryo und Mutter, als Zeichen der Verbindung und der Ankunft neuen Lebens in der Materie. Nach der Verankerung durch die Nabelschnur im Blutkreislauf der Mutter dauert es nochmals 20-mal 13 Tage, bis das Kind bereit ist, das Licht der Welt zu erblicken. Die Zahl 13 steht also für das organische menschliche Leben; sie trägt das Geheimnis des Lebens in sich.

Transformation, Wandel, zyklischer Fluss, das sind wesentliche Charakteristika des Lebens. Diese sind ihrem Wesen nach urweiblich und kristallisieren sich in der Zahl 13.

Die Zahl 13 ist also auf das Engste mit den Vorgängen im weiblichen Körper verbunden. Sie ist die Zahl des Zyklischen und damit des Weiblichen. Es wundert daher nicht, dass sie auch einen unübersehbaren Bezug zum Planeten Venus hat, wie der Naturwissenschaftler, Mathematiker und Autor Mag. Werner Johannes Neuner (*1962) in seinem Modell des Venuscodes etwa in seinem Buch Die Matrix – Der Schlüssel zum Ersten Bewusstsein ausführt. Die Venus ist der Nachbarstern der Erde. Im Laufe von acht Jahren umrundet sie 13-mal die Sonne – dabei zeichnet sie die Form eines Pentagramms. Dieser Fünfstern ist nach acht Erdenjahren und 13 Venusjahren einmal vollständig gezeichnet. Das ist bemerkenswert, denn dies sind genau die Zahlen, die nebeneinander in der Fibonacci-Folge liegen. Dieser berühmte mathematische Code ist die Basis des Goldenen Schnitts, also jener Proportionen, in deren Verhältnis sich alles Leben auf der Erde in der Materie ausbildet. Das Pentagramm der Venus gilt damit als Schutzsymbol der Erde und allen Lebens auf unserem Planeten.

Die Venus als Planet kann von der Erde aus in dreifacher Form gesehen werden: als Morgenstern, als Abendstern und für einige Wochen gar nicht. Sie ist aber auch der Name einer Göttin, die im Bewusstsein der Menschen bis heute für die Liebe steht und bisweilen als Lustobjekt herabgewürdigt wurde. In dieser Doppelfunktion zwischen Planet und göttlicher Kraft liegt der Grund verborgen, warum wir all diese zauberhaften Details über die Strukturen des Lebens nicht mehr wissen. Die Quelle des Lebens war von unserem Bewusstsein abgeschnitten.


Die Doppelhelix der DNA trägt die Informationen des Lebens. Ihre Berührungspunkte in einem Tunnelexperiment ausgeleuchtet, werfen ein Pentagramm.

Der weibliche Urgrund als Quelle des Lebens

Aus den bisherigen Ausführungen erschließt sich bereits, was die Quelle des Lebens ist: Es ist der weibliche Urgrund, aus dem heraus sich alles Leben entwickelt hat. Ohne Vorwissen und spirituelle Suche erschließt sich dies allein durch eine logische Kette. Wenn jedes Lebewesen von einer Mutter geboren wurde, so geht die Reihe zurück von Mutter zu Tochter, Mutter zu Tochter, Mutter zu Tochter – immer gleich, immer anders – bis zum Ursprung des Lebens.

Die Urmutter ist die ewige Mutter allen Seins – von ihr geht alles aus und zu ihr geht alles zurück. Dazu gehört auch die Tatsache, dass alle Menschen in der embryonalen Reifungsphase der ersten sieben Wochen weiblich sind. Das Weibliche ist sozusagen das Ursprungsgeschlecht. Erst danach entscheidet ein Hormonmix im Körper der Mutter, ob sich aus dem weiblichen Urgeschlecht ein weibliches oder männliches Kind weiterentwickelt. Ihrem Ursprung nach sind also alle Menschen weiblich, wie auch die universelle Schöpfungsenergie weiblich ist. Weiblichkeit ist die Grundausrichtung des Lebens.


Im Ursprung ist das Leben weiblich: Hier entspringt Leben immer wieder neu.

Auch heute noch existieren Lebewesen, die sich rein weiblich vermehren. Das legt die Vermutung nahe, dass das Männliche am Beginn der Zeit nicht zwingend vorhanden war; ohne das Weibliche gäbe es jedenfalls kein Leben.

Die Parthenogenese (altgriechisch nαpøevoyéveαiç parthenogenesis, von nαpøśvoç parthenos »Jungfrau« und yéveαiç genesis »Geburt«, »Entstehung«), auch Jungfernzeugung oder Jungferngeburt genannt, ist eine Form der eingeschlechtlichen Fortpflanzung. Dabei entstehen die Nachkommen aus unbefruchteten Eizellen. Das Phänomen ist zum ersten Mal von dem Schweizer Biologen und Philosophen der Aufklärung Charles Bonnet (1720– 1793) beschrieben worden.

Manche Pflanzen und weibliche Tiere wie beispielsweise Blattläuse und Wasserflöhe, aber auch manche Fischund Eidechsenarten, Schnecken sowie vier Schlangenarten können sich eingeschlechtlich fortpflanzen, das heißt ohne von einem männlichen Artgenossen befruchtet zu werden: Durch bestimmte Hormone wird der unbefruchteten Eizelle eine Befruchtungssituation »vorgespielt«, worauf diese sich zu teilen beginnt und zu einem Organismus heranreift. Der Parthenogenese kann entweder eine Meiose mit Eizellenbildung vorausgehen oder sie kann direkt über diploide Keimbahnzellen ablaufen. Bei letzterer findet keine Rekombination statt und die entstandenen Nachkommen sind Klone ihrer Mutter.

Die Welt ist lebensfeindlich geworden in dem Maße, wie das Weibliche als Urgrund allen Seins vergessen wurde.

Der weibliche Körper

Mit der Ehrfurcht und dem Respekt vor dem Wunder des Lebens hat all dies nichts zu tun. Unser Tun lässt die Ehrfurcht und den Respekt vor dem Wunder des Lebens vermissen, weil wir den Ursprung vermissen und den Zugang dorthin verloren haben. Wer ihn finden will, muss innehalten. Er verkörpert das Mysterium des Lebens und ist heilig – oder in den Worten der evangelischen Pastorin Hanna Strack (*1936), wie sie es im Interview beim Online-Kongress Sex, Spirit & Birth im Februar 2016 öffentlich gesagt hat: »Der weibliche Körper ist symbolwürdig für das Göttliche.« Zum Geheimnis des Weiblichen gehört es, dass in seinem Körper neues Leben wächst. Das Wunder aus sich heraus verstehen kann letztlich nur die Frau. Sie verkörperte einst das geheime Wissen und war daher nicht auf Aufzeichnungen oder Schriftstücke angewiesen. Ihre innerweltlichen Erfahrungen drückte sie in schöpferischer Kreativität aus, beispielsweise in universellen Symbolen oder tanzenden Geschichten, wie dies etwa auf Hawaii noch heute anzuschauen ist.

Der Mann war auf Beobachtung, Ableitung, Einweihung in das mystische Weltverständnis angewiesen. Vielleicht gründet hier die Tendenz der Männer, alles aufspalten, aufschneiden, zerlegen zu müssen, um des Geheimnisses Herr zu werden. Aus einer Einbildung des Mangels heraus ist der weibliche Körper ein Symbol der eigenen Unzulänglichkeit für Männer geworden. Damit einher geht eine Abwertung des weiblichen Körpers mit fatalen Folgen. Eine Abwertung des Lebens an sich als selbstverstärkender Effekt trat ein. Zeugung und Geburt sind dabei die zwei Seiten weiblicher Körperlichkeit. Werden diese Pole als Zugänge zur unmittelbaren Lebenserfahrung verbaut, kann sich Leben nur noch in seiner Umkehrung entwickeln. Denn das einst Heilige, das auf Lust und Freude, Austausch, Verbindung und Verschmelzung aus- gerichtete Dasein wird unterbunden. Das Erleben erstarrt, muss moralisch und systemerhaltend vorinterpretiert werden. Veränderung ist dann nur noch gewaltsam möglich und verstellt das Leben als Zyklus heilsamer Wandlungsprozesse. Unter diesen Vorgaben kann Leben nur unter Schmerzen geboren werden und verstrickt sich folglich im Leid. Verhindert wird so ein freudvoller Start ins Leben wie auch das Leben als inspirierende, ekstatische, spirituelle Erfahrung, welche sich aus sich selbst heraus entfaltet. Durch die Unterbindung der weiblichen Sexualität ist der Fluss der Liebe zum Leben unterbrochen, eine Anbindung an die göttliche Erfahrung nur noch durch die Verneinung des Lebens möglich. Dieser Irrweg drängt sich unübersehbar durch die Selbstmordattentäter in unser Bewusstsein, die danach trachten, in lebensverachtender Weise dem Göttlichen näherzukommen.

Mit der Verhüllung des weiblichen Körpers legten sich auch Schleier über die Erkenntnis der Welt.

Die Abwertung des weiblichen Körpers war der Beginn der Abwertung des Lebens an sich.

Die Urmutter als Quelle allen Seins

Der weibliche Körper und Sexualität waren und sind heilig, da sie neues Leben hervorbringen. Die Gebärmutter einer Frau wird zum Universum für das sich entwickelnde Leben in ihrem Bauch. Was liegt näher, als anzunehmen, dass auch das ganze Universum einst aus der Gebärmutter des Lebens geboren wurde? So wundert es nicht, dass Gebärmutter auf Lateinisch Matrix bedeutet, also die Grundstruktur des Lebens vorgibt. In der Matrix des Lebens kann sowohl ein Junge als auch ein Mädchen heranreifen. Der weibliche Körper toleriert also nicht nur das Männliche, sondern integriert es in den eigenen Körper. Die Vorstellung, eine Frau sei während der Schwangerschaft eine Göttin, ist so gesehen mehr als ein schönes Bild. Sie steht in direkter Nachfolge der Urmutter allen Seins, die sowohl männliches wie weibliches Leben hervorbringen kann. Die Urmutter, auch Große Mutter oder Große Göttin genannt, hat viele Namen und wird seit Urzeiten auf allen Kontinenten verehrt. Sie ist reine göttliche Essenz und allumfassende Liebe, die nährende Mutterliebe. Die ewige Mutter offenbart sich in den Gesichtern der Erde, zeigt ihre Kraft und Schönheit allerorten. Sie durchdringt die Materie und belebt die Welt. Die universelle Schöpfungskraft ist die weibliche Kraft, die alles Leben hervorbringt. Am Anfang wie am Ende ist die ewige Mutter allen Seins, die Urmutter, das Alpha und Omega des Lebens. Archäologische Funde von weiblichen Figuren aus der Steinzeit bezeugen, dass das Urweibliche, das in sich den Kreislauf von Leben und Tod, Entstehen, Werden und Vergehen vereint, seit mehr als 30 000 Jahren als die Leben spendende und erhaltende Kraft im Universum betrachtet wird. Jede Lebensform stammt von ihr ab.

Die sogenannten Venusfiguren werden überall auf der Welt gefunden. Sie sind Zeichen der Präsenz des Urweiblichen in einer prähistorischen Epoche.

Die Rückführung allen Lebens auf eine Urmutter wird auch in China, einer der ältesten noch existierenden Zivilisationen der Menschheit, so gesehen. Im chinesischen Weisheitsbuch Daodejing, das um 600 v. Chr. verfasst wurde, heißt es: »Die Welt hat einen Anfang, das ist die Mutter der Welt.« Dementsprechend war zu dieser Zeit das weibliche Prinzip Yin dem männlichen Prinzip Yang vorgelagert. Es liegt nahe, dass der Daoismus – in dem die Harmonie mit der Natur und die Verbundenheit und tiefe Wertschätzung mit allen Wesen als höchste Qualitäten gewertet werden – aus der Verehrung und Weisheit der Großen Göttin, die im Chinesischen Nu Wa heißt, abgeleitet ist. In einer zeitgemäßen Version des Tao Te King aus dem Jahr 2003 heißt es in Vers 6: »Das Tao bezeichnet man als die Große Mutter. Leer, doch unerschöpflich, bringt es unzählige Welten hervor. Es ist immer in dir da.«

Die Vermutung liegt nahe, dass das bekannte Yin-Yang-Symbol einst den schwarzen Punkt im weißen Kreis darstellte und erst im Laufe des Patriarchats die Spaltung erfahren hat, uns seiner Wahrhaftigkeit beraubt und die Harmonie zwischen männlich-weiblich als gleiche Kräfte nur vorgaukelt. Männlich und weiblich sind gleichwertige Kräfte, im Sinne gleichgültiger Kräfte, durch deren Zusammenspiel sich Leben vollzieht. Und doch ist die Kraft des Weiblichen vorgeordnet nicht im Sinne der Rangfolge, sondern als Grundlage allen Seins. Das Weibliche ist die treibende Kraft oder der Boden, auf dem sich Leben entwickeln kann.

Alles Leben entspringt dem Mutterschoß

Wer das Leben in seiner tiefen Dimension erfassen will, kommt nicht umhin, sich mit der Kraft des Weiblichen als form- und strukturgebendes Element zu befassen. In China existiert bis heute ein geheimes Wissen der Frauen, das im Qi Gong als Weg der Göttin, wie es Brigitte Gillessen (*1947) in ihrem gleichnamigen Buch für westliche Frauen zugänglich macht, seit 1200 Jahren weitergegeben wird und das sich mit der Arbeit an der Lebensenergie des Menschen und damit dessen Heil- und Ganzsein befasst. Als Göttinnengestalt hat sich in China im Laufe der Zeit und unter männlicher Dominanz – die Füße der jungen Frauen wurden jahrhundertelang abgebunden, damit sie über die Erde nicht ihre volle Kraft aufnehmen konnten – nur die weibliche Form von Buddha erhalten, die Bodhisattva. Sie ist die Göttin der Barmherzigkeit und alles Leben spendende Mutter. Noch heute erhält sie den meisten Zuspruch unter den Gläubigen des Mahayana-Buddhismus in Ostasien.

Die Ursilbe Ma, die in allen Sprachen der Welt vorkommt, steht dabei für die Urmutter allen Seins und ist weltweit die erste Silbe, die Babys von sich geben – und daher das Urwort für Mutter. Die Ursilbe Ma finden wir auch in Nepal wieder: In der Landessprache heißt etwa der höchste Berg der Welt, der Mount Everest, Chomulung-Ma, was so viel bedeutet wie Mutter des Universums oder weiße Himmelsgöttin. Die Einwohner Nepals empfinden es noch heute als Frevel, dass die weibliche Kraft der Natur durch die Umbenennung des heiligen Berges durch ihre Bezwinger entehrt wird. Auf diese Weise ist die Verbindung von Natur und weiblicher Schöpfungsquelle für Generationen verschüttgegangen.

Der höchste Berg der Erde ist die weiße Himmelsgöttin.

In jüngster Zeit gibt es Bestätigung für diese Sichtweise – wenn auch möglicherweise unbewusst oder göttlich geleitet – von Papst Franziskus. Er setzt sich vehement für die Heilung von Natur und Mutter Erde ein. Von ihm stammt auch der Satz: »Der Name Gottes ist Barmherzigkeit«. Das Jahr 2016 rief Papst Franziskus zum Jahr der Barmherzigkeit aus und öffnete damit der Urmutter das Tor in diese Welt. Losgelöst von der F rage, ob die katholische Kirche sich inzwischen selbst im Irrgarten aus überschriebenen Wegweisern zum Ursprung verrannt hat, ob sie die Zusammenhänge weiterhin gezielt missachten will oder ob Papst Franziskus sogar eine weibliche Kirche vorbereitet – das Wort Barmherzigkeit ist gut gewählt und noch immer kraftvoll, weil es mit dem Urgrund in direktem Zusammenhang steht. Wir haben dieses Wissen verloren, da es bei der Übersetzung der Bibel ins Griechische ausradiert wurde. Das Wort Barmherzigkeit wurde im Hebräischen und in den alten Kulturen mit dem Wort Mutterschößigkeit, also mit Gebärmutter und Vulva gleichgesetzt, wie Hanna Strack herausgearbeitet hat. (Quelle: Hanna Strack Spirituelle Reise zur Gebärmutter. Entdecken – Staunen – Würdigen). Der Schoß ist der Quell göttlicher Liebe.

Wenn der Name Gottes Barmherzigkeit ist, wie Papst Franziskus sagt, dann hat Gott einen Mutterschoß und ist urweiblich.

Die Gebärmutter beherbergt seit jeher den Glauben an das Göttliche, sie ist der Urgrund allen Seins, denn in ihr entsteht, wächst oder stirbt Leben und wird schließlich von dort aus ins eigene Leben entlassen. Barmherzigkeit ist untrennbar mit dem weiblichen Schoß und den urweiblichen Qualitäten einer Frau und Mutter verbunden. Das Weibliche steht für den heilsamen Wandel, die Naturverbundenheit – und der Frauenkörper ist daher symbolwürdig für das Göttliche (Quelle: Hanna Strack, Interview beim Online-Kongress: Sex, Spirit & Birth).


Die weiblichen Geschlechtsorgane ähneln einem Kuhkopf mit Hörnern, weshalb Hörner auch ein Attribut der Großen Göttin sind und Kühe in Indien als heilige Tiere gelten.

Der weibliche Körper und die Sexualität sind heilig, da sie neues Leben hervorbringen. Zeugung und Geburt sind die zwei Seiten der weiblichen Sexualität. Bei der Geburt wirkt die universelle Schöpfungskraft unmittelbar im weiblichen Körper und ist keine transzendente Größe, die außerhalb des Körpers oder in tiefer Meditation erfahrbar ist, sondern für Frauen mit jeder Faser ihres Körpers spürbar. Sie durchströmt die Frau bei der Geburt in ihrer Ganzheit auf allen Ebenen.

Wenn in vielen Kulturen stattdessen die Gebärmutter oder Vulva als der Ort angesehen wurde und noch immer wird, durch den der Teufel in die Welt komme und über den die Erbsünde weitergegeben werde, so zeigt das auf drastische Weise, wie weit wir uns vom Ursprung entfernt haben. Wie das Christentum so konnten auch die anderen monotheistischen Weltreligionen nur durch die systematische Abwertung der Frau ihre Ansicht über die Welt und damit ihre Glaubensrichtung und Macht durchsetzen. Die Ausgrenzung von Frauen aus führenden Positionen in den Weltreligionen ist aus Sicht der geistlichen Klasse eindeutig damit zu begründen, dass ihnen der Platz in der Nähe der Göttlichkeit verwehrt werden musste, da sie sich sonst an die natürliche Nähe des Weiblichen zum Göttlichen erinnern würden. In der Folge kam viel Leid über die Frauen und dauert noch immer an. Aber nicht nur über sie, denn wenn der weibliche Körper und die weibliche Kraft das Tor zum Göttlichen und Paradies auf Erden sind, sind wir durch die Verkehrung der Zusammenhänge in einer lebensfeindlich gewordenen Welt alle von einem Leben in Freude, Frieden und Verbundenheit abgeschnitten.

Die weibliche Schöpfungsgeschichte

Die universelle Schöpfungskraft ist also eine durch und durch weibliche Kraft. Andrea Dechant (*1957), Malerin und Forscherin über den alten Göttinnenkult, schreibt dazu: »In nahezu allen Mythen, Religionen und Kulten wird der Schöpfungsakt, dieses Ur-Gebären entweder einer weiblichen Gottheit zugeschrieben oder einem Götterpaar. Auch unter dem uns bekannten ›Heiligen Geist‹ verstand man seit jeher eine göttliche Kraft mit eindeutig weiblichen Zügen. Personifiziert und verehrt als Sophia, die große Muttergöttin des Juden- und Christentums, welche der Welt das Licht brachte und von Ewigkeit her eingesetzt war. Sophia ist die verkörperte Frau Weisheit. Alles ist möglich in diesem Urzustand. Sophia tanzt – leicht wie die Zeit – ihren kosmischen Tanz. Ihre Schwingung ist der wilde Urknall, dem Wirbel, Bewegungen, Töne entsprangen, Räume, Zukünfte, erste Vergangenheiten. Sie erstreckt sich über das sich freudig ausdehnende All. Sie manifestierte sich aus dem Absoluten, dem Urklang und ist als dynamische Energie während des gesamten Schöpfungsaktes die treibende, die weise, die kreative Kraft. Was für ein anderes Bild der biblischen Schöpfungsgeschichte. Was für eine Lebensfreude, die daraus spricht.« (Quelle: www.flowbirthing.de, Blogbeitrag Weibliche Schöpfungskraft vom 24. Mai 2015).

Der weibliche Urgrund führt Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammen. Er öffnet Raum und Zeit für das Leben.

Dieser Schatz der Menschheit schien verloren, seit wir vergessen haben, an Pfingsten Sophias zu gedenken. Pfingsten ist die Feier der weiblichen Schöpfungskraft mit ihrem ganzen Ideenreichtum, der Weisheit, die von Beginn an da war. Dass wir uns dennoch daran erinnern, liegt daran, dass bei der Umschreibung die alten Symbole verwendet werden mussten, um die Menschen in ihrem alten Glauben mitzunehmen. Und da an Pfingsten symbolisch noch immer die Taube im Mittelpunkt steht, können wir nachvollziehen, dass hier eigentlich die Urmutter gefeiert wird. Die Taube ist seit jeher ein Symbol der Urmütter.

Im Volksglauben überlebt

In Europa hat sich der Glaube an die Große Göttin in der Verehrung der Mutter Maria erhalten. Mutter Maria wird meist im blauen Gewand dargestellt, eine Farbe, die ursprünglich für das Weibliche galt, bis es zur Farbe für Jungen wurde. Dass Maria in einer Linie mit der Großen Göttin steht, verrät schon die Bibel: Marias Mutter heißt Anna. Anna oder Hannah leitet sich vom iranischen Wort hana, Großmutter und Stammmutter, ab. Die Große Göttin wurde im gesamten mittleren Osten unter diesem Namen als Königin und Schöpferin verehrt. Sie ist es, die die Menschen seit Urzeiten liebevoll verehren und die Wunder wirkt. Auch im Islam wird die Große Göttin in Gestalt Fatimas als fiktive Tochter Mohammeds oder auch Mutter ihres Vaters verehrt. Auch ihr Name bedeutet Schöpferin; ist sozusagen das östliche Gegenstück zur Mutter Maria. Beide haben gemeinsam, dass sie zu sterblichen Menschen herabgestuft wurden, im Volksglauben aber bis heute ihre Kräfte beibehalten haben.

In der christlichen Welt beten Hilfe suchende Menschen vorrangig noch immer zur barmherzigen Mutter Maria. Die katholischen Wallfahrtsorte sind überwiegend der heiligen Maria gewidmet. Ob Lourdes oder Altötting – durch einen Buchstabenverdreher ist in Altötting (= Alt-Göttin) die Alte Göttin sogar noch im Namen präsent –, all diese Orte stehen auf alten heiligen Plätzen der Großen Göttin, an denen die Menschen Zuflucht im Schoß der Urmutter suchten. Die Schwarze Madonna von Altötting symbolisiert darüber hinaus in plastischer Weise die Große Göttin in ihrer dreifachen Gestalt. Auch diese Eigenschaft der Großen Göttin, die auch Dreifache Göttin genannt wird, ging im Konzept der Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist auf. Die Dreieinigkeit steht ursprünglich für den Lebenszyklus aus Geburt, Leben und Tod und drückt sich auch in den Urfarben des Lebens Weiß, Rot und Schwarz aus. Die drei Farben drücken zudem den Reifungsprozess einer jeden Frau von der jungen Frau über die Mutter bis hin zur weisen Frau aus.

In Lourdes erschien dem Mädchen eine weiße Frau: eine Beschreibung der Großen Göttin.

Die weibliche Kraft ist das verbindende Element zwischen den Kulturen, Nationen und Geschlechtern. Wir alle sind die Töchter und Söhne der einen Großen Mutter.

Die Dreiteilung des Lebens und die drei Gestalten der einen Göttin finden sich in allen Kulturkreisen der Welt wieder und strukturiert das Labyrinth als Ursymbol des Lebens.

Trotz großer Verschiedenheiten der Kulturen und vermeintlich unüberbrückbaren Differenzen speist sich aus der Allgegenwärtigkeit der Urmutter allen Seins auch heute noch ihre Faszination – und darin liegt für die Zukunft ihre Integrationskraft für ein friedliches Zusammenleben aller Menschen. Außer den Grundemotionen, die bei allen Menschen weltweit gleich sind, gibt es wohl kaum noch andere Beispiele, die mit so großer Übereinstimmung über den ganzen Erdball hinweg geteilt werden. Weltweit erinnern sich dieser Tage Frauen wieder an ihre gemeinsame Kultur.

Die Beschäftigung mit dem weiblichen Urgrund allen Seins ist für viele Menschen schwer verdauliche Kost. Zu groß ist die Angst vor einer notwendigen Veränderung der eigenen Weltsicht. Es ist ein äußerst schmerzlicher Vorgang, sich eingestehen zu müssen, dass unsere kulturelle Identität, alles, was wir über das Leben zu wissen glaubten und für selbstverständlich hielten, von Menschen erdacht wurde und keinen tieferen Wahrheitsanspruch hat. Doch durch dieses Nadelöhr müssen wir gehen! Denn wie wollen wir eine Veränderung der zerstörerischen Weltordnung erreichen, wenn wir nicht ganz grundlegend zu akzeptieren lernen, woher wir kommen und wer wir sind? Voraussetzung für ein selbstzufriedenes Leben ist die Kenntnis der eigenen Wurzeln. Verweigern wir dem Kind die Wahrheit über die Vaterschaft, halten wir dies zu Recht für eine Menschenrechtsverletzung. Dasselbe gilt in größerem Maßstab für die Wurzeln der Menschheit. Es geht nicht darum festzulegen, ob Gott nun männlich oder weiblich ist, das werden wir auf Erden wohl nie klären können. Doch geht es darum anzuerkennen, dass das Leben, das uns umgibt, weiblichen Ursprungs ist. Unser Mut für diese Sichtweise wird belohnt mit einer ungeahnten Freude und Leichtigkeit. Die Freiheit, einfach zu sein, geht Hand in Hand mit dem Vertrauen auf die weibliche Kraft.

Wer das Leben verstehen will und in Harmonie mit allem, was uns umgibt, leben will, braucht Verständnis für die weiblichen Qualitäten, die noch heute das Geheimnis des Lebens ins sich tragen. Die Deutung mag ungewohnt sein, die Sachlage erdrückend. Akzeptanz ist unbestritten die Vorbedingung für jede Veränderung im Leben. Nur daraus erwachsen die Stärke und das Vertrauen, welche für den Wandel notwendig sind. Im Übrigen ist Akzeptanz eine positive männliche Kraft, wie wir noch erfahren werden, und Wandel das Urprinzip des Weiblichen. Gemeinsam kann es uns also gelingen, das Rad der Geschichte in eine positive Richtung weiterzudrehen. Beim kollektiven Aspekt der weiblichen Kraft geht es genau darum: das Rad weiterzudrehen, um das Urweibliche als lebensfördernde Kraft aufsteigen zu lassen. Das Leben hat die Kraft, sich immer wieder neu zu gebären.


Gebäre, Frau

Gebäre, Frau,

noch einmal die uralten Regeln

von Leben und Tod,

den ewigen Wandel im heiligen Maß.

Nähre, Frau,

sei reiche Quelle

für alle Kinder der Erde.

Heile, Frau,

die uralte Wunde.

Folge den Müttern.

Verbinde dich mit den Schwestern.

Lehre die Töchter

die heiligen Gebote allmütterlicher Macht.

Ordne, Frau,

noch einmal die menschliche Gemeinschaft,

dass sie wieder gedeihe

aus der Kraft der heiligen Kreise.

Kehre heim, Frau,

als vollmächtige Tochter

der All-Einen Mutter

mit ihrer Kraft, das Leben zu schützen.

Tritt ein, Frau,

in dich:

in deine Angst und deinen Mut,

in deine Schwäche und deine Kraft,

in deinen Zorn und deine Lust.

Lebe deine ureigene Wahrheit, Frau,

und umarme den uralten Schmerz,

der jetzt in einer jeden wohnt.

Verschlungene Wege

führen dich in die Tiefe deines Herzens,

in den Schoß der Erde,

zur Quelle heiligster Kraft,

ans ewige Feuer weiblicher Wildheit,

Weisheit und Lust.

Tanzt,

Frauen,

dass aus unserer verbundenen Kraft

die Heilung geschieht.

Die Kraft des Weiblichen

Подняться наверх